Protocol of the Session on November 26, 2020

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, lieber Herr Kollege Löttgen. – Als nächste Rednerin hat nun für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Abgeordnete Kollegin Paul das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Unsere Gesellschaft muss eine Herausforderung bewältigen, die die meisten von uns in dieser Dimension noch nicht erlebt haben. Auch die gestern durch die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin vereinbarten Maßnahmen greifen tief in Grundrechte und in unser tägliches Leben ein. Natürlich tragen wir diese Maßnahmen mit, denn sie sind angesichts der aktuellen Situation notwendig.

Diese Pandemie ist auch nichts Abstraktes: Menschen leiden, Menschen ringen um ihr Leben, und viele sind auch leider verstorben.

Maßnahmen und Strategien zur Bewältigung dieser Krise auch in diesem Parlament zu diskutieren, und zwar vor und nach der MPK, sollte in einer parlamentarischen Demokratie eigentlich eine Selbstverständlichkeit und keine Zumutung sein, wie Herr Löttgen das gerade schon wieder darzustellen versucht hat.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Bodo Löttgen [CDU]: Habe ich doch gar nicht gesagt! Wo habe ich das gesagt? Bleiben Sie einfach bei der Wahrheit!)

Dabei geht es um die notwendige parlamentarische Beteiligung, vor allem geht es aber auch um Transparenz.

Wir verlangen den Menschen nun schon seit Monaten viel ab. Seit Monaten zeigen sich die Menschen im hohen Maße solidarisch, und seit Monaten beweist unsere Gesellschaft ein hohes Maß an Zusammenhalt. Dafür können aus meiner Sicht die Menschen aber auch verlangen, dass es transparente und klare Kommunikation und einen politischen Abwägungsprozess gibt.

Diese notwendigen Abwägungsprozesse müssen auch in den Parlamenten erfolgen.

Ganz ehrlich, dass sich CDU und FDP gestern in diesem Haus diesem Plenum entzogen haben, kommt aus meiner Sicht wirklich einem Trauerspiel gleich.

(Beifall von den GRÜNEN, Thomas Kutschaty [SPD] und Regina Kopp-Herr [SPD])

Das war ein unwürdiges Verhalten der Regierungsfraktionen, die der Tragweite des gestern gefassten MPK-Beschlusses und der davor geschalteten Diskussionen und auch der aktuellen Lange schlicht und ergreifend nicht gerecht wird.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Aber wo sind denn beispielsweise die konkreten Vorschläge der FDP, die sich immer wieder gegen pauschale Maßnahmen ausspricht? Wenn dem so ist, dann, Herr Rasche und Herr Stamp, muss es allerdings auch differenzierte Konzepte geben, die Sie bislang allerdings schuldig geblieben sind. Es reicht doch nicht aus, einfach nur markig beispielsweise eine Bildungs- und Betreuungsgarantie auszurufen. Ja, Herr Minister Stamp, das Ziel ist richtig. Das Ziel ist absolut richtig. Aber „Augen zu und durch“ ist absolut der falsche Weg dorthin.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Was wir brauchen, ist eine langfristige Strategie. Die Menschen verlieren doch langsam die Übersicht. Was aber nicht passieren darf, ist, dass sie das Vertrauen in politisches Handeln verlieren. Wir müssen endlich herauskommen aus diesem Schwebezustand, der sich wie Mehltau über das Land legt.

Leider konnten sich die Regierungschefs dazu gestern auch nicht durchringen. Bislang erleben wir, dass Maßnahmen nur von MPK zu MPK festgelegt oder verlängert werden. Das aber ist keine Strategie, mit der wir durch die nächsten Wochen und Monate bzw. durch den Winter kommen. Was wir brauchen, ist ein klarer Stufenplan, der es für die Menschen nachvollziehbar macht, ab welchem Inzidenzwert was möglich ist, ab welchem Wert Maßnahmen aber auch verschärft werden müssen, und vor allem, um was für Maßnahmen es denn dabei geht. Die beschlossene Hotspot-Strategie von gestern bleibt viel zu unverbindlich, um wirkliche Planbarkeit zu ermöglichen und um die Nachvollziehbarkeit für die Menschen zu verbessern.

Die Stufe von 50 Neuinfektionen bis zu 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, ab der strengere Maßnahmen ergriffen werden müssen, ist zwar – ja, Herr Löttgen – neu. Aber diese Stufe ist zu groß.

(Beifall von den GRÜNEN und Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Sie bleibt auch zu vage. Sie bleibt doch auch zu vage mit Blick auf den mit Verweis, dass ab einem Inzidenzwert von 200 die bis dahin schon ergriffenen umfassenden allgemeinen Maßnahmen nochmals erweitert werden müssen. Ja, was heißt denn das konkret? Ich will noch einmal konkreter nachfragen: Was heißt das konkret für die aktuell acht Kommunen in Nordrhein-Westfalen, die einen Inzidenzwert von über 200 haben? Ich hätte das gerne den Ministerpräsidenten gefragt. Aber es muss eine Beantwortung durch das Kabinett geben. Auch der Gesundheitsminister muss eine Antwort darauf geben können, was denn nun konkret passiert. Darauf haben wir bislang keine Antwort erhalten. Die Hotspot-Strategie bleibt auch an dieser Stelle viel zu vage.

(Beifall von den GRÜNEN und Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Warum brauchen wir eine weitere Stufe? Warum ist die Stufe von 200 viel zu hoch gegriffen? In Nordrhein-Westfalen liegen alle Kommunen über einer Inzidenz von 50. Der ganz überwiegende Teil liegt zwischen 100 und 200. Natürlich muss das Ziel sind, dass wir wieder unter 50 und bestenfalls unter 35 kommen. Aber aktuell brauchen wir klare Regelungen für den Bereich ab einem Inzidenzwert von 100. Ein am Inzidenzwert ausgerichteter Stufenplan muss zukünftig auch differenziertere Lösungen möglich machen.

Sehr geehrte Damen und Herren, Ehrlichkeit, Transparenz und Perspektiven, das sollte die Politik derzeit kennzeichnen. All das hat die Kommunikation der Landesregierung bislang aber leider vermissen lassen. Zur Ehrlichkeit und Transparenz hätte gehört, wenn der Ministerpräsident im Zusammenhang mit den Maßnahmen im November gesagt hätte, Lockerungen gehen mit dem Sinken der Infektionszahlen einher, wenn da klar gesagt worden wäre, bei sinkenden Infektionszahlen können wir Maßnahmen auch wieder lockern. Es wäre transparent und ehrlich gewesen, den Leuten das von Beginn an genau so zu sagen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Auch die fahrlässige Chaoskommunikation der FDP, sie hätte sowieso alles anders entschieden, obwohl sie hier am Kabinettstisch sitzt und dementsprechend der Coronaschutzverordnung zugestimmt hat, trägt nicht dazu bei, dass die nötige Transparenz und die nötige Verlässlichkeit in politische Kommunikation und politisches Handeln geschaffen wird.

Sie haben mit Ihrer Politik des Auf-Sicht-Fahrens wichtige Zeit ungenutzt verstreichen lassen, um vorausschauende Konzepte zu entwickeln. So gibt es weiter keinen wirklichen Plan B, was die Bildungs- und Betreuungsgarantie angeht. Über dieses Wort streiten wir ja die ganze Zeit. Aber es geht nicht um das Wort, sondern es braucht endlich einen Plan, um diese tatsächlich einlösen zu können.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Frau Ministerin Gebauer, ich will Ihnen ganz deutlich sagen: Ihre Strategie des sturen Beharrens auf Präsenzunterricht ohne Alternative hat gestern durch den Beschluss der MPK eine klare Absage erhalten.

(Christof Rasche [FDP]: Weltfremd! – Weiterer Zuruf von Henning Höne [FDP])

Regen Sie sich nicht auf.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Hören Sie doch einfach zu und lesen Sie den Beschluss! Dann können wir hier miteinander vernünftig weiterreden.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Herr Höne, hören Sie doch einfach zu, dann erkläre ich es Ihnen!

(Christof Rasche [FDP]: Man kann Lügen nicht erklären!)

Was die schulspezifische Regelung für Schulen in Kommunen mit Inzidenzen von über 200 angeht, Herr Höne und Frau Schulministerin, so kann man sich doch nicht einen schlanken Fuß machen und sich aus der Verantwortung stehlen. Es braucht doch trotzdem einen klaren Handlungsrahmen.

(Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Den haben Sie doch abgelehnt!)

Den hat diese Landesregierung bislang nicht vorgelegt. Diesen Handlungsrahmen müssen Sie endlich vorlegen, damit die Schulen und die Träger nicht im Stich gelassen werden. Das brauchen sie.

Ich möchte auch noch einmal eines sagen, weil das in dieser Debatte auch schon wieder durchgekommen ist. Auch wenn die Landesregierung, aber vor allem auch die sie tragenden Fraktionen nicht müde werden, die Vorschläge der Opposition bewusst misszuverstehen und falsch wiederzugeben, so bleibt es trotzdem das erklärte Ziel aller hier, die Schulen so lange wie möglich offenzuhalten. Und: Infektionsschutz und Bildungsgerechtigkeit dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Das will ich hier noch einmal in aller Deutlichkeit sagen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Hören Sie auf, diesen Anschein immer wieder zu erwecken. Damit untergraben Sie das Vertrauen der Menschen in diesem Land.

(Beifall von Wibke Brems [GRÜNE])

Sehr geehrte Damen und Herren, diese Krise trifft alle. Sie trifft uns alle, aber sie nicht trifft nicht alle gleich. Gerade die Gastronomie, die Solo-Selbstständigen, Kunst und Kultur, die Tourismusbranche sind von der aktuellen Situation und von den aktu

ellen Einschränkungen besonders betroffen. Es ist daher gut und richtig, dass die Novemberhilfen jetzt auch auf den Dezember ausgedehnt werden. Noch wichtiger wäre allerdings, dass das Geld tatsächlich zeitnah ankommt; denn noch ist von den Novemberhilfen nicht ein Cent ausgezahlt worden.

Auch die Studierenden dürfen nicht weiter im Regen stehen gelassen werden. Im Beschluss der Ministerpräsident*innenkonferenz findet sich zum Thema „Hochschulen“ nur der Verweis auf die grundsätzliche Umstellung auf digitale Lehre. So weit ist das natürlich absolut richtig. Leider aber nimmt der Beschluss keinen Bezug auf die oftmals prekäre Lage vieler Studierenden.

Es geht doch auch darum, dass Studierende ihren Lebensunterhalt in der aktuellen Situation gesichert bekommen müssen; denn viele Nebenjobmöglichkeiten sind ihnen in der aktuellen Situation weggebrochen. Es geht aber auch darum, dass wir die schwierige Studiensituation in den Blick nehmen und die jungen Menschen unterstützen; denn ich finde, wir müssen auch einmal daran denken, dass gerade junge Menschen, was ihre Zukunftschancen angeht, jetzt unsere volle Solidarität brauchen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Beschluss der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten und der Kanzlerin ist nicht zuletzt von dem Wunsch getragen, den Menschen, ein Weihnachtsfest, wenn auch ein eingeschränktes, mit ihren Lieben zu ermöglichen. Ich glaube, das wollen wir alle; das ist keine Frage. Doch um dies auch wirklich allen Menschen, die es wollen, zu ermöglichen, braucht es eine Weihnachtsstrategie für vulnerable Gruppen. Wir müssen insbesondere ältere Menschen besonders schützen. Da reicht nicht der Verweis darauf, dass man sich selbst, wenn man es denn wirklich kann, in Quarantäne begibt. Vielmehr brauchen wir eine Strategie dafür.

Vor allem – das ist mir besonders wichtig – muss sichergestellt sein, dass in den Einrichtungen wirklich getestet wird, dass die nun zugesagten weiteren Tests auch wirklich dort ankommen; denn ich möchte nicht, dass gerade zu Weihnachten Menschen in Einrichtungen alleine bleiben müssen, dass sie keinen Besuch bekommen können. Ich finde, die Isolation von Menschen gerade in dieser besonderen Zeit des Jahres wäre absolut inakzeptabel, und das wäre ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Ministerpräsident hat vorhin darauf hingewiesen, dass es eine gewisse Wahrscheinlichkeit steigender Zahlen nach Weihnachten gibt, weil die Menschen eben mehr reisen, weil es ermöglicht wird, dass sich wieder mehr Menschen treffen usw. Deshalb kommt mir persönlich, ehrlich gesagt, der Zeitraum für die Ausnahmeregelungen bis zum 1. Januar sehr lang