Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Die Ministerpräsidentin hat heute zu Beginn der Plenartagung eine wichtige und beeindruckende Rede gehalten.
Sie hat Grundsätzliches gesagt und vor allem Mut gemacht – für die Menschen, die zu uns kommen, und für die Menschen, die sich darum kümmern, dass die, die zu uns kommen, hier eine gute Aufnahme finden. Deshalb bin ich der Ministerpräsidentin dankbar dafür, dass sie diese wichtige, grundsätzliche Rede hier gehalten hat. Frau Ministerpräsidentin, Sie können sich sicher sein: Die Koalitionsfraktionen werden Sie und die Landesregierung bei dem Bemühen unterstützen, hier in NordrheinWestfalen dafür zu sorgen, dass die Menschen, die aus Not, Krieg und Elend zu uns kommen, hier gut aufgenommen werden. Frau Ministerpräsidentin, Sie haben unsere Unterstützung dafür.
Dann sprach der Oppositionsführer Armin Laschet. Besserwisserisch, kleinkariert, streckenweise populistisch
Herr Kollege Laschet, ich habe keinen roten Faden und kein Konzept in Ihrer Rede entdecken können – nichts, was auch nur den Anschein erwecken konnte, Sie wüssten, worüber Sie reden.
(Nadja Lüders [SPD]: Es gab ja auch kei- nen! – Christian Lindner [FDP]: Ich habe noch Ihre Debattenkultur in Erinnerung!)
Sie wissen ja noch nicht einmal, wie die Menschen nach Nordrhein-Westfalen kommen und hier aufgenommen werden müssen, Herr Kollege Laschet.
Die Ministerpräsidentin hat eine wichtige, beeindruckende, grundsätzliche Rede gehalten. Ich gebe es gerne zu: Ich wünschte mir, dass die Bundeskanzlerin diesem Beispiel folgen
und mit einer annähernd so beeindruckenden Rede den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland erklären würde, was 800.000 Flüchtlinge oder vielleicht auch noch mehr in diesem Jahr und viele weitere 100.000 in den kommenden Jahren – und zwar Jahr für Jahr – für unser Land bedeuten werden.
Wenn sie sich dazu aufraffen würde, dann würde sie im Grunde genommen das Gleiche sagen müssen, was die Ministerpräsidentin schon heute diesem Hohen Haus und den Bürgerinnen und Bürgern in Nordrhein-Westfalen gesagt hat:
Ja, wir stehen vor einer großen nationalen Bewährungsprobe. – Ob wir sie bestehen, werden wir erst in zehn Jahren – vielleicht auch erst in 20 Jahren – wissen; denn erst dann wird sich zeigen, ob wir zu jener sozialen und wirtschaftlichen Integrationsleistung imstande waren, die heute von uns verlangt wird.
Ja, die Zahl der Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, war noch nie so hoch wie heute. Ende 2014 waren weltweit knapp 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Das sind fast 10 Millionen mehr als im Jahr davor und fast doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren.
Mehr als 7.000 Menschen treffen jede Woche in Nordrhein-Westfalen ein. Sie kommen, weil sie hier Schutz für sich und ihre Familien suchen, weil sie der Armut entrinnen wollen und weil sie auf ein besseres und selbstbestimmtes Leben für sich und ihre Kinder hoffen. Wir wollen ihnen helfen, soweit es geht und soweit es in unserer Kraft steht. Das wird in Nordrhein-Westfalen auch auf der Tagesordnung bleiben.
Für diese Hoffnung verkaufen sich Menschen an Schleuserbanden, und sie bezahlen dafür viel zu oft mit ihrem Leben – vor Kurzem noch 71 Menschen in einem Lkw in Österreich. Der Erzbischof von Köln und Kardinal Rainer Maria Woelki hat uns mit Recht vor falschen Reflexen gewarnt, als er feststellte – Zitat –:
Ich füge hinzu: Kein deutsches Gesetz über sichere Herkunftsländer wird auch nur einen Menschen von der Flucht aus großer Not abhalten können, meine Damen und Herren. Auch das gehört zur Wahrheit.
Niemand riskiert sein Leben und das seiner Kinder, weil er es auf Zuwendungen nach dem deutschen Asylbewerberleistungsgesetz abgesehen hat. Das entspricht doch nicht der Wirklichkeit; das ist dummes Geschwätz.
Im Übrigen ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hier eindeutig. Der Barbetrag für persönliche Bedürfnisse ist Teil des verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs auf ein menschenwürdiges Existenzminimum.
Aber sehr viele – wahrscheinlich sogar die meisten – werden bleiben. Das bedeutet, dass sich unser Land verändern wird, dass es sich verändern muss. Darin liegt eine große Chance. Darauf hat die Ministerpräsidentin hingewiesen. Die Geschichte der Migration lehrt uns, dass Einwanderungsgesellschaften dynamischer, innovativer, wirtschaftlich stärker sind als solche, die versuchen, sich abzuschotten.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich die gesellschaftlichen und ökonomischen Vorteile der Einwanderung erst langsam einstellen werden, und diese Vorteile wird es nicht umsonst geben. Sie verlangen von uns große Anstrengungen und sehr viel Geld: nicht erst in Jahren, sondern schon heute.
Wir stehen also vor großen Herausforderungen. Die administrative Herausforderung, Herr Kollege Laschet, besteht darin, die Flüchtlinge aufzunehmen, zu registrieren und ihre Asylverfahren einzuleiten. Zunächst brauchen sie Unterkünfte und eine medizinische Versorgung. All das muss ohne ein Mindestmaß an Planungssicherheit gelingen.
Noch Ende letzten Jahres hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ca. 230.000 Flüchtlinge für ganz Deutschland für 2015 prognostiziert. Schon im Februar musste die Bundesbehörde ihre Prognose auf 300.000 und im Mai nochmals auf 450.000
anpassen. Heute rechnet das BAMF mit einem Anstieg auf 800.000 Menschen für das Jahr 2015. Damit haben sich die Zugangszahlen innerhalb weniger Monate mehr als verdreifacht.
Die Verlässlichkeit der Planungsgrundlagen sinkt in gleichem Maße. Der Bundesinnenminister und sein zuständiges Bundesamt haben bereits eingeräumt, dass sie mit ihren Prognosen, die auch die Arbeitsgrundlage für die Bundesländer und die Kommunen bilden, völlig falsch lagen.
Müssen wir also als Land improvisieren? – Ja, selbstverständlich, meine Damen und Herren. Wissen wir als Land denn nicht, dass wir unseren Kommunen und ihren Bürgerinnen und Bürgern eine Menge zumuten, wenn wir zum Beispiel sehr kurzfristig Notunterkünfte anfordern? – Selbstverständlich wissen wir das. Es geht aber doch nicht anders. Solange das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht in die Lage versetzt wird, Asylverfahren in längstens drei Monaten abzuschließen, lässt der Unterbringungsdruck nicht nach. Auch das gehört zur Wahrheit in dieser Angelegenheit.
Herr Kollege Laschet, das wissen Sie ganz genau, und trotzdem versuchen Sie, aus dieser Ausnahmesituation – das hat mich enttäuscht – landespolitisches Kapital zu schlagen.
Sie legen uns einen Antrag voller Placebos, Binsenweisheiten und Selbstverständlichkeiten vor und sprechen auch noch von Alternativkonzept.
Sie fordern, dass die Flüchtlingspolitik zur Chefsache wird. – Das ist sie längst – jedenfalls bei uns in Nordrhein-Westfalen. Jetzt wäre es endlich an der Zeit, dass auch die Bundeskanzlerin, die CDUVorsitzende, die Flüchtlingspolitik zur Chefsache machen würde. Da reicht eine Pressekonferenz nicht, Herr Kollege Laschet. Das muss schon in die Tat umgesetzt werden.
Die Herausforderungen der Flüchtlingspolitik sind nichts, was man einfach wegmoderieren könnte, sondern erfordern politische Führung, auch in Europa. Es reicht nicht mehr, wirtschaftliche Hilfen für den Westbalkan nur in Aussicht zu stellen oder eine faire Verteilung von Flüchtlingen in Europa anzumahnen. Taten sind gefordert, Herr Kollege Laschet, und Mut. Ich wünschte mir, dass die Bundeskanzlerin, Frau Merkel, endlich den Mut aufbringen würde, die europäische Flüchtlingsfrage zu ihrer Sache zu machen, zur Sache der Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland.
Meine Damen und Herren von der CDU-Opposition, Sie fordern in Ihrem Antrag, Flüchtlinge aus dem Westbalkan bis zur Entscheidung über ihre Asylan
träge bzw. bis zu ihrer Rückführung in den Unterkünften des Landes zu belassen. Das haben Sie gerade wiederholt. – Natürlich ist das eine mögliche, eine erforderliche Maßnahme. Tatsächlich steht eine entsprechende Vereinbarung zwischen dem Innenministerium und dem BAMF kurz vor dem Abschluss.
Doch auch hier gilt, Herr Kollege Laschet: Die immer noch unzureichenden Kapazitäten des Bundesamtes sind das Nadelöhr, an dem diese Maßnahmen scheitern und bisher gescheitert sind.
Sie fordern 30.000 neue Plätze in Landesunterkünften und tun so, als könne man diese Plätze über Nacht bei Amazon bestellen.