Protocol of the Session on July 10, 2019

Im Jahr 2030 wird in Nordrhein-Westfalen schätzungsweise jede dritte erzeugte Kilowattstunde aus erneuerbaren Energiequellen stammen. Wir sind davon überzeugt, dass insgesamt ein Beitrag der Er

neuerbaren zur Stromversorgung in Nordrhein-Westfalen aufgrund der Potenziale insbesondere im PVBereich von letztlich sogar eher 60 Terawattstunden möglich sein wird.

Zusammen mit den rund 10 Gigawatt an Gaskraftwerken, die perspektivisch synthetisches Gas einsetzen sollen, werden wir langfristig in der Lage sein, rund zwei Drittel unserer Stromversorgung weitgehend klimaneutral aus Nordrhein-Westfalen heraus sicherzustellen.

Ein weiteres Drittel der Stromversorgung werden wir über sichere Netze von der Küste ebenfalls klimaneutral beziehen. Hierzu planen die Übertragungsnetzbetreiber Leitungsprojekte über rund 6 Gigawatt von Norddeutschland nach Nordrhein-Westfalen.

Zusätzlich plant Amprion, zwei eigene Leitungen zur Anbindung von Windparks in der Nordsee bis an die nordrhein-westfälische Landesgrenze zu führen.

Zentrale Energieversorgungsstrukturen bleiben für Nordrhein-Westfalen vor allem wegen des hohen Industriestrombedarfs und als Back-up der dezentralen Versorgung auch künftig wichtig; denn die Versorgungssicherheit muss bei gleichzeitigem Ausstieg aus Kohle- und Kernenergie in Deutschland sichergestellt sein.

Für Nordrhein-Westfalen als Vorreiter des Kohleausstiegs sind eine wissenschaftsbasierte und international abgesicherte Beurteilung und Sicherstellung der Versorgungssicherheit durch einen Stresstest besonders wichtig – und zwar schon im Jahre 2020, damit der Kohleausstieg zusammen mit dem Kernenergieausstieg 2022 die Netzstabilität nicht gefährdet.

Zur Beurteilung reichen rückblickende Stromausfallzahlen mit einer Dreiminutengrenze nicht aus. In unserer digitalisierten Wissens- und Kommunikationsgesellschaft geht es heute um Spannungsschwankungen im Millisekundenbereich, und das bei einem Wegfall von 22,5 Gigawatt an gesicherter Leistung innerhalb der nächsten drei Jahre.

Die Versorgungslage vor zwei Wochen, in der die Übertragungsnetzbetreiber große Schwierigkeiten hatten, zusätzliche Regelenergie bereitzustellen, um eine Unterspeisung aufzufangen, führt uns erneut vor Augen, wie wichtig eine solide Stromversorgung und solide Stromsteuerungsmaßnahmen sind.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von der SPD)

Gaskraftwerke müssen die wegfallende KWKEnergieerzeugung – die Erzeugung von Energie aus Kraft-Wärme-Kopplung – der Steinkohlekraftwerke in den nächsten zehn bis 20 Jahren übernehmen, und zwar auch, um die Wärmeversorgung von Bevölkerung und Industrie zu sichern.

Dafür erwarten wir vor allem eine bessere Auslastung der bestehenden Gaskraftwerke und streben

eine Gesamtkapazität von rund 10 Gigawatt an GuDAnlagen – also Gas- und Dampf-Kombikraftwerken – an.

Mittel- bis langfristig können flexible Gaskraftwerke auf Basis erneuerbarer nachhaltiger Brennstoffe betrieben werden und die wichtige Funktion eines zentralen Back-ups für Versorgungssicherheit erfüllen; schließlich muss es in einem durch Erneuerbare bestimmten Energiemarkt auch in Zukunft einen Anreiz für die Bereithaltung gesicherter Leistung geben.

Nordrhein-Westfalen wird mit seiner starken Wirtschaft auch künftig das Land mit dem mit Abstand größten Stromverbrauch bleiben. Trotz der erwarteten weiteren Effizienzgewinne gehen wir von einem Anstieg des Stromverbrauchs unter anderem durch die stärkere Sektorenkopplung hin zu Wärme und Mobilität aus. Dadurch ersetzen wir dort Öl und Gas durch zunehmend klimaneutralen Strom.

Wir sind und bleiben Energieimportland und werden uns absehbar auch von einem Stromexport- zu einem Stromimportland entwickeln. Der Grund für diese Entwicklung sind wegfallende Stromerzeugungsmengen der Braun- und Steinkohlekraftwerke, die in unserem dicht besiedelten und sehr energieintensiven Land nicht in vollem Umfang durch erneuerbaren Strom aus Nordrhein-Westfalen kompensiert werden können.

Bis 2030 rechnen wir mit einer Stromimportmenge in der Größenordnung von jährlich etwa 25 Terawattstunden. Dies entspricht ca. 18 % des derzeitigen Stromverbrauchs in Nordrhein-Westfalen.

Um diese Importe unproblematisch umzusetzen, benötigen wir dringend einen effizienten Stromnetzausbau. Deshalb setzen wir uns für einen bedarfsgerechten und beschleunigten Ausbau der Energieinfrastruktur in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland ein.

Klar ist: Nur mit entsprechend ausgebauten Infrastrukturen können wir unserer Rolle als wichtigste Industrie- und Energieregion in Mitteleuropa und dem europäischen Gedanken eines sich gegenseitig unterstützenden Verbundes gerecht werden.

Das Stromverteilnetz in Deutschland folgt noch zu sehr dem Top-down-Prinzip des letzten Jahrhunderts. Wir werden den Netzbetrieb gemeinsam mit der Bundesregierung und den anderen Ländern ausbauen, ihn aber vor allem flexibilisieren und an die modernen Anforderungen anpassen.

Dazu müssen wir zum Beispiel endlich die Möglichkeiten schaffen,

(Zuruf von der SPD: Möglichkeit!)

dass auftretende Knappheiten im Stromnetz bewirtschaftet werden können und so innovative und marktgerechte Lösungen entstehen.

Die Sektorenkopplung muss wirksamer angereizt werden; eine CO2-Bepreisung in allen Sektoren stellt dafür eine Möglichkeit dar. Diese könnte unter anderem klimafreundlichen Wasserstoff aus Power-toGas-Anlagen als Ersatz für fossiles Erdgas konkurrenzfähig machen.

Um die hohen Belastungen von Verbraucherinnen und Verbrauchern zu reduzieren, setzen wir uns mit unserer Energieversorgungsstrategie für eine deutliche Senkung der Stromsteuer ein.

Zusätzlich sollte für die gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Energiewende eine anteilige Finanzierung von Netzausbau- und EEG-Umlage aus dem Bundeshaushalt geprüft werden. Damit schaffen wir eine faire Lastenverteilung.

Für die produzierende energieintensive Industrie benötigen wir zur Vermeidung von Carbon Leakage weiterhin eine angemessene Entlastung; das sieht auch der WSB-Bericht so vor. Diesbezüglich setzen wir uns auf der EU-Ebene mit der Bundesregierung für eine umfassende Strompreiskompensation für die nächste Handelsperiode ein.

Mit dem ehrgeizigen Ausbau der erneuerbaren Energien und dem Kohleausstieg leisten wir als dicht besiedeltes Industrie- und Energieland einen erheblichen Beitrag für die Erreichung der Klimaziele in Deutschland.

Aus der Struktur mit unseren städtischen Ballungszentren ergeben sich große Potenziale. Wir werden dezentrale urbane Energielösungen entwickeln und aktiv unterstützen. Urbane Energielösungen können lokale Energiequellen und erneuerbare Energie nutzen und Flexibilisierungsoptionen ausschöpfen. Diese zeichnen sich durch ein integriertes wie intelligentes Zusammenspiel der Sektoren Strom, Wärme, Kälte und Mobilität sowie durch Technologieoffenheit und Transparenz für Energieerzeuger und Verbraucher aus.

Die Stegerwaldsiedlung in Köln oder InnovationCity in Bottrop sind hervorragende Beispiele dafür, wie das funktionieren kann. Davon brauchen wir einfach viel mehr in Nordrhein-Westfalen. Die ganzheitliche Optimierung auf Ebene des Quartiers ermöglicht die emissionsarme, bezahlbare und lebenswerte Stadt der Zukunft.

Ebenso öffnet der ländliche Raum durch das Zusammenspiel von Sonne, Wind, Geothermie und Biomasse sowie dezentrale Speicher erhebliche Möglichkeiten für klimaneutrale Kommunen wie etwa die Klimakommune Saerbeck, wo ehemalige militärische Waffendepots als Träger von Freiland-PV genutzt werden. Auch Baggerseen – zum Beispiel im Rheinischen Revier – könnten künftig für Freiflächen-PV bestens genutzt werden.

Nordrhein-Westfalen wird gemeinsam mit der Bundesregierung und internationalen Partnern wie den

Niederlanden eine Wasserstoffoffensive entwickeln und umsetzen. Wir sind mit unserer gut ausgebauten Transportinfrastruktur und der heute schon bestehenden Wasserstoffwirtschaft exzellent auf diese nächste Phase der Energiewende vorbereitet.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Nordrhein-Westfalen hat auch große Potenziale bei den Wärmenetzen. Wir werden daher die KWKPotenziale durch eine Modernisierung des KWKG besser ausnutzen. Die KWK-Nutzung soll von 20 Terawattstunden bis 2030 auf 30 Terawattstunden ansteigen. Die Bundesausbauziele müssen auf Basis der Empfehlung der WSB-Kommission aus unserer Sicht von 120 Terawattstunden KWK auf 150 Terawattstunden angepasst werden.

Um die dezentrale Wärmeeinspeisung auch aus Erneuerbaren zu ermöglichen, wollen wir dafür die Wärmenetze öffnen und entsprechend optimieren.

Nordrhein-Westfalen ist besonders stark im Bereich Forschung und Entwicklung, dem entscheidenden Erfolgsfaktor für die Transformation im Energiesystem. Daher haben wir unter anderem die Energieforschungsoffensive für unser Land gestartet. Gerade erst haben wir die Forschungsfabrik für Batteriezellen nach Münster geholt. Das ist ein großartiges Signal für unser Land, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir rechnen mit weiteren Reallaboren für große Energiespeicher, für die Energietechnologien der Zukunft hier in Nordrhein-Westfalen.

Die genannten Maßnahmen können nur ein kurzer Überblick über die wichtigsten Punkte unserer Energieversorgungsstrategie sein. Die Strategie wird auf der Homepage heute veröffentlicht, ist bereits freigeschaltet und geht weit über die hier genannten Punkte hinaus.

Mit der Strategie verfolgen wir einen in der Energiewende dringend notwendigen ganzheitlichen und langfristigen Ansatz, um das Energiesystem sicher, wettbewerbsfähig und klimaverträglich in Zukunft zu gestalten.

Damit schaffen wir langfristige Planungssicherheit für alle Beteiligten sowie Verlässlichkeit für die Rahmenbedingungen des Regierungshandelns. Mit dieser Energieversorgungsstrategie gestaltet NordrheinWestfalen seine Energieversorgung aktiv neu.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Damit schließen wir einen parallel zur Beratung der WSB-Kommission mehr als einjährigen Erarbeitungsprozess ab, an dem wir eine Vielzahl unterschiedlicher Expertinnen und Experten aus verschiedenen Branchen, Verbänden und Bereichen in Nordrhein-Westfalen beteiligt haben. Für diese konstruktive und engagierte Zusammenarbeit möchte ich

mich im Namen der Landesregierung auch an dieser Stelle ganz herzlich bedanken.

Ich freue mich auf die heutige Beratung und die sich anschließenden in den nächsten Wochen und Monaten. – Herzlichen Dank für Ihre freundliche Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. – Ich eröffne nun die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der SPD dem Abgeordneten Sundermann das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte, ehrlich gesagt, einen gewissen Erwartungshorizont an das, was Sie heute sagen würden. Vor einem Jahr haben Sie hier schon mal ein solches Spiegelstrich-Referat gehalten, Herr Minister. Das habe ich damals kritisiert.

Heute muss ich sagen: Ich hätte schon ein bisschen mehr Empathie für das Thema, ein bisschen mehr Emotionen erwartet, weil dieses Thema die Menschen im Land bewegt.

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Er hat Fak- ten genannt!)