Protocol of the Session on November 11, 2020

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Sind sie ja!)

Wir fahren hier keinen Fünfjahresplan, sondern wir müssen uns nach dem Infektionsgeschehen richten. Wir müssen abwägen und Modelle fahren, die für alle Beteiligten tragbar sind, also für Eltern, für Schüler, für Lehrer. Keine dieser Gruppen können wir isoliert betrachten.

(Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Sollte das pandemische Geschehen tatsächlich keine andere Möglichkeit mehr zulassen als Hybridmodelle oder Distanzunterricht, dann müssen wir auch da schauen, wie wir Gerechtigkeit, nämlich die von Ihnen so häufig eingeforderte Bildungsgerechtigkeit, gewährleisten können.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Das wollen wir auch, ja!)

Ich habe von der Opposition noch keinen einzigen konkreten Vorschlag dazu gehört, wie überprüft werden soll, ob die technischen Voraussetzungen für den Distanzunterricht gegeben sind.

Es nutzt niemandem, wenn wir die Schulen schließen und die Kinder zu Hause bleiben sollen, aber dort überhaupt nicht die probaten Mittel vorhanden sind. Viele Kommunen in Nordrhein-Westfalen haben immer noch nicht die Mittel aus dem Digitalpakt abgerufen, und dementsprechend sind keine digitalen Endgeräte vor Ort vorhanden. Das würde bedeuten, dass viele Schülerinnen und Schüler im Lernstoff zurückbleiben und damit im Stich gelassen würden. Unter einer gerechten Bildung verstehe ich persönlich etwas anderes. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Schlottmann. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion der FDP Frau Abgeordnete Müller-Rech das Wort.

(Sarah Philipp [SPD]: Jetzt gibt es noch mal Saures!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir befinden uns im zweiten Lockdown, der sich zum Glück vom ersten unterscheidet. Der wichtige Unterschied ist, dass unsere Schulen und Kitas geöffnet sind, und das ist enorm wichtig für unsere Familien, für unsere Kinder und für die Bildungsgerechtigkeit. Ich nutze heute gerne die Gelegenheit, um zu erklären, warum die Entscheidung des OB in Solingen eben im Sinne der Bildungsgerechtigkeit nicht richtig ist.

Dieser stadtweite Vorstoß, den Tim Kurzbach dort gemacht hat, hat zu einer Zeit stattgefunden, als die Infektionszahlen das nicht hergegeben haben.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Inzidenz- wert von 200!)

Von 19.000 Schülerinnen und Schülern in Solingen befanden sich zu diesem Zeitpunkt 389 in Quarantäne. Dann eine stadtweite Einführung von Unterricht auf Distanz zu beschließen, war unverhältnismäßig, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Richtig ist stattdessen der schulscharfe Blick. Denn der Hybridunterricht ist ja längst zulässig. Die Schulleitung kann in Rücksprache mit der Schulaufsicht den Wechselunterricht einsetzen, wenn die Quarantäne- oder Infektionslage so dramatisch ist und alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden sind.

Frau Kollegin Müller-Rech, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Herr Abgeordneter Ott möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.

Gerne, wenn die Zeit angehalten wird.

Selbstverständlich. – Bitte sehr, Herr Abgeordneter Ott.

Danke schön, Frau Kollegin, dass Sie die Frage zulassen. – Ist Ihnen bekannt, dass heute die vierte Schule in Solingen vom Netz gegangen ist, weil es zu viele infizierte Lehrerinnen und Lehrer gibt, sodass der Unterricht nicht mehr aufrechterhalten werden kann?

Sehr geehrter Herr Kollege Ott, vielen Dank für die Zwischenfrage. Ist Ihnen bekannt, dass Sie heute einen Eilantrag zu den Vorgängen in Solingen und der Remonstration gestellt haben? Also, ich habe ja gerade erklärt, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Lage Ihr Oberbürgermeister Tim Kurzbach diese Entscheidung getroffen hat, und deswegen habe ich auch klargestellt, warum die Entscheidung auf Grundlage dieser Infektionszahlen unverhältnismäßig war.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie das auch gehört und verstanden.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Genau das war der Fehler, dass in Solingen etwas stadtweit beschlossen wurde, obwohl die Infektionszahlen das zu dem Zeitpunkt nicht hergegeben haben und es viel besser gewesen wäre, sich die Lage vor Ort schulscharf anzuschauen. So einfach, wie es

sich der SPD-Oberbürgermeister gemacht hat, dürfen wir es uns hier nicht machen.

(Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

Vielmehr müssen wir bei der schulscharfen Betrachtung bleiben. – Ein Fehler war auch, dass mit der Schulaufsicht nicht Kontakt aufgenommen worden ist. Stattdessen hat sich der SPD-Oberbürgermeister leider dafür entschieden, nicht mit der Schulaufsicht, sondern direkt mit der Presse zu sprechen, und das auch noch, während wir hier im Plenum

(Zurufe von der SPD)

die Regierungserklärung debattiert haben.

(Sarah Philipp [SPD]: Das würde Ihnen nie- mals einfallen!)

Meine Damen und Herren, das war kein Zufall. Das war ein politisches Spielchen auf dem Rücken unserer Schülerinnen und Schüler, und so geht es nicht!

(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD)

Der SPD geht es längst nicht mehr um unsere Kinder. Es geht hier um Profilierung.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Frechheit!)

Thomas Kutschaty hat sich hier wunderbar in Szene gesetzt. Es geht um den SPD-Landesparteitag, den man mit so einem Theater vorbereiten will. Irgendwie versucht die SPD, aus diesem schlechten Umfragestrudel herauszukommen.

(Zuruf von Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Früher stand die SPD für „Kein Kind zurücklassen!“; heute steht die SPD für „Keinen vermeintlichen Geländegewinn zurücklassen!“, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der CDU – Sarah Philipp [SPD]: Wow!)

Uns geht es um gerechte Bildungschancen. Zum Glück gibt es noch ein paar andere Sozialdemokraten, die das auch so sehen.

An dieser Stelle möchte ich Ties Rabe, Bildungssenator in Hamburg, zitieren. Herr Kollege Ott hat ihn auch schon mehrfach zitiert; deswegen passt das ganz gut, glaube ich.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Guter Mann!)

Ties Rabe sagt:

„Wenn wir Unterricht mit kleinen Gruppen machen, also die Klassen teilen, dann hat die eine Hälfte zwar Unterricht in einer kleinen Gruppe in der Schule, aber die andere Hälfte muss allein zu Hause lernen. Mit schwierigen Folgen: Allein zu Hause lernen viele Kinder und Jugendliche nicht

so gut. Es gibt zu wenig pädagogische Anleitung und Unterstützung, und es fehlen die gerade für Kinder so wichtigen sozialen Kontakte und das soziale Lernen.

Für die Familien bedeutet das Lernen zu Hause zudem erhebliche Betreuungsprobleme. Die meisten Eltern müssten dann zu Hause bleiben, um die Kinder zu betreuen. Im Mai, als wir diesen Zustand hatten, waren fast alle sehr unzufrieden. Es ist nicht auszuschließen, dass der Wechselunterricht bei einem weiteren Anstieg der Infektionen kommt. Aber er wird Familien extrem belasten. Deswegen möchte ich das möglichst vermeiden.“

(Beifall von der FDP und Claudia Schlottmann [CDU])

Meine Damen und Herren, der Mann hat recht. Der Mann hat einfach recht, obwohl er Sozialdemokrat ist.

Ich komme jetzt zum Schluss und zur Zusammenfassung. Bildungschancen und Bildungsgerechtigkeit – das ist es, worum es jetzt geht. Zumindest gilt das für uns – für die SPD offenbar nicht mehr.

Ich freue mich über jedes Kind, das zu Hause gut lernen kann; gar keine Frage. Aber zahlreiche Lehrkräfte haben uns nach dem ersten Lockdown geschildert, dass Kinder abgehängt worden sind, dass sie den Kontakt zu manchen Kindern verloren haben. Das, meine Damen und Herren, kann und darf uns doch hier nicht egal sein.

(Minister Dr. Joachim Stamp: So ist das!)