Protocol of the Session on February 22, 2019

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wir sollten darüber hinaus auch die demografische Entwicklung im Auge behalten; denn wenn eine weitere Belastung von Arbeitskräften zu einer verstärkten Frühverrentung führt, ist das sicherlich nicht hilfreich, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Wir wollen und sollten – übrigens auch im Interesse der Branchen – die Leute sich nicht kaputtarbeiten lassen.

Darüber hinaus dürfen wir aber insbesondere hier in Nordrhein-Westfalen auch Folgendes nicht vergessen: NRW ist ein Pendlerland. Ein bis zwei Stunden Fahrt zu und von der Arbeit sind hier längst nichts Besonderes. Wir wissen aber, dass bereits nach acht Stunden – wenn man da überhaupt von „bereits“ sprechen kann – die Produktivität sinkt.

Vor allem steigt die Fehlerquote. Wir haben uns hier sehr viel über den Bereich der Medizin unterhalten. Als Patient habe ich ein ganz besonderes Interesse daran, dass jemand auch nach acht Stunden noch weiß, was er mir gerade spritzt oder welche Pillen er

mir verschreibt. Ich hoffe, dass es Ihnen auch so geht.

Noch einmal: Das Arbeitszeitgesetz dient dem Schutz der Arbeitnehmer. Ich weiß, dass es nicht immer en vogue ist, das in den Vordergrund zu stellen. Zwar ist es ganz wichtig, die Branchen zu bedenken. Aber wenn ich mich daran erinnere, wie mit der Einführung des Mindestlohns der Untergang des Abendlandes herbeigeredet wurde, kann ich nur feststellen: Gekommen ist er nicht. – Darüber bin ich sehr froh.

Wir wissen, dass Stress und psychische Erkrankungen seit Jahren auf dem Vormarsch sind. Es gibt übrigens Länder, die diesbezüglich schon Pilotprojekte starten und schauen, wie man dem entgegenwirken kann.

Ich erinnere da zum Beispiel an Schweden, wo über Sechsstundentage gesprochen wurde und diese auch ausprobiert worden sind. Konsequenz: Sie führten zu einer höheren Produktivität der Arbeitnehmer und der Unternehmen. Sie führten zu weniger Krankenständen. Sie führten zu weniger sogenannten natürlichen Pausen, die Arbeitnehmer machen. Die Mitarbeiter waren gesünder und haben mehr Sport gemacht. Die Gesellschaft als Ganzes hat profitiert.

Vor allen Dingen waren die Mitarbeiter – ich weiß; auch das steht für viele nicht im Vordergrund – glücklich. Sie hatten das Gefühl, ein Leben zu führen, wie sie es sich wünschen – ein Leben, bei dem das Familienleben und die Freunde im Vordergrund stehen und nicht die Arbeit.

Um das noch einmal ganz deutlich zu sagen: Es geht uns nicht darum, dass in erster Linie die Branchen das bekommen, was sie wollen, sondern es geht uns darum, dass der Arbeitnehmer den Schutz erhält, den er braucht.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Gestatten Sie mir noch einen letzten Satz zur Tarifgebundenheit, die ich grundsätzlich natürlich absolut befürworte und toll finde. Da bin ich ganz bei Ihnen. Aber wozu sogenannte Scheingewerkschaften und die Debatten, die dann zum Teil entstehen, führen, darf man einfach nicht außer Acht lassen. Deswegen ist ein vernünftiges Arbeitszeitgesetz nach wie vor sehr wichtig. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Fraktion der Grünen hat sich Herr Mostofizadeh noch einmal zu Wort gemeldet.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Arbeitsminister hat eben wieder eine große Geschichte über die Fle

xibilisierung der Arbeitszeiten vorgetragen. Aber lassen Sie uns doch einfach wieder auf den Kern zurückkommen, über den wir heute reden, Herr Minister Laumann.

In Ihrem Antrag an den Bundesrat geht es nicht um die generelle Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes, sondern darum, die Vereinbarung der täglichen Arbeitszeit zu einer Vereinbarung der wöchentlichen Arbeitszeit umzufunktionieren und die Ruhezeiten zu verkürzen. Das soll auch noch mit einem angemessenen Schutz für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einhergehen.

Da ist nicht die Rede davon, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein Anrecht erhalten sollen, Pflegezeiten zu bekommen, Betreuungszeiten für Kinder zu bekommen oder andere Flexibilisierungen zu bekommen, die ihnen nutzen würden. Vielmehr ist das eine einseitige Beschränkung der Arbeitnehmerrechte zugunsten der Arbeitgeber.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das ist die Wahrheit, über die wir heute reden.

Lassen Sie mich noch einige Zahlen nennen, damit wir nicht im luftleeren Raum schweben, wo Sie ein Bild zeichnen, dass hier die Verrückten sind, die die Arbeitnehmerrechte schützen und im vorherigen Jahrhundert zur Zeit der Brennöfen leben. Was die Verbrennung der Braunkohle anbetrifft, sind Sie ja ganz vorne dabei, das immer voranzustellen. Vielleicht sind Sie doch ein bisschen zurückgeblieben, was die Beurteilung dieser Zeiten anbetrifft.

Bezüglich der Souveränität von Arbeitszeitregelungen hat der DGB Folgendes erhoben: 54 % der Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer haben keinen oder wenig Einfluss auf die Gestaltung der Arbeitszeiten. 20 % der Beschäftigten ohne Abschluss haben gar keinen Einfluss auf die Gestaltung der Arbeitszeiten.

Was die Frage der Fähigkeiten anbelangt, ist Folgendes festzuhalten: Es gibt eine Zweiklassengesellschaft. Diese Problematik wird sich noch verschärfen. Durch die zunehmende Digitalisierung, die zunehmende Arbeitszeit und die Möglichkeiten des Homeoffice wird es sich natürlich noch einmal zulasten der weniger gut qualifizierten Arbeitskräfte verschlechtern. Wir werden das nicht durch ein Arbeitszeitgesetz regeln können, sondern müssen uns möglicherweise andere Gestaltungsoptionen vornehmen.

Wir können doch nicht verschweigen, dass alles das zur Realität des Arbeitsalltags der Menschen hier in Deutschland und in ganz Europa gehört, Herr Minister.

Eines möchte ich Ihnen auch noch sagen, weil die Kollegin Kapteinat es eben noch einmal angesprochen hat: Vergessen Sie nicht die Kosten dafür, dass Menschen länger arbeiten müssen. Ich habe mir die Zahlen eben noch einmal herausgeholt. Nach zwölf

Stunden Arbeitszeit verdoppelt sich das Risiko eines Arbeitsunfalls. Es verdoppelt sich! Schon nach sieben Stunden ist es erheblich erhöht und nach acht Stunden in besonderer Weise erhöht. Das müssen Sie als Minister, der für Arbeitsschutz zuständig ist, doch wissen. Deswegen kann es doch nicht sein, dass wir immer am Rand herumschrauben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich will an dieser Stelle noch einmal betonen: Wir, die wir im politischen Alltag unterwegs sind und sehr viel Flexibilität an den Tag legen müssen und das sicherlich auch unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern abfordern – das sage ich Ihnen aus eigener Erfahrung –, haben eine hohe Verantwortung für unsere Leute, eben nicht zuzulassen, dass sie den ganzen Tag erreichbar sind und immer wieder die Mails checken. Das elektrisiert die Leute und stellt sie dauernd unter Strom. Wir haben eine Verantwortung in der gesamten Gesellschaft dafür, das auszuschließen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Deswegen finde ich die Art und Weise der Debatte auch sehr beachtlich. Wenn man hört, dass ein LkwFahrer bis Wuppertal fährt und aufgrund der Lenkzeitbeschränkungen die letzten 20 km dann nicht mehr weiterfahren darf, denkt man natürlich auch: Ach, was ist das unflexibel. – Aber die Wahrheit ist doch andersherum. Dass er überhaupt bis dahin gekommen ist, liegt doch an der fehlenden Planung, die vorher geschehen ist. Das gehört doch auch zur Wahrheit dazu.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich ist das im Arbeitsalltag immer ein Aushandeln der Rechte der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber. Natürlich gibt es schlechte und gute Arbeitsverhältnisse. Das ist gar keine Frage. Aber wir haben als Gesetzgeber eine hohe Verantwortung, dafür zu sorgen, dass ein fairer Ausgleich erfolgt. Dazu mag es auch unterschiedliche flexible Modelle geben.

Aber unser Arbeitszeitgesetz bietet – anders, als hier immer suggeriert wird – sehr viele Möglichkeiten der Flexibilisierung, wenn sie denn angewandt werden. Es wäre aller Ehren wert, das in der Enquetekommission weiter zu diskutieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Daher schließe ich die Aussprache.

Wir kommen damit zu:

2 Jeder Fall ist ein Fall zu viel – alle Kräfte mobi

lisieren für den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Missbrauch

Antrag der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/5066 – Neudruck

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDUFraktion Frau Vogt als erster Rednerin das Wort.

Herr Präsident! Mit Ihrer Erlaubnis würde ich meine Rede heute gerne mit einem Zitat aus der Zeitung „Die WeLT“ vom 7. Februar 2019 beginnen:

„Man kann das Leben nur ertragen, indem man sich bestimmte Dinge nicht vorstellt. Man darf sich zum Beispiel auf keinen Fall vorstellen, wie die unzähligen kleinen Kinder gelitten haben, die auf dem Campingplatz im westfälischen Lügde missbraucht und vergewaltigt wurden. Man darf sich nicht vorstellen, wie weh ihnen das tat, wie sie weinten, wie viel Angst sie hatten, welchen Ekel sie empfanden, wie verlassen sie sich fühlten.“

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Man muss es sich vorstellen!)

Sehr geehrte Damen und Herren, ich glaube, der Gedanke, dass Kindern und auch Jugendlichen Leid angetan wird, ist für uns alle unerträglich. Die kürzlich publik gewordenen Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs in Lügde haben uns alle zutiefst erschüttert.

Hier wird nur allzu deutlich: Kinder sind auf unseren Schutz angewiesen. Sie brauchen jemanden, der ihnen Sicherheit gibt – Menschen, auf die sie sich verlassen können, die ihnen Halt geben, besonders in schwierigen Situationen, und die ihnen aus der Gefahrensituation heraushelfen.

Es ist daher auf das Schärfste zu verurteilen, wenn jemand ihnen diesen Schutzraum entzieht und ihre Angreifbarkeit ausnutzt.

Ich sage hier sehr deutlich, sehr geehrte Damen und Herren: Es macht mich fassungslos, dass unser Land mit all seinen Möglichkeiten, die wir haben, nicht in der Lage war, diese Kinder zu beschützen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich fordere daher eine lückenlose Aufklärung dieses Falles und klare Maßnahmen, die verhindern, dass sich solche schrecklichen Verbrechen wiederholen können. Dazu gehört auch, dass alle etablierten Maßnahmen auf den Prüfstand gestellt werden und man ganz genau schaut, wie wirksam sie sind und

was wir verändern müssen, damit sich so etwas nicht wiederholen kann.

Denn solche belastenden Erlebnisse, seien es psychische, physische oder körperliche Missbrauchsfälle, können ein Kind über sein gesamtes Leben prägen. In der Kindheit entwickeln wir uns, bilden unseren Charakter und wachsen zu der Persönlichkeit heran, die wir einmal sein werden.