Das haben wir aber erlebt. Dann lesen wir es nicht gern, dass wir angeblich nur in Sonntagsreden immer wieder darauf hinweisen.
Sie sprechen heute – das will ich auch noch erwähnen; es ist ein Zitat aus Ihrem Antrag – von „wechselseitigem Unverständnis“ und „Spannungen im innerdeutschen Verhältnis“. Das finde ich ausgesprochen pikant. Denn der Begriff ist aus der Zweistaatlichkeit, und den benutzen Sie, obwohl Sie sich gerade so hingestellt haben, wie Sie sich hier hingestellt haben. Keine Stringenz in der Argumentation!
Ich frage mal die Antragsteller: Wer trägt denn einen erheblichen Teil dazu bei, dass es diese Spannungen in unserem Land gibt? Wer tut das denn? Es sind doch Sie.
(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD] – Mar- kus Wagner [AfD] zeigt mit dem Finger auf den Redner.)
Sie brauchen jetzt auch nicht mit dem Finger auf mich zu zeigen, Herr Wagner. In Ihrer Wohnzimmersesselhaltung mit dem Finger zeigen! „Man zeigt nicht mit nackten Fingern auf angezogene Leute“, hat man früher gesagt.
Es sind doch Sie, die etwa mit der Nähe zur PegidaBewegung nicht nur deutsche Symbole missbrauchen und andere Dinge zeigen, zum Beispiel am Elbufer in Dresden, sondern auch die Menschen schlichtweg in eine Polarisierung treiben, um danach politisch zu profitieren, unter anderem hier. Dass drei AfD-Vorsitzende eigentlich Wessis sind, die jetzt in den Osten gegangen sind, um die Menschen dort in ihrem Interesse aufzupeitschen, macht die Sache nur noch pikanter. Das sind auf jeden Fall keine Interessenvertreter für die Menschen in den neuen Bundesländern.
Der 3. Oktober ist ein Feiertag, der all das, was Sie fordern, bundesweit in unzähligen Veranstaltungen … Vermutlich war jeder von uns um und an dem 3. Oktober bei mehreren solcher Veranstaltungen, auch wieder dieses Jahr.
Wir dürfen natürlich nicht aufhören, in den Schulen und gegenüber den nachwachsenden Generationen immer wieder die Dinge zu erklären,
damit alle nachvollziehen können, was da passiert ist, was Sie ja anscheinend nicht können oder zumindest bis heute nicht können. Wir müssen das in Schulen und bei Veranstaltungen immer mit dem bewussten Respekt vor dem tun, was die Menschen in den heute ja gar nicht mehr so neuen Bundesländern geleistet haben.
Es passt also überhaupt nicht, wenn Sie sich hier heute als Interessenvertreter der Brandenburger, der Sachsen, der Sachsen-Anhaltiner, der Thüringer sowie der Mecklenburger und Vorpommern hinstellen und gerieren und auf der anderen Seite ganz perfide Keile in unsere Gesellschaft treiben, die Ihnen dann nachher in die Hände spielen sollen. Das finde ich nicht in Ordnung.
Ich muss noch eines sagen. Wenn Sie im letzten Satz Ihres Antrags als vom NRW-Parlament zu beschließendem Ziel schreiben, der Landtag möge dafür werben – Zitat –, „die auch noch heute bestehenden Narben der deutschen Einigung durch gemeinsame Kraftanstrengungen verheilen zu lassen“, so kann ich das nur strikt ablehnen.
Wir dürfen nicht verheilen lassen, wir müssen aktiv heilen. Das wäre ein Ziel. Aber da sieht man auch wieder, worum es Ihnen eigentlich geht. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab und werben für unseren Entschließungsantrag. – Schönen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt dieses Bonmot von Olaf Scholz. Als er Innensenator in Hamburg war, hat er einmal gesagt: Wir sind zwar liberal, aber nicht naiv.
Wenn man jetzt versucht, diesen Grundsatz auf das anzuwenden, was Sie hier gesagt und geschrieben haben, dann kann man vorweg sagen – und das muss man auch auf den Punkt bringen –: Die Propagandalüge, die Sie hier verbreiten, lautet, die Ostdeutschen hätten die Wiedervereinigung Deutschlands gegen die westdeutschen Eliten durchgesetzt, weil die westdeutschen Eliten die deutsche Einheit verraten hätten.
Das ist sozusagen die Propaganda, die Sie in unserem Land verbreiten. Damit ist eigentlich schon alles gesagt. Aber ganz so leicht will ich es Ihnen nicht machen. Ich habe den Text aufmerksam gelesen, und deswegen will ich dazu einige Bemerkungen machen.
Die Machart, die wir erleben, kommt auch bekannt vor. Da sind immer diese mehr oder weniger offenen Attacken gegen die sogenannten Altparteien, insbesondere gegen die SPD. Herr Tritschler, Sie haben es auch noch mal gesagt, und es steht in dem Antrag.
Dann kommt die besondere Attacke gegen die SPD in Nordrhein-Westfalen und gegen Johannes Rau, den damaligen Ministerpräsidenten, der angeblich der DDR die volle Staatsbürgerschaft angeboten habe, damit diese im Gegenzug den Flüchtlingsstrom stoppt, der über den Flughafen Schönefeld und die S-Bahn, betrieben von der sowjetischen Fluggesellschaft und von der DDR-Fluggesellschaft, viele tamilische und asylsuchende Flüchtlinge aus dem Nahen Osten nach Westberlin gebracht hat.
Da habe ich mich gefragt: Was macht jetzt eigentlich eine AfD? Eigentlich sind Sie doch sozusagen immer diejenigen, die Flüchtlingsströme stoppen wollen. Aber jetzt loben Sie Johannes Rau überhaupt nicht.
Jetzt sagen Sie, er hätte die Staatsbürgerschaft anerkannt, und auch das stimmt nicht. Auch da hilft Lesen. Er hat nicht mehr und nicht weniger gesagt – das steht auch im Programm der SPD –, als dass die Staatsangehörigkeit der DDR im Rahmen des Grundgesetzes respektiert werde. Zwischen Respektieren und Anerkennung liegt diplomatisch ein meilenweiter Unterschied.
Sie möchten zum Beispiel nicht reden über die Rede Erhard Epplers vor dem Deutschen Bundestag am 17. Juni 1989. Er sprach zu diesem Zeitpunkt aus, was kaum jemand erhofft hatte, dass nämlich die DDR-Führung ihren eigenen Untergang heraufbeschwöre, wenn sie weiter an ihrer starren Politik festhalte. Jetzt müssen Sie im Protokoll weiterlesen, dass sich dann die Abgeordneten erhoben und die Nationalhymne gesungen haben.
Sie sprechen auch nicht über die mutige Gründung einer sozialdemokratischen Partei am 7. Oktober in Schwante bei Berlin. Auch das war ein mutiges Signal, weil es zum ersten Mal den Alleinvertretungsanspruch der SED herausforderte. Diejenigen mutigen Männer und Frauen – knapp 40 waren es an der Zahl –, die da mitgemacht haben, hatten alle schon dafür gesorgt, dass sie anschließend verschwinden können, in den Untergrund gehen können, weil sie große Gefahr liefen, direkt darauf verhaftet zu werden.
Dann stellen Sie uns die DDR-Bürgerinnen und -Bürger eigentlich nur als wehrlose Opfer vor, so als hätte es da keine Widerständlichkeit gegeben, als hätte es keine Umweltaktivisten gegeben, die gegen die Umweltzerstörung in der DDR gekämpft haben, als hätte es keine Friedensbewegung gegeben, die gefordert hat, Schwerter zu Pflugscharen zu machen, als hätte es überhaupt keine Dissidenten in der DDR gegeben. Die gab es doch alle. Die gehören doch ebenso zur Vorgeschichte des Oktober 1989.
Und: Was das auch so substanzlos macht, was Sie hier vortragen, ist der Umstand, dass Sie sich anscheinend überhaupt nicht darüber im Klaren waren, dass im Kalten Krieg die Gefahr eines atomaren Krieges durchaus real war. Das war kein Spiel. Deswegen war die neue Ost- und Deutschlandpolitik immer auch zugleich eine Form deutscher Außenpolitik, und zwar eine Form, die man auch „Friedenspolitik“ nennen kann. Deswegen hat doch Willy Brandt als Bundeskanzler den Friedensnobelpreis bekommen, für seine Friedenspolitik für ganz Europa. Hören Sie: für ganz Europa.
Sie behaupten immer, die westdeutsche Politik hätte nur immer Westeuropa im Blick gehabt. Auch das ist doch völliger Quatsch und grundverkehrt. Die gesamte Ostpolitik, auch die neue Ostpolitik, wurzelte in einer im Westen verankerten Europapolitik. Es ging auch darum, einen Beitrag zu leisten, um sozusagen den Blockgegensatz zu überwinden. Darum ging es den verantwortlichen Politikern in Westeuropa und auch in der Bundesrepublik Deutschland. Deswegen setzte doch Kohl 1982 eben diese neue Ostpolitik aus guten Gründen auch fort.
Dann wieder völlig losgelöst vom historischen Kontext und den Fakten wird von der AfD behauptet: „Vom freien Teil Deutschlands ging eine Initiative zur Wiedervereinigung nicht aus.“ Dann kommt die übliche Attacke auf die westdeutsche Politik und die übliche Medienschelte. Dabei nehmen Sie jetzt mal die Springerpresse heraus. Mit anderen Worten – das muss man sich auch klarmachen –: Das, was Sie hier sagen, ist nichts anderes als ein Vorwurf, Brandt, Bahr, Scheel, Genscher, Kohl und viele andere hätten die nationalen Interessen verraten.
Heute spielen Sie sich als Schlaumeier und Besserwisser auf und haben eigentlich eines nie begriffen, und das haben alle Vorgenannten begriffen und gelebt. Die damals politisch verantwortlich Handelnden wussten alle, dass ein guter Deutscher immer auch ein Europäer sein muss und niemals ein Nationalist sein darf.
Sie behaupten oder meinen auch, man hätte die deutsche Frage gleichsam in einem nationalen Alleingang lösen können. Das ist geradezu absurd. Deswegen kommen in Ihrem Antrag auch die Namen Margaret Thatcher oder François Mitterrand oder George Bush und – immerhin recht verschämt – Michail Gorbatschow nicht vor.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Antrag der AfD heißt es, dass der Einigungsprozess inzwischen zu stagnieren scheine, wofür „Politiker und Intellektuelle aus Westdeutschland“ verantwortlich gemacht werden; sie verunglimpften das Gebiet der ehemaligen DDR „mit dem Kampfbegriff ‚Dunkeldeutschland‘„.
Herr Tritschler, Sie haben das gerade auch gesagt. Sie sagen uns aber nicht, wer mit diesem Begriff eigentlich gearbeitet hat. Deswegen habe ich mal für Sie nachgeguckt, wenn Sie schon keine Belege und Namen nennen. Es war Bundespräsident Gauck, der 2015 in der Flüchtlingsdebatte vor einem „Dunkeldeutschland“ warnte. Er wollte dies aber eben nicht auf das ehemalige Gebiet der DDR bezogen wissen, sondern eigentlich auf Sie und Ihresgleichen. Denn Sie – Sie! – sind Dunkeldeutschland und niemand anderes in diesem Land.
Dann haben Sie, habe ich gesehen, die „SchroederStudie“, die ja schon 2008 umstritten war, noch einmal ausgegraben, um das sozusagen als Beweis dafür zu nehmen, dass der Schulunterricht in Westdeutschland oder jetzt in Gesamtdeutschland nicht tauge, weil es 2008 zu viele Schüler gegeben habe, die die DDR zu unkritisch gesehen hätten.
Es gibt eben immer einen Unterschied zwischen privater und öffentlicher Erinnerung. In Familien wird bei
Familienfeiern, wenn man an bestimmte historische Ereignisse denkt, manchmal anders gesprochen als im Landtag oder in der Schule, wo es um die öffentliche Erinnerung geht. Das wissen wir ja spätestens seit dem schönen Buch von Harald Welzer „Opa war kein Nazi“, weil Opa eigentlich nie Nazi sein konnte.
Ich kann es mal so erklären: Sie haben einen Landesvorsitzenden in Thüringen, Herrn Höcke. Herr Höcke ist ja westdeutscher Oberstudienrat und Geschichtslehrer gewesen. Jetzt sollte man ja eigentlich meinen, dass jemand, der diese Ausbildung genossen hat, niemals fähig sein dürfte, solche Sachen zu sagen, wie er sie sagt, so geschichtsverdrehend und geschichtsvergessen. Er tut es trotzdem.