Protocol of the Session on November 30, 2017

Der Prüfungsdruck begleitet einen durchs ganze Studium und wird zur Dauerbelastung. Dieser Prüfungsdruck erzeugt Angst und Verunsicherung. In Zahlen ausgedrückt: 20 % der Studenten kommen gut mit dem neuen System zurecht. 40 bis 50 % sind verunsichert und versuchen, irgendwie Schritt zu halten. Weitere 30 bis 40 % haben ernsthafte Schwierigkeiten.

Verunsichert sind nicht nur die Studenten und Studentinnen, sondern auch die Dozenten und Professoren, wissen sie doch manchmal selbst nicht, wie viele Credit Points sie wem für welche Leistung geben sollen.

Die Auswirkungen sind nicht nur am psychischen Zustand der Studenten und Studentinnen abzulesen, sondern zeigen sich auch an immer höheren Abbrecherquoten. Und wenn sie dann ihr Bachelorexamen absolviert haben, müssen sie sich erneut für einen Masterplatz bewerben, den viele gar nicht bekommen. Auch so kann man das Abitur entwerten.

Und nun, da die ersten Absolventen solcher Studiengänge im Berufsleben angekommen sind, müssen auch die früheren Befürworter des Bologna-Unwesens aus der Wirtschaft zugeben, sich vollkommen vergaloppiert zu haben.

Der ehemalige Personalvorstand der Telekom, Thomas Sattelberger – heute für die FDP im Bundestag –, beklagte bereits 2012, die Wirtschaft brauche kreative Geister und keine reinen – Zitat – „Lernautomaten“. Unternehmen seien auf der Suche nach Persönlichkeiten, nicht nur nach Absolventen.

Dem pflichtete der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz bei: „Ein Bachelor in Physik ist nie im Leben ein Physiker“, erklärte Professor Hippler. Anders als einst mit dem Diplom liege damit keine Berufsqualifikation vor, sondern allenfalls eine Berufsbefähigung.

Dass außerdem auch noch das Kernziel des Bologna-Prozesses, nämlich die Annäherung der europäischen Studiengänge aneinander, gescheitert ist, macht diese Bologna-Unternehmung nun zu einer vollkommenen Farce.

Sie werden in Ihren Erwiderungen vermutlich wieder die gleichen Saiten Ihrer Anti-AfD-Leier zupfen: Der Antrag sei rückwärtsgewandt und atme das Bewusstsein nationaler Alleingänge.

(Zuruf von der FDP: Richtig!)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wenn man sich verrannt hat – ob real oder metaphorisch gemeint –, dann tut man gut daran, sich durch einen Blick zurück zu vergewissern, an welcher Stelle des Weges man in unwegsames Gelände geraten ist.

(Matthias Kerkhoff [CDU]: Wer hält Sie denn davon ab, das zu tun?)

Wenn man eine Reform im ursprünglichen Sinne des Wortes vernünftig durchführen will, muss man sich erst der Ursprungsform versichern, damit man die Deformierung wieder ausbessern kann

Vielleicht darf ich im Reformationsjahr einmal an Martin Luther erinnern, der durch den Blick zurück auf die Urschrift des Christentums, das Neue Testament, die Deformation in der damaligen Kirche analysieren und öffentlich diskutieren konnte.

Der Blick zurück bedeutet nicht Rückwärtsgewandtheit, sondern bedeutet die Bereitschaft, sich auf das zurückzubesinnen, was zum Wesentlichen einer Form gehört. Zum Wesentlichen dringt der vor, der zu den Quellen zurückgeht. „Ad fontes“ war der Schlachtruf der Humanisten des 16. Jahrhunderts. „Ad fontes“ war der Grundsatz Luthers. Sie sollten ihn beherzigen.

Und Europa? Besinnen Sie sich darauf, dass Europa eine Sinfonie unterschiedlicher Kulturen und Traditionen ist, die erst dann ihre Klangfülle entfalten kann, wenn wir diese Kulturen und Traditionen achten, ehren und respektieren. Dazu gehört auch die deutsche Bildungstradition mit ihren bisher weltweit anerkannten Universitäten.

Ihre Parteifreunde in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern haben sich bereits besonnen und die Bereitschaft gezeigt, Konsequenzen aus dem BolognaDesaster zu ziehen. Zeigen Sie einfach innerparteiliche Solidarität, aber beenden Sie vor allem die fürchterliche Situation für Studenten und Dozenten. – Vielen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank, Herr Seifen. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Tigges.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es hier wieder einmal mit einem Antrag der AfD zu tun, der ausschließlich rückwärtsgewandt ist.

(Heiterkeit und Zurufe von der AfD)

Uns wundert das nicht, da doch die Programmatik der AfD heißt: Früher war alles besser.

(Helmut Seifen [AfD]: Genau! Ja!)

Was interessiert uns die Zukunft? Was interessieren uns Europa und die Welt?

(Beifall von der CDU und der FDP)

Durch diesen Antrag versucht die AfD erneut, Brücken nach Europa abzubauen, anstatt sie zu intensivieren. Isoliert sollen wieder Einzellösungen für die Hochschulen in NRW geschaffen werden. Das ist eine antieuropäische Politik, die von der CDUFraktion ausdrücklich nicht mitgetragen wird.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Markus Wag- ner [AfD])

Nordrhein-Westfalen hat eine europaweit einzigartige Hochschul- und Forschungslandschaft, die weit über die Landesgrenzen hinaus Ideengeber und Motor für gesellschaftlichen, aber auch wirtschaftlichen Fortschritt ist. Dieses international sichtbare Profil wollen wir, die NRW-Koalition, weiter schärfen, um die besten Studenten für Nordrhein-Westfalen zu gewinnen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ihr Vorschlag wäre ein Rückschritt und würde die Attraktivität und den Fortschritt des Hochschulstandorts NRW gefährden.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Markus Wag- ner [AfD])

Die Bologna-Reform hat den Hochschulstandort NRW im Herzen Europas noch attraktiver und wettbewerbsfähiger gemacht. Sie ist Teil eines europäischen Einigungsprozesses, dem sich die CDU ausdrücklich verpflichtet fühlt.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Die NRW-Koalition hat daher nicht nur den Anspruch, Motor dieses Prozesses zu bleiben, sondern insbesondere auch den gemeinsamen europäischen Hochschulraum dahin gehend fortzuentwickeln und unseren Studenten Internationalität zu ermöglichen.

Sie schreiben in Ihrem Antrag mit negativer Prägung, dass 87 % der Studiengänge deutschlandweit zu einem Bachelor- und Masterabschluss führen. Ich muss sagen: Das finde ich gut. Das ist eine erfolgreiche Umsetzung der Bologna-Reform.

Die Reform hat für die Hochschulen auch eine Chance geboten, verkrustete Strukturen zu hinterfragen und aufzubrechen, Studienpläne zu entrümpeln und auf einen aktuellen Stand zu bringen. Auch neue Berufsfelder wurden angedockt und Studiengänge geschaffen, die mehr Praxisanteile integrieren. Gerade diese Praxisnähe in Kooperation mit den Hochschulen begrüßen doch unsere Unternehmen. Lernziele sind klarer an den Anforderungen der Wirtschaft ausgerichtet und erleichtern Absolventen den Einstieg in die Berufswelt.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Gerade am Wochenende wurde mir dies noch in Gesprächen mit Vertretern einer Fachhochschule, eines Berufskollegs und von international tätigen Firmen bestätigt und auch erwähnt, dass die Zahl der Studienabbrecher, die berufsbegleitend den Bachelor oder Master machen, gegen null geht.

Die Mobilität der Studenten in Europa wird durch Bologna erleichtert. Die Abschlüsse auf Basis einheitlicher Bewertungssysteme sind anerkannter, sie sind vergleichbarer geworden. Das hat auch zu einem großen Fortschritt der Akzeptanz bei ausländischen Arbeitgebern geführt.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Umgekehrt gilt das ebenso für ausländische Studenten bei uns.

Sie haben es geschildert: Der Bachelor ist das Grundstudium mit einem vollwertigen Abschluss nach rund drei Jahren. Der Master bietet auch eine Erweiterung mit Wahlmöglichkeiten zwischen Modulen. Dadurch ist vielleicht auch eine flexiblere Karriereplanung für die Studenten möglich.

Ich gebe durchaus zu: Kein System ist so gut, dass man es nicht auch verbessern kann. Daher sollte man konstruktive Kritik ernst nehmen und das System in Zusammenarbeit mit den Hochschulen fortentwickeln, aber nicht, wie Sie es wollen, rückabwickeln.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Ja, man muss sicherlich auch sehen, dass die heutigen Schulabgänger jünger sind und oftmals eine gewisse persönliche Reife für ein anstrengendes Studium fehlt. Das mag sein.

Für manch einen ist der Weg über eine Berufsausbildung mit anschließendem Studium vielleicht der richtige Weg. Daher müssen wir mit den weiterführenden Schulen daran arbeiten, die Studierfähigkeit der Schulabgänger zu verbessern, und Schülerinnen und Schüler bereits in den weiterführenden Schulen besser bei der Studien- und Berufswahl beraten und begleiten.

Meine Damen und Herren, wir werden die im Koalitionsvertrag klar festgeschriebene Fokussierung auf

eine Verbesserung der Studienbedingungen, eine stabile Finanzierung der Hochschullandschaft, einen gelingenden Wissenstransfer und eine starke Internationalisierung umsetzen. Blicken wir also nach vorn und nicht zurück! – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Markus Wag- ner [AfD])

Vielen Dank, Herr Tigges. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Bell.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich mache es heute relativ kurz: So viel Sehnsucht nach gestern war selten. Wir haben die Zukunft unseres Hochschulsystems im Blick,

(Markus Wagner [AfD]: Wir auch!)