Protocol of the Session on September 30, 2015

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist die feste Auffassung der FDP-Landtagsfraktion, dass wir ohne eine dauerhafte strukturelle Erhöhung der polizeilichen Ausbildungskapazität bei Kommissaranwärtern große Besetzungsprobleme bekommen werden. Dann wird in den nächsten Jahren der erforderliche Nachersatz nicht gelingen. Die Folge mangelnder Einstellungspolitik ist ein faktischer Stellenabbau, der perspektivisch – je nach berechnetem Szenario – zwischen 1.500 und 4.000 Stellen liegen wird. Ist das vertretbar?

Da fragt man sich: Haben wir hier in NordrheinWestfalen etwa weniger Kriminalität, weniger Gefährder und Straftäter, weniger Notrufe und Polizeieinsätze, weniger Gefahren und polizeiliche Aufgaben, weniger konfliktträchtige Fußballderbys oder Demos, weniger Gewalt gegen Polizeibeamte, weniger Angsträume, weniger Brennpunkte und weniger Problemviertel zu erwarten?

Diese Fragen wird man mit Fug und Recht verneinen. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Die Auftragsbücher der Polizei sind voll – und zwar so voll, dass Private keine weiteren Aufträge mehr annehmen würden, was selbstverständlich im Bereich der Polizei – auch zu Recht – nicht geht.

Mit welchen Phänomenen haben wir es in Nordrhein-Westfalen zu tun?

Mit Salafisten haben wir es seit dem Jahr 2011 zu tun. Ihre Zahl ist von 500 auf inzwischen über 2000 angestiegen, hat sich also mehr als vervierfacht. Damit sind Gefährder personalintensiv zu überwachen.

Es sind auch zunehmend Schutzmaßnahmen gegen Terror zu treffen.

Wir haben es in vielen Großstädten mit der Entstehung und Verhinderung von No-Go-Areas zu tun.

Es gibt eskalierende Gewalt durch Rockerbanden, Clans, Hooligans und bestimmte Demonstrantengruppen.

Wir haben explodierende Zahlen beim Wohnungseinbruch. Seit dem Jahr 2011 sind diese Zahlen landesweit um mehr als 50 % angestiegen. Örtliche Steigerungsraten liegen teilweise über 200 % – bei einer Aufklärungsquote von oftmals nur 5 %. Es gibt nur minimale Verurteilungsquoten. Nur einer von 100 Einbrechern muss ins Gefängnis.

Alles das, was auch mit dem zu geringen Personalkontingent der Polizei zusammenhängt, kann uns keineswegs beruhigen.

Wir haben eine zu geringe Abschöpfung kriminellen Vermögens, also zu wenig Sicherstellung von Beute.

Es gibt eine wachsende Belastungssituation durch Zusatzaufgaben bei der normalen Polizeiarbeit.

Außerdem haben wir, wie die Landesregierung mit ihren Haushalten ja selber einräumt, sicherlich auch einen hohen personellen Aufwand im Zusammenhang mit dem Schutz der 151 landeseigenen Unterbringungseinrichtungen. Allein dort gab es im Monat August einen personellen Mehraufwand von knapp 4.000 Personalstunden.

Es liegen uns Berichte über eine wachsende Gefahr der polizeilichen Tätigkeit vor. Es gibt zunehmend Übergriffe auf Polizeibeamte.

All das sind Faktoren, die uns beunruhigen müssen, vor allem aber veranlassen müssen, dafür zu sorgen, dass die Polizei in ihrer personellen Ausstattung nicht geschwächt wird. Genau das wird aber bei den hohen Altersabgängen in den nächsten Jahren der Fall sein, wenn jetzt nicht dauerhaft gehandelt wird.

Deshalb sagen wir: Es reicht ganz ausdrücklich nicht aus, als Strohfeuereffekt hier in einem verkürzten Verfahren einmalige Beschlüsse zu treffen. Wir brauchen dauerhaft Planungssicherheit für die Personalrekrutierung bei der Polizei.

Die eigenen Berichte des Ministers stellen die Misere dar. Wir haben gegenwärtig einen faktischen Verlust von über 3.000 Planstellen als Vollzeitäquivalente infolge von Krankentagen bei der Polizei. Gegenwärtig sind es schon knapp 1.600 Planstellen. Nach der Prognose werden es im Jahr 2020 über 2.000 Planstellen sein. Das betrifft nicht zustande gekommene Arbeitsleistungen infolge von Teilzeitarbeit und Elternzeit. Es wird viele weitere Planstellenverluste durch Fortbildung, verwendungseingeschränkte Polizeivollzugsbeamte sowie durch Freistellungen nach dem LPVG geben. Insofern kom

men viele Stellen, die in Haushaltsplänen auftauchen, tatsächlich nicht der Sicherheit von Bürgern in Nordrhein-Westfalen zugute.

Wir als FDP-Landtagsfraktion wollen in jedem Fall das ernst nehmen, was die Experten auch Ihnen, Herr Minister, aufschreiben. Wir wollen einen gravierenden dauerhaften Personalabbau bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen verhindern, weil wir hier im Ländervergleich – auch wenn man sich die Problemlage der vielen Ballungsräume anschaut – schon weit abgeschlagen hinten liegen. Wir wollen Planungssicherheit für die personelle Ausstattung der Polizei in Nordrhein-Westfalen.

Deshalb fordern wir Sie auf: Setzen Sie nicht auf Einmalaktionen, die dann hektisch in Form von Nachtragshaushalten durchgeführt werden. So richtig und berechtigt jede Korrektur in Nachtragshaushalten ist: Sie darf nicht dazu führen, dass eine regulär auskömmliche personelle Besetzung bei der Polizei verdrängt wird. Genau das ist das Plädoyer dieses Antrages, nämlich für mehr Planungssicherheit bei der zukünftigen dauerhaften Rekrutierung zu sorgen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Witzel. – Auch die SPD-Fraktion hat eine Meinung zu dem Antrag. Diese vertritt jetzt Herr Bialas.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Erstes möchte ich der FDP für den Antrag danken; denn ohne eine weitere plenare Befassung wäre die Leistung des Innenministers und der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen möglicherweise untergegangen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

In der Tat: NRW stellt in diesem Jahr weitere 250 Polizeianwärter ein – zusätzlich zu denen, die wir ohnehin schon zum 1. September 2015 eingestellt haben. Das sind dann insgesamt fast 1.900 Neueinstellungen im Jahre 2015.

(Ralf Witzel [FDP]: Wie ist das denn in den nächsten Jahren?)

Diese gute Nachricht – da gebe ich Ihnen völlig recht – sollte nicht einfach im alltäglichen Politikgeschäft untergehen. Damit steigert diese Regierung die Einstellungszahlen für Polizeianwärter im Jahre 2015 auf knapp 800 Personen mehr, als wir sie im Jahre 2010 hatten. Wir haben damit seit 2010 über 600 neue Planstellen geschaffen, also für dauerhafte Erhöhung gesorgt.

(Christof Rasche [FDP]: Was ist mit dem Vergleich mit 2004?)

Das wird noch nicht ganz als Kompensation für die zahlreichen zu erwartenden Pensionierungen der

starken Jahrgänge bis zum Jahr 2025 reichen. Das wissen wir. Daher streben wir auch weiterhin kontinuierliche und finanzierbare Anstiege an. NRW wird stets über so viele Polizistinnen und Polizisten verfügen, wie es zur Bewältigung der Aufgaben braucht.

Als Zweites möchte ich die FDP beglückwünschen, dass sie nun in der Opposition endlich die demografische Entwicklung bei der Polizei bemerkt

(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])

und in der Opposition auch die richtigen Forderungen nach mehr Einstellungen mehrere Jahre nach Beendigung eigener Zuständigkeit stellt. Diese von Ihnen benannte nachhaltige Personalentwicklung haben Sie wieder als Notwendigkeit entdeckt. Da kann ich nur sagen: Klasse! Wir hätten uns gefreut, wenn Sie Ihre jetzigen Forderungen bereits frühzeitig in Ihrer Regierungszeit in reales Handeln umgesetzt hätten.

Natürlich kennen wir die Zahlen derjenigen, die pensioniert werden. Natürlich kennen wir Nachersatznotwendigkeiten. Daher haben wir anschließend an Ihren Beginn – das sage ich auch – seit 2010 bereits weitere Erhöhungen mit kontinuierlichen Mehreinstellungen zu verzeichnen.

Wir sorgen außerdem dafür – daran muss man bei Einstellungen ebenfalls jederzeit denken –, dass wir auch die entsprechende Ausbildungskapazität und Infrastruktur hierfür haben und schaffen werden.

Ja, Sie haben völlig recht: Unsere Polizei ist vielfach gefordert. Sie macht ihre Arbeit sehr gut. Sie stellt sich auch flexibel auf neue Herausforderungen ein. Dafür genießt sie ein hohes Ansehen und unseren Respekt.

Auf die in Ihrem Antrag aufgestellten Zahlen gehe ich jetzt nur ganz sporadisch ein. Immer wieder kommen Sie – die CDU wird vermutlich gleich auch noch einmal in schillernden Farben den Untergang beschwören – mit den Quoten der Wohnungseinbrüche und deren Steigerungsraten. Dazu nur zwei Zahlenvergleiche:

Wenn Sie von Steigerungsraten von 50 % bei Wohnungseinbrüchen sprechen, müssen Sie Bayern meinen. Dann können Sie nicht Nordrhein

Westfalen meinen. In dem Vergleichszeitraum von 2010 bis 2014 beträgt unsere Steigerungsrate – leider ist es eine Steigerungsrate – lediglich 15 %.

Ich darf auch daran erinnern, dass in den letzten Jahren Ihrer Verantwortung bis 2010 diese Rate sogar bei 16 % lag. Ich frage mich immer wieder, welche Konsequenzen und Forderungen Sie daraus ziehen wollen.

In einem Punkt stimme ich mit Ihnen völlig und restlos überein. Sie schreiben in Ihrem Antrag:

„NRW braucht eine ausreichende Polizeipräsenz, konsequente Kriminalitätsbekämpfung, gu

te Personal- und Sachausstattung sowie eine effizient organisierte und eingesetzte Polizei.“

Ich darf an dieser Stelle dem Innenministerium und den Polizeibehörden sowie den Polizistinnen und Polizisten danken, die sich dieser Aufgabe täglich stellen und verantwortungsbewusst dafür sorgen, dass NRW genau diese entsprechenden Qualitäten, die Sie dort benannt haben, auch hat. – Ich darf mich herzlich bei Ihnen bedanken.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Bialas. – Bleiben Sie einfach am Pult. Es gibt eine Kurzintervention, angemeldet von Herrn Witzel von der FDP-Fraktion. – Bitte schön, Herr Witzel.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Bialas, ich war gerade etwas erstaunt über Ihre historischen Bezüge, weil Sie bei Ihrer Betrachtung das ausgeblendet haben, was ich mindestens genauso interessant finde, nämlich – wenn Sie sich die letzten zehn Jahre anschauen – welche Personalabbaubeschlüsse Rot-Grün bis zum Jahr 2004/2005 hinterlassen hat.

Weil Sie gerade gesagt haben, seit 2010 gebe es eine positive Entwicklung bei den Stellen, möchte ich Sie mit einem Zitat der eigenen Expertenkommission dieser Landesregierung konfrontieren, die unlängst ihren Bericht „Bürgernahe Polizei – Den demographischen Wandel gestalten“ vorgestellt hat. Wie Sie dort auf Seite 13 nachlesen können, haben wir seit 2011 bis 2015 rund 600 Polizeivollzugsbeamte mehr, wobei die positiven Zuwächse auf die Einstellungsjahre 2008 und 2009 entfallen, die dann nach dreijähriger Ausbildungszeit in den Dienst getreten sind. Im Detail: Die Einstellungen von Polizeianwärtern im Jahre 2008 haben nach dreijähriger Ausbildung zu einer positiven Differenz von 417 Stellen bei der Polizei im Jahre 2011 geführt und die Einstellungen des Jahres 2009 zu einer positiven Differenz von 148 im Jahre 2012.

Ich frage Sie: Wie können Sie die Zahlen so auswerten und politisch so einordnen, wie Sie das gemacht haben, wenn hier doch klar erkennbar ist, wer gehandelt hat und aus welchen Zeiten welche Effekte resultieren?

Ich wollte in meiner Rede nicht dem Innenminister vorgreifen, der hier auch immer die entsprechenden Replik vornimmt. Insoweit darf ich das an dieser Stelle einmal machen.

Ich habe Ihnen in meiner Rede vorhin ausdrücklich zugestanden, dass Sie bereits mit dem Wiederaufbau von Polizeikräften entsprechend der demografischen Entwicklung begonnen haben. Das ist unbestritten. Diese Zahlen werde ich niemals kritisieren. Dafür sind wir dankbar.