Vielen Dank, Frau Kollegin Brand. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Kollegin Müller-Witt das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Piraten ist schon deshalb bemerkenswert, weil in ihm parallel zur vom Parlament eingesetzten Verfassungskommission eine Veränderung der derzeit gültigen Landesverfassung gefordert wird.
Diese Vorgehensweise kann zwei Ursachen haben. Entweder die Fraktion der Piraten ist erst kürzlich zu der Erkenntnis gelangt, dass der Verbraucherschutz den Rang eines Staatsziels haben sollte, oder im Rahmen der Einsetzung der Verfassungskommission war dieses Anliegen nicht mehrheitsfähig.
Auf jeden Fall ist es schon ein interessanter Vorgang, dass ausgerechnet während das Parlament eine Verfassungskommission mit der Aufgabe betraut, den bestehenden verfassungsrechtlichen Handlungsbedarf zu identifizieren und zu bearbeiten, dieser Antrag vorgelegt worden ist.
(Marc Olejak [PIRATEN]: Sie fassen doch zuerst die Änderungen an mit der Einführung der 2,5-%-Klausel! Sie haben damit angefan- gen, die Verfassungskommission zu über- dehnen.)
Hören Sie lieber zu! – Übrigens war der Einsetzungsbeschluss ein Allparteienbeschluss mit den Stimmen der Piraten.
Frau Kollegin, bitte entschuldigen Sie die Unterbrechung, aber Frau Kollegin Brand würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie diese zu?
Vielen Dank, Frau Müller-Witt, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, dass ich zwei Jahre mit diesem Antrag gewartet habe, weil eben die Verfassungskommission tagt, und ich erst jetzt diesen Antrag gestellt habe, nachdem Sie alle mit der Sperrklausel die Vereinbarung der Verfassungskommission gebrochen haben?
Das heißt, Sie geben zu, dass es eigentlich nur Mittel zum Zweck ist und er gar nicht die vorgegebene Intention verfolgt, die Sie gerade vorgetragen haben. Hochinteressant!
Keines der im Einsetzungsbeschluss enthaltenen elf Themenfelder umfasst auch nur sinngemäß die Erweiterung des Katalogs der Staatsziele der Landesverfassung. Vermutlich war jedem bewusst, dass das Formulieren von Staatszielen zu allererst appellatorischen Charakter an die Politik hat. Staatsziele bedürfen vielmehr der Umsetzung durch Gesetze, Verordnungen oder Satzungen. Bei der Debatte im Bundestag über die Aufnahme der Generationengerechtigkeit als Staatsziel in das Grundgesetz wurde treffend formuliert: Wir müssen politisch gestalten und sollten nicht glauben, dass wir mit der Aufnahme in das Grundgesetz die Probleme gelöst hätten. – Analog kann man das hier auch anwenden.
Der Gesetzgeber des Landes und insbesondere der Gesetzgeber des Bundes haben ein umfangreiches Kompendium an Gesetzen und Verordnungen zum Schutze der Verbraucher erlassen. Die Aufgabe ist also erkannt und angenommen worden. Aus diesem Grunde bedarf es keiner zusätzlichen Bekräftigung durch Erhebung des Verbraucherschutzes zum Staatsziel in unsere Landesverfassung. Es gilt vielmehr, die vorhandenen Vorschriften konsequent anzuwenden und wo erforderlich anhand der vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse weiterzuentwickeln.
Zum Abschluss noch ein Wort zur konkreten Formulierung des von der Piratenfraktion geforderten Art. 29b. Ich zitiere:
„Das Land schützt im Rahmen seiner Zuständigkeit die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher.“
Diese Formulierung lässt an Unbestimmtheit nichts zu wünschen übrig. Welches sind die Interessen der Verbraucher? Wie geht man mit divergierenden Interessen um?
Fazit: Wir halten es nicht für zielführend, zu den in der Landesverfassung aufgeführten Staatszielen ein
Staatsziel Verbraucherschutz hinzuzufügen. Die inflationäre Aufzählung von Staatszielen in einer Landesverfassung ersetzt nicht politisches Handeln und entwertet geradezu das Instrument des Staatsziels. Den Verbraucherinnen und Verbrauchern nützt vor allen Dingen ein konsequentes Anwenden der vorhandenen Gesetze und Fortschriften sowie da, wo es erforderlich ist, die Weiterentwicklung der Gesetze aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse.
Deshalb sehen wir momentan keinen Grund, Ihrem Antrag zuzustimmen, werden uns aber selbstverständlich einer Debatte im Hauptausschuss nicht verweigern. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Witt. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Hendriks das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Den ersten Teil von Frau Müller-Witt könnte ich jetzt übernehmen. Denn Frau Müller-Witt hat vollkommen richtig die Frage gestellt, und das sieht auch unsere Fraktion so: Was macht es denn überhaupt für einen Sinn, eine Verfassungskommission einzusetzen, die mit Vertreterinnen und Vertretern aller Fraktionen zuzüglich Experten berät, inwieweit die Landesverfassung um weitere Ziele ergänzt, verändert werden soll, wenn gleichzeitig hier ein Antrag eingebracht wird, ohne die Ergebnisse der Verfassungskommission schon vorgelegt bekommen zu haben?
Das macht keinen Sinn. Deswegen könnte man diese Beiträge in der heutigen Plenardebatte entsprechend kurzhalten und sagen: Lassen Sie uns doch die Ergebnisse der Verfassungskommission abwarten. – Ganz so einfach will ich mir es nicht machen, weil Verbraucherschutz an sich ein ganz wichtiges Thema ist. Es ist die Aufgabe der Politik und damit auch unsere Aufgabe, auf Entwicklungen zu reagieren und entsprechende Beschlüsse, Gesetze auf den Weg zu bringen, die die Verbraucher in Zukunft noch mehr schützen.
Aber Sie sprechen in Ihrem Antrag verschiedene Komponenten an, zum Beispiel die Verbraucherbildung. Da möchte ich schon meine Verwunderung zum Ausdruck bringen, schließlich hatten wir im März 2014 hier einen sehr guten Antrag von CDU, SPD und Grünen, der genau diesen Punkt der Verbraucherbildung, insbesondere in dem von Ihnen angesprochenen Bereich der Kindertagesstätten und Schulen, verankert sehen will und somit anerkennt, dass Verbraucherbildung gerade auch im frühkindlichen Bereich einen besonders hohen Stellenwert hat. Leider haben Sie dort nicht mitgemacht, sondern sogar gegen diesen Antrag gestimmt. Das
wäre ein klares Zeichen seitens der Politik an die Öffentlichkeit gewesen, dass Verbraucherschutz und damit auch Verbraucherbildung ein ganz entscheidender Gesichtspunkt ist.
Entscheidender ist für mich und für unsere Fraktion allerdings auch die Frage: Sind die Menschen denn weitgehend in unserer Republik und in NordrheinWestfalen unzufrieden mit dem Verbraucherschutz, wie er zurzeit praktiziert wird? – Da kann man, so wie Sie es machen, aus Umfragen zitieren, die mehr als sechs, sieben Jahre alt sind. Man kann sich aber auch aktuelle Umfragen oder Erhebungen anschauen und feststellen, dass über 80 % der Wahlberechtigten in der Bundesrepublik Deutschland auf der einen Seite mit der Verbraucherinformation und auf der anderen Seiten mit dem Verbraucherschutz weitgehend zufrieden sind.
Wenn man dies feststellt, muss man sich natürlich genau – und das hat Frau Müller-Witt auch schon gemacht – die Frage stellen: Macht es überhaupt Sinn, so etwas als Landesziel in die Verfassung aufzunehmen? Muss nicht vielmehr die reale Politik die alltäglichen Probleme lösen?
Ich glaube, dass man zu diesem Schluss kommen kann – vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass wir mittlerweile in jeder Stadt Verbraucherzentralen haben, die zum Beispiel Verbraucherinformationen anbieten, wenn denn noch Fragen offen sind, die nicht durch die Medien oder andere Quellen geklärt worden sind. Die Menschen können dorthin gehen und Informationen über Dienstleistungsverträge oder Ähnliches erhalten.
Dass der Verbraucherschutz funktioniert, machen schon diese Erhebung und die Umfragen deutlich. Zum Beispiel haben letztes Jahr in BadenWürttemberg 84 % gesagt: Der Verbraucherschutz in diesem Land ist auf einem guten Weg. Er sagt uns zu. Wir brauchen nur noch punktuell mehr davon, wenn aktuelle, neue Fragen aufkommen.
Deswegen kann man einen Strich darunter machen und feststellen: Wir werden im Hauptausschuss und vielleicht doch in der Verfassungskommission darüber diskutieren, ob das, was Sie fordern, notwendig ist.
Man muss sich aber auch vergegenwärtigen, dass eine Landesverfassung nicht mit zu vielen Einzelpunkten überfrachtet werden soll, und sich gleichzeitig die Frage stellen: Erzielt ein Thema allein dadurch, dass wir es in die Landesverfassung aufnehmen, den Effekt, den Sie wünschen, dass der Verbraucherschutz real mehr praktiziert wird, als das bisher ohnehin schon der Fall ist?
Deswegen stimmen wir der Überweisung in den Hauptausschuss selbstverständlich zu. Lassen Sie uns noch einmal darüber diskutieren. Verbraucherschutz ist und bleibt ein wichtiges Thema. Darüber, wie man das angeht, sollte man sprechen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Markert.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Piratenfraktion, das, was Sie heute als Gesetzentwurf formulieren, ist gerade für die Juristen unter uns ein spannendes Thema. Sie möchten den Verbraucherschutz als Staatsziel in die Landesverfassung aufgenommen sehen.
Die erste Frage, mit der ich mich beschäftigt habe, lautet: Was ist das Ziel von Verbraucherschutz? Aus unserer Sicht geht es darum, Konsumentinnen und Konsumenten in die Lage zu versetzen, Herstellerinnen und Herstellern von Produkten auf Augenhöhe zu begegnen. Es geht darum, ein strukturelles Ungleichgewicht in unserer realen Wirtschaftswelt zumindest ein Stück weit zu beseitigen und die größten Ungerechtigkeiten zu vermeiden. Es geht also darum, Verbraucherinnen und Verbraucher mündig zu machen. Ich füge noch etwas hinzu. Der Slogan sollte sein: Mündigkeit statt Bevormundung.
Dem dient auch das Netz unserer Verbraucherzentralen in Nordrhein-Westfalen. Wir haben gerade letzte Woche fraktionsübergreifend beschlossen, bis 2020 erneut eine gefestigte Grundlage für die Verbraucherberatungsstellen in unserem Land zu sichern: mehr als 70 Millionen € für inzwischen 60 Beratungsstellen, übrigens demnächst auch in meinem Wahlkreis in Neuss.
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Piratenfraktion, schlagen nun vor, den Verbraucherschutz rechtlich prominenter zu verankern.
Meine nächste Frage ist: Wo ist er denn heute geregelt? Gibt es ein Verbraucherschutzgesetz? Nein, es gibt kein gesondertes Gesetz. Verbraucherschützende Regelungen finden sich in vielen Rechtsmaterien – zuvorderst im Bürgerlichen Gesetzbuch. Denken Sie beispielsweise an die Regelungen zum Verbraucherdarlehensvertrag: §§ 655a – 655e BGB.
Es geht übrigens nicht darum, zum Beispiel die AGBs zu stärken; denn diese wollen gerade den Rechtsfrieden erreichen, also eine vergleichende Betrachtung von zwei Seiten. Darum geht es beim Verbraucherschutz, wie ich eben gesagt habe, nicht. Es soll ja eine Seite gestärkt werden.
Wir finden im öffentlichen Recht in diversen Gesetzen Regelungen, beispielsweise im Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch. Wenn wir an die Lebensmittelskandale in den letzten Jahren denken, wenn wir an die Herausforde
rungen des digitalen Zeitalters denken, können wir wahrscheinlich schon gemeinsam konstatieren: Ja, Verbraucherschutz hat nicht nur in der politischen Debatte, sondern auch in unserer breiten Gesellschaft an Bedeutung zugenommen.
Nun zu der Frage, ob diese Zunahme der Bedeutung des Verbraucherschutzes dazu führen sollte, ihn zum Staatsziel in unserer Landesverfassung zu erklären: Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Piraten, da darf man auch Zweifel haben. Es muss nicht nur die hohe Hürde einer Zweidrittelmehrheit, die man braucht, um neue Staatsziele in der Verfassung zu verankern, beachtet werden, sondern es geht auch darum, nicht jedes Einzelinteresse zum Staatsziel zu erklären, sondern dass es in der Verfassung eine Konzentration auf übergreifend als wichtig angesehene Ziele gibt.
Es hat auch immer wieder Vorstöße gegeben, zum Beispiel den Sport oder die Kultur zum Staatsziel zu erklären. Das Problem ist, dass es da meistens um abwägende, von allen gleichermaßen als wichtige Ziele angesehene Politikfelder geht. Ein Staatsziel zeichnet sich dadurch aus, dass Absichten und Ziele eines politischen Gemeinwesens postuliert werden.
Anders als Grundrechte sind Staatsziele übrigens nicht einklagbar. Auch das ist ein Problem. Letztendlich führt es vielleicht gar nicht weiter, ein Staatsziel „Verbraucherschutz“ in die Landesverfassung aufzunehmen.
Ich will abschließend noch einen Schritt weitergehen und begründen, warum ich als Jurist und als Verbraucherpolitiker mit Ihrem Gesetzentwurf Probleme habe. Staatszielbestimmungen beinhalten in aller Regel einen Zielpluralismus. In unserer Verfassung steht zum Beispiel nicht, dass die Rolle der Frau gestärkte werden muss. Vielmehr geht es um die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Man schaut sich beide Seiten an.
Aus meiner Sicht geht es beim Verbraucherschutz gerade nicht um so einen abwägenden Blick. Hier geht es darum, wo immer dies möglich ist, eine strukturell schwächere Position gegenüber der im Regelfall strukturell stärkeren anderen Seite zu unterstützen.