Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich gestern das Parlament über die Ereignisse in Halle in Sachsen-Anhalt unterrichtet habe, zeichnete sich bereits ab, dass diese menschenverachtende Untat eine rechtsradikale, eine antisemitische, eine judenfeindliche Tat war. Das hat sich inzwischen bestätigt.
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund unserer dichten Begegnung und Erlebnisse als Präsidium in der Gedenkstätte Auschwitz Anfang dieser Woche sage ich: Hier geht es nicht um uns und nicht um vermeintliche politische Geländegewinne. Es geht darum, ob wir bereit sind, aufzustehen für ein vorurteilsfreies Miteinander, für eine Gesellschaft auf dem Boden unserer Verfassung, auch darum, ob wir endlich bereit sind, aufzuhören, mit zweideutigen Worten eine Saat auszubringen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das gilt auch für Worte hier im Parlament.
Es geht um unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger. Es geht um nicht weniger als um unser Land und seine Zukunft.
Wir begrüßen deshalb heute Morgen als Parlament, aber auch ganz persönlich unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, von denen einige zu uns gekommen sind und oben auf der Besuchertribüne sitzen.
Wir sagen Ihnen sehr deutlich: Wir lassen euch nicht alleine. Wir lassen euch nicht im Stich. Wir sind froh, dass es euch gibt. Antisemitischer Hass und judenfeindliche Gewalt haben hier keinen Platz.
Unsere Gedanken und unsere Gebete sind bei den Opfern und ihren Angehörigen. Unser Herz ist bei den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Wenn wir uns jetzt erheben im Gedenken an die Opfer von Halle, dann können wir das nicht tun – das ist ein Versprechen dieses Hohen Hauses –, ohne für das jüdische Leben in unserem Land aufzustehen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer 69. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch den Gästen auf der Zuschauertribüne und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich sechs Abgeordnete entschuldigt; die Namen werden wir in das Protokoll aufnehmen.
Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 7. Oktober dieses Jahres gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu der oben genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der SPD dem Abgeordneten Bell das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Ich darf Ihnen vorab – ich glaube, ich spreche im Namen aller Kolleginnen und Kollegen – für die guten Worte an dieser Stelle ganz herzlich danken.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 782.000 Studierende in Nordrhein-Westfalen, geschätzt 103.000 Studienanfänger im Wintersemester 2019 – das zeigt, dass Nordrhein-Westfalen mit seinem Hochschulangebot weiter ein attraktiver Studienort ist, der von vielen jungen Menschen aus der ganzen Republik, aber auch aus dem Ausland ausgesucht wird, um hier ihr Studium erfolgreich zu absolvieren.
Aber es gibt eine Schattenseite dieses Erfolgs. Immer mehr junge Menschen sind in den überhitzten Mietmärkten der Studienstandorte nicht in der Lage, eine Wohnung, ein Zimmer oder einen Wohnheimplatz zu bekommen.
sind in Nordrhein-Westfalen erhebliche Preissteigerungen Realität. Nach Auskunft des MLP Studentenwohnreports haben sich die Preise für eine sogenannte studentische Musterwohnung seit 2010 in Düsseldorf um 27 %, in Köln um 30 % und in Münster um 26 % erhöht.
Besonders sollte uns der im letzten Jahr eingetretene Preisschub alarmieren. Das Moses Mendelssohn Institut konstatiert einen generellen Mietpreisanstieg für Zimmerpreise für Studierende von 6,2 % in Nordrhein-Westfalen. Die Preissteigerungsrate hat sich damit in einem Jahr mehr als verdoppelt. In Bonn wird sogar ein Anstieg um 13 % und in Düsseldorf um 9 % beschrieben.
Ein WG-Zimmer in Köln kostet zum Beispiel im Schnitt 445 Euro und wird damit nicht von dem gestiegenen BAföG-Satz in voller Höhe erfasst. Dabei stagniert das Durchschnittseinkommen der Studierenden seit Jahren bei um 900 Euro. Immer weniger Studierende können diese Mietsteigerungsraten einfach kompensieren. An den meisten Hochschulstandorten beträgt die Erwerbstätigenquote bei den Studierenden deshalb mittlerweile mehr als 70 %.
Aktuell sind Tausende von jungen Menschen zu Semesterbeginn auf Wohnungssuche. Ich habe mir die Berichterstattung des WDR in seiner „Aktuellen Stunde“ hierzu angeschaut. Die Gespräche mit jungen Studierenden in einer Kölner Notunterkunft, die zur Vermeidung von Obdachlosigkeit gedacht ist und nicht zur Unterbringung junger Studentinnen und Studenten, hat mich zutiefst beschämt. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde es beschämend, wenn ein Studierender in Nordrhein-Westfalen erzählt, dass er seine Eltern nicht über die eingetretene Situation informiert, weil diese sich sonst erhebliche Sorgen machen würden. In was für einem Land leben wir mittlerweile?
Die Landesregierung und auch wir als Parlament und damit als haushaltsgestaltende und -beschließende Kraft haben zwei Stellschrauben, die in dieser Situation bewegt werden können.
Die erste stellt die Schaffung und Sanierung von Wohnheimplätzen durch die Studierendenwerke in Nordrhein-Westfalen dar. Warum ist diese Stellschraube so besonders wichtig? Wohnheimplätze der Studierendenwerke stellen das soziale Korrektiv dar, damit nicht immer mehr Studierenden aus mittleren oder unteren Einkommenssegmenten die freie Wahl eines Studienstandorts schlichtweg aus finanziellen Gründen unmöglich gemacht wird.
Aktuell stehen in Nordrhein-Westfalen 39.000 Wohnheimplätze zur Verfügung. Damit werden zwar weniger als 10 % der wohnungssuchenden Studierenden erreicht, aber für diese liegt die Durchschnittswarmmiete deutlich unter dem marktüblichen Niveau.
Der Bedarf an Wohnheimplätzen ist deutlich höher. So standen allein in Köln im Oktober 2018 mehr als 2.000 Studierende auf der Warteliste des Studierendenwerks. Diese Studierenden konkurrieren auf dem völlig überhitzten Mietmarkt mit weiteren einkommensschwachen Bürgerinnen und Bürgern um freie Wohnungen. Ohne diese Wohnheimplätze wäre die Situation noch wesentlich dramatischer.
Dass dieser Bestand dringend angepackt werden muss, ist bekannt. Die rot-grüne Vorgängerregierung hat vor vier Jahren insgesamt 40 Millionen Euro kurzfristig für dringendste Sanierungsmaßnahmen aus Haushaltsmitteln bereitgestellt. Spätestens seit dem Sommer 2018 wissen wir, wie hoch der Sanierungsbedarf im Bestand ist. Die Studierendenwerke haben ihn gegenüber uns Parlamentariern in einer Sitzung des Wissenschaftsausschusses mit insgesamt 350 Millionen Euro beziffert. Für konkrete Neubauprojekte wurden insgesamt 220 Millionen Euro gefordert.
Wir haben den Vorschlag unterbreitet, hierfür ein Programm analog zu dem Programm „Gute Schule 2020“ aufzulegen. Sie haben vor wenigen Monaten beschlossen, diesem pragmatischen Vorschlag nicht zu folgen und zunächst gutachterlich tätig zu werden. Sie tun das, obwohl Sie wissen, dass Planungsreife die Voraussetzung für die Beantragung einer Förderung durch das Programm „Gute Schule 2020“ war und die Studierendenwerke eine entsprechende Finanzierung ausdrücklich begrüßt haben.
Die Antwort an die jungen Menschen in diesem Land ist, dass Sie für die Studierendenwerke auch in den Haushalt 2020, Ihren dritten Haushalt, keinen Cent für Sanierung oder Neubau eingestellt haben. Damit wird auch im nächsten Jahr absolut nichts passieren.
Unterstellt man nur die Kostensteigerung durch den Baukostenindex von aktuell im Schnitt mehr als 5 % im Jahr, zeigt sich der gesamte Irrsinn. An dieser Stelle scheint mir wirklich ein Stück weit Realitätsverlust eingetreten zu sein, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Vielleicht sollten Sie, sehr geehrte Frau Ministerin, einen Abend lang auf den von Ihnen geschätzten Kunstgenuss verzichten, die von mir erwähnte Notunterkunft besuchen und das Gespräch mit diesen jungen Menschen suchen.
Das könnte zu einer Prioritätenverschiebung in Ihrem Haus führen. Lösen Sie endlich die dringendsten Probleme in diesem Land so pragmatisch, wie wir das mit dem Schulmodernisierungsprogramm getan haben, und handeln Sie!
Aber diese Handlungsweise deckt sich mit der generellen Geringschätzung der sozialen Belange der Studierenden, die durch den Umgang mit den Studierendenwerken erkennbar wird.
Herr Ministerpräsident, die Studierendenwerke haben Sie Ende August dieses Jahres angeschrieben und um eine aufgabengerechte Finanzierung nachgesucht. Hintergrund ist, dass diese Landesregierung und die sie tragende Koalition den Studierendenwerken zum dritten Mal hintereinander keine Steigerung ihres Zuschusses zugesteht – drei Nullrunden hintereinander.
Die Studierendenwerke sehen sich als Dienstleister für weit über 600.000 Studierende in ihrem Zuständigkeitsbereich und als Partner der Hochschulen auf Augenhöhe. Doch dieser positiven und leidenschaftlichen Eigenwahrnehmung tritt zunehmend das Gefühl von fehlender Wertschätzung entgegen. Die Studierendenwerke fühlen sich ein Stück weit im Stich gelassen mit ihren Aufgaben und Herausforderungen. Es stellt sich für viele die Frage, ob das Land seine Landesanstalten von untergeordneter Wichtigkeit betrachtet.
Es ist nicht mehr nachzuvollziehen, warum unsere eindeutigen Fakten nicht verstanden werden wollen und stattdessen nur die Hochschulen mit Zuschusssteigerungen bedacht werden. Weder lässt sich für die Studierendenwerke eine Strategie erkennen noch sind sowohl das Haushaltsverfahren als auch die Ergebnisse für die Studierendenwerke transparent.