Protocol of the Session on February 22, 2019

(Nadja Lüders [SPD]: Es geht nicht um die Branchen, sondern um die Arbeitnehmer!)

Entschuldigung. Lassen Sie mich einmal ausreden.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das sagt ja der Richtige! Mir kommen die Tränen!)

Zweitens. Wir müssen ja wohl zugeben, dass wir heute teilweise ganz andere Arbeitsmethoden haben als damals. Die Arbeitswelt ist vielschichtiger geworden. Da gibt es die Menschen, die sehr froh darüber sind, dass sie ein oder zwei Tage in der Woche von zu Hause aus arbeiten können. Das ist im Übrigen im MAGS eine sehr beliebte Variante gerade bei denjenigen, die kleine Kinder oder pflegebedürftige Verwandte haben.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Aber wa- rum müssen wir auf elf Stunden verkürzen? – Zuruf von der SPD)

Moment. Hören Sie sich das doch einmal ruhig an.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Nein! – Gegenruf von Ralph Bombis [FDP]: Hören Sie doch mal zu!)

Wenn diese Leute abends, nachdem sie die Kinder ins Bett gebracht haben, noch einmal die Mails checken, ist das in Wahrheit schon eine Unterbrechung der Ruhezeit, und sie verstoßen gegen das Arbeitszeitgesetz der Bundesrepublik Deutschland.

(Michael Hübner [SPD]: Richtig! Genau!)

Und jetzt frage ich Sie: Wie oft passiert das denn in Ihren Büros? Verschließen Sie doch nicht die Augen davor, wie die Lebenswirklichkeit mittlerweile ist.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD – Michael Hübner [SPD]: Jetzt ist die Frage, in welche Richtung wir das anpassen!)

Lassen Sie mich doch einmal im Zusammenhang vortragen.

Wir müssen doch einsehen, dass die Arbeitswelt von Branche zu Branche sehr viel unterschiedlicher ist als noch vor 25 Jahren. Der Grundgedanke dieses Antrages ist, dass wir glauben – auch ich glaube das; deswegen habe ich bei dem Antrag überhaupt kein schlechtes Gewissen –, dass es heute nicht mehr möglich ist, mit einem Gesetz, das der Deutsche

Bundestag verabschiedet, der Lebenswirklichkeit aller Branchen in Deutschland Rechnung zu tragen. Wir können im Deutschen Bundestag nicht ein Arbeitszeitgesetz für alle Branchen machen.

(Beifall von der CDU – Nadja Lüders [SPD]: Es geht um die Lebenswirklichkeit der Arbeitneh- mer!)

Deswegen haben wir gesagt: Man muss vom deutschen Arbeitszeitgesetz abweichen können.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das kann man heute schon!)

Man kann abweichen – unter dem Tarifvorbehalt.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Kann man heute schon!)

Die europäische Arbeitszeitrichtlinie muss natürlich in jedem Fall eingehalten werden.

(Michael Hübner [SPD]: Wird sie doch!)

Jetzt frage ich Sie: Was ist denn dagegen einzuwenden,

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Gar nichts! Das gilt ja schon! – Nadja Lüders [SPD]: Das ist die Realität!)

dass man das über Tarifverträge regelt, wenn man dabei den Rahmen der europäischen Arbeitszeitrichtlinie berücksichtigt? Hier will doch wohl niemand sagen, dass die europäische Arbeitszeitrichtlinie nicht den Gesundheitsschutz der Menschen im Auge hat. Denn diese europäische Arbeitszeitrichtlinie ist sowohl von der sozialistischen Fraktion als auch von der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament unterstützt und am Ende ratifiziert worden. Darauf will ich nur einmal hinweisen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Nun möchte ich Ihnen noch etwas vorlesen, was die SPD zumindest unterschrieben hat. Ich zitiere aus dem Tarifvertrag – aus dem Koalitionsvertrag

(Heiterkeit – Zuruf von der CDU: Der war gut!)

der jetzigen Bundesregierung. Da steht ab Zeile 2361 geschrieben:

„Wir werden über eine Tariföffnungsklausel im Arbeitszeitgesetz Experimentierräume für tarifgebundene Unternehmen schaffen, um eine Öffnung für mehr selbstbestimmte Arbeitszeit der Arbeitnehmer und mehr betriebliche Flexibilität in der zunehmend digitalen Arbeitswelt zu erproben. Auf Grundlage von diesen Tarifverträgen kann dann mittels Betriebsvereinbarungen insbesondere die Höchstarbeitszeit wöchentlich flexibler geregelt werden.“

Das, was wir in unserem Antrag geschrieben haben, geht nicht einmal so weit wie das, was im Koalitionsvertrag von Berlin steht.

(Beifall von der CDU)

Denn ich habe in diesem Entschließungsantrag eine Sache ganz klar festgeschrieben: dass man nur dann abweichen kann, wenn man den gesamten Tarifvertrag anerkennt.

Das heißt, wenn das Start-up sagt: „Ich möchte vom deutschen Arbeitszeitgesetz abweichen“, muss es den gesamten Tarifvertrag anerkennen – auch dort, wo es um Entlohnung, um Urlaub und um andere soziale Standards geht.

(Bodo Löttgen [CDU]: So ist das!)

Dann denken Sie doch einmal über Folgendes nach: Wenn heute nur noch 50 % der Arbeitnehmer tarifgebunden sind, ist es vielleicht auch einmal sinnvoll, ein Gesetz zu machen, von dem man nur dann profitieren kann, wenn man sich einer Tarifgebundenheit unterwirft.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Daher ist dieses Gesetz auch ein Gesetz zur Stärkung der Tarifvertragsparteien. Deswegen ist das eine gute Überlegung. Ich hoffe, dass sie sich auf Dauer in der Bundesrepublik Deutschland durchsetzt.

(Beifall von der CDU und der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Hast du das mit der IG Me- tall auch schon besprochen?)

Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Frau Kapteinat das Wort.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine Bemerkung vorab: Der Beitrag, der gerade von der AfD kam, war für mich zum Teil nicht nachzuvollziehen, weil ich überhaupt nicht wusste, worauf der Kollege hinausmöchte. Der Versuch, in dieser Debatte Antisemitismus zu erkennen, fiel mir schon sehr schwer. Ich finde das sehr respektlos – insbesondere, wenn ich mir überlege, was eigentlich unter Antisemitismus zu verstehen ist.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Markus Wag- ner [AfD])

Spannend ist es sicherlich, wenn man darüber nachdenkt, dass sich nun ausgerechnet die AfD auf Europa bezieht. Das wird dann schon relativ absurd.

Zur Frage, ob ein flexibleres Arbeitszeitengesetz aufgrund der Digitalisierung erforderlich ist, ob also ein Erfordernis besteht: Wenn wir das gegenüber dem

Schutz des Arbeitnehmers abwägen, ist das vermutlich eher nicht der Fall.

Aber um das ganz klar zu sagen: Wir stehen der Digitalisierung sehr positiv gegenüber. Wir finden, dass es ganz tolle Aspekte bei der Digitalisierung gibt. Die Frage ist nur, wie man die Digitalisierung nutzt.

Man könnte ja auch einmal darüber nachdenken, die Digitalisierung und damit einhergehende Steigerungen von Produktivität so zu verstehen, dass der Gewinn des Unternehmens nicht weiter auf Kosten der Arbeitnehmer gesteigert werden sollte, sondern dass wir über 30- oder 35-Stunden-Wochen nachdenken und schauen, was wir eigentlich dem Arbeitnehmer bieten können.

Denn beim Arbeitszeitgesetz geht es nicht darum, was die Branchen brauchen oder meinen, zu brauchen, sondern darum, was der Arbeitnehmer an Schutz braucht. Das sollte uns allen wichtig sein.

(Beifall von der SPD)

Die permanente Erreichbarkeit, die wir nicht nur im Berufsleben, sondern sicherlich auch im Privatleben haben, ist etwas, was allen zusetzt – nicht nur der Generation Y oder auch Z, die sicherlich schon ein starkes Bedürfnis nach und eine starke Ausrichtung auf Work-Life-Balance hat. Gerade diese jungen Familien brauchen Regelungen, die Ansprüche schaffen und ihnen nicht mehr Pflichten auferlegen.

Wir haben eine EU-Richtlinie. Genau diese hat aber dazu geführt, dass es tatsächlich in den meisten Ländern eine 40-Stunden-Woche gibt. Ich gehe nicht davon aus, dass einer von Ihnen österreichische oder ungarische Verhältnisse in Deutschland haben möchte, was den Schutz von Arbeitnehmerrechten angeht.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)