Protocol of the Session on October 8, 2020

Kommen wir also zur Abstimmung. Der Wissenschaftsausschuss empfiehlt in Drucksache 17/10966, den Antrag Drucksache 17/8590 abzulehnen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Antrag selbst und nicht über die Beschlussempfehlung. Wer möchte dem Antrag zustimmen? – Die SPD-Fraktion. Wer möchte gegen diesen Antrag stimmen? – Die AfD-Fraktion, fraktionslose Abgeordnete sehe ich nicht, die FDP- und die CDU-Fraktion. Gibt es

Enthaltungen? – Bei Enthaltung der Grünen ist der SPD-Antrag Drucksache 17/8590 mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD hier im Hohen Hause abgelehnt worden.

Ich rufe auf:

17 Der Justiz die Augen öffnen. Gute Statistik

führt zu mehr Effektivität.

Antrag der Fraktion der AfD Drucksache 17/11166 – Neudruck

Die Aussprache ist eröffnet. Für die AfD-Fraktion hat Herr Röckemann das Wort.

Justitia ist die römische Göttin der Gerechtigkeit. Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Sie trägt eine Augenbinde, um unabhängig und unvoreingenommen urteilen zu können.

Das Justizministerium ist dagegen lediglich Menschenwerk und fehleranfällig. Es muss daher sehend gemacht werden. So bieten Statistiken nicht nur eine Analyse empirischer Daten, sondern ermöglichen neben diesem Informationsgehalt eben auch deren Bewertung. Daraus die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen, ist für die Politik und die Zukunft unseres Landes essenziell.

Uns sind bei der Analyse der justiziellen Statistiken einige Dinge aufgefallen, die dringend reformiert werden müssen. Nehmen wir uns einmal Herrn Innenminister Reul, quasi den Chef aller Ermittlungstätigkeit, mit seiner Strategie der tausend Nadelstiche gegen die Clankriminalität vor:

Insgesamt 14.225 Straftaten aus dem Milieu konnten im Jahr 2018 laut Polizeilicher Kriminalstatistik ermittelt werden; das ist schon mal eine Hausnummer. Da endet dann die Zuständigkeit des Herrn Innenministers, und der Justizminister ist an der Reihe.

Wir als Alternative für Deutschland haben nachgefragt, wie viele dieser Ermittlungsverfahren gegen Clanmitglieder denn überhaupt vor Gericht landen und abgeurteilt werden. Siehe da: Plötzlich tritt Ernüchterung ein, denn darüber wird gar keine Statistik geführt.

Was nutzt uns eine Polizeiliche Kriminalitätsstatistik, PKS genannt, wenn sie keine Entsprechung in der Strafverfolgungsstatistik der Justiz findet?

Ein Beispiel: Die PKS verzeichnet für 2018 382 Fälle des Mordes und des Totschlags. Die Strafverfolgungsstatistik der Justiz hingegen verzeichnet 195 Fälle, also fast 50 % weniger Urteile als Ermittlungsverfahren.

Welche Gründe gibt es hierfür? – Wir wissen es nicht. Liegt es daran, dass sich im Verfahren ein rechtlicher Gesichtspunkt ändert oder das Verfahren eingestellt wird? – Damit könnte man eine Veränderung um knapp 50 % gerade noch erklären.

Doch schauen wir uns einmal die Körperverletzungsdelikte an: Die PKS weist für 2018 ganze 124.128 Fälle aus. Die Strafverfolgungsstatistik weist im selben Zeitraum ganze 3.810 Urteile in diesem Deliktsbereich auf. Das ist eine Reduktion von 97 %. Genau hier knüpft unser Antrag an.

Effektive Strafprävention und -verfolgung setzen eine aussagekräftige Statistik voraus. Dazu müssen wir die prozessuale Wahrheit kennen, die von den Gerichten festgestellt wird. Das ist ein Grundsatz unseres Rechtsstaats; da werden wir uns alle einig sein.

Wir müssen wissen: Wer erzeugt ein Mehr an Straftaten? Wieso wird ein Mehr erzeugt? Gibt es Korrelationen zwischen den Statistiken? Wie viele Verfahren laufen ins Leere und warum? – Das sind alles Fragen, die man mithilfe einer übergreifenden Statistik zumindest abschätzen könnte.

Das sind nur die Auszüge auf dem Gebiet des Strafrechts. Unser Antrag bezieht noch andere Gebiete wie zum Beispiel das Zivilrecht ein.

Jetzt kommen Sie mir nicht mit einem erhöhten Zeitaufwand – ich werde das gleich wieder hören – für die Erstellung der richtigen Statistiken. Dazu sage ich Ihnen nur ein einziges Wort: PEBB§Y.

Das ist kein koffeinhaltiges Erfrischungsgetränk, sondern steht in der Justiz für Personalbedarfsberechnungssystem und ermittelt den Zeitansatz für einzelne Tätigkeiten der Richter, Staatsanwälte und Rechtspfleger in Minuten.

Wer damit schon einmal gearbeitet hat, weiß, dass das einzig Erfrischende an diesem System der lustige Name ist. Hier schafft es die Justiz also, eine umfangreiche Statistik zu erarbeiten und zu führen, die sogar minutengenau abrechnet. – Geht doch.

Überhaupt: Wenn jeder rechtschaffene Bürger heutzutage beinahe an jeder Pommesbude seine persönlichen Daten abgeben muss, sollte es doch selbstverständlich für einen Staat sein, Statistiken zu erstellen, in denen Straftaten derart zuzuordnen sind, dass vernünftige Schlüsse gezogen und zukünftige Straftaten vermieden werden können. – Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank, Herr Röckemann. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Frau Erwin.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Der Justiz die Augen öffnen. Gute Statistik führt zu mehr Effektivität.“ – Was für ein Titel, liebe Kolleginnen und Kollegen der AfD-Fraktion.

Der geneigte Leser soll wie so häufig in Ihren Anträgen dazu verleitet werden, diesen für besonders zielführend und sinnvoll zu erachten. Doch genau das Gegenteil ist der Fall.

Während Sie am Anfang des Antrags noch zutreffend Sinn und Zweck von Statistiken erläutern, stellt sich Ihr Antrag aber schon bei den konkreten Forderungen als konfus und nicht zielführend heraus.

Nur am Rande sei erwähnt, dass es nicht verwundert, dass Sie die Strafbarkeit von Tätern mit Migrationshintergrund sowie von asylberechtigten Flüchtlingen und subsidiär Schutzsuchenden statistisch erfassen wollen; passt das doch zu Ihrer politischen Agenda.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Kommen wir noch einmal zurück auf Ihre anderen Forderungen. Wie Sie selbst ausführen, sind statistische Erhebungen nur sinnvoll, wenn sie aussagekräftig sind und einen Mehrwert bieten.

Welchen Mehrwert aber bietet beispielsweise die Erfassung von nicht vollstreckten Haftbefehlen? Welchen Mehrwert bieten Zahlen über die Untersuchungshaft, über Erst- und Wiederholungstäter? Welche Erkenntnisse wollen Sie daraus ableiten? Was wollen Sie damit erreichen? – Antworten auf diese Fragen kann ich zumindest nicht erkennen. Konstruktive Sacharbeit sieht für mich anders aus.

Unabhängig davon kann man sicherlich über die Förderlichkeit einer sogenannten Verlaufsstatistik nachdenken, durch welche der Werdegang der Täter von ihrer Tat bis zum Urteil beurteilt wird. Das ist aber keinesfalls eine neue Idee der AfD. Das Thema wird bereits seit Jahren auf Bundesebene vorangetrieben; an der Machbarkeit wird gearbeitet.

Gerade deshalb hat es keinen Sinn, dass einzelne Länder jetzt vorpreschen. Die Länder müssen vielmehr Hand in Hand gehen. Wer wirklich etwas zum Vorankommen in dieser Frage tun wollte, hätte sich Gedanken darüber machen müssen, wie der BundLänder-Prozess vorankommen kann, wie man das bundeseinheitlich aufsetzt und datenschutzrechtlichen Bedenken begegnen kann.

Am Ende bleibt festzustellen: Richtige und aussagekräftige Statistiken erfüllen ihren Zweck. Sie helfen uns in vielen wichtigen Bereichen unseres Handelns weiter.

Keine Daseinsberechtigung haben aber die Statistiken, die nicht notwendig sind, sondern einen zusätzlichen Aufwand für die Geschäftsbereiche generieren.

Mit diesem Antrag wird weder ein positiver Effekt für die Justiz noch für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes erzielt. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Danke schön, Frau Erwin. – Jetzt spricht Frau Bongers für die SPDFraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nur wer gut informiert ist, kann vernünftige Entscheidungen treffen; da werden Sie mir alle sicherlich zustimmen.

Die amtliche Polizeistatistik liefert sehr detaillierte Informationen über die Art der Vergehen, die von der Polizei ermittelt werden. In der PKS werden ermittelte und aufgeklärte Fälle, bei denen nach einem polizeilichen Ermittlungsverfahren die Straftat einem Tatverdächtigen zugeordnet werden kann, aufgeführt.

Was dann mit den Tatverdächtigen geschieht, ob sie vor Gericht verurteilt oder freigesprochen werden, entscheidet die Justiz. Es wäre in der Tat gut, wenn die Justizstatistik ähnlich detailliert wie die PKS darüber Auskunft geben würde, was dann mit den Fällen passiert.

Leider ist das zurzeit nicht der Fall. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Verehrte Landesregierung, Sie haben sich auf die Fahne geschrieben, Clankriminalität zu bekämpfen. De facto haben Sie aber keine validen Informationen darüber, wie viele Anklagen, Verurteilungen und Freisprüche es im Bereich der Clankriminalität gibt. Das macht eine nachhaltige Bekämpfung und eine effektive Kontrolle der erzielten Ergebnisse nahezu unmöglich.

Die SPD-Fraktion hat bereits im Mai eine Verlaufsstatistik gefordert. Frau Erwin hat es gesagt: Auch in anderen Bundesländern wird sie gefordert; ebenso ist es ein Thema auf Bundesebene.

Eine Verlaufsstatistik kann den periodischen Verlauf von geahndeten und verurteilten Straftaten erfassen und so verdeutlichen und darlegen. Insoweit fordern wir die Landesregierung auf, unsere Überlegungen bezüglich einer Verlaufsstatistik weiterzuverfolgen.

Die von der AfD in dem Antrag geforderte Kriterienaufstellung, die teilweise rassistisch ist, können wir nicht befürworten. Der Überweisung an den Rechtsausschuss stimmen wir jedoch zu. – Recht herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Danke schön, Frau Bongers. – Jetzt spricht für die FDP-Fraktion Herr Mangen.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag der AfD-Fraktion ist überschrieben mit: „Der Justiz die Augen öffnen. Gute Statistik führt zu mehr Effektivität.“ Das kommt sehr markig um die Ecke, aber es wird nicht begründet, warum gute Statistik zu mehr Effektivität führen soll.

Das ist das Grundproblem dieses Antrags. Hier werden lediglich zwei Statistiksysteme beschrieben; es wird allerdings nicht begründet, warum die Forderungen, die Sie daraus ableiten, sinnvoll sein sollen. Das bleibt völlig nebulös. Wie das hilfreich sein soll, drücken Sie nicht aus.

Der vorliegende Antrag der AfD zielt auf die Überarbeitung von Justizstatistiken ab. Es geht insbesondere um die Vergleichbarkeit von Strafverfolgungsstatistiken und Kriminalitätsstatistiken, wie Herr Röckemann gerade ausgeführt hat.