Protocol of the Session on November 5, 2015

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

Herr Präsident, ich komme, Ihr Räuspern richtig deutend, zum Ende meiner Ausführungen. – Deswegen hätte ich ein Problem damit, den Verbraucherschutz zum Staatsziel zu erklären; denn ich möchte, dass Verbraucherpolitik parteiisch bleibt: zugunsten der Verbraucherinnen und Verbraucher.

Deshalb freue ich mich zwar auf eine gute Diskussion in den Fachausschüssen, muss Ihnen aber auch sagen: Einer Staatszielbestimmung möchte ich als verbraucherpolitischer Sprecher meiner Fraktion an dieser Stelle aus juristischen und aus politischen

Gründen nicht zustimmen. Ich möchte vielmehr, dass Verbraucherrechte gestärkt werden können. Ich möchte sie auch weiterhin parteiisch vertreten können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Markert. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Frau Kollegin Freimuth.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verbraucherschutz ist wichtig. Mündige Bürgerinnen und Bürger, Verbraucher, brauchen die Möglichkeit, sich frei zu informieren. Sie benötigen auch einen gesicherten Rechtsrahmen, in dem ihre Interessen, das Recht auf Information und der Schutz ihrer Rechtsgüter geschützt werden.

Mein Kollege Henning Höne, die FDP-Fraktion und ich gehen völlig d’accord, dass der Verbraucherschutz ein wichtiges Anliegen ist. Jetzt wird allerdings von den Piraten gefordert, den Verbraucherschutz zum Staatsziel zu erklären. Dazu haben meine Kolleginnen und Kollegen Vorredner schon eine ganze Reihe von Argumenten angeführt, die ich voll unterstreichen kann.

Bei Staatszielbestimmungen handelt es sich um Verfassungsnormen mit rechtlich bindender Wirkung, die der Staatstätigkeit die fortdauernde Beachtung und Erfüllung bestimmter sachlich umschriebener Aufgaben vorschreibt. Solche Staatszielbestimmungen umreißen ein bestimmtes Programm der Staatstätigkeit und sind dadurch auch Richtlinie bzw. Direktive für das staatliche Handeln sowie für die Auslegung von Gesetzen und sonstigen Rechtsvorschriften.

Eine typische Staatszielbestimmung gibt den

Staatsorganen ein grundlegendes Ziel vor, das anzustreben sie verfassungsrechtlich verpflichtet sind. Die Wahl der Mittel für die Zielverwirklichung steht ihnen aber völlig frei. Auch die Konkretisierung dieses unbestimmt formulierten Ziels ist ihnen überlassen.

Staatszielbestimmungen sind überdies in verfassungsrechtlichen Abwägungsprozessen zu berücksichtigen. Sie sind aber nicht einklagbar. Und da sind wir beim entscheidenden Punkt; denn genau da setzen die Schwierigkeiten ein. Die Staatszielbestimmung steht ja nicht isoliert da. Sie ist kein isolierter Programmsatz unserer Verfassung. Vielmehr tritt sie im Einzelfall auch in Konflikt mit anderen Grundrechten sowie mit anderen Verfassungsgütern und Staatszielen.

An dieser Stelle stecken wir in den sehr komplexen Abwägungsprozessen. Grundrechtseingriffe können häufig nur durch die Berufung auf anderweitiges

Verfassungsrecht gerechtfertigt werden. Wenn man den Verbraucherschutz tatsächlich zum Staatsziel erheben wollte – ganz abgesehen von der Frage, ob denn dann die Landesverfassung tatsächlich der richtige Adressat wäre; für dieses Parlament zwar schon, weil wir letztlich nur die Landesverfassung regeln können –, müsste man über ganz andere Dinge nachdenken.

Die Erhebung des Verbraucherschutzes zum Staatsziel auf der Landesebene müsste nämlich auch zur Rechtfertigung von Grundrechten, die durch das Grundgesetz geschützt sind, mit einbezogen werden. Das würde jedoch ein Fundament für spezielle nordrhein-westfälische Grundrechtsbeschränkungen legen. Da geht das Ganze dann über das, was vielleicht gut gemeint ist, deutlich hinaus.

Staatszielbestimmungen im engeren Sinne schränken überdies den Gesetzgeber ein. Je mehr Regelungsgegenstände des täglichen Lebens in den Verfassungsrang erhoben werden, umso mehr verfassungsrechtliche Konfliktpotenziale werden geschaffen. Jede neue einfachgesetzliche Regelung ist dann an immer mehr Verfassungsvorgaben zu messen und läuft immer stärker Gefahr, diese nicht zu verwirklichen.

Damit wird letztlich auch das Demokratieprinzip in Mitleidenschaft gezogen; denn ein durch die Pluralität von Staatszielbestimmungen gleichsam gefesselter Gesetzgeber ist in immer geringerem Maße frei, politische Entscheidungen entsprechend den jeweiligen Mehrheitsverhältnissen zu treffen.

Eine solche Prädetermination des Staates lehnen wir Freien Demokraten ab. Staatsziele sollten auf Positionen von fundamentaler Bedeutung für unser aller Leben beschränkt bleiben, wie das etwa für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen im Grundgesetz heute schon gilt.

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Herrmann von der Piratenfraktion?

Nein, das tue ich im Augenblick nicht, Herr Präsident.

Keine Zwischenfrage. – Bitte.

Vielen Dank. – Im Übrigen dürfte ohnehin der Blick ins Grundgesetz weiterhelfen; denn dort haben wir bereits das Sozialstaatsprinzip verankert. Das Sozialstaatsprinzip schützt selbstverständlich auch heute schon die Belange von Verbraucherinnen und Verbrauchern, ohne dass es einer eigenständigen und gesonderten Staatszielbestimmung bedürfte.

Wir werden die Diskussion im Hauptausschuss sicherlich interessiert fortführen. Ich freue mich auf die Beratungen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Frau Freimuth. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Remmel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe in der letzten Zeit nicht mehr so oft Kinderfernsehen geschaut, weil meine Kinder inzwischen schon etwas größer sind. Ich kann mich jedoch noch an die Sesamstraße erinnern: „Smørrebrød, Smørrebrød røm, pøm, pøm, pøm“ – der dänische Koch, der alles durch die Gegend geschmissen hat, um eine Suppe zu kochen, ganz egal, was ihm gerade zwischen die Finger kam.

Bei dem Antrag der Piraten fühlte ich mich ein bisschen daran erinnert: Es geht um die Verfassungsküche, dann wird – „Smørrebrød, Smørrebrød røm, pøm, pøm, pøm“ – alles mal ein bisschen hochgeschmissen, und was dann nachher im Topf landet, soll dann die Verfassung und den Verbraucherschutz miteinander in Verbindung bringen.

Das ist mir an dieser Stelle ein bisschen zu einfach. Immerhin handelt es sich um die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen. Damit sollte man etwas sorgfältiger umgehen, meine ich.

Auf den ersten Blick ist das natürlich ein Anliegen, dem man sich nicht verschließen kann. Bei genauerem Hinsehen wird es aber doch etwas schwieriger. Man kann das nicht so schlicht regeln, wie im Gesetzentwurf dargelegt. Es geht um eine Verfassungsänderung. Diese bedarf einer Zweidrittelmehrheit, also auch eines gewissen politischen Vorlaufs, einer Diskussion und einer Abstimmung auch mit anderen politischen Kräften. Deshalb sollte eine Verfassungsänderung nicht im Schnellschussverfahren einfach mal so in die Luft geblasen werden.

In Ihrem Gesetzentwurf wird der Begriff „Zuständigkeit“ erwähnt. Das ist ein verwaltungsrechtlicher Terminus, mit dem nicht hinreichend genau beschrieben werden kann, dass das Land auf ein Staatsziel „Verbraucherschutz“ verpflichtet wird. Auch ist die Formulierung „Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher“ so unbestimmt, dass die Reichweite einer solchen Staatszielbestimmung nicht hinreichend konturiert ist.

Insofern kann aufgrund der Unkonkretheit – die auch der Tatsache geschuldet ist, dass es sich um einen Schnellschuss handelt – der Gesetzentwurf der Piraten aus Sicht der Landesregierung nur abgelehnt werden. Allerdings lohnt es sich schon –

das ist Aufgabe des Parlaments; das Parlament hat sich dieser Aufgabe auch angenommen –, wenn sich Dinge in der Gesellschaft verändern, wie es nun einmal ständig der Fall ist, immer wieder zu überprüfen: Ist das, was in unserer Verfassung steht, noch zukunftsfähig? Oder muss es gegebenenfalls angepasst, verändert oder zukunftsfähiger gemacht werden?

In der Tat finde ich schon, dass es einen Lebensbereich gibt, der in der Verfassung – sowohl im Grundgesetz als auch in der nordrhein-westfälischen Verfassung – bisher nicht abgebildet ist: Wie verändert die Digitalisierung unser gesellschaftliches Zusammenleben? Wie werden Verhältnisse zwischen meinen Daten und Marktdaten geregelt? Wie wird der Austausch von Daten geregelt? Und muss da möglicherweise ein Grundrechtsschutz greifen, der über eine Verfassung geregelt ist?

Dazu ist aber eine sehr intensive Diskussion notwendig, die man dann inhaltlich führen muss, und zwar sowohl untergesetzlich als auch gesetzlich. Dann kann man vielleicht überlegen: Braucht man da eine Änderung in der Verfassung? Das kann man allerdings nicht mit einer solchen Debatte hier und heute bestreiten.

Wenn dieser Gesetzentwurf ein Anstoß sein sollte, gerade die Frage der Zukunft der Verbraucher beziehungsweise der Individuen in einer digitalen Welt zu besprechen, dann nehmen wir das gemeinsam als Auftakt. In der Tat beschäftigt uns alle die Frage: Was geht da an Veränderungen vor? Was wird da mit uns passieren? Wie und in welcher Weise können Staat, Gesellschaft und Individuen hier agieren und sich frei entfalten? Das steht in der Tat auf der Tagesordnung. Mit einem allgemeinen Gesetzentwurf wie diesem wird das allerdings nicht beantwortet.

Im Übrigen wird ein solcher Gesetzentwurf auch immer dann vorgelegt, wenn man meint, möglicherweise Defizite in der Politik monieren zu müssen. Das halte ich an dieser Stelle für falsch. Ich halte es gerade deshalb für falsch, weil wir gemeinsam fraktionsübergreifend noch einmal den Verbraucherschutz in Nordrhein-Westfalen gestärkt haben, indem wir jetzt – das gibt es in keinem anderen Bundesland – eine über fünf Jahre abgeschlossene Vereinbarung mit der Verbraucherzentrale unterzeichnet haben. Das ist eine finanzielle Sicherheit für den Verbraucherschutz, die Verbraucherberatung und die Verbraucherinnen und Verbraucher in Nordrhein-Westfalen. Diese bis 2020 geltende Vereinbarung hat immerhin ein Volumen von 71 Millionen €.

Es gibt 60 Beratungsstellen, die wir gemeinsam mit den Kommunen im Land unterhalten. Die Bürgerinnen und Bürger geben über das Parlament das Geld dafür. Das ist Champions League in Sachen Verbraucherschutz. Kein anderes Bundesland hat das. Auch europäisch gibt so etwas nicht. Wir ha

ben also eine starke Infrastruktur für die Verbraucherinnen und Verbraucher und damit eine solide Grundlage in unserem Land.

Oder denken Sie an andere Initiativen, die das Land mit Ihrer Unterstützung gestartet hat, bei denen es um Transparenz bei Lebensmittelkontrollen, um eine bessere Nutztierhaltung und darum geht, die Verbraucherwünsche auch hier zu konkretisieren. Das betrifft auch die Bereiche Finanzdienstleistungen, Telefonwerbung und Energiearmut, wo sich die Verbraucherinnen und Verbraucher in einem Markt bewegen, der immer unübersichtlicher wird. Genauso geht es dabei um die Frage der Dispokredite beziehungsweise einer Zinsobergrenze.

Hier ist das Land – die Landesregierung und das Parlament – massiv unterwegs. Wir haben hier kein Defizit, sondern die Defizite gibt es auf der Ebene der Bundesregierung. Wenn Sie uns da weiter unterstützen könnten, wäre das schön. Wenn Sie Ihre Kraft darauf konzentrieren könnten, würden wir gemeinsam viel erreichen können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister Remmel. – Für die Piratenfraktion hat sich noch einmal Frau Kollegin Brand zu Wort gemeldet.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Remmel, ich finde es schade, dass Sie mit Ihrem „Smørrebrød, Smørrebrød røm, pøm, pøm, pøm“ das Ganze ins Lächerliche ziehen.

(Minister Johannes Remmel: Aber so ist der Gesetzentwurf!)

Ich bin diesen Stil von Ihnen eigentlich so nicht gewohnt. Eigentlich unterhalten wir uns da ein bisschen mehr auf Augenhöhe. Ich finde das sehr schade. Das haben Sie nicht nötig.

Ich komme zu den Äußerungen von SPD und CDU. Ich habe eben schon im Rahmen meiner Zwischenfrage gesagt: Wer eine Vereinbarung bricht, muss damit rechnen, dass wir diese für obsolet halten. – Das heißt, dass wir dann eben auch Verfassungsanträge stellen werden.

(Beifall von den PIRATEN)

Es wurde gesagt, zu viele Einzelpunkte in der Landesverfassung seien schlecht; das sei inflationär. Meine Damen und Herren, Sie alle haben doch den Eid geschworen, dass Sie Politik zum Wohle der Menschen in diesem Lande machen wollen. Und jeder dieser Menschen ist ein Verbraucher. Dann frage ich mich, warum denn Tierschutz ein Staatsziel ist, wenn es nicht wenigstens auch die Menschen in diesem Land sind, für die Sie Politik machen. Das verstehe ich nicht.

Ein Schnellschuss wäre es ja wohl, wenn ich hier eine direkte Abstimmung verlangen würde. Meinen Sie denn, dass wir das Ding jetzt durchjagen wollen? Sie können sich sicher sein, dass wir zu dem Gesetzentwurf eine Anhörung beantragen und die entsprechenden Experten dazu einladen werden. Das ist mitnichten ein Schnellschuss. Wir werden alle Experten bzw. alle zuständigen Leute dazu. Dann werden wir ja sehen, wie sich andere Menschen, die sich damit auskennen, die also Experten sind, dazu äußern werden. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Danke schön, Frau Brand. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.