Protocol of the Session on November 29, 2018

Die Aufgabe des Brexit-Beauftragten ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.

(Zurufe von der SPD)

Ich erkläre Ihnen gleich, was das heißt. Dass Sie nichts wissen, ist ja schon ein Beweis für dieses Vertrauen. Er soll nicht die Medien beraten, sondern er soll die Landesregierung und die Unternehmen beraten.

Ich komme aus dem Ruhrgebiet und kenne die dortige Mentalität. Dass Unternehmen ihre Entscheidungen selber treffen, ist uns fremd. Wir sind anders groß geworden. Das war eine Zwangssozialisation durch die Sozialdemokratie. Ich habe gelernt, wie das Verhältnis eines Oberstadtdirektors oder eines Oberbürgermeisters zur Sparkasse ist.

(Zuruf von der SPD: Jetzt wird es ein bisschen wirr!)

Das heißt: Die Politik, die Wirtschaft und die Unternehmen werden von unserem Beauftragten beraten.

Lassen Sie mich ein Beispiel aus dem normalen Leben nennen. Sie kommen nach Hause. Ihre Frau steht strahlend in der Tür und sagt: Morgen verlasse ich dich. – Wenn Sie versuchen, Ihre Familie und Ihre Ehe zu retten, gehen Sie mit den Modellen, die Sie sich überlegen müssen, nicht über Land. Sie gehen auch nicht in die Nachbarschaft und schauen sich

danach um, ob einer zu Ihnen ziehen kann oder jemand umziehen will.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ist das jetzt Ihr Ernst, Herr Minister?)

Vielmehr versuchen Sie, diese Ehe zu retten.

Das ist das, was wir im Moment beim Verhältnis zu unserem europäischem Nachbarn Großbritannien tun. Und das tun wir, ohne dass wir uns in die Interna einmischen.

(Nadja Lüders [SPD]: Und wer ist in der Ehe der Beauftragte?)

Der Beauftragte ist eine Art Eheberater, und zwar für beide Seiten.

(Nadja Lüders [SPD]: Herr Merz ist der Thera- peut für die Landesregierung! – Weitere Zu- rufe von der SPD)

Sie werden sich wundern, wie normal das Leben auch in der Politik ist. Sie haben bestimmte Dinge zu regeln. Zum Beispiel wollen Sie ein Unternehmen von London nach Düsseldorf holen. Wenn der Brexit nicht kommt und das Unternehmen in London bleibt, will es dort auch weiterhin freundschaftliche Beziehungen unterhalten. Also bereiten Sie einen Übergang vor, der für alle verträglich bleibt, egal welches der drei Szenarien kommt. Eine solche Diskussion wird nicht auf einem großen Markt geführt. Das ist vertrauensschaffend, weil wir nicht davon profitieren wollen, dass der Brexit kommt, sondern ihn für die Briten, für Deutschland und für Nordrhein-Westfalen richtig gestalten wollen.

Herr Klocke, noch eines zu dem Brexit-Übergangsgesetz: Das Brexit-Übergangsgesetz regelt den Status quo so lange wie irgend möglich, damit Engländer in Nordrhein-Westfalen sowie Deutsche bzw. Nordrhein-Westfalen in England so vernünftig wie möglich weiterleben können. Das können Sie dort nachlesen. Es ist darin sehr schlicht festgehalten.

Es ist sehr verantwortlich, dies zu tun. Sie sollten der Landesregierung dankbar dafür sein, dass sie versucht, aus dem denkbar Schlechten das Beste herauszuholen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ein letztes Wort zu unserem Wirtschaftsminister Professor Pinkwart: Ich bin ausgesprochen dankbar für die Art und Weise, in der er sich mit seinem Sachverstand, seiner Sachlichkeit und seinem großen Engagement um Großbritannien, den Brexit und die Zusammenarbeit kümmert. Er macht das mit sehr viel persönlichem Engagement.

Ihr Ziel ist – freiwillig oder unfreiwillig – mit unserem Ziel identisch. Wir wollen nämlich das Beste für Nordrhein-Westfalen erhalten mit Blick auf ein befreundetes Land, mit dem wir nicht nur Geschäfte betreiben, sondern von dem wir auch Demokratie, Medien …

Wenn ich „Ende der Redezeit“ sehe, deprimiert mich das.

(Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

Das sind gemeinsame Ziele, zu denen wir uns auch gemeinsam bekennen sollten. Den einen oder anderen Streit sollten wir ganz schlicht und einfach vermeiden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. – Für die SPD spricht nun unsere Kollegin dos Santos Herrmann.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Holthoff-Pförtner, mit Verlaub: Was Sie uns gerade geliefert haben, war nicht einmal weiße Salbe. Das war gar nichts.

(Beifall von der SPD)

Sie haben Nebelkerzen geworfen, um zu verdecken, dass Sie in anderthalb Jahren Regierung in Sachen „Bewältigung der Folgen des Brexit für NordrheinWestfalen“ rein gar nichts geschafft haben. Das ist beschämend.

Man mag die alte Landesregierung dafür kritisieren, dass sie zwei Wochen nach dem Referendum, als hier an diesem Pult niemand Geringerer als Christian Lindner gefragt hat, wo die Strategie der Landesregierung in Sachen Brexit bleibe, noch keine klaren Antworten geben konnte.

Zweieinhalb Jahre später und anderthalb Jahre nach Ihrer Regierungsübernahme haben wir aber alle das Recht, zu wissen, was Sie vorhaben und was Sie bisher getan haben. Nichts haben wir bisher gehört, rein gar nichts!

(Beifall von der SPD)

Lassen Sie mich einige Gedanken ausführen. Erlauben Sie mir, ein klein wenig in der Geschichte zurückzugreifen. 1986 hat der portugiesische Literatur-Nobelpreisträger Saramago den Roman „Das steinerne Floß“ geschrieben und veröffentlicht. Es beschreibt die Folgen eines geologischen Risses mitten durch die Pyrenäen. Die iberische Halbinsel löst sich von Kontinentaleuropa und treibt auf dem Atlantik Richtung Westen.

Als er das Buch schrieb, wird er sich kaum vorgestellt haben können, dass wir bereits heute, vier Monate vor dem Brexit, mit schwerwiegenden Folgen des Umbruchs in Europa zu kämpfen haben. Herr Kutschaty hat es beschrieben.

Natürlich ist die Frage nach einer Strategie sehr berechtigt, mehr als berechtigt. Wir sind den Menschen

in Nordrhein-Westfalen Antworten schuldig. Aber wir haben gerade gehört, dass Sie diese Antworten und diese konkreten Maßnahmen nicht haben.

Vor rund einem Jahr hat Herr Ministerpräsident Laschet mit großem Brimborium den Wirtschaftsexperten Merz als Beauftragten für den Brexit vorgestellt. Er hatte nun ein Jahr Zeit, Ideen vorzulegen. Ich wiederhole es – aber es bleibt mir auch nichts anderes übrig –: Wir haben keine Ideen vorgelegt bekommen und schon gar keine Strategie.

Spätestens seit letzter Woche wissen wir alle, dass der Name Merz auch nicht mehr als Schall und Rauch bedeutet. Denn außer zwei Treffen mit einem nicht näher benannten Kreis konnte dem Parlament noch kein Ergebnis vorgelegt werden. Von den angeblich so guten Kontakten und der angeblich so hohen wirtschaftspolitischen Kompetenz des Beauftragten ist nichts Konkretes zu sehen oder zu hören.

Eigentlich ist das aber auch kein Wunder. Denn anders, als Merz es dem Ministerpräsidenten vor einem Jahr zugesagt hat, ist er nun doch mit seinem politischen Comeback beschäftigt. Das ist ebenso legitim wie die Frage nach einer Strategie zum Brexit. Allerdings hatte er das Gegenteil angekündigt.

So bleibt nicht nur der Eindruck, sondern leider die bittere Gewissheit, dass die Landesregierung überhaupt keinen Plan hat, wie sie mit den Folgen des Brexit umgehen soll. Angesichts der Tatsache, dass unser Bundesland nach Großbritannien selber zu den am stärksten betroffenen Regionen Europas gehören wird, ist das zutiefst verantwortungslos und, ehrlich gesagt, auch beschämend.

(Beifall von der SPD)

Erlauben Sie mir daher einen kurzen Blick auf andere Bundesländer. Niedersachsen zum Beispiel führt bereits seit Monaten regelmäßig Informationsveranstaltungen mit den Ämtern für regionale Landesentwicklung durch. Dabei geht es um ganz konkrete Effekte. Es wird ein ständiges Update geliefert, was zurzeit Stand der Verhandlungen ist und was das für das Bundesland bedeuten könnte. Das Bundesland Berlin hat bereits vor einem Jahr, am 12.12.2017, einen Vertrag mit den wissenschaftlichen Institutionen in Oxford und den eigenen Hochschulen abgeschlossen, um den Austausch mit den Hochschulen weiterhin zu gewährleisten.

Das sind klare Vereinbarungen darüber, was in der Zeit nach dem Brexit geschieht. Was haben wir in NRW? Rein gar nichts! Dabei ist der Wissenschaftsstandort NRW kein kleiner.

Herr Kutschaty hat es bereits erwähnt: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Ford in Köln – als Beispiel, als Pars pro Toto – spüren schon heute ganz konkret die Auswirkungen des Brexit. In wenigen Wochen, kurz vor Weihnachten, wird es eine zwei

wöchige Produktionspause geben, weil der bevorstehende Brexit den Export deutlich zurückgehen lässt. Die Preise für das Material steigen stark.

Der Ford-Produktionsstandort Köln ist vielleicht noch nicht komplett gefährdet. Aber er leidet stark. Ihr Nichthandeln, Herr Laschet, ist deshalb ein richtig herber Schlag ins Gesicht aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – nicht allein in Köln.

(Beifall von der SPD)

Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal kurz auf den eingangs erwähnten Roman von Saramago schauen. In dem Roman wissen die Figuren nicht, ob es an den Abbruchkanten der nun kompletten Insel zu weiteren Brüchen kommt, ob weiter Land verloren geht und ihre Lebensgrundlagen vor ihren Augen verschwinden. Sie wissen auch nicht, ob die unterbrochenen Flussläufe ihnen noch ausreichend Süßwasser und Trinkwasser zur Verfügung stellen werden. Der Autor gibt in dem Roman keine konkreten Antworten. Aber es ist eben auch ein Roman. Er muss es nicht tun.

Eine Landesregierung muss sich aber an dem realen Leben der Menschen orientieren. Sie muss Antworten darauf geben, wie es sein wird, wenn der Bruch tatsächlich kommt – insbesondere dann, wenn er hart sein sollte.

Sie tun das nicht. Sie bleiben den Menschen Antworten schuldig. Sie begnügen sich mit weißer Salbe und Nebelkerzen. Das ist eindeutig zu wenig.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Grünen hat nun der Abgeordnete Herr Becker das Wort.