Wichtige Erfahrungen hat auch unsere Netzwerkarbeit eingebracht, insbesondere das Projekt „Wegweiser“. Wir haben eine hohe Nachfrage an allen Pilotstandorten. Dieses Projekt wird in hohem Maße angenommen. Das Konzept von „Wegweiser“ ist ganz klar. Weil die Gründe für das Abtauchen in eine solche salafistische Szene immer individuell sind, müssen auch die Hilfen, die wir zur Verfügung stellen, entsprechend individuell sein.
Es kann sein, dass der Jugendliche bzw. junge Mann die Hilfe des Jugendamtes oder das Schulamtes braucht. Vielleicht braucht er auch einen religiösen Austausch mit dem Moscheeverein oder mit dem Imam. Das müssen wir vor Ort ganz individuell für diese jungen Männer vorhalten. Wir rollen dieses Projekt in schnellen Schritten aus. Ich glaube, dass die Übernahme dieses Konzeptes durch andere Bundesländer zeigt, dass es überzeugt – vielleicht noch nicht komplett hier im Plenarsaal. Aber ich glaube, dass meine Innenministerkollegen das möglicherweise anders bewerten als die eine oder andere Fraktion in diesem Haus.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen ein gesamtgesellschaftliches Konzept haben. Wir brauchen einen klareren Blick darauf, um wen es sich eigentlich handelt. Wir brauchen valide Daten. Wir brauchen das Beforschen dieses extremistischen Phänomens, weil wir mehr wissen müssen und aus diesem Wissen bessere Handlungsinstrumente entwickeln können.
Sie sehen, Herr Kruse: Da ist noch viel zu tun. Wir brauchen das gebündelt in einem Gesamtkonzept, damit nicht nur Einzelne etwas tun, sondern wir gemeinsam dieser gefährlichen Entwicklung entgegentreten und dabei jeden Menschen zurückzuholen – und wenn es nur ein Mensch ist, Herr Kruse, oder wenn es drei oder fünf Menschen sind, gern auch im niedrigen einstelligen Bereich. Wenn uns das gelingt, ist es schon ein Erfolg. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich würde gern auf zwei Vorredner eingehen. Herr Kruse, der Innenminister hat sich gerade, wie ich finde, sehr diplomatisch geäußert. Ich versuche das einmal anders.
Ich finde, Herr Kruse, was Sie an der Stelle gemacht haben, ist die Beleidigung von Millionen Muslimen, die wir in diesem Land haben.
Der „Religionsmonitor“ hat in den letzten Monaten ziemlich klar gezeigt, dass sie sich an unsere Grundordnung in diesem Land halten und diese auch befürworten. Und Sie werfen alle in einen Sack mit gewaltbereiten Salafisten und sagen hier, die Muslime wollten die Unterwerfung aller anderen?
An der Stelle – Herr Kruse, das muss ich Ihnen ganz deutlich sagen – haben Sie entweder keine Ahnung,
oder – das wäre noch schlimmer – sie wollen unseren Antrag nicht mittragen, weil es Ihnen darum geht, an dieser Stelle Parteipolitik bei einem Problem zu machen, das ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Denn es geht doch nicht nur um den Ahmed, sondern auch um den Robert, der, wie wir alle wissen, zum Salafisten geworden ist, oder um den Philipp, der zum Salafisten geworden ist. An der Stelle sieht man, dass das ein gesamtgesellschaftliches Problem ist und nicht nur NordrheinWestfalen, sondern auch Deutschland und mittlerweile ganz Europa betrifft.
An dieser Stelle sage ich Ihnen, Herr Kruse und Herr Stamp: Sie werden Ihrer Verantwortung nicht gerecht. Das finde ich nicht in Ordnung. Sie sollten einmal darüber nachdenken, was Sie hier tun.
Das Problem des Salafismus zu bekämpfen, liegt nicht nur in der Verantwortung der Landesregierung, sondern in der Verantwortung aller. Die muslimischen Verbände, die auch bei Integrationsminister Schneider im „dialog forum islam“ mitarbeiten, haben sich dazu klar positioniert und sehr deutlich gesagt, dass sie das, was unter dem Deckmantel der Religion passiert, nicht akzeptieren und dass das nicht zum Islam gehört.
Ich glaube, auch das, Herr Kruse, hätten Sie bedenken sollen, bevor Sie sich so geäußert haben, wie Sie es gerade getan haben.
(Beifall von der SPD und Minister Guntram Schneider – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
nister sehr deutlich gesagt hat, dass die Arbeit der Imame, die von DITIB kommen, in Ordnung ist. Er hat sie sogar gelobt. Sie sollten also vielleicht einmal mit Ihrem Innenminister darüber reden.
Natürlich würde ich mir auch wünschen, dass alle dann auch auf Deutsch predigen, na klar. Aber es geht auch um die Zielgruppe, die man vor sich hat. Man sollte einmal überlegen: Die Menschen müssen den Imam ja auch verstehen. Bisher gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass sie so radikalisiert werden.
Einige Worte zu Herrn Stamp: Sie haben gerade gesagt, dass Sie das Aussteigerprogramm für nicht erfolgreich halten, weil nicht klar sei, wie viele ausgestiegen seien. Es handele sich nur um eine geringe Zahl im einstelligen Bereich. – Ich sage Ihnen: Jeder Einzelne davon ist wichtig. Jeder Einzelne von denen, die wir durch unsere Programme und auch durch das Aussteigerprogramm auffangen, könnte auch zu einer Bombe werden. Deswegen ist es völlig richtig so und völlig in Ordnung. – Danke.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Man tut der übergroßen Mehrheit der Muslime Unrecht, wenn man den Salafismus mit dem Islam gleichsetzt.
Dennoch muss man sagen: Um der religiösen Radikalisierung von jungen Menschen beizukommen, muss man in den Kategorien Repression und Integration arbeiten.
Viele radikalisierte Muslime sind religiöse Analphabeten. Deshalb brauchen wir mehr islamische Theologie an den Hochschulen, qualifizierte Lehrer für islamischen Religionsunterricht usw. Deshalb ist auch die Anregung aus dem „dialog forum islam“ gut, dass die Verbände in zehn Thesen theologisch darlegen, warum der IS-Terror Ketzerei ist. Minister Schneider sollte dieses Anliegen aktiv unterstützen.
Zu sagen, der Salafismus habe aber nichts mit dem Islam zu tun, hilft auch niemandem. Die muslimischen Gemeinden sind in einer gewissen Verantwortung. Es gibt eine Verantwortung für das, was in den Gemeinderäumen passiert,
Das Engagement der Gemeinden muss Hand in Hand gehen mit weiteren Präventionsangeboten. In der Anhörung ist die zentrale Rolle der Schulen und der Schulsozialarbeit angesprochen worden, weil dort junge Menschen zu erreichen sind. Hier ist noch Luft nach oben. Das haben wir in der Anhörung mitbekommen.
Wir müssen gemeinsam deutlich machen, dass unsere freiheitlich demokratische Grundordnung das bessere Angebot ist. Wir können zwar nicht den Nervenkitzel eines bewaffneten Dschihad bieten, aber hier ist ein Ort, wo man sich entfalten kann, wo Freiheit, auch Religionsfreiheit herrscht, wo jeder die Chance auf gesellschaftlichen Aufstieg,
Wohlstand und Anerkennung hat, wo er zeigen kann, was er oder sie drauf hat. Man muss nicht auf der Verliererseite stehen, wenn man dieses Angebot nutzt. Deutschland ist vielleicht nicht das Paradies, aber Deutschland, der Staat des Grundgesetzes, ist die bessere Alternative. Dafür müssen wir werben auf allen Ebenen: Kita, Schule, Vereine, Alltag.
Dennoch müssen wir Fragen klären, bei denen wir heute im Nebel stochern. Wir müssen dort forschen: Was sind die möglichen Auslöser für eine Radikalisierung von jungen Menschen? Bei der Radikalisierung kann man auch die Frage etwas weiter stellen – nicht nur in den Salafismus hinein, sondern auch in den Rechtsradikalismus, vielleicht auch in den Linksradikalismus, wie wir seit gestern möglicherweise feststellen müssen.
Was sind das für junge Menschen, die in die Radikalisierungsspirale geraten? Sind es die berühmten stillen Einzelgänger, die ihre große Bühne wittern? Sind es spontane Misserfolgserlebnisse in Schule, Sport, Beruf, Liebesbeziehungen? Ist es Mobbing? Wir müssen hier noch sehr viel forschen.
Angebote des religiösen Extremismus, des Salafismus scheinen für gefährdete junge Menschen reizvoll konkret zu sein. Das Leben kann so einfach sein, wenn man nur in schwarz-weiß denkt. Der religiöse Extremismus scheint für die gefährdeten Menschen die Sehnsucht nach einfachen Lösungen für die komplizierten Fragen des menschlichen Zusammenlebens zu stillen. Es muss also eine sinnvolle Mischung aus Repression und Prävention geben.
Schwerpunktgruppe Jungen als gefährdete Personen für Radikalisierung, aber auch zunehmend Mädchen: Ist die Überprüfung der Jungen- und Mädchenförderung im Land erforderlich, um an das Problem heranzukommen? Ist die Sprachförderung ein Punkt? Unverzichtbar für eine Identifikation von jungen Menschen mit ihrer deutschen, meinetwegen nordrhein-westfälischen Heimat ist doch die Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift. Kann die Landeszentrale für politische Bildung mehr tun? Muss es andere Unterrichtsmaterialien geben? Ist es sinnvoll, die Hotline des BAMF in den Moscheegemeinden besser publik zu machen?
Zum guten Schluss muss man sagen: Es ist unerlässlich, die Kultur, die Wertegemeinschaft, in der man zu Hause ist, kennen- und lieben zu lernen. Ein Fan Deutschlands und seiner aufgeklärten, weltoffenen, aber doch wertebasierten Kultur zu werden, ist das Ziel. Denn jeder weiß: Was man liebt, das bekämpft man nicht.