Protocol of the Session on September 2, 2015

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Die Landesregierung schafft die Plätze, die machbar sind. Es gilt, das gemeinsame Ziel im Auge zu behalten.

Daher die Einladung: Gehen Sie mit uns gemeinsam auf die Suche nach Liegenschaften für weitere Plätze! Wir alle wissen, die Kommunen sind von der unvorhersehbaren Dynamik am direktesten betroffen. Sie tragen hohe finanzielle Lasten. Wir haben die Pauschale bereits einmal erhöht. Die Pauschale gibt es, weil die kommunalen Spitzenverbände nicht spitz abrechnen wollten, sondern mit Pauschalen abrechnen wollten. Die Wahrheit ist, dass es das Wesen einer Pauschale ist, dass die Wirkung in der einen Stadt finanziell eine andere ist als in der anderen Stadt. Wenn in Köln der Wohnraum knapp ist und Wohnungen teuer sind, dann wirkt die Pauschale natürlich in geringerem Umfang als in einer Stadt, in der es billigen Wohnraum zuhauf gibt. Auch das gehört zur Wahrheit dazu.

Über diese Erhöhung der Pauschale hinaus, die inzwischen bei 7.578 € liegt, haben wir auch noch die Entlastungen, die über den Bund und die Länder bei den Kommunen ankommen. Die sind noch nicht alle angekommen – diese Milliarde, von der immer geredet wird.

Aber mir ist auch wichtig, an dieser Stelle mal zu sagen: Das ist nicht eine Milliarde Bundesgeld, sondern diese Milliarde sind 500 Millionen € von den Ländern. Das ist gedacht für Länder und Kommunen, weil auch wir unsere Hausaufgaben machen müssen. Darauf komme ich noch. – Es sind 500 Millionen € von den Ländern, und die anderen 500 Millionen € sind auch kein frisches Geld des Bundesfinanzministers, sondern es sind Mittel aus dem Hochwasserfonds, den auch die Länder mitfinanziert haben. Es wird Zeit, dass der Bund endlich konkret zur Sache kommt und seine Versprechungen jetzt auch wahr macht.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN, Christof Rasche [FDP] und der Regierungsbank)

Dennoch sehen wir die Situation der Kommunen. Deshalb haben wir uns entschlossen, den Stichtag vorzuziehen. Denn eines ist doch klar. Wenn Sie eine Pauschale haben, die 100 % beträgt, und wir jetzt die Zahlen vom letzten Jahr nehmen, als es halb so viele Flüchtlinge waren, dann sagt die Kommune: Ich habe nur 50 % Unterstützung. – Wir

ziehen jetzt diesen Stichtag vor. Das ist eine große Belastung für den Landeshaushalt. Aber wir wissen, dass wir die Kommunen an dieser Stelle nicht alleine lassen können. Deshalb ist das richtig und wichtig, diese Entscheidung zu treffen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Die oberste humanitäre Verpflichtung ist schlicht und einfach, allen, die kommen, ein Dach über dem Kopf zu geben. Wir müssen Obdachlosigkeit unbedingt vermeiden. Ich habe es gesagt. In NordrheinWestfalen stehen heute bereits 10.000 reguläre Unterbringungsplätze und mehr als 20.000 Notplätze zur Verfügung. Im Jahr 2012 hatten wir 1.800 Plätze. Wir steuern auf 60.000 Plätze bis zum Jahresende zu.

Ja, wir brauchen für die Unterbringung der Flüchtlinge auch Turnhallen als Notquartiere. Aber damit kein falscher Eindruck entsteht: Wir haben im Land 6.130 Schulen. Viele, fast die meisten, werden eine Turn- oder Sporthalle haben. Das Land nutzt aktuell 44 Schulsporthallen. Dazu kommen noch 20 kommunaleigene Asylunterkünfte in Schulsporthallen. Nur als Relation: Wir haben zurzeit meiner Kenntnis nach über 100 gesperrte Sporthallen, weil dort Decken fehlerhaft eingebaut worden sind.

Das heißt, auch hier ist völlig klar: Wir sollten nicht skandalisieren, sondern dafür sorgen, dass diese Notunterkünfte schnellstmöglich aufgelöst werden können. Wir wissen, dass das eine der großen Herausforderungen ist, weil wir wollen, dass der Schulsport und dass auch der Sport in den Vereinen in Zukunft wieder ordnungsgemäß stattfinden kann. Darauf können sich die Kommunen verlassen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Aber ich kann keine Versprechungen abgeben.

Lieber Herr Laschet, es erfolgt eine enge Abstimmung in der Landesregierung, um die gemeinsamen Maßnahmen zu koordinieren. Wir kommen regelmäßig unter der Leitung von Sylvia Löhrmann und mir selbst zu einem Sonderkabinett zusammen, seit vielen, vielen Wochen. Wir rufen auch andere Experten hinzu. Zum Beispiel war in den letzten Sitzungen naturgemäß immer auch der Chef des Bau- und Liegenschaftsbetriebes dabei, weil es um landeseigene Immobilien geht, weil es auch um Flächen geht, die wir nutzen können.

Wir haben eine lange Liste, die wir gemeinsam Punkt für Punkt abarbeiten. Wir kommen voran. Da, wo es noch hakt, werden wir weitermachen.

Wir verabreden dabei angesichts der angespannten Situation auch unkonventionelle Maßnahmen, die dann dankenswerterweise auch von anderen aufgegriffen werden. Ich nenne die Ansprache pensionierter Beamtinnen und Beamter. Wir reden darüber, wie wir den Ausbau von Unterbringungsplät

zen noch weiter beschleunigen können, wo zum Beispiel noch Hallen und Flächen genutzt werden können. Wir sind mit Unternehmen in Kontakt wie Post, Bahn, RWE, RAG. Wir sind mit den Schützenvereinen im Gespräch. Wir gucken auch, wo noch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu aktivieren sind, die wir für die Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen einsetzen können.

Wir werden aber im Übergang auch Leichtbauhallen einsetzen. Das sind keine Zelte wie früher auf dem Campingplatz, in die es irgendwann mal reinregnet. Ich sage das immer zur Erläuterung. Das sind Leichtbauhallen. Schauen Sie sich die an! Die sind in meiner Stadt auch eingesetzt worden, als eine Schule renoviert wurde. Da war die Klasse auch im Winter gut untergebracht. Die sind beheizbar, die sind klimatisierbar. Das ist nicht ein Zelt, mit dem ich früher zelten gegangen bin.

Diese Leichtbauhallen dürfen aber nur ein Provisorium sein. Ziel ist es, dass wir möglichst alle Flüchtlinge in festen Unterkünften unterbringen können.

Bereits im Dezember 2014 wurde darum das Programm NRW.BANK.Flüchtlingsunterkünfte aufgelegt. Damit können Investitionen zur Unterbringung von Flüchtlingen auch in den Kommunen finanziert werden.

Um auch Investoren Anreize zu bieten, haben wir im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung ein Förderprogramm auf den Weg gebracht, das Wohnungswirtschaft und kommunale Wohnungsunternehmen unterstützt.

Manche fragen sich, warum der Aufbau nicht schneller geht. Warum wird so lange gewartet, bis eine neue Einrichtung an den Start gehen kann? Vor der Belegung jeder Unterkunft muss eine Reihe von Fragen geklärt werden. Von außen ist das manchmal simpel. Viele sprechen mich an und sagen: Es gibt doch eine Kaserne, die früher genutzt wurde; dort könnt ihr doch Flüchtlinge unterbringen.

Wenn man sich mit den Fachleuten unterhält, hört man, dass die Kaserne einen Winter leer gewesen, dass vieles kaputt ist und sich oft die Restaurierung an dieser Stelle nicht mehr lohnt. Wir müssen prüfen: Sind die Sanitäranlagen für mehrere Hundert Menschen überhaupt vorhanden? Sind die Stromversorgung und der Abwasserkanal ausreichend? Stimmt der Brandschutz? Können Lieferanten anfahren? Auch das sind Fragen, die zu klären sind.

Wir prüfen aber auch, ob Gesetze oder Verordnungen geändert werden müssen, die den Bau, Umbau oder die Nutzung von Gebäuden zur Unterbringung von Flüchtlingen erschweren. Da, wo der Bund zuständig ist, setzen wir uns für die Änderungen der entsprechenden Vorschriften ein, und das findet auch schon statt. Wir handhaben die Landesbauordnung bereits jetzt so flexibel wie möglich. Das haben wir im November 2014 bereits in einem Erlass geregelt. Unabhängig davon, ob eine Bauge

nehmigung vorliegt, kann die Nutzung für die Unterbringung aufgenommen werden, wenn Brandschutz und Standsicherheit gewährleistet sind, damit keine Gefahren für die Flüchtlinge zu erwarten sind.

Über die planungsrechtlichen Erleichterungen im Baugesetzbuch des Bundes hinaus, die Flüchtlingsheime in Gewerbegebieten ausnahmsweise zuzulassen, haben wir der Bundesregierung vorgeschlagen, dass auch im unbeplanten Außenbereich befristet Flüchtlingsheime erlaubt werden. Für die Errichtung neuer Erstunterbringungen in Leichtbauweise gibt es extrem unbürokratische Regelungen per Erlass der Landesregierung. – Das nur als einige Beispiele.

Auch bei der Errichtung von Flüchtlingsunterkünften haben wir für Verfahrensvereinfachung gesorgt. Ich nenne die Vergaberichtlinie. So ist die Vergaberichtlinie für die Unterbringung von Flüchtlingen auf das absolute Minimum abgespeckt worden. Wir haben alle Obergrenzen ausgenutzt und ermöglichen eine freihändige Vergabe in den allermeisten Fällen. Das gilt auch für die Kommunen. Auch für die Errichtung von Zeltbauten haben wir bürokratische Hürden abgebaut, und mit den Kommunen stehen wir im ständigen Austausch und beraten, wo immer es Probleme, Fragen oder auch Missverständnisse gibt.

Eines sage ich deutlich, weil mich das gestern etwas irritiert hat: Wir machen beim Brandschutz keine Kompromisse – bei anderen Themen schon, aber nicht beim Brandschutz. Ich glaube, das ist auch sachgerecht.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Wenn wir unseren humanitären Verpflichtungen gerecht werden wollen, müssen wir dafür sorgen, dass Flüchtlinge medizinisch gut versorgt werden. Wir haben daher den Kommunen ermöglicht, eine Gesundheitskarte für Asylsuchende einzuführen. Kollegin Steffens hat das verhandelt. Als erstes Flächenland konnten wir die Einführung dieser Gesundheitskarte vermelden; sie macht es den Flüchtlingen leichter, sie ist wirtschaftlicher, und sie entlastet die Gemeinden. Das ist ganz entscheidend.

(Zuruf von Daniel Düngel [PIRATEN])

In der vorigen Woche haben die Krankenkassen bereits unterzeichnet. Inzwischen haben neun Krankenkassen unterschrieben. Es gibt bereits viele interessierte Städte, die jetzt auch mit der Einführung der Gesundheitskarte beginnen. Für 180.000 Flüchtlinge käme das infrage –180.000 Mal konkrete Menschlichkeit.

Meine Damen und Herren, uns allen muss bewusst sein: Mit der Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge ist die erste Not gelindert. Aber damit ist die Aufgabe, vor der wir stehen, bei Weitem noch nicht gelöst. Diese Aufgabe ist weit umfassender und vor allem weit langfristiger. Wir sagen den Bür

gerinnen und Bürgern ehrlich: Dieses Land wird sich verändern. Viele Menschen, die zu uns gekommen sind und weiter zu uns kommen, werden auf Dauer hierbleiben. Damit stehen wir vor einer gewaltigen Integrationsaufgabe, und wir wollen das gut machen. Deshalb sind wir fest entschlossen, diese Aufgabe umfassend und systematisch anzugehen, und ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingen kann. Wir waren schon immer ein Einwanderungsland, nicht nur in den Zeiten von Kohle und Stahl.

Diese Integrationsaufgabe passt sich auch in die Linie der vorbeugenden Politik dieser Landesregierung ein. Wir müssen jetzt Unterstützung, Förderung und Integration leisten, statt später teuer zu reparieren. Wir müssen jetzt die Chancen nutzen, die sich gerade vor dem Hintergrund der Prognose der alternden Gesellschaft und beim bereits spürbaren Fachkräftemangel bieten.

Deshalb werden wir unsere Hausaufgaben machen. Wir werden darum sehr konkret noch im Haushalt 2015 noch einmal 400 neue Stellen für die hauptamtliche Betreuung von Flüchtlingen schaffen. Wir müssen sehen, dass die Ehrenamtlichen, von denen ich gesprochen habe, zum Teil wegfallen. Ich habe die Beispiele der Studierenden genannt. Sie kommen zum Teil an das Ende ihrer Kräfte. Wir brauchen hier dringend hauptamtliche Entlastung.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Klar ist auch, dass mit steigenden Flüchtlingszahlen auch die Ausgaben für die Flüchtlingseinrichtungen steigen. Deshalb werden wir hier zusätzlich über 310 Millionen € und noch einmal 50 Millionen € für zusätzliche Gebäude und Grundstücke zur Verfügung stellen.

Weil wir alle wissen, dass Bildung entscheidend für gelingende Integration ist, werden wir zusätzlich zu den schon geschaffenen 1.000 Lehrerstellen weitere 2.625 Stellen im Schulbereich schaffen, 900 Stellen davon allein für Auffang- und Vorbereitungsklassen, damit es von Anfang an gut gelingen kann.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Wir werden aber auch die Stellen für Richter und Justizmitarbeiter aufstocken, weil wir nicht auf der einen Seite vom Bund schnellere Verfahren verlangen können, wenn wir auf der anderen Seite nicht dafür sorgen, dass auch die Verfahren schneller bearbeitet werden können, die in die Rechtsüberprüfung hineingehen. Deshalb werden wir in 2015 bereits 76 zusätzliche Stellen bei der Justiz einrichten, davon 37 Richterstellen.

Ein Lob auch einmal an die Justiz: Wir sind bei den Verfahrensdauern in Deutschland in diesem Fall mit einer Verfahrensdauer bei Eilverfahren von 0,8 Monaten auf Platz 3, bei Hauptsacheverfahren auf Platz 6 mit 7,9 Monaten. Mit den neuen Stellen kön

nen wir noch schneller werden. Das dient allen, damit am Ende auch Sicherheit entsteht.

Um es an der Stelle noch einmal deutlich zu machen: Das sind alles noch Maßnahmen für 2015. Es werden noch viele weitere Stellen für Schulen, im Kitabereich, für Richter, aber auch für Integrationsprojekte, für kulturelle Projekte, für den Sport, für die Unterstützung von Integration zu beschließen sein. Den zusätzlichen Nachtragshaushalt für die gestiegenen Flüchtlingskosten werden wir im Kabinett noch im September beschließen, und die weiteren Maßnahmen für den Haushalt 2016 werden wir rechtzeitig im Laufe des Jahres auf den parlamentarischen Weg bringen.

Sehr wichtig ist dabei auch die Unterstützung der Ehrenamtler vor Ort. Ich bin sehr dankbar für das Programm „KOMM-IN NRW“, was vom MAIS auf den Weg gebracht worden ist. Das werden wir in 2016 noch einmal deutlich ausweiten.

Wir werden zusätzliche Kita-Plätze finanzieren, damit möglichst viele Kinder einen Platz in der Kita finden. Wir wollen, dass sie glücklich aufwachsen. Sie haben viel erlebt, viel durchgemacht. Das gilt im besonderen Maße für die unbegleiteten Kinder und Jugendlichen, die in großer Zahl zu uns kommen. Auch ihnen müssen wir eine besonders große Aufmerksamkeit widmen.

Meine Damen und Herren, ein letzter Punkt: Junge Menschen, die zu uns kommen – ich habe darüber gesprochen –, wollen Perspektiven. Sie sind ungeheuer begeistert. Sie wollen hier sein, sie wollen zeigen, was sie können. Deshalb ist es wichtig – und wir sind im Dialog mit der Agentur für Arbeit und mit den Arbeitgebern –, dass diejenigen, die hierbleiben können, möglichst schnell eine Ausbildung oder Arbeit finden.

Natürlich ist es auch richtig, dass junge Menschen, die zu uns kommen und die Voraussetzungen erfüllen, auch schnell die Möglichkeit bekommen sollen, hier zu studieren. Ich bin dankbar, dass das Wissenschaftsministerium ein Memorandum mit den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen geschlossen hat.

Meine Damen und Herren, das ist nur ein Teil der vielfältigen Aktivitäten, die wir in Gang gesetzt haben. Bei den beiden Flüchtlingsgipfeln haben wir uns mit allen Beteiligten darauf festgelegt, aus dem Blickwinkel der Flüchtlinge unsere Politik auszurichten, eine Willkommenskultur für die Menschen aufzubauen, die zu uns kommen. Für die Landesregierung gilt diese Verpflichtung weiterhin uneingeschränkt, und wir arbeiten daran, sie weiter umzusetzen.

Wir alle stimmen aber überein, dass der Bund zu seiner Verantwortung stehen muss und Länder und Kommunen stärker finanziell unterstützen muss. Der Bund hat das zugesagt. „Am Geld wird es nicht