Anders als im Antrag zur heutigen Aktuellen Stunde geschrieben, widerspricht die Abschaffung der anonymisierten Bewerbung somit keineswegs dem Ansatz, mehr Menschen mit Migrationsgeschichte einzustellen, sie ist vielmehr konsequent.
Denn nur so ist überhaupt erst die Möglichkeit zur strategischen Einstellung dieser Bevölkerungsgruppen gegeben. Wir brauchen die Menschen in der Verwaltung, und das nicht erst nach der zweiten Hürde, dem Telefonat oder dem Bewerbungsgespräch. Hier muss man ansetzen. Man muss das System objektivieren, und zwar von der ersten bis zur letzten Stufe des Bewerbungsverfahrens. Dazu ist notwendig, dass wertvolle Informationen und Fähigkeiten, die die Bewerber erst für einen Job besonders geeignet erscheinen lassen, nicht unter den Tisch fallen.
Sprachfähigkeiten in Muttersprachenqualität, geografische, kulturelle und religiöse Kenntnisse sind ganz wichtige Parameter, die auf eine Migrationsgeschichte schließen lassen. Aber genau diese Fähigkeiten, um nur einige zu nennen, sollen ignoriert, verheimlicht und geschwärzt werden. Das ist ein Potenzial, das man nicht achtlos ignorieren sollte. In Zeiten des Fachkräftemangels sollte man dies nicht verschenken.
Auch und gerade der öffentliche Dienst muss um geeignete Bewerber kämpfen. Die neue Landesregierung sieht dieses Potenzial und will es heben. Dazu braucht es eine objektive, strukturierte und transparente Personalauswahl. Hier muss man die Verantwortlichen in die Pflicht nehmen und nicht die Bewerber in die Anonymität drängen, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht oder ihrer Einschränkung.
Wir brauchen Menschen mit Potenzial in unseren Verwaltungen und nicht nur im Bewerbungsgespräch. Das, sehr geehrte Damen und Herren, ist der Ansatz dieser Landesregierung. Die Abschaffung des Verfahrens ist daher nur konsequent. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst ein kurzer Kommentar zu Herrn Rehbaum: Ich teile Ihre Kritik am Präsidium keineswegs. Ich finde, dass man der alten Landesregierung durchaus die Möglichkeit geben sollte, kritisch darüber zu reden, was sie in der letzten Legislaturperiode gemacht hat. Deshalb halte ich auch – außerhalb der Geschäftsordnung – diese Debatte für
völlig korrekt. Sie haben ja die Mehrheit im Präsidium und daher vermutlich diese Entscheidung gefällt.
Meine Damen und Herren von der SPD, wenn es ihr Ziel ist, mehr Migranten, mehr Frauen, mehr Alte, mehr Behinderte im öffentlichen Dienst einzustellen, und wenn Sie der Auffassung sind, dass die Tatsache, dass Menschen ihren Lebensweg und ihre persönlichen Merkmale in ihre Bewerbung schreiben, zu Problemen führt, muss ich Sie fragen:
Wer hat denn über Jahrzehnte in diesem Land regiert? Wer hat sich denn durch die Verwaltungen „gefressen“? Wer hat sie denn besetzt? Meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, es sind weitgehend Ihre Leute, die dort sitzen und nach wie vor Menschen einstellen.
Es ist doch mitnichten internationaler Standard, wie Sie behaupten, ein solches anonymisiertes Bewerbungsverfahren durchzuführen. Es gibt in einigen Staaten – einige davon haben Sie genannt – politisch motiviert öffentlichen Druck. Mitnichten hat sich dies in der Privatwirtschaft durchgesetzt bzw. hat man dort besonders positive Erfahrungen damit gemacht. Im Gegenteil! Man stellt fest, dass die Bewerbungen weniger aussagekräftig sind und man mehr Bewerbungsgespräche benötigt, um die Informationen, die man nicht mehr schriftlich bekommt, im persönlichen Gespräch zu erfahren. Mehrfach ist gesagt worden: Eventuell vorhandene Vorbehalte bauen sich nicht ab, sondern sie werden auf einen späteren Zeitpunkt verlagert.
Abgesehen davon funktioniert die Anonymisierung nicht, weil Sie ganz wesentliche persönliche Merkmale innerhalb einer Bewerbung zum Ausdruck bringen müssen
Ganz interessant ist vielleicht das, was wir heute von der CDU und der FDP gehört haben. Sie wollen ja eigentlich auch Quoten, Sie nennen sie nur nicht so; jedenfalls haben Sie das heute gesagt. Wo sind denn Ihre Migrantenquoten? Wo sind denn Ihre Frauenquoten, wenn Sie so viel Wert darauf legen?
Meine Damen und Herren von der SPD, wie sieht das eigentlich bei Ihnen in der Fraktion aus, wenn Sie Mitarbeiter einstellen? Machen Sie da ein anonymisiertes Bewerbungsverfahren? Fangen Sie doch bei sich an!
Das Ziel ist doch nicht, mehr Migranten, mehr Frauen, mehr Alte und mehr Behinderte einzustellen. Das Ziel ist eine hohe Qualität im öffentlichen Dienst. Vielleicht sollten wir an dieser Stelle mit etwas ganz anderem anfangen, nämlich damit, dass Parteibücher eine viel kleinere Rolle spielen; denn im Bewerbungsverfahren spielt nach wie vor die größte Rolle, das richtige Parteibuch zu haben.
Damit müssen wir aufhören. Das darf keine Rolle mehr spielen, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten. Dann läuft es auch wieder mit Ihrer Verwaltung. – Herzlichen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die überwiegende Mehrheit hier im Parlament möchte mehr Menschen mit Einwanderungsgeschichte im öffentlichen Dienst sehen; das haben wir ganz deutlich in den Redebeiträgen gehört. Auch Sie, verehrte Kollegen der Opposition, werden nun nicht sagen, dass Sie mit den Ergebnissen der abgewählten Landesregierung in diesem Politikfeld zufrieden sind – trotz anonymisierter Bewerbung. Das heißt, wir müssen uns mehr anstrengen und mehr versuchen.
Wenn wir mit der anonymisierten Bewerbung bereits am Ende der Fahnenstange angekommen wären, das heißt wenn dieses Verfahren zum Erfolg geführt hätte, dann könnten wir uns jetzt zurücklehnen und alles so weiterlaufen lassen, wie es ist. Das hat es aber nicht. Das zeigt Ihre eigene Evaluierung, das haben wir heute schon mehrmals gehört. Das wird auch dadurch unterstrichen – auch das haben wir schon mehrmals gehört –, dass namhafte Unternehmen aus dem Modellprojekt mit dem Hinweis ausgestiegen sind: Das Verfahren hat zu keinen anderen Ergebnissen geführt als vorher.
Was müssen wir also tun? Möchte man den Anteil der Personen mit Migrationshintergrund in den Behörden vom derzeitigen Stand auf ihren Anteil an der Bevölkerung anheben – denn das muss das Ziel sein –, dann muss man derzeit wesentlich mehr Personen mit Einwanderungsgeschichte bei den Neueinstellungen berücksichtigen, als es ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht. Das heißt, wir müssen hier aufholen.
Wenn wir das wollen, dann müsste deutlich mehr als jeder Fünfte, den wir neu einstellen, einen Migrati
onshintergrund haben. Das hat aber die anonymisierte Bewerbung nicht geleistet. Derzeit ist der Anteil der Mitarbeiter mit Einwanderungsgeschichte im öffentlichen Dienst immer noch in etwa halb so hoch wie deren Anteil an unserer Bevölkerung. Das will die neue Landesregierung ändern. Es ist offenkundig, dass man dafür neue Wege gehen muss.
Wir benötigen erstens deutlich mehr Bewerber aus Familien mit Einwanderungsgeschichte und zweitens diskriminierungsfreie und effizientere Auswahlprozesse, damit aus mehr Bewerbern auch mehr Einstellungen werden. Als gelernter Ingenieur zitiere ich immer gern gute DIN-Normen. Ein Weg, von dem wir heute auch schon mehrmals gehört haben, ist die Umsetzung der DIN 33430. Darauf aufbauend können wir unsere Verfahren optimieren und möglicherweise noch bessere Ergebnisse erzielen als bisher.
Wir laden Sie ein, verehrte Abgeordnete der Opposition, mit uns in den Ausschüssen und hier im Parlament gemeinsam daran zu arbeiten, neue und effektivere Wege zu gehen, damit Nordrhein-Westfalen endlich Vorreiter bei der Steigerung des Anteils von Mitarbeitern mit Einwanderungsgeschichte in der öffentlichen Verwaltung wird. Andere Bundesländer sind uns hier in einigen Feldern schon deutlich voraus. Als Beispiel nenne ich gern die Anzahl der Bewerber mit Migrationshintergrund für den Polizeidienst in Berlin oder in Niedersachsen.
Eine Fixierung auf die anonymisierte Bewerbung hindert uns daran, über den Tellerrand zu schauen und festzustellen, was in anderen Bundesländern oder auch im Ausland besser gemacht wird. Die anonymisierte Bewerbung hat zu keinen zufriedenstellenden Ergebnissen geführt. Wir möchten aber zufriedenstellende Ergebnisse. Dafür ist es notwendig – ich finde, das hat die heutige Debatte eindrücklich gezeigt –, dass wir zunächst einmal Ihre heilige Kuh, die anonymisierte Bewerbung, vom Eis holen, damit Neues und Besseres entstehen kann. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Terhaag. – Für Bündnis 90/Die Grünen erteile ich dem Kollegen Mostofizadeh das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Terhaag, Sie haben eben gesagt, die anonymisierte Bewerbung sei eine heilige Kuh der alten Regierung, und Sie wollten es besser machen. Jetzt sind Sie relativ kurz im Amt – das konzedieren wir auch –, aber nennen Sie doch wenigstens ein Instrument und sagen Sie, wie Sie es anders machen wollen und wie es besser gehen soll. Ich habe heute von Ihnen überhaupt nichts in der Richtung gehört.
Zweiter Punkt: Da wird es jetzt schon ein bisschen ernster, und ich bitte Sie, sorgsam mit der Sprache und auch mit dem Sachverhalt umzugehen. Natürlich gibt es Diskriminierung auf dem Mietmarkt, und es gibt Diskriminierung bei der Auswahl von Personen für Führungspositionen oder für andere Stellen im öffentlichen Dienst. Das hat auch die CDU-Fraktion eindeutig konstatiert.
Wenn das so ist, sind wir uns, bis auf eine Fraktion, in diesem Haus einig, dass wir etwas dagegen tun müssen und dass das ein wichtiger gesellschaftlicher Aspekt ist, der zu ändern ist. Deswegen ist es auch richtig, heute hier über dieses Thema zu reden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Falsch finde ich allerdings, was die Staatssekretärin gemacht hat, nämlich ins Amt zu gehen, Geschäftigkeit vorzutäuschen und in ihrem ersten Interview zu sagen: Die anonymisierte Bewerbung hat nicht funktioniert, deswegen schaffen wir sie ab, aber wir wissen nicht, was wir tun sollen. – Das ist keine seriöse Regierungsarbeit, sondern das ist pure Geschäftigkeit.
Um einmal ein paar Argumente zurechtzurücken: Es geht nicht um Quoten. Niemand hat mit der anonymisierten Bewerbung Quoten verbunden. Es ist ein Instrument, um bestimmte Ziele zu erreichen. Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen, hier wird nicht seriös gearbeitet, und das finde ich bei diesem sehr sensiblen Thema nicht in Ordnung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Natürlich gibt es andere Möglichkeiten, zum Beispiel gezielt Werbung zu machen und in die Communities zu gehen. Bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen ist das geschehen. Man ist konkret auf die Bevölkerung zugegangen und hat Migranten, insbesondere türkischstämmige, angesprochen. Deswegen ist die Quote in diesem Bereich auch gestiegen. Das ist gut. Das ist ein weiteres Instrument, um dieses Ziel zu erreichen. Das stellen wir gar nicht in Abrede. Der Kollege von der CDU ist noch nicht einmal darauf eingegangen. Dabei wäre das ein sehr sinnvolles Instrument, das sehr gut neben der anonymisierten Bewerbung stehen kann.
Es gibt auch sehr gute Beispiele. Jetzt so zu tun, als ob das völlig erfolglos gewesen wäre, kann ich überhaupt nicht akzeptieren.
Ich möchte Ihnen zwei Hinweise geben: Es gibt Untersuchungen, die in Schulen gemacht worden sind. Das hat mit der Frage von Geschlecht und Herkunft überhaupt nichts zu tun. Klassenarbeiten wurden versuchsweise bewertet, ohne den Namen des Schülers zu kennen – der wurde separat abgegeben.