Es ist letztlich eine Entscheidung, die der Gesetzgeber, hier sogar der Verfassungsgeber, zu treffen hat. Das ist in der Anhörung, die wir im Ausschuss durchgeführt haben, auch deutlich hervorgehoben worden.
Wenn das Wahlalter in Nordrhein-Westfalen Verfassungsrang hat, zeigt dies, dass die Ausübung des Wahlrechts einen hohen Stellenwert in unserer Demokratie hat. Die Demokratie selbst hat natürlich Verfassungsrang im Grundgesetz. Demokratie lebt vom Kampf der Meinungen. Manchmal ist es auch notwendig, nicht Öl, sondern Sand ins Politikgetriebe zu streuen, das heißt, kritisch zu sein, selbst mitzumachen und zu gestalten. Politik darf man nicht anderen überlassen.
Aus dem Demokratieprinzip folgt also nicht nur ein Wahlrecht nach dem Motto: „Alle Gewalt geht vom Volke aus“, sondern es verpflichtet uns auch, insbesondere junge Menschen vor Beeinflussung und populistischen Meinungen zu schützen, ihnen beizubringen, wie man mit Meinungen kritisch umgeht, wie man eine Zeitung kritisch liest, wie man mit sozialen Medien umgeht, Fake News erkennt, Faktenchecks macht usw.
Es ist für uns eine selbstverständliche Pflicht, für unsere jungen Menschen demokratische Lernprozesse zu organisieren. Der Landtag Nordrhein-Westfalen engagiert sich hierbei auf vorbildliche Weise und bietet mit dem Jugendparlament und den Besucherprogrammen für Schülerinnen und Schüler Projekte an, in denen junge Menschen einen umfassenden Einblick in die Mechanismen der Landespolitik erhalten. Das verdient unsere ausdrückliche Anerkennung und muss auch weiter ausgebaut werden.
Aber, meine Damen und Herren, was ist denn nun das richtige Wahlalter? Der Gesetzgeber – ich sagte das eben – muss entscheiden, wann dieser Entwick
lungsprozess bei Jugendlichen so weit als abgeschlossen betrachtet werden kann, dass die Demokratie mit Leben erfüllt und letztlich auch geschützt wird.
In Deutschland hat der Gesetzgeber eine Wertentscheidung getroffen. Er hat die Volljährigkeit auf Vollendung des 18. Lebensjahres festgelegt und damit umfassende Bürgerrechte und Bürgerpflichten konstituiert. Selbst im Strafrecht gibt es Ausnahmen, nach denen 18- bis 20-Jährige als Heranwachsende noch nach Jugendstrafrecht verurteilt werden können, wenn ihre Reife als jugendtypisch zu beurteilen ist.
Auch hier zeigt sich gerade die Schutzfunktion, die der Gesetzgeber verantwortlich übernommen hat. Daran muss sich aus Sicht der CDU-Landtagsfraktion auch das Mindestalter des aktiven Wahlrechts auf Landes- und Bundesebene orientieren. Denn die Wählerinnen und Wähler tragen mit ihrer Entscheidung aktiv zur politischen Gestaltung des jeweiligen Bundeslandes und der gesamten Bundesrepublik bei.
Es geht bei der Debatte um das Wahlalter nicht darum, einem Menschen ein Wahlrecht zu geben, weil er einen eigenen Willen hat oder gar gut argumentieren kann, sondern es geht darum, den Wert unserer demokratischen Grundordnung hochzuhalten, bis zur Vollendung der Wahrnehmung der bürgerlichen Rechte und Pflichten junge Menschen vor Populismus und Extremismus zu schützen und bis dahin diese Lernprozesse zu organisieren.
Der Gesetzgeber muss entscheiden – ich wiederhole das –, wann dieser Erkenntnisprozess bei Jugendlichen als so weit abgeschlossen betrachtet werden kann, dass verantwortungsvolle Wahlentscheidungen getroffen werden können.
Der Orientierungspunkt ist also für uns die Volljährigkeit. Wir halten nichts davon, jetzt das Wahlalter herabzusetzen, obwohl die Verfassungskommission in der vergangenen Legislaturperiode hierzu bereits eine Entscheidung getroffen hat und sich ausdrücklich und gut begründet für die Beibehaltung des Wahlalters von 18 Jahren ausgesprochen hat.
Im Übrigen würde ein Wahlrecht ab 16 Jahren bedeuten, dass das aktive und das passive Wahlrecht auseinanderfielen. 16- und 17-Jährige hätten demnach nur ein halbes Wahlrecht. Das entbehrt jeder Logik.
Eine Absenkung des Wahlalters ist auch nicht dazu geeignet, ein mangelndes politisches Interesse bei Jugendlichen zu ändern. Stattdessen ist eher zu befürchten, dass die Senkung des Wahlalters aufgrund des mangelnden politischen Interesses zu einem Rückgang der Wahlbeteiligung führen könnte. Auch
das ist in der Anhörung gesagt worden. Das Wahlrecht darf nicht als erzieherisches Mittel herhalten.
Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass es bei der Frage des Wahlalters zum einen um den Schutz der demokratischen Verfassung geht; zum anderen geht es aber auch um den Schutz heranwachsender Jugendlicher vor Einflussnahme und Überforderung. Jugendliche sollten nicht mit Entscheidungen konfrontiert werden, mit denen sie sich überfordert fühlen oder wobei sie verunsichert sind, mit dieser Aufgabe vertrauensvoll umzugehen. Hierzu könnte ich auf verschiedene Studien verweisen.
Außerdem sollte man nicht davon ausgehen, dass ein Wahlrecht ab 16 Jahren einen geringeren Stimmanteil für Extremisten bedeutet. Wenn ein Teil der Jugendlichen durch populistische Kampagnen eingefangen wird und andere aus mangelndem Interesse der Wahl fernbleiben, kann es durchaus passieren, dass die Zustimmung für Parteien am rechten und linken Rand steigt.
(Josefine Paul [GRÜNE]: Das ist doch völliger Unsinn! – André Stinka [SPD]: Das glauben Sie selbst nicht! – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Jahr 1976 konnte ich zum ersten Mal an einer Bundestagswahl teilnehmen. Damit profitierte mein Jahrgang als einer der ersten von der Herabsetzung des Wahlalters auf 18 Jahre, die 1972 von einer sozialliberalen Regierung unter Willy Brandt auf den Weg gebracht worden war.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen gegangen ist, aber das erste Mal wählen zu gehen, war für mich etwas Besonderes und prägend für die weitere Wahlbiografie. Der damalige Dortmunder Oberbürgermeister, Günter Samtlebe, hatte mir mit dieser Urkunde hier
nicht nur zur Vollendung des 18. Lebensjahres gratuliert, sondern auch auf die Wahlberechtigung und auf die staatsbürgerlichen Pflichten hingewiesen. Das war eigentlich gar nicht notwendig; denn es war
die Zeit der sogenannten partizipatorischen Revolution, und die Beteiligung an Wahlen war für uns junge Menschen eine Selbstverständlichkeit.
Heute, mehr als vier Jahrzehnte später, haben sich Gesellschaft und Wahlverhalten verändert. Die Wahlbeteiligung ist in den letzten Jahren gesunken. Unsere Demokratie verliert an Legitimation. Die Partizipation junger Menschen – viele sitzen heute auf der Tribüne – verlagert sich auf unkonventionelle Beteiligungsformen, wie gerade die „Fridays-for-Future“-Bewegung zeigt.
Vor diesem Hintergrund diskutieren wir erneut über eine Absenkung des Wahlalters, in diesem Fall des aktiven Wahlalters, auf 16 Jahre bei Landtagswahlen – nicht zum ersten Mal und, je nachdem, wie es heute ausgeht, auch nicht zum letzten Mal in diesem Hohen Haus.
Es ist schon darauf hingewiesen worden: Die Verfassungskommission hat sich in der letzten Wahlperiode mit dem Thema befasst, aber nicht so, Herr Kollege Preuß, wie Sie das dargestellt haben. Das Scheitern der Herabsetzung des Wahlalters ist darauf zurückzuführen, dass das Wahlalter in einem politischen Korb mit anderen Themen diskutiert worden ist und wir uns damals leider nicht einigen konnten.
Heute legt die SPD einen neuen Gesetzentwurf vor, den wir abschließend beraten. Parallel wird auch in der Enquetekommission zur Stärkung der parlamentarischen Demokratie über eine Ausweitung der Partizipation nachgedacht. Die Argumente liegen also auf dem Tisch. Das erleichtert mir heute die Aufgabe. Ich kann mich auf eine Zusammenfassung der Diskussion beschränken, werde aber nicht so einseitig vorgehen, wie das in der vorherigen Rede der Fall war.
Ich beginne mit den Pro-Argumenten. Dabei gilt es zunächst, mit einem Missverständnis aufzuräumen. Die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre wird nicht kurzfristig zu einem Anstieg der Wahlbeteiligung führen; denn wie alle Wahlanalysen zeigen, steigt die Wahlbeteiligung mit dem Alter an, bevor sie dann in einem höheren Alter aus gesundheitlichen Gründen zurückgeht.
Mit der Absenkung des Wahlalters wird vielmehr das Ziel verfolgt, eine langfristige Verbesserung der Wahlbeteiligung zu erreichen. Dabei sind zunächst positive Effekte in der Gruppe der jüngeren Wahlberechtigten bis 21 Jahre zu erwarten. Da Partizipation pfadabhängig verläuft, ist davon auszugehen, dass der sogenannte Erstwählereffekt zum Kohorteneffekt wird, also über das gesamte Leben eines Wahlbürgers durchträgt.
Dr. Vehrkamp von der Bertelsmann Stiftung hat das in der Anhörung im Hauptausschuss so formuliert – ich zitiere –:
„Die Erstwahlwahrscheinlichkeit … ist also ein strategischer Hebel zur langfristigen Steigerung der Gesamtwahlbeteiligung.“
Doch, meine Damen und Herren, dieser Effekt ist kein Selbstläufer. Eine wichtige Voraussetzung ist die Begleitung der politischen Sozialisation durch Maßnahmen der politischen Bildung. Dazu eröffnet nun die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre neue Möglichkeiten; denn die 16- und 17-Jährigen leben häufig noch im Elternhaus und besuchen die Schule, während für die jungen Menschen ab 18 Jahre – jedenfalls teilweise – der Schulbesuch schon beendet ist.
Allerdings muss die politische Bildung in unseren Schulen und Jugendeinrichtungen dringend verbessert werden. Wir brauchen einen kontinuierlichen Politikunterricht, weniger fachfremd unterrichtende Lehrerinnen und Lehrer und eine Überarbeitung der Lehrpläne.
In Bremen und Hamburg, wo bereits ab 16 Jahren gewählt werden kann, ist es beispielsweise gelungen, durch Juniorwahlen und Informationskampagnen das Interesse und die Wahlbereitschaft zu steigern.
Schließlich ist noch ein weiterer Effekt mit der Absenkung des Wahlalters verbunden: Die Interessen der jüngeren Menschen werden vom politischen System stärker berücksichtigt, wenn sie früher wahlberechtigt sind. Wir leben in einer alternden Gesellschaft, in der zugleich die älteren Menschen die höchste Wahlbeteiligung aufweisen. Entsprechend hoch ist ihr Stimmengewicht. Die Absenkung des Wahlalters und damit die Vergrößerung des Anteils der jüngeren Wahlberechtigten kann hier zumindest ein kleines Gegengewicht bilden.
Hinzu kommt, dass die Parteien gezwungen werden, in ihren Programmen und Wahlkämpfen auf die Interessen der Jungwählerinnen und Jungwähler stärker einzugehen.
Als Zwischenresümee lässt sich folgende Argumentationskette festhalten. Die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre bei Landtagswahlen in Kombination mit einer verbesserten politischen Bildung trägt zu einem Empowerment junger Menschen und der Berücksichtigung ihrer Interessen durch das Parteiensystem bei. Dank des Erstwähler- und Kohorteneffekts ist zu erwarten, dass langfristig die Wahlbeteiligung gesteigert wird.
Doch nun zu den Kontra-Argumenten. Ich bin dem Kollegen Preuß fast dankbar, dass er das gesamte Spektrum an Vorurteilen noch einmal aufgeblättert hat, die es in diesem Zusammenhang so gibt.
Bezogen auf die 16- und 17-Jährigen wird fehlendes Wissen, ein geringes politisches Interesse, mangelnde Reife und mangelnde Entscheidungsfähigkeit unterstellt. All diese Vorurteile lassen sich jedoch zum großen Teil durch empirische Untersuchungen widerlegen.
Ich möchte hier auf die Ergebnisse der Professorin Kritzinger der Universität Wien im Rahmen der Österreichischen Nationalen Wahlstudien verweisen. Warum gerade Österreich? – Österreich eignet sich als Untersuchungsfeld insbesondere, weil dort seit 2007 das Wahlalter für die Teilnahme an allen nationalen Wahlen auf 16 Jahre abgesenkt wurde.
Die Studien machen deutlich, dass das politische Interesse der jüngsten Wähler nach der Wahlaltersabsenkung gestiegen ist und insbesondere schulische Maßnahmen den gewünschten positiven Effekt zeigen. Das politische Interesse der 16- bis 17-Jährigen ist auf einem ähnlichen Niveau wie das der 18- bis 21-Jährigen. Warum sollten wir ihnen also das Wahlrecht verweigern?
Auch hinsichtlich der politischen Reife kann festgestellt werden, dass auch die jüngsten Wahlberechtigten in der Lage sind, die Parteien zu wählen, die ihre Meinungen am besten widerspiegeln. Überhaupt ist der Vorwurf eines zu geringen Wissens und einer uninformierten Entscheidung fragwürdig. Unser Wahlrecht kennt keinen Wissens- oder Eignungstest. Es wäre allerdings interessant, ob dieser bei älteren Wahlberechtigten so viel besser ausfiele als bei den jüngeren.