Protocol of the Session on June 26, 2019

Frau Kollegin, aus der Zwischenfrage ist jetzt eine Kurzintervention geworden. – Herr Herter hat das Wort.

Frau Gebauer, da kann ich jetzt auf die Frage am Ende kommen und mich zunächst einmal Ihrer These widmen, dass gute Wirtschaftspolitik gleich gute Sozialpolitik ist.

Dann ist das ein Missverständnis, dass sich die Einkommensverteilung in den letzten 20 Jahren doch deutlich zuungunsten der Arbeitnehmerhaushalte in diesem Lande entwickelt hat? Das müsste ja umgekehrt gelaufen sein nach Ihrer Theorie, dass das mit der Sozialpolitik und der Wirtschaftspolitik schon so herum stimmt.

Aber davon ganz abgesehen haben Sie zur Frage der Bedürftigkeitsprüfung gerade noch einmal ausgeführt. Ich will Sie nur anhand eines konkreten Beispiels fragen, ob Sie das für gerecht halten:

Wenn eine Frau 35 Jahre lang Friseurin war, aber mit einem Oberstudienrat verheiratet ist, ist dann ihre Erwerbsbiografie Ihrer Auffassung nach wirklich weniger wert als die Erwerbsbiografie einer Frau, die nicht mit einem Oberstudienrat verheiratet ist, weil dann

doch die Bedürftigkeitsprüfung das Gehalt des Oberstudienrates einbezieht? Kann das denn gerecht sein?

(Beifall von der SPD)

Liebe Kollegin Gebauer, Sie haben jetzt die Gelegenheit, auf die Kurzintervention zu reagieren.

Ich finde, es muss einfach geschaut werden, wohin das Geld geht, damit es auch bei den Bedürftigen ankommt und nicht einfach dorthin geht, wo eh schon Geld ist und die Menschen eigentlich eine auskömmliche Rente zum guten Leben haben. Ich finde, dass man da schon genau prüfen muss. Da kann man nicht einfach sagen: Jetzt kriegen alle mal mit der Gießkanne verteilt das Geld. – So sehe ich das.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von Michael Hübner [SPD] und Marc Herter [SPD])

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächstem Redner erteile ich für die FDPFraktion Herrn Bombis das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr verehrten Damen! Sehr geehrte Herren! Uns alle hier eint, glaube ich, das Ziel, Wohlstand zu schaffen und die Menschen daran zu beteiligen. Die Herangehensweisen an dieses Ziel unterscheiden sich aber wirklich fundamental.

Mit diesem Antrag zeigt die SPD – es tut mir leid, dass ich das so deutlich sagen muss – einmal mehr, dass sie wirklich keine Ahnung hat von einer guten Wirtschaftspolitik und dass sie – noch grundsätzlicher – auch keine Ahnung von wirtschaftlichen Zusammenhängen hat.

(Beifall von der FDP)

Denn, liebe SPD, es ist eben keine gute Wirtschaftspolitik, wenn der Staat mehr ausgibt, als er hat. Es ist auch keine gute Wirtschaftspolitik, wenn Arbeit zu stark belastet wird. Insbesondere ist das auch keine Politik, die Binnennachfrage fördert. Es ist auch keine gute Wirtschaftspolitik, wenn Anstrengungen und Mehrarbeit bestraft werden. Auch das ist etwas, was Binnennachfrage schädigt und nicht fördert.

Was Sie offensichtlich einfach nicht verstehen wollen: Es hilft der Wirtschaft, es hilft den Betrieben, es hilft den Menschen dort einfach nicht, wenn man sie belastet, denn damit ist am Ende keinem geholfen. Das Geld – und das bleibt die Wahrheit –, das man anschließend verteilen kann oder will, muss erst einmal erwirtschaftet werden.

Deswegen ist es doch abenteuerlich, zu sagen: „Sozialpolitik ist gute Wirtschaftspolitik“, denn genau das Gegenteil ist der Fall. Egal was für Statistiken Sie hier zurate ziehen: Eine gute Wirtschaftspolitik, die Arbeitsplätze schafft, die Investitionen ermöglicht, die Menschen eine planbare Zukunft gibt, ihnen das Leben in die eigene Hand gibt, ist doch die beste Sozialpolitik und auch die Voraussetzung dafür, dass wir erst einmal einen handlungsfähigen Staat haben. Da beißt die Maus keinen Faden ab.

(Beifall von der FDP)

Ihr Verständnis von Wirtschaftspolitik müsste insofern mal vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Wenn Sie etwas für die Menschen tun wollen, wenn Sie gute Sozialpolitik, wenn Sie gerechte Sozialpolitik wollen, geht das eben nur mit wirtschaftlicher Vernunft.

Sorgen Sie doch erstens dafür, dass sich der Staat mit konsumtiven Ausgaben zurückhält und stattdessen mehr investiert. Es kann nicht sein, dass Finanzminister Olaf Scholz ernsthaft den Bildungsetat kürzen will. Bildung ist das Aufstiegsversprechen, ist die Grundlage für soziale Sicherheit der Menschen.

Sorgen Sie zweitens dafür, dass Menschen in Arbeit kommen können. Schaffen Sie Hürden für Einstellungen ab. Schaffen Sie Blockaden für dauerhafte Beschäftigungen ab. Befreien Sie die Menschen und die Betriebe von unnützer Bürokratie, so wie diese Landesregierung es tut, und von zu hohen Steuern und Abgaben.

Sorgen Sie drittens dafür, meine Damen und Herren von der SPD, dass arbeitende Menschen auch etwas von ihrer Arbeit haben. Gerade Niedrigverdiener haben eine unfassbar hohe Grenzbelastung von teilweise über 100 %. Das bedeutet, wenn sie einen Euro zusätzlich verdienen, zieht ihnen der Staat ab einem bestimmten Punkt mehr als einen Euro ab. Das ist doch absurd! Ändern Sie das doch endlich mal!

(Beifall von der FDP)

Übrigens: Dasselbe gilt für den Soli. Das ist genauso absurd.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Allein um hier Vertrauen in die Politik zu erreichen, sollte dieser Soli vollständig abgeschafft werden, und zwar bereits zum 01.01.2020. Das ist eine Zusage, die wir den Menschen seinerzeit gegeben haben. Deswegen ist es höchste Zeit, diese Zusage endlich einzuhalten.

So geht gute Wirtschaftspolitik, meine Damen und Herren, und die schafft die Grundlagen für die beste Sozialpolitik.

(Beifall von der FDP)

Herr Kollege, es gibt den Wunsch nach …

Der Antrag der SPD tut das nicht. Der Überweisung stimmen wir nichtsdestotrotz zu.

Herr Kollege, es gab den Wunsch nach einer Zwischenfrage vom Kollegen Mostofizadeh.

Herr Mostofizadeh, bitte.

Herr Präsident! Herr Bombis, vielen Dank. Ich bin gerne bereit, zu lernen. Können Sie mir noch einmal erklären, was Sie damit meinen, dass, wenn jemand einen Euro mehr verdient, der Staat mehr als 100 % abzieht? In welcher Konstruktion ist das der Fall? Meines Erachtens wäre das verfassungswidrig.

Es gibt bei Geringverdienern Konstellationen, bei denen die Grenzbelastung derartig ist, dass, wenn zusätzlich Geld verdient wird, der Staat einen höheren Betrag in Abzug bringt. Darüber können wir uns gerne mal im Zwiegespräch austauschen. Das ist etwas, was gerade im niedrigen Verdienstbereich zugunsten der Menschen geändert werden sollte. Das ist etwas, wo die SPD erst mal ihre Hausaufgaben machen sollte. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Grünen hat der Abgeordnete Becker das Wort.

(Horst Becker [GRÜNE] geht im kurzärmeli- gen Hemd zum Redepult. – Zuruf von der SPD: Sakko!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal erinnert mich diese Debatte, wie sie gerade geführt wird, ein Stück weit an die Debatte zu „70 Jahre Soziale Marktwirtschaft“.

Sie findet allerdings zu einem Antrag statt, Herr Kollege Herter, der sich einige Bestandteile aus einer Debatte herausgreift, die man eigentlich weiten müsste, zum Beispiel um die Frage des Mindestlohns, um das vorab zu sagen. Denn wenn es tatsächlich darum geht, Konjunktur anzuheizen und

mehr Kaufkraft zu erzeugen, sind es die unteren Einkommen – da sind wir einer Meinung –, um die es im Wesentlichen geht.

Die Frage ist allerdings, ob die von Ihnen angesprochenen Instrumente dazu führen, das richtige Ziel einer Kaufkraftvermehrung für die unteren Einkommen – auch für Rentnerinnen und Rentner und Empfänger von Sozialleistungen – tatsächlich zu erreichen. Da habe ich an der einen oder anderen Stelle doch meine Zweifel.

Ich weiß, wie das ist, Kompromisse zu machen. Wir mussten auch so manchen Kompromiss mit Ihnen in der Regierungszeit eingehen. Aber ausgerechnet die Regelung zum Soli-Abbau für 90 % der Steuerzahler unter dem Aspekt „Kaufkraft“ zu loben, würde zumindest mich nicht zufriedenstellen.

Ich stelle mir im Übrigen auch die Frage, ob es nicht gerade vor dem Hintergrund dessen, was wir hier im Hause öfter diskutieren – wie zum Beispiel Altschuldentilgung, Infrastrukturinvestitionen – richtiger wäre, den Soli in das Steuersystem zu überführen und damit tatsächlich etwas zu tun für gleichartige oder angenäherte Lebensverhältnisse in der Republik, etwa für Investitionen, für Altschuldentilgung. Das wäre für unser Land Nordrhein-Westfalen eine bessere Lösung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich will auch sagen, dass das Gute-KiTa-Gesetz aus unserer Sicht nur eine unzureichende Lösung ist. Zunächst einmal sind wir in der Sache etwas anderer Meinung: Bei uns geht immer Qualität vor Beitragsfreiheit. Alles, was man diskutieren kann, müsste man vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit betrachten.

Wenn ich es richtig verstanden habe, sind die Maßnahmen des Gute-KiTa-Gesetzes auf die Legislaturperiode begrenzt. Da stelle ich mir schon die Frage: Wer will denn den Kommunen oder den Ländern ernsthaft empfehlen, begrenzt auf eine Wahlperiode, von der wir alle nicht wissen, wie lange sie wirklich dauert,

(Zuruf von der SPD)

Beitragsfreiheit so durchzusetzen? – Ich glaube, das greift zu kurz.

Ich glaube auch, dass die Frage letztlich bei dem Thema „Rente“ zu kurz greift, weil Sie auf die Diskussion, die Sie mit dem Koalitionspartner in Berlin haben, zurückgreifen, aber auch da die Fragestellungen vielleicht verengt sind.

Wenn Sie sich unser Konzept im Bund anschauen, sehen Sie: Wir haben die Garantierente. Die geht tatsächlich weiter, nicht nur, weil sie mit 30 Jahren greifen würde, sondern auch anders berechnen würde: