Protocol of the Session on December 21, 2017

Vielen Dank. – Für die SPD hat jetzt der Abgeordnete Kutschaty das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Für den Triumph des Bösen reicht es, wenn die Guten nichts tun“, so schrieb der Staatsphilosoph und Politiker Edmund Burke. Deshalb ist es gut, es ist richtig und wichtig, dass wir uns heute ganz entschieden gegen Fremdenhass, gegen Antisemitismus und für ein friedliches und menschliches Miteinander aussprechen.

Erlauben Sie mir jedoch einen Hinweis: Noch besser wäre es gewesen, wenn die Antragsteller, wie bei diesem Thema üblich, etwas früher das Gespräch gesucht hätten. Wir hätten dann vielleicht die Chance für eine gemeinsame Resolution gehabt, um hier ein noch deutlicheres Zeichen zu setzen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das Gute darf nie wieder schweigen in Deutschland. Nie wieder dürfen Hass und Zwietracht unsere Gesellschaft entzweien. Die

Bilder von brennenden israelischen Fahnen in unserem Land, von hasserfüllten Parolen gegen Juden und von plumper Gewalt haben uns betroffen gemacht, haben uns an dunkle Kapitel unserer Geschichte erinnert, haben uns fassungslos zurückgelassen.

Antisemitismus in unserem Land ist viel älter als der Nationalsozialismus, und er hat diesen ganz offensichtlich auch überlebt. Lange Zeit hat er eher unauffällig am Boden geschwelt, um immer wieder mit aller Stärke auszubrechen. Fremdenfeindlichkeit, Aggressivität, Gewaltbereitschaft, Hetze und Propaganda, ja sogar offener Antisemitismus sind unübersehbar gestiegen.

Was hier besonders alarmierend ist: Wir reden nicht mehr ausschließlich über Gruppen am Rand der Gesellschaft, sondern es geht teilweise auch schon bis mitten in unsere Gesellschaft hinein.

Wenn Menschen anderen Glaubens in unserem Land wieder Angst haben müssen, wenn das Wort „Jude“ auf den Schulhöfen wieder ein Schimpfwort geworden ist, dann ist es Zeit, aufzustehen, Farbe zu bekennen und die geistigen Brandstifter deutlich zu benennen und zu entzaubern.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Das gilt übrigens auch für andere Übergriffe – auf Frauen, auf Geflüchtete, auf Politiker, auf Fremde und Andersdenkende. Menschen, die in unserem Land, in unserer Gesellschaft in Frieden leben wollen, müssen sich sicher und willkommen fühlen können und dürfen.

Dass die aktuellen Ereignisse mit dem jüdischen Chanukka-Fest und dem Beginn des Festjahres zum 70. Jahrestag der Staatsgründung Israels einhergehen, ist nur die traurige Spitze. Hier sage ich: Wehret den Anfängen! An Hass gegen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger dürfen wir uns nicht gewöhnen. Für Antisemitismus ist kein Platz im 21. Jahrhundert, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD, der CDU und der FDP)

Natürlich ist der Umgang mit Mitmenschen jüdischen Glaubens immer auch ein Spiegelbild für den Umgang mit unserer Geschichte. Aber Antisemitismus können wir nicht nur auf den Straßen sehen; wir müssen auch einen Blick auf das Internet richten. Der digitale Judenhass ist seit Langem weit verbreitet, sei es in Form kruder Verschwörungstheorien oder offenen Fremdenhasses.

Weit verbreitet ist mittlerweile auch der sogenannte sekundäre Antisemitismus, eine Art Erinnerungsabwehr gegenüber der Shoah, eine Verharmlosung und Banalisierung des Holocaust, die dessen Dimension entwirklicht. Auch hiergegen müssen wir ent

schieden vorgehen. Der Holocaust darf nicht relativiert werden. Das sind wir unseren jüdischen Freundinnen und Freunden, aber auch unserer Geschichte schuldig.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Geistige Brandstifter sind leider auch wieder in den Parlamenten unseres Landes zu finden. Deswegen möchte ich an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Wer in der heutigen Zeit Hass gegen vermeintlich andere befeuert, wer das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin als Denkmal der Schande bezeichnet, wer mit Bewegungen wie Pegida, die mit Galgen für die Bundeskanzlerin und den Außenminister aufmarschieren, sympathisiert, wer an Grenzen auf unschuldige Kinder, Frauen und Familien schießen will, der hat den demokratischen Konsens der anständigen Politiker verlassen.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Im Angesicht dieser Ereignisse dürfen Demokraten verschiedener politischer Couleur nicht darüber nachdenken, was sie trennt. Wir sollten vielmehr hervorheben, was uns eint, nämlich der Glaube an unseren Staat, in dem alle Menschen in Freiheit, Sicherheit und Frieden miteinander leben können.

Deutschland – und in besonderem Maße NordrheinWestfalen – hat sich auf den nicht immer leichten Weg der Annäherung an Israel begeben. Es ist teils ein steiniger Weg, der auch nicht immer frei von Rückschlägen war. Namen wie Johannes Rau sind untrennbar mit der Aussöhnung verbunden. So werden wir unserer geschichtlichen Verantwortung gerecht.

Es gibt in Nordrhein-Westfalen mittlerweile wieder zahlreiche jüdische Gemeinden mit rund 28.000 Mitgliedern. Das Land unterstützt diese Gemeinden bei der Bewältigung ihrer Aufgaben in der Tradition des Judentums. Jüdische Gemeinden sind zu einem festen Bestandteil im täglichen Leben unseres Landes geworden. Das ist ein Ergebnis der Arbeit von Generationen, die sich gegen alle Widrigkeiten die Hand gereicht haben. Das lassen wir uns nicht kaputt machen.

Das heißt jedoch nicht – auch das will ich ganz ausdrücklich betonen –, dass man keine Kritik an der Politik Israels oder an Entscheidungen des amerikanischen Präsidenten üben darf. Auch das gehört zu einer Freundschaft, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Wir können aber auch nicht leugnen, dass wir in bewegten Zeiten leben. Viele Errungenschaften unserer Gesellschaft werden infrage gestellt. Das ist auch eine Folge davon, dass es viele Menschen gibt, die

sich nicht mehr mitgenommen fühlen, die sich einen Kompass an die Hand wünschen, die sich abgehängt fühlen. Um diese Menschen müssen wir uns wieder vermehrt kümmern.

Aber die Antworten auf die Herausforderungen der heutigen Zeit sind doch wahrlich nicht im völkischen Gedankengut zu finden. Die Lehre aus zwei Weltkriegen kann kein Zurück sein, sondern muss „nie wieder“ heißen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Lassen Sie mich ganz klar in Richtung des so oft gescholtenen Europas sagen: Eine der größten Errungenschaften der Europäischen Union sind Jahrzehnte des Friedens. Eine der großen Errungenschaften ist, dass meine Generation und die Generation meiner Kinder Krieg nie am eigenen Leib erdulden mussten.

Unterstützung verdient in diesem Zusammenhang die Initiative von Bundesjustizminister Heiko Maas und Bundesinnenminister Thomas de Maizière, einen Antisemitismusbeauftragten zu benennen. Dieser Beauftragte soll insbesondere die existierenden Maßnahmen gegen Judenfeindlichkeit koordinieren. Vielleicht könnten wir diese Idee auch gemeinsam für Nordrhein-Westfalen aufgreifen.

(Beifall von der SPD)

Lassen Sie mich ergänzen: Die beste Prävention gegen Antisemitismus ist immer noch ein gutes Bildungssystem.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns im Namen der demokratischen Parteien heute aus dem Hohen Hause hier ein klares Signal nach außen senden. Lassen Sie uns zeigen, dass wir Demokraten bei diesem Thema Seite an Seite stehen. Lassen Sie uns ein klares Signal der Solidarität und der Freundschaft an unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Nordrhein-Westfalen und in der ganzen Republik senden. Lassen Sie uns dieses Signal gemeinsam mit politischen Maßnahmen füllen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kutschaty. – Für die Grünen hat nun Frau Schäffer das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Gestern war der letzte Abend des achttägigen Chanukka-Festes. Auch hier im Landtag wurde auf Einladung des Präsiden

ten die Entzündung der dritten Kerze der Chanukkia, des acht- bzw. neunarmigen Leuchters, gefeiert.

Chanukka ist eigentlich ein freudiges Ereignis im Judentum; denn die Jüdinnen und Juden feiern mit dem Chanukka-Fest den Sieg der Makkabäer und die Wiedereinweihung des zweiten Jerusalemer Tempels im Jahr 164 vor Christus.

Aber Chanukka steht auch noch für etwas anderes. Chanukka ist auch das Symbol für ein lebendiges jüdisches Leben, das trotz Verfolgung und Pogrom seit der Antike über die furchtbare Vernichtungspolitik in der NS-Zeit bis hin zu aktuellen Erscheinungsformen des Antisemitismus immer wieder neu aufgebaut wurde.

Ich und wir – ich denke, ich darf das so sagen – sind froh, dass Nordrhein-Westfalen heute wieder Heimat von vielen Jüdinnen und Juden ist.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD – Vereinzelt Beifall von der FDP)

In diesem Jahr fanden die öffentlichen ChanukkaFeierlichkeiten unter einem ganz besonderen Schutz statt. Ähnlich wie im Jahr 2014 während des GazaKriegs erleben wir derzeit wieder einen offenen Antisemitismus einiger Menschen palästinensischen und arabischen Hintergrunds bei Protesten hier in Deutschland. Es ist bedauerlich, es ist aber auch verständlich, dass die Jüdische Gemeinde DuisburgMülheim ihre öffentliche Chanukka-Feier aus Sicherheitsbedenken abgesagt hat.

Ich will aber auch deutlich machen, dass ich hohes Vertrauen in die Sicherheitsbehörden in NordrheinWestfalen habe. Die Sicherheitsbehörden – die Polizei und der Verfassungsschutz – tun alles dafür, dass die Einrichtungen und Feierlichkeiten der jüdischen Gemeinden geschützt werden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU, der SPD und der FDP)

Bei antisemitischer Gewalt in Nordrhein-Westfalen in den letzten 20 Jahren denke ich ganz besonders an zwei Ereignisse: Einmal denke ich an den Brandanschlag von drei jungen Männern mit palästinensischem Hintergrund auf die Synagoge in Wuppertal in der Nacht vom 28. auf den 29. Juli 2014. Ich denke aber auch an den Anschlag auf Menschen jüdischen Glaubens in Düsseldorf-Wehrhahn im Jahr 2000. Dabei wurden zehn Menschen verletzt, und ein ungeborenes Kind wurde getötet. Vor zwei Wochen erst wurde Anklage gegen den mutmaßlichen Täter, einen Neonazi, erhoben.

Diese beiden Beispiele machen sehr deutlich, dass der Antisemitismus in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen und aus den unterschiedlichsten politischen Motiven auftritt.

Es gibt den Antisemitismus unter einigen Menschen mit arabischem oder palästinensischem Hintergrund, der auch im Kontext des Nahostkonflikts zu sehen, aber nicht zu rechtfertigen ist.

Es gibt den Antisemitismus als Kernbestandteil des Rechtsextremismus, auch wenn manche rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien vorgeben, sich davon zu distanzieren, um im selben Atemzug gegen Musliminnen und Muslime zu hetzen.

Es gibt antisemitische Vorurteile, die mal offen und mal versteckt, zum Beispiel als Israel-bezogener Antisemitismus, in weiten Teilen der Bevölkerung – auch in linken Milieus – zutage treten.

Gegen alle Formen dieses Antisemitismus müssen wir vorgehen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU, der SPD und der FDP)