Protocol of the Session on May 21, 2015

Vielen Dank, Herr Nettelstroth. – Nun hat für die Piratenfraktion noch einmal Herr Herrmann das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Grundsätzlich spricht natürlich nichts gegen einen Bürokratieabbau. Aber da Sie ausgerechnet die Kosten

für die Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen ins Spiel gebracht haben, muss ich mich noch einmal zu Wort melden, weil es ausgerechnet in diesem Punkt keine landesrechtlichen Vorgaben gibt, von denen man sich in einer Kommune befreien könnte.

(Beifall von den PIRATEN und der SPD)

Wenn wir uns in den nächsten Beratungen noch besser kennenlernen, werden Sie erkennen, dass wir das genaue Gegenteil wollen: Wir wollen nämlich Standards für die Kommunen, an die sie sich halten können und von denen sie sich nicht befreien können. Wir hoffen, dass Sie das vielleicht doch anders meinen, und dass Sie nicht die einzig vorhandenen Standards für die Flüchtlingsunterbringung – nämlich die humanitären Standards – absenken wollen. Das wäre überhaupt nicht in unserem Interesse.

Wenn es darum geht, dass Sie keine Standards abbauen wollen, sondern nur Bürokratie, ist das für uns eigentlich eine Argumentation im TTIP-Stil, wo auch immer davon gesprochen wird, dass zwar keine Standards abgesenkt werden, aber alle gewinnen werden und es wahrscheinlich auch noch mehr Jobs gibt. – Ich bin gespannt darauf, was Sie uns dazu im Ausschuss noch erzählen werden. Der Überweisung stimmen wir natürlich zu. – Danke!

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Herrmann. – Damit sind wir am Ende der Beratungen und kommen zur Abstimmung.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/8649 an den Ausschuss für Kommunalpolitik – federführend – sowie an den Haushalts- und Finanzausschuss. Wer stimmt der Überweisung zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall, und damit ist einstimmig so überwiesen.

Ich rufe auf:

3 Arbeit und Ausbildung sind Schlüssel zur In

tegration – Neue Möglichkeiten des Arbeitsmarktzugangs für Flüchtlinge effektiv nutzen, Förderungslücken schließen

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/8656

Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/8743

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPDFraktion Herrn Kollegen Neumann das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Niemand verlässt seine Heimat freiwillig. Wer vor Vertreibung, Verfolgung und Missbrauch fliehen musste, hat nicht nur sein Hab und Gut, sondern seine gesamte Sozialisation hinter sich gelassen. Dazu gehören auch Beruf, Ausbildung oder vielleicht die unternehmerische Tätigkeit.

Sozial ist, was Arbeit schafft, von der man leben kann. Sozial ist, was gute menschenwürdige Arbeit schafft. Das muss selbstverständlich auch für Menschen gelten, die bei uns Zuflucht finden. Dazu müssen Flüchtlinge jedoch erst einmal über realistische Chancen verfügen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Die Landesregierung und die sie tragenden Mehrheitsfraktionen haben sich konsequent einer Politik der Prävention und der Ermöglichung von Teilhabe verschrieben. Nicht nur die Abfederung durch finanzielle Transfers, sondern die umfassende Organisation von Chancen der Teilhabe, Ausbildung und Bildung stehen im Zentrum. Wir möchten mündige autonome Bürgerinnen und Bürger als Mitglieder einer solidarischen Verantwortungsgemeinschaft. Dementsprechend gilt es, Hindernisse dieser Teilhabe aus dem Weg zu räumen, auch für Flüchtlinge.

Flüchtlinge sind ein lebendiger Teil dieser Gesellschaft, ihre Aktivität bereichert uns. Wir können sie nicht zur Passivität in Isolation verdammen. Wir wollen, dass sie mitwirken am sozialen Leben und eben auch am Bruttoinlandsprodukt.

Wie häufig wurden in den letzten Jahren zu Recht Defizite der Migrationspolitik benannt. Einer der Hauptvorwürfe lautete: Mangel an Maßnahmen zur Integration in die wichtigen Funktionssysteme, in den Arbeitsmarkt, das Gesundheitssystem, in das System der Bildungs- und Weiterbildungsangebote, in soziale Netzwerke, aber auch in die Strukturen von Quartieren.

Weil ein Großteil der Flüchtlinge lange bleiben will oder bleiben muss, dauerhaft bei uns bleiben will, wollen wir diesen Menschen die Integration nachhaltig ermöglichen. Die Erleichterung oder – sagen wir einfacher – die Normalisierung des Zugangsweges zu Arbeitsmarkt und Ausbildung und die Verbesserung der Beratung sind in vielerlei Hinsicht sinnvoll – sozialpolitisch, integrationspolitisch, aber auch wirtschaftspolitisch.

Massive Rückendeckung erfahren wir in unserem Anliegen durch den BDA, den Deutschen Industrie- und Handelskammertag und den Zentralverband des Deutschen Handwerks. Die Arbeitgeberverbände haben das in den Fähigkeiten und Erfahrungen der Flüchtlinge liegende Potenzial für sich und den allgemeinen Arbeitsmarkt erkannt. Sie sind es, die Sprachkurse und niederschwellige frühe Zugänge fordern. Die organisierte Handwerkerschaft votiert offensiv für ein Bleiberecht von Flüchtlingen in Aus

bildung. Das sagen in diesem Fall keine Flüchtlingsinitiativen und -verbände, das sagen die Repräsentanten der deutschen Unternehmerschaft.

Neben humanitären Grundüberzeugungen ist es Ausdruck nüchterner betriebswirtschaftlicher Ratio. Die Unternehmen wollen es sich nicht leisten, auf die Arbeitskraft und auf die Fähigkeiten und das Engagement von Flüchtlingen zu verzichten. Wir können es uns auch volkswirtschaftlich nicht erlauben, diese Gruppe zu ignorieren. Und wir sollten es uns nicht leisten, auf den haushalterisch entlastenden und gesamtwirtschaftlich vorbildlichen Effekt einer frühestmöglichen Arbeitsmarktintegration zu verzichten.

Wenn ich mit Flüchtlingen spreche, ist nahezu durchgängig das Erste, was ich im Gespräch vernehme, nicht etwa das Klagen angesichts ihres Schicksals, was nur zu verständlich wäre, nein, es ist der Wunsch, hier Arbeit zu finden und selbstständig den Lebensunterhalt sichern zu können. Ich höre Fragen von ihnen, wie sich das notgedrungen abgebrochene Studium fortsetzen lässt, wie sich eine Berufsausbildung angehen lässt, welche Möglichkeiten bestehen, schnellstmöglich die Sprache zu beherrschen, um sich dadurch frei bewegen zu können. Das Ziel von Flüchtlingspolitik in dieser Hinsicht ist es, Teilhabe durch Arbeit zum Regelfall zu machen.

(Beifall von Stefan Engstfeld [GRÜNE])

Die Menschen sollen in die Lage versetzt werden, sich selbstbestimmt und würdevoll Schritt für Schritt eine Existenz aufzubauen.

Kommen wir zur Bestandsaufnahme. Eine Reihe begrüßenswerter Verbesserungen der letzten Monate ist zu verzeichnen. Das absolute Arbeitsverbot wurde jüngst von neun auf drei Monate reduziert. Die Vorrangprüfung für den Arbeitsmarktzugang für Asylsuchende und Geduldete entfällt für Fachkräfte generell, ansonsten nach 15 statt nach 48 Monaten des Inlandsaufenthalts.

Weitere Änderungen des Asylbewerberleistungsgesetzes treten hinzu. Stichwort: Residenzpflicht, Stichwort: Einschränkung des Sachleistungsprinzips. Einzelne Gruppen von Flüchtlingen sind zudem seit Anfang März dieses Jahres aus dem Rechtskreis des Asylbewerberleistungsgesetzes in die Rechtskreise des Sozialgesetzbuches II und des Sozialgesetzbuches XII übergetreten, einhergehend mit entsprechenden Erleichterungen hinsichtlich der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen im Krankheitsfall. Die NRW-Flüchtlingspolitik und der NRW-Flüchtlingsgipfel auf Initiative der Ministerpräsidentin verbinden personenzentrierte Verbesserungen für Flüchtlinge mit kommunaler Entlastung.

An dieser Stelle wiederhole ich noch einmal: Wir in NRW halten frühestmögliche Integrations- und Sprachkurse sowie Qualifizierungsmaßnahmen für Flüchtlinge für unverzichtbar.

Angesichts der Entwicklung der Flüchtlingsbewegungen und der größten globalen Kriegs- und Vertreibungskrise seit dem Zweiten Weltkrieg – man kann beinahe von einer neuen gewaltbedingten Völkerwanderung sprechen – ist eine weitere Beteiligung des Bundes an diesen nationalen Kosten über die bisherigen Leistungen hinaus unerlässlich.

Flüchtlinge, Behörden und Arbeitgeber sind aktuell noch nicht ausreichend über die jüngsten Novellierungen informiert. Wissensdefizite, Unklarheiten und Unsicherheiten verhindern häufig noch die Ausschöpfung der erweiterten Möglichkeiten.

Die grundsätzlich zu bejahende, richtige Hereinnahme von Flüchtlingsgruppen in die Zuständigkeit des Sozialgesetzbuchs zeigt ungeahnte und sicherlich aber auch nicht gewollte Nebeneffekte. Bisweilen ist von einem sogenannten BAföG-Effekt die Rede. So können Geduldete und Flüchtlinge mit humanitären Aufenthaltsgestattungen unter Umständen infolge dieses Prinzips gestärkter Rechtsstellungen im Ergebnis eine begonnene Ausbildung nicht fortsetzen. Dieser Missstand ist zu beheben, über Zugangsoptionen zu SGB-III-Leistungen bzw. zum BAföG muss die neuerdings eingetretene Exklusion von Flüchtlingen in Ausbildung aus dem Leistungsbezug wieder geheilt, also in eine Inklusion in das System rückverwandelt werden.

Bis zum Inkrafttreten einer solchen Regelung soll die Landesregierung weiterhin kurzfristige Lösungen im Einzelfall anwenden, um dem beschriebenen Effekt auf Kosten und zulasten der Auszubildenden und Ausbildungswilligen zwischenzeitlich zu begegnen.

Auf Grundlage dieser Bilanz sind unsere heutigen Forderungen nur eine präzise Schlussfolgerung aus den noch nicht richtig ineinander greifenden Zahnrändern innerhalb dieses Gesamtbetriebes.

Die Forderung an den Bund ist und bleibt, dass im Geiste gesellschaftlicher Teilhabe der Zugang zu bundesfinanzierten Deutsch- und Integrationskursen eröffnet wird.

Ebenso bitten wir die Landesregierung, weiterhin ihre Stimme für ein Bleiberecht von Flüchtlingen in Ausbildung zu erheben. NRW appelliert mit Nachdruck an die Bundesregierung, die funktionierenden Modell- und Pilotprojekte der Arbeitsmarktintegration auszuweiten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, einige grundsätzliche Erwägungen wie auch zahlreiche Nachsteuerungen und Korrekturen im Detail sind das technische Ausbuchstabieren dessen, was ich als gleichberechtigte Teilhabe am Arbeits- und Ausbildungsmarkt skizziert habe. Was wollen wir? Wir wollen keine ohnmächtigen, isolierten Flüchtlinge in Sondersystemen oder Parallelwelten. Wir wollen handlungsfähige Menschen, die sich dank adäquater Förderung auf den Weg machen, inmitten der Gesellschaft eigeninitiativ ein neues soziales Leben

nach der Flucht und nach dem Verlust aufzubauen. Wenn wir Letzteres wollen, dann kommen wir nicht umhin, dem Bekenntnis zur Arbeit und Ausbildung als Schlüssel zur Integration geeignete Maßnahmen folgen zu lassen.

Das sind wir letztendlich den geflüchteten Menschen schuldig, und das sind wir uns selbst schuldig, solange wir dafür einstehen, eine Politik der sozialen Inklusion aus Vorsorge, Teilhabe und Chancengerechtigkeit zu praktizieren. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Neumann. – Für die grüne Fraktion spricht nun Frau Kollegin Maaßen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weltweit sind über 50 Millionen Menschen auf der Flucht. Dies bedeutet auch für Deutschland und für uns in NordrheinWestfalen eine erhöhte Zuweisung von Flucht betroffener Menschen.

Viele dieser Flüchtlinge sind sehr gut ausgebildet. Dies ist auch bei unserer Wirtschaft angekommen. IHK und Wirtschaftsverbände drängen immer mehr darauf, Asylsuchenden den Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Der Arbeitsmarktzugang ist für Asylsuchende und geduldete Menschen nun nach dreimonatigem Aufenthalt in Deutschland möglich. Dies ist zunächst einmal eine Verbesserung. Die sogenannte Vorrangprüfung entfällt allerdings erst nach 15 Monaten und nur bei Engpassberufen schon früher.

Strukturelle Hindernisse wie mangelnde Deutschkenntnisse, langwierige Verfahren für die Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsabschlüssen und Qualifikationen sowie fehlende Anpassungslehrgänge werden die Inanspruchnahme dieser Erleichterungen erschweren oder sogar unmöglich machen.

Meine Damen und Herren, wir brauchen einen uneingeschränkten Zugang für Neuankömmlinge zu Integrationskursen. Ebenso sollten bereits bei Asylantragsstellung die Schul- und Berufsabschlüsse erfasst werden. Es müssen bereits bei der Ankunft Potenziale abgefragt und Integrationsmöglichkeiten in den Arbeitsmarkt geprüft werden. Hierzu sollte der Zugang zu qualifizierter Berufsanerkennungsberatung ermöglicht werden.

Wir Grünen setzen uns für eine vollständige Öffnung des Arbeitsmarktes ein. Auch der Entschließungsantrag der FDP lässt hier hoffen. Jedoch ist es nicht so einfach, mal eben so Landesprogramme zur Förderung aufzulegen. Im Ausschuss müssen wir uns daher über Finanzierungsmöglichkeiten unterhalten.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine humanitäre Flüchtlingspolitik denkt Integration von Anfang an mit. Deshalb sollten wir uns alle hier verpflichtet fühlen, allen Asylsuchenden ihr Recht auf Arbeit zu verschaffen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Torsten Sommer [PIRATEN])

Vielen Dank, Frau Maaßen. – Die CDU hat als Redner nun Herrn Kollegen Kerkhoff angekündigt.