Protocol of the Session on January 22, 2020

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung erteile ich nun Herrn Minister Reul das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema, über das wir reden, haben alle Redner als ein sehr ernstes und wichtiges Thema angesprochen und benannt. Das ist richtig, und Politik ist gefordert.

Ich stimme Frau Schäffer zu 100 % zu: Die Hauptantwort ist, dass da der Schulterschluss der Demokraten gefordert ist.

(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)

Dazu gehört dann aber auch, dass wir uns die Mühe machen, uns die Fakten ein wenig anzuschauen und sie uns vielleicht auch differenziert anzuschauen.

Erstens. Die Drohungen, der Hass und die Gewalt richten sich nicht nur gegen Kommunalpolitiker und kommunalpolitische Amtsträger, sondern auch gegen Landtagsabgeordnete, Bundestagsabgeordnete, Europaabgeordnete, Regierungsmitglieder, Justiz- und Vollstreckungsbeamte, Personen im öffentlichen Raum und in der Wirtschaft sowie Menschen in den Sozialämtern und in den Ausländerämtern. Frau Schäffer hat auch noch andere Beispiele

genannt. Das ist eine breite Bedrohung in der Gesellschaft von Menschen, die sich für irgendetwas engagieren, bei dem jemand anderes der Meinung ist: Das passt mir nicht.

Zweitens. Der Hinweis auf das, was wir in den letzten Jahren erlebt haben, stimmt auch. In der Tat ist dieses Problem nicht erst jetzt aufgetreten. Vielmehr gab es die Fälle Reker, Hollstein und Lübcke. Es gab auch den Fall Landscheidt, ja. Aber das ist leider etwas, was schon viel länger in dieser Gesellschaft gärt. Deswegen kann man es jetzt nicht an einer Geschichte festmachen und als aktuelles Ereignis abtun. Dann werden wir der Sache nicht gerecht.

Drittens. Ich will auch einige Zahlen nennen, die sich allerdings nur auf die Kommunalpolitik beziehen. Denken Sie bitte nicht, ich würde das Problem nicht ernst nehmen. 2016 hatten wir 31 Fälle, 2017 hatten wir 44 Fälle, 2018 hatten wir 43 Fälle, und 2019 hatten wir 20 Fälle. Das heißt nichts. Aber es heißt auch nicht, dass wir ein Problem haben, das wir überhaupt nicht in Griff kriegen können. Lasst uns also rational und klug damit umgehen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Wir brauchen die öffentliche Debatte unbedingt, damit wir das Problem ernst nehmen und uns kümmern. Aber wir müssen auch aufpassen – vielleicht gestatten Sie mir diesen Satz, auch wenn er missverstanden werden kann –, dass wir nicht das Geschäft derjenigen machen, die mit diesen Vorgängen Angst und Druck in der Bevölkerung erzeugen wollen. Das ist auch nicht unser Job.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich überlege mir jedes Mal, wenn ich dazu irgendetwas erkläre: Hoffentlich helfe ich damit nicht denen, die diese Hetze vorantreiben, entsprechend im Netz unterwegs sind und die Menschen verunsichern wollen. Alles das gab es in der deutschen Geschichte auch schon einmal. Hoffentlich tragen wir dazu nicht bei. Wie kriegen wir es hin, das Problem zu benennen, zu erkennen und zu lösen, aber nicht gleichzeitig weiter Unruhe unter den Leuten zu verbreiten?

Das ist nun einmal anders als vor langer Zeit. Die Hetze oder Gewaltandrohung wird nicht mehr nur über den Gartenzaun geworfen, sondern findet im Netz statt. Das ist für uns schwer erkennbar. Es ist eines der Probleme, dass wir Schwierigkeiten haben, zu sehen: Wer ist das denn? Wer steckt dahinter? Wie kriegen wir ihn?

Höhere Strafen zu fordern, ist das eine. Da bin ich dabei. In Berlin findet jetzt auch einiges statt. Das andere ist, die Strafverfolgung zu intensivieren. Da bin ich auch bei Ihnen, Herr Wolf. Ich weiß aber genauso gut wie Sie – Herr Kutschaty weiß es noch viel besser –, dass die Justiz unabhängig ist. Die Justiz entscheidet, wie sie damit umgeht – nicht ich, nicht Sie.

Kein Parlament kann das vorgeben. Das ist die Unabhängigkeit. Die Justiz entscheidet das.

Aber es hängt auch ein Stück davon ab, ob wir an die Daten kommen und überhaupt wissen, wer es ist. Haben wir die Kraft, mit den Demokraten gemeinsam darüber nachzudenken: „Wie kommen wir an diejenigen heran? Wie wissen wir denn, wen wir verfolgen müssen?“? Es nützt ja nichts, die höhere Strafe zu haben, wenn wir nicht wissen, wer es denn ist. Das ist eine ganz großartige und wichtige Aufgabe.

In der Vergangenheit haben – darauf hat Frau Schäffer zu Recht hingewiesen – die Vorgängerregierung und die jetzige Regierung eine Fülle von Maßnahmen umgesetzt. Manchmal habe ich die Sorge, dass in der Politik dann, wenn so etwas aktuell wird, wenn es ganz hektisch wird, noch ein paar Maßnahmen mehr beschlossen werden. Ich bin mir nicht sicher, ob das richtig ist. Denn wir stehen nicht bei null. Das war der Satz von Frau Schäffer.

Wir haben zum Beispiel im letzten Jahr eine Meldestelle gerade für Kommunalpolitiker eingerichtet, an die sie sich wenden können, wenn sie Probleme haben. Übrigens ist die Zahl derjenigen, die sich da bisher gemeldet haben, sehr überschaubar.

(Sven Wolf [SPD]: Zehn Leute!)

Das gehört auch zur Wahrheit dazu.

Es gehört auch zur Wahrheit dazu, dass es nie so etwas wie eine hundertprozentige Sicherheit gibt. Einfach zu sagen, man müsse einmal etwas tun, reicht auch nicht aus.

Und unter uns: Ich kann diese „Konferenzeritis“ zu den Themen auch nicht mehr ertragen. Wir tagen noch einmal und setzen uns noch einmal zusammen.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Gehen Sie in Rente!)

Nein, es geht um ganz konkrete Punkte. An zwei Stellen bin ich glasklar.

Erstens. Es ist die total falsche Lösung – ich gehe davon aus, dass darüber auch Konsens besteht –, dass Menschen sich bewaffnen. Es kann nicht die richtige Lösung sein, dass Leute meinen: Wir holen uns jetzt die Waffen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zweitens. Unsere Antwort kann auch nicht sein, dass wir alle Betroffenen mit Personenschutz versehen und an jeder Ecke Polizisten stehen haben. Zum einen geht das überhaupt nicht, und zum anderen entspricht es nicht meiner Vorstellung von einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft. Das kann nicht richtig sein.

Ich glaube, wir kommen nicht daran vorbei, viel mehr über Folgendes nachzudenken: Warum ist das denn

so? Warum hat es sich so entwickelt? Was ist eigentlich die Ursache für diesen Hass? Haben wir genug Instrumente, um weiterzukommen und es zu klären? Ist in dieser Gesellschaft denn noch klar, was geht und was nicht geht, was erlaubt ist und was nicht erlaubt ist, was richtig ist und was falsch ist? Haben wir in dieser Gesellschaft eigentlich noch einen Konsens darüber, was Rechtsstaat heißt? Oder machen wir es nach dem Motto, dass jeder für sich das Recht selbst bestimmt?

(Beifall von der CDU)

Die Clans bestimmen, wann sie Gewalt anwenden dürfen. Im Hambacher Forst bestimmen die Besetzer selbst, wann sie Gewalt anwenden dürfen. – Das geht nicht. Es muss überall der gleiche Maßstab gelten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Übrigens – das betrifft zwar nicht das Thema „Gewalt“, aber das Thema „kleiner Rechtsbruch“ – meint auch mancher Bürger, er könne mal ein bisschen schneller fahren oder irgendwo falsch parken. Wenn es in dieser Gesellschaft einen Konsens darüber gibt, was Recht ist und Recht bleibt, und wir uns darüber einig sind, dass diejenigen, die dafür sorgen, dass Recht eingehalten wird, zum Beispiel die Polizei und die Justiz, unsere Rückendeckung haben, dann habe ich keine Sorge, dass es in dieser Gesellschaft gut weitergeht. Aber wenn wir uns darüber nicht einig sind, brauchen wir gar nicht mehr weiter zu diskutieren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. – Für die SPD-Fraktion hat nun der Abgeordnete Dahm das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zu Beginn sagen: Herr Kollege Lürbke, ich bin entsetzt, wie Sie und die FDPFraktion hier heute Morgen diese Debatte führen.

(Beifall von der SPD)

Das war die erste Aktuelle Stunde in diesem neuen, noch jungen Jahr. Das war Ihr erster Redebeitrag. Was mag da noch kommen? Ich fand Ihren Redebeitrag nicht nur unangemessen. Ich sage Ihnen ganz deutlich und auch persönlich: Das war eine Unverschämtheit, was Sie hier heute Morgen abgeliefert haben.

(Beifall von der SPD und Arndt Klocke [GRÜNE])

Rational heranzugehen und das Problem zu verniedlichen, wird dieser Sache nicht gerecht. Sie nehmen das offenbar nicht ernst.

Dass der Bürgermeister einen Waffenschein beantragt hat, zeigt doch nur, dass er Angst und Sorge um seine Person und seine Familie hat und sich vom Staat nicht ausreichend geschützt sieht.

(Beifall von der SPD)

Das zeigt nur die pure Verzweiflung.

Das haben Sie heute Morgen nicht richtig dargestellt. Das finde ich bedauerlich.

Was haben Sie an Lösungen angeboten, Herr Lürbke?

(Zuruf von der SPD: Nix!)

Dazu habe ich von Ihnen nichts gehört – außer den Vorschlag einer neuen Beratungsstelle in den Polizeibehörden. Das finde ich schon bemerkenswert. Ich hätte mir von Ihnen – das sage ich Ihnen ganz deutlich, Herr Lürbke, und das sage ich auch in Richtung der FDP-Fraktion – mehr Sachlichkeit in der Sache gewünscht, anstatt sich an unserem Antrag abzuarbeiten.

(Beifall von der SPD – Marc Lürbke [FDP]: Sie haben ja gar nicht zugehört! Sie haben ja nur geschrien!)

Meine Damen und Herren, unsere Städte und Gemeinden in diesem Land würden nicht funktionieren, wenn es nicht zahllose Menschen gäbe, die sich für ihre Nachbarschaft, ihren Ort, ihre Stadt oder ihre Gemeinde – schlicht für die Gemeinschaft – einbringen. Dazu zählen auch die Frauen und Männer, die sich bei uns kommunalpolitisch engagieren.