Auch Ihre Formulierung vorhin fand ich zutreffend: Auch wenn es schwierig wird, wir über schwierige menschliche Schicksale sprechen und es möglicherweise – ich nenne das einmal – unangenehm wird, was die Betrachtung anbelangt – da bin ich ganz bei Ihnen –, ist die Sozialpolitik gefordert. Es zeigt sich dann, ob eine Gesellschaft willens und in der Lage ist, mit den Ärmsten der Gesellschaft umzugehen. Da haben Sie uns unmittelbar an Ihrer Seite, Herr Minister.
In vier Minuten ist die Übergabe von 31.000 Unterschriften beabsichtigt, die die Initiative „Wir wollen wohnen“ geplant hat. Die übergeben die nicht, weil wir Wohnungen im Überschuss haben.
An dieser Stelle muss ich auch sagen: Dieser Druck und auch der immer wiederkehrende fachliche Druck spielt zumindest eine Rolle; ich will das nicht in Abrede stellen. Herr Minister, ich gestehe Ihnen ausdrücklich zu, dass Sie sich die Sachlage aus eigener Anschauung und mit bestem Erfolg angeguckt haben.
Ich will Sie ausdrücklich für die Herangehensweise loben: Sie haben sich offenbar mit den Wohlfahrtsverbänden und mit den Kommunen auseinandergesetzt und Konzepte entwickelt bzw. bauen noch Konzepte auf, die wir für richtig halten.
Deswegen kann ich Sie nur bitten: Auch in der Altenpflege und in der Behindertenpflege müssen wir systematisch eine Stadtentwicklungspolitik und eine quartiersorientierte Politik betreiben, denn vor Ort entscheidet sich am Ende: Gibt es eine gute Behinderten- und eine gute Sozialpolitik? Sind die Wohnungen am Ende dort, wo wir sie brauchen? – Das müssen wir systematisch sowohl in Ihrem Haus als auch im Ministerium von Frau Scharrenbach umsetzen. Hier bitte ich um eine klare Kursänderung.
Ich will noch einige fachliche Punkte nennen, die mir besonders wichtig sind. Die gesundheitliche und medizinische Versorgung von Menschen, die obdachlos oder wohnungslos sind oder auch aus anderen Gründen vorübergehend auf der Straße leben, haben Sie angesprochen. Meine Heimatstadt Essen ist da sicherlich ein positives Beispiel – eines von sechs, das Sie hier auch namentlich erwähnt haben. Dort wird mit einem Arzt- bzw. Versorgungsmobil durch die Straßen gefahren, und diese Menschen werden aufgesucht.
Sie machen es sich zur Aufgabe, das – so verstehe ich das – zumindest in den 20 Kommunen, die Sie hier beschrieben haben, zum Standard zu machen. Ein ausdrückliches Lob: Es ist die richtige Zielsetzung, finde ich, das auszubauen. Ich kann nur alle anderen Kommunen bitten bzw. auffordern, sich das genau anzusehen, was da an Brücken gebaut werden kann.
Neben der Notfallversorgung von medizinisch Hilfebedürftigen ist das Annehmen von Systemen – auch das beschreiben Sie in Ihrem Konzept immer wieder – sehr wichtig und ermöglicht überhaupt erst Hilfen, Brücken und Zusammenarbeit.
Deswegen kann ich nur alle bitten: Machen Sie da mit. Unterstützen Sie das Land, oder kooperieren Sie mit dem Land, und machen Sie das zur Standardaufgabe in Ihrer Kommune, wenn es irgendwie möglich ist.
Ein zweiter Punkt, der mir wichtig ist, ist das Thema „Housing First“. Dazu haben Sie sich im letzten Jahr schon Münster und Düsseldorf angesehen und Vereinbarungen abgeschlossen.
Ich finde es richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass man nicht zuerst guckt „Was für eine Perspektive ist denn da? Wie geht’s denn da weiter?“, sondern dass Menschen, die in einer solchen Lage sind oder auf der Straße oder in ganz schlechten Umständen leben, zunächst einmal im wahrsten Sinne des Wortes ein Dach über den Kopf – Housing first –, also eine Wohnung bekommen und nicht erst dreimal nachweisen müssen, ob sie da ewig leben können.
Trotzdem gestehe ich zu: Natürlich muss man genau hingucken, weil es nichts nutzt, sie in eine Nachbarschaft zu setzen, in der es dann in den nächsten drei Monaten nur Theater gibt und die Nachbarschaft gestört ist.
Aber jeder Mensch, der in Nordrhein-Westfalen lebt, hat einen Anspruch auf einen adäquaten Wohnraum, und das muss von uns hier im Land auch umgesetzt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Als letzten Punkt möchte ich noch mal auf das Thema „Wohnungshilfe für Frauen“ zurückkommen. Bei den Frauenhäusern haben wir zum einen Ausbaubedarf im Zusammenhang mit Frauen, die mit Kindern untergebracht werden müssen, und zum anderen bezüglich der Barrierefreiheit. Die entsprechende Statistik wurde hier bereits zutreffend beschrieben.
Ich würde es begrüßen, wenn wir dort fachlich und systematisch weiterkommen würden; das wäre eine wichtige Investition. Alles in allem, liebe Landesregierung, lieber Herr Minister Laumann, freue ich mich, dass Sie diesen Ansatz gewählt haben. Wir werden uns sehr genau ansehen, wie sich das weiter entwickelt. Ich würde es außerdem begrüßen, wenn gerade die Kolleginnen und Kollegen von FDP und CDU im Sozialausschuss sich dieses Konzept genau durchlesen und für alle gesellschaftlichen Bereiche durchdeklinieren würden.
Das, was momentan im Bereich Altenpflege, Altenhilfe und Stadtentwicklung stattfindet, folgt dem Motto „Macht die ambulanten Bereiche platt und stärkt die stationären Bereiche.“
Das hat mit dem Quartiersansatz überhaupt nichts zu tun. Nehmen Sie sich ein Beispiel an dieser Broschüre. Führen Sie, ausgehend von diesem Ansatz, das, was im Bauministerium und im Sozialministerium stattfindet, nicht nur gedanklich, sondern auch systematisch zusammen und machen sie daraus
Das, was heute hier vorgelegt wurde, ist ein vernünftiger Ansatz, der weiter ausgebaut werden sollte. Wenn es fachlich so gemeint war und dementsprechend gemacht wird, haben Sie uns an Ihrer Seite. Wir werden das sehr genau beobachten. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Vorredner vor allem von der Opposition, Sie haben gesagt, dass Sie sich das vom Minister vorgelegte Konzept durchgelesen hätten. Sie stellen Forderungen. Das meiste, was Sie fordern, soll mit dem Konzept erfüllt werden, oder wir haben es schon erfüllt.
Sie beide kritisieren mal wieder, dass wir etwas gegen Quartiersarbeit und Quartiersentwicklung hätten. Das hat kein Mensch, wir waren nur dagegen, dass die stationäre Pflege permanent benachteiligt wird.
Im Gegenteil: Wir haben in den Haushalt sogar 4 Millionen Euro speziell für die Armutsbekämpfung im Quartier eingestellt. Was wollen Sie denn noch mehr, werte Kolleginnen und Kollegen? Und was haben Sie gemacht?
Viele von Ihnen kommen morgens von der Straßenbahnhaltestelle hier ins Haus. Dabei laufen Sie an den Obdachlosen vorbei, die mit ihrem letzten Hab und Gut drüben unter der Brücke schlafen. Hier wird Wohnungslosigkeit offensichtlich, hier ist Wohnungslosigkeit sichtbar – unmittelbar vor unserer Haustür.
Der Verlust der Wohnung ist einer der härtesten Einschnitte im Leben. Der private Schutzraum, ein vertrautes soziales Umfeld und der Anknüpfungspunkt für viele Dinge des täglichen Lebens gehen damit verloren. Das ist ein Schicksal, das wohl kein Mensch erleben möchte. Ein menschenwürdiges Leben ist unter solchen Bedingungen kaum möglich.
Menschen können durch ganz verschiedene persönliche, gesundheitliche, familiäre oder wirtschaftliche Schicksale in diese prekäre Lebenslage geraten sein. Deshalb ist es wichtig, nicht nur den Wohnungsverlust zu betrachten und den betroffenen Menschen wieder ein Dach über dem Kopf, ein Zuhause, zu geben, sondern auch die individuellen Ursachen dieser Wohnungslosigkeit anzugehen.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, Obdachlosigkeit ist ein zunehmendes Problem. Gerade in den vergangenen Jahren ist ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen. Die Zahlen haben wir gerade gehört. Auch Armutszuwanderung innerhalb der EU und Geflüchtete, die außerhalb der Sammelunterkünfte Wohnungen suchen, spielen in diesem Zusammenhang eine Rolle. Diese Zahlen müssen wir uns anschauen, da wir wissen müssen, wie der Bedarf ist. Das hat nichts damit zu tun, Kollege Neumann, dass wir hier irgendwelche Wohnungslosengruppen gegeneinander ausspielen. – Das ist Quatsch.
Dennoch ist der Anstieg so bedenklich, dass er eine Aufforderung zum Handeln darstellt. Die NRWKoalition aus Union und FDP betrachtet nicht nur das Problem, sondern hat bereits gehandelt. Mit dem Programm „Hilfen in Wohnungsnotfällen“ unterstützt das Land Kommunen bei der Bekämpfung von Obdachlosigkeit. Im Rahmen der Haushaltsberatungen haben wir 3 Millionen Euro zusätzlich in den Haushalt eingestellt, im nächsten Jahr kommen noch einmal 2 Millionen Euro hinzu.
Damit hat diese NRW-Koalition den Kampf gegen Wohnungslosigkeit zu einem Schwerpunktthema ihrer Sozialpolitik gemacht. Ich freue mich, dass Minister Laumann dazu heute mit der Initiative „Endlich ein ZUHAUSE!“ ein umfassendes Konzept mit Bausteinen zu den unterschiedlichen Aspekten der Bekämpfung von Wohnungslosigkeit vorgelegt hat.
Dabei wollen wir die Umsetzung gemeinsam mit den unterschiedlichen Akteuren von Kommunen, Jobcentern, Wohnungswirtschaft, Wohlfahrtspflege und Zivilgesellschaft erreichen. Für uns stehen präventive Angebote im Vordergrund, um Wohnungsverluste, zum Beispiel wegen Mietschulden, zu vermeiden oder um Wohnraum speziell für wohnungslose Menschen zur Verfügung zu stellen.
Die geplante Förderung von Ansprechpartnern für Wohnungsakquise und Betreuung kann dabei viel bewegen. Dazu zählt auch der Ansatz „Housing First“. Für alle, die nicht so in der Thematik sind: Suchtkranke Menschen können eine Wohnung vermittelt bekommen, noch bevor sie therapeutische Maßnahmen ergriffen haben. – Das ist uns sehr, sehr wichtig.
Ich möchte insbesondere auf zwei weitere Aspekte eingehen. Nach den aktuellen Zahlen sind rund ein Drittel aller Wohnungslosen Frauen. Wohnungslose Frauen sind in der Öffentlichkeit viel weniger sichtbar als Männer. Sie verstecken sich, oft aus Scham oder
aus Angst vor Diskriminierung, um ihre Situation zu verbergen. Deshalb sehen wir Frauen seltener auf der Straße leben. Sie täuschen Normalität vor und leben quasi inkognito, teilweise bei Freunden oder vorübergehenden Männerbekanntschaften. Damit sind sie dann aber auch besonders von Abhängigkeiten und familiärer bzw. partnerschaftlicher Gewalt betroffen.
Viele von ihnen versuchen mit allen Kräften, ihre Probleme selber in den Griff zu bekommen. Gerade diese Strategie macht die Probleme oft noch schlimmer und setzt eine Abwärtsspirale in Gang. Mit den bestehenden Hilfsangeboten wurden diese Frauen in der Vergangenheit zu selten erreicht. Auch das ändern wir.
Für mich ist es wichtig, dass jeder Mensch, gleich welchen Geschlechts, in die Lage versetzt wird, selbstbestimmt in seinen vier Wänden leben zu können.
Deshalb ist es richtig und wichtig, dass eine Verbesserung des Angebots für wohnungslose Frauen zentraler Bestandteil der neuen Landesinitiative ist.
Wir wollen dazu beitragen, dass bestehende kommunale Unterstützungs- und Hilfeangebote besser zusammenwirken. Die unterschiedlichen Stellen in den Kommunen brauchen ein verstärktes Bewusstsein für die Probleme wohnungsloser Frauen, um gezielt Hilfen anbieten zu können. Zu diesem Zweck können wir gezielt Informationsaustausch und Beratung sowie Projekte zum Beispiel für Frauen in ländlichen Gebieten oder speziell für Seniorinnen anbieten.
Darüber hinaus brauchen wir natürlich mehr Angebote für von häuslicher Gewalt betroffene Frauen. Auch hier hat die Landesregierung gehandelt: Die Zahl der Frauenhausplätze wurde hochgefahren, und das wird auch weiterhin geschehen. Die Frauenhäuser in Nordrhein-Westfalen haben aktuell so viel Geld zur Verfügung wie noch nie zuvor.
Ein mir besonders wichtiger Aspekt ist die medizinische Versorgung von Obdachlosen. Menschen, die auf der Straße leben, sind nicht nur von unzureichenden hygienischen Bedingungen, sondern meist auch von mehreren chronischen Erkrankungen betroffen. Meistens haben sie Hauterkrankungen oder eine COPD. Viele von ihnen sind zwar krankenversichert, scheuen aber den Besuch einer regulären Arztpraxis.