Protocol of the Session on November 4, 2015

Dass all die Warnungen und Sorgen keine bloße Einbildung von irgendwelchen Netzaktivisten waren, bekamen wir eigentlich ganz schnell mit. Immerhin hatte der Telekom-Chef Tim Höttges Anstand genug, um fast 24 Stunden damit zu warten und dann fast schon stolz den Erfolg zu verkünden. Auf der Unternehmenswebseite wirbt er ganz unverhohlen mit dem neuen Zweiklasseninternet. Das Fazit: Wer zahlt, fährt schneller.

Und Start-ups? Die können ja wohl ein paar Prozent ihres Umsatzes dafür abgeben, so Höttges. Was für ein Eigentor! Hierdurch wurde ganz offiziell eine neue Start-up-Cybermelkmaschine in Stellung gebracht.

(Beifall von den PIRATEN)

Ausgerechnet NRW, das Bundesland, das sich so gern als Nährboden für die Kreativbranche, Startup-Landschaften, Game- und Videoproduktionen verkauft, erstarrt in Teilnahmslosigkeit.

Fast schon lethargisch lässt es die rot-grüne Landesregierung einfach geschehen. Eine Stellungnahme aus den Ministerien? Ein Statement der Ministerpräsidentin? Nix, nada, absolut gar nichts. Wird schon irgendwie, sagt man so. Man bereitet

lieber die nächste PR-wirksame Schnittchenveranstaltung für Gründerinnen und Gründer vor, statt sich für essenzielle Rahmenbedingungen einzusetzen.

(Beifall von den PIRATEN)

Auch die CDU als größte Oppositionspartei hat den Knall nicht gehört. Während die eigenen Leute im Europäischen Parlament diesen Bockmist verzapfen, stellt man hier scheinheilige und inhaltsleere Anträge zum Thema „Start-up-Kultur stärken“.

Da fragt man sich ernsthaft, wie häufig man gegen die Wand gelaufen sein muss, um das nicht zu merken.

(Beifall von den PIRATEN)

Meine Damen und Herren, wenn der Kampf für Netzneutralität an dieser Stelle aufhört, dann war’s das mit der Start-up-Kultur, dann war’s das mit dem Kreativland NRW. Dann findet die Innovation irgendwo anders statt, und der technische Fortschritt rennt winkend an uns vorbei. Wir brauchen jetzt mehr denn je ein starkes Zeichen aus NRW. Die Landesregierung muss sich jetzt dazu äußern und Planungssicherheit schaffen!

(Beifall von den PIRATEN)

Die Politik in NRW muss wieder das Ruder übernehmen. Es reicht hier an dieser Stelle nicht aus, der Landesanstalt für Medien eine diffuse Aufsicht über die Netzneutralität zu geben und dann die Hände in den Schoß zu legen. Sie muss die Landesmedienanstalt stärker in die Pflicht nehmen und dabei auch unterstützen. Sie muss jetzt zeigen, dass der Standort NRW auch ein Standort mit Zukunft ist. Und sie muss jetzt klarstellen, dass die Entscheidung auf EU-Ebene eine falsche Entscheidung war! – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Lamla. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Schneider.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Piratenfraktion! 0211 770070 – das ist die Telefonnummer der Landesanstalt für Medien. Wenn Ihnen das zu analog ist, tippen Sie mal „www.lfm-nrw.de“ in Ihren Browser, und Sie werden finden, was Sie mit Ihrem Antrag zu finden erhoffen, nämlich die Antwort auf die Frage, wie die Landesanstalt für Medien zum Thema Netzneutralität steht.

LfM-Direktor und DLM-Vorsitzender Dr. Jürgen Brautmeier macht dort unter anderem mit einem Video deutlich, dass er entschlossen ist, den diskriminierungsfreien Datenverkehr sicherzustellen. Sie könnten aber auch den von ihrer 20-köpfigen, ich

meine, 19- respektive 18-köpfigen Fraktion entsandten Vertreter in der Landesmedienkommission fragen und ihn bitten, sich für Netzneutralität einzusetzen. Ich denke aber, dass das für Herrn Schwerd selbstverständlich sein wird. Er wird sich als fraktionsloser Abgeordneter ja gleich auch noch zu Wort melden.

Alles in allem brauchen wir also keine offenen Türen einzurennen, zumal Ihre Idee, die Landesanstalt für Medien von hier aus zu etwas zu verpflichten, Herr Lamla, rechtlich gar nicht funktioniert. Ein Blick ins Landesmediengesetz macht deutlich und genügt eigentlich, zu erkennen, dass die LfM eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts ist. Die Rechtsaufsicht liegt bei der Landesregierung. Eine Weisungsbefugnis gibt es dagegen nicht. Und es braucht sie, wie ich eben ausgeführt habe, im aktuellen Fall auch gar nicht.

Die LfM ist zudem nicht – wie Sie es in Ihrem Antrag fordern – gegenüber dem Landtag für das rechenschaftspflichtig, was sie tut. Plötzlich eine pauschale Auskunftspflicht zu basteln, soll aus unserer Sicht auch nicht über den Umweg der Rechtsaufsicht erlangt werden.

Meine Damen und Herren, es ist ja schön, dass wir uns auch in dieser Plenarwoche wieder über das zugegebenermaßen sehr wichtige Thema der Netzneutralität austauschen. Allein, bei Ihnen, liebe Piratinnen und Piraten, scheint mir derzeit die Schallplatte kaputt zu sein. Immer wieder sind es dieselben Lieder. Sie wiederholen im Monatstakt Ihre Lieblingstitel und ändern gerade einmal die Tonlage, vielleicht auch, wie ich gerade gedacht habe, die Lautstärke.

So wichtig das Thema Netzneutralität auch ist – einen richtigen Hit landen Sie hier in Düsseldorf nicht. Die großen Bühnen stehen nämlich in Berlin und Brüssel, wo Sie zugegebenermaßen keinen Zutritt haben.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Stimmt doch gar nicht!)

Das ist vielleicht auch besser so. – Ich habe derzeit den Eindruck, dass Sie langsam, aber sicher die letzte Rille der B-Seite hier im Landtag erreicht haben. Daran ändern Sie auch nichts, wenn Sie Ihre Texte nunmehr in die Hot Rotation geben und die übrigen Fraktionen dann dazu singen sollen. Ganz ehrlich, da machen wir nicht mit.

Ich wiederhole mich zwar ungerne; wenn ich es aber – wie in diesem Falle – muss, dann auch exakt so, wie ich es schon im August in meiner Rede zur Netzneutralität von hier aus gesagt habe: Wir in Nordrhein-Westfalen haben uns schon früh deutlich für Netzneutralität ausgesprochen. Sie kennen sicherlich noch den rot-grünen Antrag „Für echtes Netz:-Netzneutralität dauerhaft gewährleisten und gesetzlich festschreiben“ vom Mai 2013.

Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Olejak zulassen?

Ja, gerne. Dafür bin ich ja hier.

Bitte schön.

Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie diese Zwischenfrage zulassen. – Ich wollte Sie nur ganz kurz fragen, ob Ihnen der Name und die Funktion des Mitglieds des Europäischen Parlaments Julia Reda bekannt sind, die nachweislich auch zusammen mit den Grünen im Europaparlament europaweit für die Urheberrechtsnovelle verantwortlich ist. Denn Sie sagten gerade, wir hätten da niemanden sitzen.

Ich habe mich auf das bezogen, was, glaube ich, wichtig ist. Natürlich sitzt eine Piratin in diesem Parlament. Die Frage ist aber auch aktuell – Sie haben es ja selbst erwähnt –, zu wem sie sich scheinbar näher als zu den Piraten selbst hingezogen fühlt. Sie hat auch festgestellt, in welcher Fraktion sie tatsächlich Politik machen kann. Über das Thema „Absatztendenzen“ müssen wir uns, glaube ich, heute nicht unterhalten. Ich habe es ja gerade schon erwähnt. Mal schauen, mit wie vielen der 18-, 19- oder 20-köpfigen … Wie auch immer!

Ich fahre mit meiner Rede fort und möchte weiter aus meiner Rede von vor einigen Monaten zitieren. Damals haben wir eindeutig klargemacht, dass im Internet nur die grundsätzliche Gleichbehandlung aller Datenpakete unabhängig von Inhalt, Dienst, Anwendung, Herkunft oder Ziel der Garant für ein freies Netz ist.

Gemeinsam mit Ihnen, liebe Piraten, haben wir danach – im Mai 2014 – unsere gemeinsame Position im Antrag Drucksache 16/5777 zum Ausdruck gebracht. Lukas Lamla hat eigentlich gerade schon aufgezählt, was wir da alles gemacht haben, wo wir Seit an Seit gestanden haben. Das war vor etwas mehr als einem Jahr. Seitdem steht unser gemeinsames Wort – verflixt noch mal –, das wir deshalb heute auch nicht zu erneuern brauchen. – Zitat Ende.

Die Äußerungen von Telekom-Chef Timotheus Höttges – sie wurden gerade schon erwähnt – und die so mancher anderen Telekommunikationsanbieter, die sich danach bemüßigt fühlten, auch noch aufzutreten, werten auch wir – ja! – als Affront und leider auch als Bestätigung all unserer schlimmsten Befürchtungen. Finanziell klammen Start-ups die Überholspur im Internet als besondere Chance zu verkaufen, zeugt schon von Sarkasmus der Telekom. Jetzt sind die Regulierer am Zug. Und diese –

da bin ich mir in Nordrhein-Westfalen sicher – werden entsprechend ihrer Möglichkeiten dafür sorgen, dass die sogenannten Spezialdienste so eng definiert werden, wie wir alle es uns wünschen.

Den vorliegenden Antrag der Piraten lehnen wir – ich habe es gerade erklärt, warum – aus formalen wie inhaltlichen Gründen; inhaltlich wegen der immer wieder erfolgten Doppelungen – ab. Den Kampf für Netzneutralität kämpfen wir jedoch, glaube ich, gemeinsam weiter. – Vielen Dank fürs Zuhören und ein herzliches Glück auf.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schneider. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Schick.

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dass das Europäische Parlament mit den Beschlüssen zur Netzneutralität und zum Roaming heftige Diskussionen auslöst, war, glaube ich, jedem vom Beginn an klar, vor allem, wenn diese Beschlüsse durch Aussagen von Telekom-Chef Höttges begleitet werden, die nicht das nicht widerspiegeln, was wir im Landtag unter Netzneutralität verstehen.

Zwar steht in der Verordnung, dass Datenverkehr diskriminierungsfrei zu behandeln ist, andererseits werden mehrere Ausnahmen definiert wie zum Beispiel Spezialdienste. Was allerdings diese Spezialdienste genau sind, darüber fehlen noch präzise Angaben. So hat die Telekom nicht lange gewartet und gleich einmal einen Wunschzettel vorgelegt. In der Vorweihnachtszeit ist das vielleicht verständlich, doch viele dieser Wünsche sind mit der Richtlinie nicht vereinbar.

Es kann auch nicht sein, dass demnächst Start-upUnternehmen erst einmal zur Kasse gebeten werden, wenn sie in einer bestimmten Geschwindigkeit durchs Netz möchten. Für den Digitalstandort Europa wäre dies ein heftiger Schlag.

Bis zu diesem Punkt dürften inhaltlich die Positionen nicht allzu weit auseinanderliegen. Trotzdem bin ich vom Antrag der Piraten erschrocken. Herr Kollege Schneider hat es schon angesprochen. Was haben Sie für ein Staatsverständnis? Wie bitte schön möchten Sie mit der unabhängigen Landesmedienanstalt umgehen? Die LfM handelt staatsfern, das heißt, es soll ausdrücklich keinen Einfluss der Politik auf die Landesmedienanstalt geben.

Jetzt gibt es natürlich schlechte Beispiele. SPD und Grüne haben an dieser Unabhängigkeit schon einmal kräftig gekratzt, indem sie ein Gesetz vorgelegt haben, mit dem eine zweite Amtszeit dieses Direktors aus parteipolitischen Gründen verhindert worden ist.

(Widerspruch von SPD und GRÜNEN)

Das ist so. Darüber haben wir häufig genug schon gesprochen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Entschuldigung. Stellen Sie doch eine Zwischenfrage, wenn Sie das möchten. Nein, möchten Sie nicht. Ist vielleicht auch besser so. Sonst würden Sie sich wieder einmal blamieren, wie heute schon in einer vorangegangenen Wortmeldung.

Der Beschlussvorschlag der Piraten ist allerdings auch nicht viel besser. Die Landesregierung soll vorab Auskunft im Rahmen ihrer Rechtsaufsicht verlangen, wie die LfM Netzneutralität umsetzen möchte. Rechtsaufsicht heißt für mich, dass die Landesregierung dann einschreiten muss, wenn die LfM ihrem gesetzlichen Auftrag nicht gerecht geworden ist.

Dafür gibt es aber keinen Anhaltspunkt. Ganz im Gegenteil, Direktor Dr. Brautmeier hat bereits gefordert, dass die Medienanstalten mit am Tisch in Brüssel sitzen sollen, gerade weil es in der Richtlinie auch um Vielfalt geht. Es geht eben nicht nur um wirtschaftliche Fragen, wofür die Bundesnetzagentur verantwortlich ist, sondern auch um andere Positionen.

Fazit: Der Antrag greift zwar ein wichtiges Thema auf, ist aber rechtlich mehr als fragwürdig und fordert jemanden dazu auf, das zu tun, was er ohnehin zu tun vorhat. Deshalb ist der Antrag überflüssig. Wir lehnen ihn ab.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Schick. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Engstfeld.