Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bolte-Richter, Sie scheinen die eigenen Taten irgendwie sehr glorreich in Erinnerung zu behalten.
Ich konnte es hier gestern schon einmal ausdrücken: Die Forschungs- und Entwicklungsquote in Nordrhein-Westfalen, die im Wesentlichen von den Unternehmen getragen worden ist, ist während Ihrer Regierungszeit von 2,1 auf 1,9 % gesunken, während sie bundesweit von 2,8 auf 3 % gestiegen ist.
Das heißt, in der Zwischenzeit haben Sie die Rahmenbedingungen nicht gesetzt, damit sich die Industrie hier erfolgreich entwickeln konnte. Das wollen wir doch einmal festhalten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie Sie aus den vergangenen Debatten wissen, beeinflussen viele Faktoren die Lage bei thyssenkrupp Steel Europe. Die Coronapandemie, eine nachlassende Konjunktur, Überkapazitäten auf dem Weltstahlmarkt und sich verschärfende Rahmenbedingungen für die europäische Stahlindustrie sind Gründe für die wirtschaftlichen Herausforderungen des Unternehmens.
Hinzu kommen die finanziellen Folgen unternehmerischer Fehlentscheidungen in der Vergangenheit und Pensionslasten in Milliardenhöhe. Diese werden den Konzern auf absehbare Zeit noch belasten.
Nach dem erfolgreichen Verkauf der Aufzugsparte, dem damaligen Tafelsilber des Konzerns, waren alle Beteiligten der Hoffnung, thyssenkrupp habe die schlimmste Krise überwunden und verfüge über die notwendigen Mittel, um den Umbau der Stahlsparte mit dem Ziel „Klimaneutralität“ voranzutreiben. Die Umsatzeinbrüche als Folge der Coronapandemie – das hat die Bilanzpressekonferenz gezeigt – haben dies jedoch verhindert.
Uns allen ist klar, dass die deutsche Stahlindustrie allein mit eigenen Anstrengungen keinen Ausweg aus dieser Krise finden wird. Deshalb ist hier, wie von den Fraktionen von CDU und FDP gefordert, eine Begleitung des Prozesses durch Bund und Land und vor allen Dingen durch die Europäische Union notwendig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit das für die Landesregierung klar ist: Wir brauchen in Nordrhein-Westfalen, in Deutschland den modernsten Stahl der Welt.
Wir wollen, dass dieser modernste Stahl so klimafreundlich, so wirtschaftlich und damit so nachhaltig wie möglich auch in Zukunft bei uns produziert wird. Das ist unsere Zielsetzung.
Die Landesregierung ist der Auffassung, dass die Probleme des Unternehmens, anders als von der SPD-Fraktion gefordert, nicht einfach mit einer staatlichen Beteiligung zu lösen sein werden. Vielmehr geht es vorrangig darum, unter Berücksichtigung der Wettbewerbsbedingungen neue Modelle im Stahlsektor zu erarbeiten.
Wir teilen die Auffassung, dass dabei ein starker Partner jetzt oder in Zukunft sehr hilfreich sein könnte. Zum einen gilt es deshalb, das vorgelegte Angebot der LIBERTY Steel Group zur möglichen Übernahme der Stahlsparte von thyssenkrupp seitens des Unternehmens ebenso sorgfältig zu prüfen wie andere nationale oder europäische Partnerschaften. Wir sehen, dass es einiges an Bewegung gibt und sich auch andere Unternehmen fragen, wie sie in Europa in Anbetracht der Rahmenbedingungen eine gute Zukunft finden können.
Zum anderen braucht es für den Umbau der Stahlindustrie verlässlicher Rahmenbedingungen und wirksamer öffentlicher Hilfen. Hierbei sehe ich zehn Handlungsfelder, die ich Ihnen kurz darlegen möchte.
Erstens. Die Landesregierung sieht die Nutzung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds als einzig gangbaren Weg für eine kurzfristige finanzielle Unterstützung zur Bewältigung der pandemiebedingten Herausforderungen des Unternehmens. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass das Unternehmen nicht schon vor der Coronapandemie sanierungsbedürftig war.
Konkret: thyssenkrupp dürfte per 31. Dezember 2019 kein Unternehmen in Schwierigkeiten gemäß der beihilferechtlichen Definition der EU-Kommission gewesen sein. Dies gilt es zu prüfen. Ein entsprechender Antrag des Unternehmens liegt zwar noch nicht vor, aber es gibt Vorgespräche, die das Land begleitet.
Zweitens. Überlegungen für eine Landesbeteiligung bei thyssenkrupp, wie die SPD es jetzt wiederholt zum Gegenstand der Diskussion gemacht hat, stehen allein schon aus rechtlichen Gründen erhebliche Hürden entgegen. Außerdem könnte sich eine staatliche Beteiligung negativ auf die notwendigen öffentlichen Hilfen auswirken, die bei der Transformation zur Klimaneutralität notwendig sind und auf die das Unternehmen in Zukunft, ebenso wie andere sicherlich auch, dringend angewiesen sein wird, wenn der Umbauprozess so schnell erfolgen soll, wie es die Märkte global notwendig machen könnten.
Drittens. Die Bundesregierung hat mit dem „Handlungskonzept Stahl“, das in Abstimmung mit der Stahlindustrie und den Gewerkschaften entwickelt wurde, ein umfassendes Handlungs- und Maßnahmenkonzept vorgelegt. Damit soll die deutsche Stahlindustrie vor dem Hintergrund der eingetretenen Umsatzeinbrüche unterstützt und ihr Umbau zu einer klimaneutralen Produktion auch durch finanzielle Beiträge begleitet werden.
Nordrhein-Westfalen und die anderen in der nationalen Stahlallianz zusammengeschlossenen Bundesländer haben dieses Handlungskonzept einhellig begrüßt und eine Beteiligung der Bundesländer bei den einzelnen Schritten angeboten.
Viertens. Auf unseren gemeinsamen Antrag hin wird die Bundesregierung in der Wirtschaftsministerkonferenz am kommenden Montagnachmittag über die ersten Schritte zur Umsetzung ihres „Handlungskonzepts Stahl“ berichten.
Wir haben mit unserer Beschlussvorlage die Bundesregierung aufgefordert, sich weiterhin für Maßnahmen zur Vermeidung von Carbon Leakage und zur Herstellung eines Level Playing Fields einzusetzen. Nur so kann dem Klimaschutz und den energie- und außenhandelspolitischen Herausforderungen der Stahlindustrie wirkungsvoll begegnet werden.
Fünftens. Wir fordern des Weiteren eine angemessene Förderung der investiven und operativen Kosten hin zu CO2-ärmeren Produktionsweisen durch die Europäische Union und den Bund. Hierzu benötigen wir allerdings eine verlässliche beihilferechtliche Flankierung.
Wichtig ist ebenfalls, dass wir bei den außenhandelspolitischen Rahmenbedingungen mit Blick auf das Auslaufen der derzeitigen Safeguard Measures in der Europäischen Union darauf hinwirken, dass das WTO-Recht so anzuwenden ist, dass die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit der Stahlindustrie in Deutschland gegen Dumping und nicht marktkonform staatlich finanzierte Wettbewerber aus Drittmärkten langfristig abgesichert werden kann.
Sechstens. Auf meine Initiative hin wird am 11. Dezember 2020 pandemiebedingt ein virtuelles HighLevel-Meeting zur Zukunft der Stahlindustrie stattfinden; sonst würde dieses Treffen als Präsenzveranstaltung in Duisburg stattfinden. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, Ministerpräsident Armin Laschet, Minister und Ministerinnen der Stahlländer, Sozialpartner und Vertreter der großen Stahlunternehmen in Deutschland haben ihre Teilnahme bereits zugesagt. Wir wollen auf dieser Konferenz über die Umsetzung des „Handlungskonzepts Stahl“ des Bundeswirtschaftsministers bzw. der Bundesregie
rung sprechen und den für das nächste Jahr geplanten Nationalen Stahlgipfel in Duisburg vorbereiten.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir unter Einbeziehung der Stahlunternehmen, Gewerkschaften und Politik wichtige Lösungsansätze für die anstehenden Probleme finden werden.
Siebtens. Es geht darum, mithilfe von zukunftsfähigen und innovativen Ansätzen für den Stahlstandort Nordrhein-Westfalen ein robustes und tragfähiges – also ökonomisch, sozial und ökologisch – wettbewerbsfähiges Modell zu entwickeln. Dafür wird Nordrhein-Westfalen zusammen mit dem Bund und der Europäischen Kommission der Branche insbesondere beim Umbau hin zum grünen Stahl helfen.
Achtens. Das Vorhaben thyssenkrupps, die Inbetriebnahme der ersten Direktreduktionsanlage zur Erzeugung von Stahl auf Basis von Wasserstoff am Standort Duisburg, wird die Landesregierung im Rahmen ihrer Möglichkeiten weiter unterstützen. Sie fördert dazu bereits die Erprobung der Wasserstoffeinspeisung in die Hochofenroute.
Das Unternehmen hat sich zudem erfolgreich bei der Bundesförderung der „Reallabore der Energiewende“ beworben und den Zuschlag erhalten. Damit kann dieses seitens des Landes Nordrhein-Westfalen geförderte Einstiegsprojekt im größeren Maßstab umgesetzt werden. Diese Umrüstung bedeutet einen ersten wichtigen Schritt auf dem Weg zur Klimaneutralität und einer zukunftsfähigen Stahlproduktion am Standort Nordrhein-Westfalen. Ich füge hier ausdrücklich hinzu, lieber Herr Bolte-Richter: Dem müssen weitere Schritte schneller folgen, als dies vom Unternehmen und auch von der Politik bisher gesehen worden ist.
Neuntens. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie Sie wissen, werden wir für die klimaneutrale Stahlproduktion auch große Mengen an Wasserstoff benötigen. Die Landesregierung unterstützt daher den Markthochlauf zielgerichtet.
Dafür wurde am 9. November ein umfangreiches strategisches Handlungskonzept, die WasserstoffRoadmap, in Nordrhein-Westfalen vorgelegt. Darin werden zentrale Rahmenbedingungen ebenso
adressiert wie notwendige Infrastrukturmaßnahmen, internationale Partnerschaften und Importstrategien. Branchenspezifische Zielmarken, insbesondere für die Stahlindustrie, dienen der konsequenten Umsetzung dieser Strategie. Uns wurde seitens der Unternehmer, der Industrie und der Gewerkschaften in Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus eine breite Unterstützung dieser Wasserstoff-Roadmap signalisiert.
Die Landesinitiative IN4climate.NRW unterstützt Unternehmen aus der nordrhein-westfälischen Industrie dabei, die Transformation in eine treibhausgasneutrale Wirtschaftsweise zu schaffen und dadurch ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und auszubauen. Die Bereitstellung von nachhaltigem Wasserstoff ist dabei ein Schwerpunktthema, und wir werden alles tun, auch mit unseren europäischen Nachbarn – wir haben das Thema gerade in der Regierungskonsultation mit den Niederlanden –, dass wir die Infrastruktur in den nächsten Monaten und Jahren auch schnell an den Start bekommen.
Zehntens. Wir werden uns ebenfalls gegenüber der Bundesregierung und der EU für die Schaffung der notwendigen regulatorischen Rahmenbedingungen hinsichtlich der wirtschaftlichen Nutzung und Bereitstellung von Wasserstoff sowie für den Aufbau und die Bereitstellung der Infrastruktur einsetzen. Der entsprechende Bundesratsbeschluss wurde auf Initiative Nordrhein-Westfalens erst kürzlich gefasst.
Die Landesregierung bemüht sich zudem, bei der Ausgestaltung des von der Bundesregierung im Rahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie angekündigten Pilotprogramms für Carbon Contracts for Difference in der Stahlindustrie mitzuwirken und dieses zeitnah für Stahlunternehmen auch in unserem Land zugänglich zu machen.
Lassen Sie mich abschließend festhalten: Der Stahl, meine Damen und Herren, gehört zur DNA des Industriestandortes Nordrhein-Westfalen. Darin werden wir nicht nur übereinstimmen, sondern das wird auch in Zukunft so bleiben.
Aber damit das so bleiben kann, muss sich auch die Industrie ein Stück weit neu erfinden. Dieser wollen wir helfen, damit der modernste und umweltfreundlichste Stahl aus Nordrhein-Westfalen kommt und den Beschäftigten zukunftsfähige Arbeitsplätze geboten werden. Damit das gelingt, werden wir alles in unseren Möglichkeiten Stehende tun, um den Umbauprozess, der jetzt ansteht, so verantwortungsvoll und nachhaltig wie möglich zu unterstützen.
Ich füge ergänzend hinzu: Wir werden um jeden einzelnen Standort ringen, und wir werden insbesondere darum ringen müssen, dass es im Sinne der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sozial fair zugeht, dass wir den Standorten gute Perspektiven eröffnen und dass wir den Stahl, den wir hier in Zukunft haben wollen, so modern, so umweltfreundlich und so wirtschaftlich wie möglich herstellen können, damit er uns auch in Zukunft nachhaltig zur Verfügung steht. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist sehr, sehr gut, dass wir das Thema „thyssenkrupp“ und das Thema „Stahl“ heute noch einmal auf die Tagesordnung gesetzt haben. Schließlich ist in der Debatte klar geworden, dass es diesbezüglich und auch bezüglich dessen, was in der Vergangenheit passiert ist und jetzt getan werden muss, unterschiedliche Wahrnehmungen gibt.