Protocol of the Session on June 26, 2019

Vielen Dank, Herr Pretzell. – Für die Landesregierung darf ich nun unserem Ministerpräsidenten Armin Laschet das Wort geben.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Tagesordnungspunkt und diese Debatte – mit einem Ausreißer – sind ein starkes und deutliches Zeichen, dass der Landtag den Kampf gegen Rechtsextremismus ernst nimmt. SPD, Grüne, CDU und FDP haben gemeinsam Anträge zu diesem Tagesordnungspunkt eingebracht. Die Botschaft ist bei allen klar geworden: Rechtsextremismus hat in unserem Land keinen Platz. Wir dulden weder Hetze noch Terror! Die Demokratie ist standhaft.

Jetzt will ich an das anknüpfen, was Herr Kutschaty über die Weimarer Republik gesagt hat. Natürlich ist unsere Republik nicht Weimar. Auch Bonn war nicht Weimar. Das war ein geflügeltes Wort. Aber was ist denn in der Weimarer Republik passiert? Da ist aus Worten, aus Legenden, die gebildet wurden, und aus der Verhetzung von Menschen am Ende die Tat gefolgt.

Das erste Opfer war Matthias Erzberger. Er ist von Hindenburg beauftragt worden, den Friedensvertrag bzw. den Waffenstillstand von Compiègne zu unterschreiben. Sein Name stand also auf dem Dokument. Danach haben die gleichen Rechtsnationalen gesagt, dies sei der Verrat gewesen, und die Dolchstoßlegende kreiert, die dem gesamten deutschen Volk, Millionen Menschen, die damals unter der Not des Krieges litten, vermittelte, diese Leute hätten sie verraten. Und irgendjemand hat Matthias Erzberger dann ermordet.

Der Nächste, dem es so erging – mit antisemitischer Hetze; vor zwei Tagen war der 97. Jahrestag seiner Ermordung –, war Walter Rathenau; Außenminister,

Jude. Der Ablauf war der gleiche – im Vorfeld Hetze; am Ende hat einer die Tat begangen. Dann war der politische Mord Alltag in der Weimarer Republik.

Man kann das natürlich nicht mit unserer heutigen Lage vergleichen. Um eine solche Dolchstoßlegende zu kreieren, brauchte man auch Zeitungen und Zeitungsverleger, die damals ganz massiv mit der antidemokratischen Rechten kooperierten und diese Legende transportierten. Heute braucht man sie nicht mehr. Heute reicht ein anonymer Twitter-Account, um Tausende und mit Retweets vielleicht sogar Hunderttausende von Menschen zu erreichen und diese Hetze auf eine Person bezogen in Gang zu setzen.

Ein solches Opfer ist Walter Lübcke – kein großer, bekannter Bundespolitiker, den jeder kennt, sondern ein standhafter Regierungspräsident in Kassel, der zu einer bestimmten Zeit seine Position markant vertreten hat. Ab diesem Zeitpunkt gab es einige Jahre lang diese Hetze, dieses Personalisieren und diesen Vorwurf an ihn, er wolle das deutsche Volk quasi umvolken, was ungefähr den Charakter einer Dolchstoßlegende hat. Wenn man so etwas den Menschen lange genug und in dieser Intensität einredet, gibt es irgendwann jemanden, der auf die Terrasse geht und ihn erschießt.

Das ist die Verbindung, die Sie nicht abtun können, Herr Wagner. Sie können sich hier nicht wie ein Rechtsstaatsprofessor hinstellen und sagen: Wir haben noch nicht die Dokumente. Das ist alles noch ein Ermittlungsverfahren.

Übrigens: Wenn ein Flüchtling irgendeine Tat begeht, höre ich von Ihnen nicht diesen Spruch, das sei ja erst ein Ermittlungsverfahren.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und Alexander Langguth [fraktionslos])

Das verkennt gerade diese Kette, dass mit Walter Lübcke eine Person im Vorfeld derart ins Visier genommen wurde und, nachdem er ermordet worden war, die gleichen Leute auch noch hämisch über seinen Tod geschrieben haben.

Man kann mit jedem streiten. Man kann auch engagiert und polemisch streiten und vielleicht auch mal über die Grenze hinausgehen. Wenn aber jemand gestorben ist, gebietet es der menschliche Anstand, danach jede Debatte zu beenden. Dass die Hetze dann erst begonnen hat, zeigt doch diese Verbindung.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP, den GRÜNEN, Alexander Langguth [fraktionslos] und Marcus Pretzell [fraktionslos])

Vom Generalbundesanwalt wissen wir seit heute Morgen, dass der Täter wohl gestanden hat und es rechtsextremistische Motivationen gab. Deshalb stellt sich die Situation für uns jetzt so dar, dass zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg jemand, der in

einer öffentlichen Verantwortung stand, Opfer von Rechtsterrorismus wurde.

Sie haben recht, dass das nicht das erste Mal ist, dass jemand Opfer wurde. Der NSU ist jahrelang durchs Land gezogen und hat völlig unschuldige und fleißige Menschen wie Gemüse- oder Kioskhändler schlicht wegen ihrer Herkunft ermordet. Die Sicherheitsbehörden haben sogar noch die Familien verdächtigt und deren Gardinen auf Drogenspuren untersucht, weil man sich gar nicht vorstellen konnte, dass Rechtsterroristen durchs Land ziehen. Das war die Geschichte davor, die wir hier aufgearbeitet haben.

Jetzt gibt es den ersten politischen Mord seit 1945. Das muss uns wachrütteln.

(Nadja Lüders [SPD]: Auch die anderen Morde waren politisch!)

Ich darf hier einmal zitieren. Navid Kermani sagte bei der Verleihung des Staatspreises unseres Landes 2017:

„Nicht nur in Diktaturen, auch im so gut behüteten Deutschland kann Politik eine Frage von Leben und Tod sein und müssen wir dankbar sein für Volksvertreter, die keine Sekunde lang mehr vergessen werden, was wichtig ist. Es ist keine kleine Sache, sondern heroisch, dass sie nicht verzagt haben, sondern ohne zu klagen fortgefahren sind mit ihrem Amt.“

Das sagte Navid Kermani am 27. November 2017. Er meinte das nicht nur gegen Rechtsterrorismus gerichtet. Er sprach auch Wolfgang Schäuble an, der nicht nur sein Laudator, sondern auch Opfer eines Anschlags war. Er sagte, er schätze sehr – er nennt es „heroisch“ –, dass Wolfgang Schäuble danach weitergemacht hat. Und er meinte auch Henriette Reker, die vor ihm saß.

Während er diese Worte sprach, in diesem Moment an diesem Tag, wurde zeitgleich der Anschlag auf den Bürgermeister Andreas Hollstein in Altena verübt – exakt an diesem Tag, in diesem Moment. Das hat es noch einmal deutlich gemacht. Diese Drohungen betreffen viele. Am schlimmsten ist es aber, wenn sie Ehrenamtler, Kommunalpolitiker und Helfer in Flüchtlingseinrichtungen betreffen.

Wir kennen den Fall des Bürgermeisters von Tröglitz, der zurückgetreten ist, weil er bedroht wurde, und gesagt hat, er könne dies seiner Familie nicht mehr zumuten – so konkret sei die Gefahr, dass es ihn erwischen könne.

Es gab einen Bezirksbürgermeister in Reutlingen, der wegen anonymer Drohungen gegen seine Frau aufgegeben hat.

Es gab den SPD-Vorsitzenden in Bocholt, der 2016 wegen Drohungen gegen seine Familie aufgehört hat.

Der Bürgermeister von Herford Tim Kähler hat in diesen Tagen ebenfalls von solchen Bedrohungen geschrieben.

Das Schlimmste ist, wenn jemand resigniert, wenn so etwas passiert, und sein Amt aufgibt. Dann hat die Gewalt schon gesiegt. Das steht dann in keiner Zeitung; der Bürgermeister tritt zurück und ist weg. Aber zig Menschen, die sich in diesem Land gerne engagieren würden, müssen abwägen, ob es ihre Familie trifft oder nicht, und sagen dann, ihnen sei das Amt nicht so wichtig. Diese Menschen sind durch diese Hetze und diese Bedrohungen bereits unter Druck gesetzt worden.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Mein Appell heute ist daher – da sind wir uns alle einig –, dass nicht der erste Pistolenschuss, der erste Mord der Angriff auf die Demokratie ist, sondern das Bedrohen von Menschen, die ihre Bereitschaft, sich zu engagieren, nicht mehr realisieren, weil sie Angst vor einem Mord haben.

In manchen Städten in den neuen Ländern sind ganze Szenerien – die soziale Szene, die Bürgermeister – alle bereits so rechtsunterwandert, dass ein Einzelner, der dagegen spricht, sich kaum traut, etwas zu sagen – und das ist die eigentliche Gefahr. Das darf man nicht verbreiten. Man muss klare Trennlinien ziehen und gegen diejenigen, die gegen Personen – auch namentlich – hetzen, alle Mittel des Rechtsstaates einsetzen, um das zu unterbinden. Das sollte die Einigkeit an diesem heutigen Tag sein über den Tod von Walter Lübcke hinaus.

(Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. – Der nächste Redner ist für die SPD-Fraktion Herr Kollege Wolf.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte, als ich mich auf diese Debatte vorbereitet habe, ein bisschen die Hoffnung, dass wir heute im Angesicht dieses Mordes an Walter Lübcke eine Debatte ohne Reflexe führen, dass wir eine etwas besonnene Debatte führen. Ich muss sagen: Das ist leider nicht allen Rednerinnen und Rednern an diesem Rednerpult gelungen. Und das war auch gar nicht gewollt.

Herr Wagner, was Sie hier gesagt haben, vom Ausschlachten eines Mordes, von dem Verunglimpfen eines Opfers, der ums Leben gekommen ist: Haben Sie sich selber mal zugehört? Was müssen eigentlich die Angehörigen von Herrn Lübcke denken, wenn sie solche Worte hören? Dafür sollten Sie sich schämen!

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dass solche Debatten ohne Reflexe gelingen können und auch in diesem Parlament gelungen sind, das hat die sehr beeindruckende Arbeit des Untersuchungsausschusses zum NSU gezeigt. Da ist es nämlich sehr gut gelungen, ernsthaft und fundiert über die Gefahr des Rechtsextremismus in unserem Land zu diskutieren.

Einige ehemalige PUA-Mitglieder sitzen jetzt auf der Regierungsbank. Da habe ich die Hoffnung – nein, da habe ich nicht die Hoffnung, sondern da bin ich mir ganz sicher, dass diese Kolleginnen und Kollegen das Wissen über die Gefahr des Rechtsextremismus, das wir herausgearbeitet haben, und diese klare Haltung, die wir in dieser Arbeit hatten – Herr Dr. Stamp, Frau Gebauer, Herr Biesenbach –, in ihre Arbeit in der Regierung mitgenommen haben.

Wir haben – das zeigt der Abschlussbericht – über viele Seiten herausgearbeitet, wo die besondere Bedrohungslage und die besondere Gewaltbereitschaft liegt. Genau das sollten wir uns jetzt im Angesicht dieses rechten Terrors wieder in Erinnerung rufen. Frau Kollegin Schäffer hat darauf hingewiesen.

Das Wichtigste, das wir machen können, ist Folgendes: Wir können die Öffentlichkeit davor warnen – und das müssen wir als Demokraten gemeinsam tun –, wie gewaltbereit Gruppen wie „Combat 18“, wie „Blood and Honour“ sind und welche Gefahren für Menschen in unserem Land von diesen Gruppen ausgehen.

(Beifall von der SPD, der CDU und der FDP)

Wir haben versucht, noch etwas anderes zu verstehen. Wir haben versucht, zu verstehen, warum junge Menschen in diese Gruppen abrutschen. Warum werden sie radikalisiert? Ein Erklärungsmuster war zum Beispiel die Musik. Wir haben uns intensiv mit Experten darüber unterhalten, was Rechtsrock auslösen kann. Diese Gefahr muss gebannt werden. Wir müssen gemeinsam für die Demokratie in unserem Land werben.

Es gibt ein sehr gutes integriertes Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus und Rassismus. Das ist von der rot-grünen Landesregierung aufgelegt worden. Wolfgang Jörg und Ibo Yetim haben nachgefragt: Wie ist der Stand? Ich will Ihnen ganz kurz die einleitenden Vorbemerkungen der Landesregierung hier vortragen; die sind nämlich sehr bemerkenswert:

„In unserer offenen Gesellschaft ist kein Platz für Rassismus, Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit, Homo- und Transphobie und Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres individuellen Lebensstils.

Mit dem ‚Integrierten Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus und Rassismus‘ hat das Land Nordrhein-Westfalen im Jahre 2016 die Grundlagen für eine verbesserte Zusammenarbeit staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure …. geschaffen. Auf diesem Fundament baut die Landesregierung weiter auf und führt diese Arbeit im Rahmen einer Interministeriellen Arbeitsgruppe … fort.“

Sie sehen, über Regierungswechsel hinweg kann eine solch gute Arbeit funktionieren. Es muss aus meiner Sicht das klare Zeichen der Demokratinnen und Demokraten in diesem Haus sein, dass wir diese Arbeit, diesen Kampf gegen Gewaltbereitschaft, gegen Rechtsextremismus gemeinsam kämpfen und uns nicht unterkriegen lassen!

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Zur Verrohung der Sprache in den sozialen Medien: Sie haben sicherlich alle die Umfrage der Fachzeitschrift „Kommunal“ und von „Report München“ gelesen, wonach 40 % der Rathäuser melden, dass Bürgermeisterinnen und Bürgermeister Beschimpfungen und Bedrohungen ausgesetzt sind. Die Bedrohungen – das fand ich sehr bemerkenswert und erschütternd – sind nicht mehr anonym, sondern sie kommen mit Klar-Namen. Die Leute melden sich mit ihrem eigenen Namen oder stehen beim Bürgermeister im Büro und beschimpfen und bedrohen ihn.

Die Frage ist: Was können wir als Demokratinnen und Demokraten gemeinsam dagegen tun? – Das integrierte Handlungskonzept habe ich schon angesprochen. Wir sollten Projekte wie „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ – davon gibt es bisher 800 in Nordrhein-Westfalen – unterstützen und ausweiten. Wir sollten aber auch dafür sorgen, dass es in unserer Gesellschaft und gerade in unseren Institutionen keinen Raum für antidemokratische Haltungen gibt.

Überall da, wo wir die Gefahr sehen, dass es so etwas gibt, ist es eine wichtige Aufgabe, deutlich zu machen, dass antidemokratische Haltungen in unseren Institutionen – bei der Polizei, bei der Justiz, bei den Lehrern – nichts zu suchen haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)