Protocol of the Session on November 27, 2020

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie zu unserer heutigen, der 110. Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen. Mein Gruß gilt den Gästen auf der Zuschauertribüne, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien sowie den Zuschauerinnen und Zuschauern an den Bildschirmen.

Die Namen der für heute entschuldigten Abgeordneten werden entsprechend in das Protokoll aufgenommen.

Vor Eintritt in die Tagesordnung: Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, die heutige Tagesordnung um einen Tagesordnungspunkt 2 neu mit dem Titel „Feststellung der epidemischen Lage von landesweiter Tragweite gemäß § 11 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung besonderer Handlungsbefugnisse im Rahmen einer epidemischen Lage von landesweiter Tragweite und zur Festlegung der Zuständigkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz (Infektions- schutz- und Befugnisgesetz – IfSBG-NRW)“ Drucksache 17/11990 zu ergänzen.

Eine Aussprache zu diesem neuen Tagesordnungspunkt soll nicht stattfinden. Die übrigen Tagesordnungspunkte verschieben sich entsprechend.

Wir kommen somit zur Aktuellen Stunde.

1 ThyssenKrupp – Die Deindustrialisierung

NRWs geht weiter voran. Was macht die Landesregierung, um die Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen wettbewerbsfähig zu halten?

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der AfD Drucksache 17/11895

In Verbindung mit:

Corona-Krise gefährdet die Zukunft einer modernen Stahlindustrie an Rhein und Ruhr – den Ausverkauf der Stahlsparte von ThyssenKrupp verhindern

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/11896

In Verbindung mit:

Weiterer Stellenabbau bei ThyssenKrupp – Arbeitsplätze möglichst weitgehend erhalten und Unternehmenstransformationsprozess begleiten und unterstützen

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 17/11897

Die Fraktion der AfD, die Fraktion der SPD sowie die Fraktionen von CDU und FDP haben jeweils mit Schreiben vom 23. November gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu einer aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der AfD dem Abgeordneten Loose das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Tausende Arbeitsplätze werden abgebaut, Tausende Familien sind in ihrer Existenz bedroht.

Die Zahlen der Bilanzpressekonferenz von thyssenkrupp haben uns alle erschüttert. Deshalb ist es an der Zeit, nach Lösungen zu suchen. Aber bevor wir damit anfangen, müssen wir natürlich wissen, was der Kern des Problems ist. Warum ist thyssenkrupp überhaupt in Schieflage geraten?

Das ganze Drama bei thyssenkrupp fing vor mehr als zehn Jahren an, als sich die Manager in Brasilien verspekuliert haben. Milliarden wurden versenkt. Damals hatte man trotzdem noch ein gutes Finanzpolster, sodass das Unternehmen das hätte auffangen können. Aber in dieser Situation kamen Probleme in Deutschland dazu, Probleme, die von den Politikern verursacht wurden. Es kam zum überhasteten Kernenergieausstieg, es kam zum ideologischen Kohleausstieg, beides Geschäftsfelder von thyssenkrupp; denn beim Bau von Kraftwerken braucht man sehr viel Stahl. Doch dieses Geschäftsfeld wurde politisch zerstört, auch mit der Hilfe von Minister Herrn Pinkwart und dem Ministerpräsidenten Herrn Laschet.

Die Menschen, die jetzt um ihren Arbeitsplatz fürchten, sind auch die Opfer Ihrer Politik, Herr Pinkwart.

Aber auch ein zweites Geschäftsfeld von thyssenkrupp wurde politisch zerstört. Das ist der Automobilsektor. Dieser wird systematisch aus Brüssel durch Ihre Freundin Frau von der Leyen zerstört. Dazu nimmt man beispielsweise einfach absurde Werte für den Benzinverbrauch, die kein Auto technisch mehr erfüllen kann, oder die neue EU-Norm 7, die kommen und dafür sorgen soll, dass die Abgaswerte so gering sind, dass sie eigentlich nicht einmal mehr messbar sind. Man reguliert damit die Automobilindustrie kaputt. Milliarden Strafen aus der EU drohen.

So ist es nicht verwunderlich, dass neben VW inzwischen auch BMW angekündigt hat, Fabriken für Verbrennerautos nur noch im Ausland zu bauen. Während Sie hier vom E-Auto träumen, hat die knallharte Realität Einzug in die Automobilbranche erhalten.

Vor zwei Tagen erreichte uns die nächste Schicksalsnachricht. Wieder gibt es eine Insolvenz bei einem Automobilzulieferer. Diesmal trifft es 350 Mitarbeiter in Drolshagen bei der Firma Huhn. Immer weniger Autos, die in Deutschland produziert werden, immer weniger Zuliefererbetriebe.

Alle brauchen weniger Stahl für ihre Maschinen, alle brauchen weniger Stahl für ihre Produkte. Auch das belastet dann thyssenkrupp.

Damit haben wir drei zentrale Punkte für den Niedergang von thyssenkrupp ermittelt. Erstens: Managementversagen in Brasilien. Zweitens: Politische Zerstörung des Kraftwerkmarktes. Drittens: Politische Zerstörung der Automobilindustrie.

Jetzt, wo wir die Probleme kennen, sollten wir uns einmal die Lösungen, die auf dem Tisch liegen, anschauen. Eine vermeintliche Lösung der SPD ist, der Staat sei der bessere Unternehmer und müsse bei thyssenkrupp einsteigen.

Erstens löst das die politische Zerstörung der Geschäftsfelder von thyssenkrupp nicht, und zweitens hat der Staat schon mehrfach bewiesen, dass er eben nicht der bessere Unternehmer ist. Bestes Beispiel ist der Kauf von STEAG durch einige Ruhrgebietsstädte, Ruhrgebietsstädte hauptsächlich mit SPD-Beteiligung. Ergebnis dieser Übernahme von STEAG: Tausende verlieren ihren Job, und die Kommunen haben mehrere 100 Millionen Euro versenkt, mehrere 100 Millionen Euro Steuerzahlergelder von den Fleißigen, die das alles in Deutschland wieder erwirtschaften müssen.

Die nächste Lösung durch die anderen Parteien hier: Sie wollen thyssenkrupp dazu zwingen, teurer zu produzieren, indem diese Wasserstoff im Produktionsprozess einsetzen. Mehrkosten: 30 %. Ganz im Ernst, jeder ehrliche Kaufmann würde Sie jetzt fassungslos anschauen und sich fragen, wie es einem Unternehmen helfen soll, seine Produkte zu verkaufen, wenn die Produktion immer teurer wird.

Aber Sie haben ja schon eine Lösung: Sie schütten mehrere Milliarden Euro an thyssenkrupp aus, und die freuen sich: – Ja, dann machen wir beim Wasserstoff mit. – Abgesehen davon wissen Sie noch nicht einmal, woher der Wasserstoff kommen soll. Auch diese vorgebrachte – vermeintliche – Lösung löst die Probleme bei den zerstörten Geschäftsfeldern nicht. Die richtige Lösung wäre also:

Erstens. Stärkung der Stromversorgung durch ein Kraftwerksprogramm, in dem technologieoffen versorgungssichere Leistung für die Stromversorgung ausgeschrieben wird.

Zweitens. Stärkung der Automobilindustrie durch ein Einfrieren der EU-Abgasnorm auf den Stand der EUNorm 6 und Wegfall aller Verbrauchsvorgaben für die Autos. Denn kein Autohersteller kann die sogenannten CO2-Vorgaben – es geht ja um die Vorgaben, wieviel Benzin verbraucht werden darf – noch erfüllen.

Die Menschen wählen jeden Tag. Wir haben eine direkte Demokratie. Die wissen, was sie kaufen wollen. Die kaufen Ihre Elektroautos nicht. Weltweit machen Elektroautos nur einen Anteil von 0,67 % aus – da sind auch schon die Hybridautos mitberücksichtigt. Die Menschen wissen, was sie kaufen wollen. Sie wollen Ihre Elektroautos nicht. Sie wollen Verbrennerautos, mit denen man sicher durch die Stadt fahren oder auch einmal eine längere Reise auf das Land unternehmen kann. Also: Stärken Sie die Automobilindustrie, statt sie zu schwächen.

Drittens. Reduzierung der Ausschreibung für Stahlprodukte auf Länder, die faire Wettbewerbsbedingungen einhalten. Wir dürfen uns nicht mehr auf das Stahldumping durch die chinesischen Kommunisten einlassen. Ein Desaster wie bei der Leverkusener Brücke darf es nicht mehr geben.

Wenn Sie diese drei Dinge beherzigen, dann können die Arbeitsplätze der Mitarbeiter in der Automobilindustrie, in den Kraftwerken und auch bei thyssenkrupp erhalten bleiben. Zehntausende Familien mit Beschäftigten bei thyssenkrupp, zehntausende Familien im Automobilbereich würden es Ihnen danken. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Stinka das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann für uns Sozialdemokratinnen sagen, dass wir stolz auf unsere moderne, innovationsstarke Stahlindustrie sind, die in den vergangenen Jahren Milliarden Euro in neue Technologien und Anlagen investiert hat und damit heute zu den saubersten und innovativsten Unternehmen der Welt gehört.

Unser Stahl leistet einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz und zur Energiewende. Denn viele Innovationen – beispielsweise bei der Windkraft oder bei leichteren Werkstoffen für die Automobilindustrie – wären ohne unseren modernen Stahl aus NordrheinWestfalen gar nicht möglich.

Kolleginnen und Kollegen, ist es vor diesem Hintergrund nicht erschreckend, dass 27.000 Beschäftigte bei thyssenkrupp nicht wissen, wie es für sie weitergeht, und um ihren Job bangen? Denn der Konzern hat angekündigt, dass neben den bereits geplanten

6.000 Stellenkürzungen ein weiterer Abbau von 5.000 Stellen angedacht ist. Wo bleibt da die Zukunftsperspektive?

Wir Sozialdemokratinnen kämpfen dafür, eine moderne Stahlindustrie als Kern industrieller Wertschöpfungsketten in Nordrhein-Westfalen in relevanter Größe zu erhalten und zu modernisieren. Es geht uns um jeden einzelnen Arbeitsplatz – sowohl in der Stahlindustrie als auch in den dahinter hängenden Wertschöpfungsketten. Das ist für uns in der SPDFraktion keine Nostalgie. Denn wer über Zukunft spricht, der muss Zukunft mit den Menschen gestalten.

(Beifall von der SPD)

Gerade Stahl ist ein Grundstoff für Zukunftstechnologien und -märkte. Besonders im Hinblick auf das Funktionieren von Wertschöpfungsketten – sei es in der Automobilindustrie, sei es in der Windenergie oder bei der Elektromobilität. Stahl hat in all den Bereichen, über die wir heute sprechen, in der Vergangenheit gesprochen haben und in der Zukunft sprechen werden, eine Schlüsselrolle – gerade auch bei der Wasserstoffnutzung.

Deshalb darf es nicht sein, dass unser Stahl von Stahl, der unter schlechteren Arbeitsbedingungen – ich betone noch einmal: Arbeits- und Umweltbedingungen – produziert wird, vom Markt verdrängt wird. Fairer Wettbewerb sieht anders aus.

Die Verfehlungen und das Missmanagement, die zu mehr als dieser brisanten Situation bei thyssenkrupp Steel geführt haben, haben wir im Plenum und im Wirtschaftsausschuss hinlänglich erörtert und diskutiert. Deshalb möchte jetzt gar nicht näher darauf eingehen. Dazu beigetragen hat die Expansion in Brasilien und auch in den USA, bei der Milliarden Euro verbrannt worden sind. Wer hat daran mitgewirkt, Kolleginnen und Kollegen? – Der frühere thyssenkrupp Stahlchef Premal Desai. Wer jetzt bei den Verhandlungen an Zufälle glaubt oder dies auch nicht tut, der muss es schon mehr als verwunderlich finden, dass ausgerechnet dieser frühere Ex-Chef nun im Führungsgremium der Liberty Steel sitzt, die ein Kaufangebot abgegeben hat. Ob das für die Verhandlungen vielversprechend, gut oder schlecht ist, mag man doch bezweifeln.

Kolleginnen und Kollegen, sowohl der Wirtschaftsminister als auch wir bauen immer darauf, dass Vertrauen und Akzeptanz in der Belegschaft vorhanden sein müssen, um Strukturwandel durchzuführen. Wer sich, wie Herr Laumann in seiner Rede gestern, hier als Betriebsrat der Nation in Nordrhein-Westfalen aufspielt, der muss die Frage beantworten, wie ich dem Pförtner, dem Ingenieur oder der Schreibkraft bei thyssenkrupp Steel vermitteln kann, dass derjenige, der dafür gesorgt hat, dass die Lage so brisant ist, jetzt in dem Unternehmen sitzt, in dem solche Entscheidungen gefällt werden und der sich be

teiligen will. Das geht nicht. So sieht Akzeptanz und Vertrauen nicht aus.

(Beifall von der SPD)

Minister Pinkwart scheint aber von der Offerte von Liberty Steel – wie man dem Handelsblatt entnehmen kann – ganz angetan zu sein und spricht

„von einem begründeten Konzept, das sehr stark von der Transformation zu grünem Stahl geleitet wird.“

Herr Minister, wenn sich die Situation so zuspitzt, wie wir es zurzeit sehen, dann gibt es die Beschäftigten gar nicht mehr, die sich um den grünen Stahl kümmern können. Das ist die Sorge der SPD-Fraktion, die uns heute hier veranlasst, noch einmal deutlich das Wort zu ergreifen.