Protocol of the Session on September 13, 2012

(Beifall von den PIRATEN)

Die Entscheidungen zur inklusiven Schule wurden bisher von Politikern, Bildungsexperten, Sprechern von Verbänden und einzelnen sehr engagierten Eltern diskutiert und beschlossen. Die Mehrzahl der Betroffenen blieb dabei jedoch außen vor. Wir fordern auch hier mehr Beteiligung, also die Einbeziehung aller betroffenen Schüler und Eltern.

Wir wären auch keine Piraten, wenn wir nicht auf einen weiteren Punkt aufmerksam machen würden: Es wird höchste Zeit, dass unsere Schulen endlich im 21. Jahrhundert ankommen. In der Informations- und Wissensgesellschaft ist der kompetente Umgang mit den gar nicht mehr so neuen Medien unabdingbar für die vollwertige gesellschaftliche Teilhabe. Doch kein Wort der Regierung hierzu – weder in der Rede von Ihnen, Frau Kraft, noch im Koalitionsvertrag –, wie an Schulen mit Computern, Internet oder Social Media umgegangen werden soll. Dabei ist in diesem Bereich viel zu tun. Wir brauchen eine landesweite IT-Initiative Bildungsinnovation.

(Beifall von den PIRATEN)

Die IT-Infrastruktur der Schulen muss flächendeckend auf einem aktuellen Stand gehalten werden. Es kann nicht sein, dass noch Geräte aus der digitalen Steinzeit verwendet werden. Wir wollen eine netzbasierte, virtuelle Lernumgebung und Lernmanagementsysteme. Wir meinen, dass jeder Schüler ab dem fünften Schuljahr ein mobiles digitales Endgerät zum Lernen und Spielen zur Verfügung haben sollte. Wir sind überzeugt, dass durch den verstärkten Einsatz digitaler Lern- und Arbeitsmittel auch Kosten gesenkt werden können, vor allem wenn diese Materialen unter freier Lizenz verfügbar gemacht werden.

(Beifall von den PIRATEN)

Im Koalitionsvertrag findet sich des Weiteren:

„Wir wollen, dass alle Studierwilligen ein erfolgreiches Studium in NRW absolvieren können, stärken die Demokratie an unseren Hochschulen und setzen den Rahmen für eine breite und zukunftsgerichtete Forschung.“

Dies ist unterstützenswert; das können wir Piraten sofort unterschreiben. Schauen wir uns aber einmal im Detail an, was damit gemeint ist! Das System Hochschule muss nämlich komplett neu gedacht werden. Ist es nötig, dass Hochschulen wie Unternehmen funktionieren sollen? Ist es richtig, was der damaligen Regierung Rüttgers/Pinkwart aus Gü

tersloh souffliert worden ist, oder ist nicht die akademische Selbstverwaltung und die wirkliche Autonomie der Wissenschaft ein Gut für sich?

Autonomie heißt nach der griechischen Herkunft nicht ausschließlich wirtschaftliche Autonomie à la Bertelsmann. Bildungseinrichtungen müssen immer wieder auf die Bedürfnisse einer Gesellschaft hin reflektiert werden – ein permanenter Prozess. Dies wurde gerade nicht hochgehalten. Solche Steuerungselemente wie Hochschulräte sind gerade ein Zeugnis von ausschließlicher Orientierung an wirtschaftlichen Interessen. Das läuft völlig konträr zu dem angestrebten Anspruch der Zukunftsfähigkeit.

Die Fragen hingegen, die wir stellen müssen, lauten: Was macht eine Hochschule zukunftsfähig, und welchen Beitrag leistet sie zur Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft insgesamt? Brecht hat Galilei in den Mund gelegt, dass die Aufgabe der Wissenschaft darin bestehe, die Mühsal der menschlichen Existenz zu verringern. Wir müssen heute die Frage stellen, welchen Beitrag die Hochschulen zur Orientierung in einer immer komplexer werdenden Welt leisten. Aktuell zu diagnostizieren ist vor allem das Totalversagen der vorherrschenden Wirtschaftstheorien bei Analyse und Therapie zur Behebung der Krisen.

Ein Beispiel: Standard & Poor‘s – man könnte auch sagen: gewöhnlich und arm – ratete die Bank Lehman Brothers eine Woche vor dem Crash auf Triple A.

Im Übermaß mit solch betriebswirtschaftlicher Kompetenz im Bereich der Vorhersage ausgestattet sind bei uns die Hochschulräte. Ich bin im Zweifel, ob unsere germanischen Ahnen, die ihre Zukunft aus der Leber von totem Viehzeug gelesen haben, da nicht erfolgreicher waren.

(Beifall von den PIRATEN)

Gerade in puncto Transparenz – das Wort ist in letzter Zeit von allen Fraktionen häufig genannt worden – sind die Hochschulräte ein hervorragende Ansatzpunkt für einen dringend nötigen Neuanfang. Tatsächlich sind weder der Hochschulrat als Gremium noch die einzelnen Mitglieder eines Hochschulrats über die gesamte fünfjährige Amtszeit irgendeiner demokratisch legitimierten Instanz rechenschaftspflichtig. Das ist für uns Piraten inakzeptabel.

(Beifall von den PIRATEN)

Der Hochschulrat ist sozusagen eine freischwebende Einrichtung. Anders als bei einem Unternehmensaufsichtsrat sitzen im Hochschulrat noch nicht einmal die Shareholder, die dort dem Vorstand gegenüber ihre Einlageinteressen vertreten. Die Hochschulratsmitglieder entscheiden über das Geld der Steuerzahler nach ihren ganz persönlichen, hochschulpolitischen oder ökonomischen Interessen und Einstellungen. Die Mitglieder können bis

lang selbst bei einer persönlichen Verfehlung noch nicht einmal abberufen oder abgewählt werden.

Dies halten wir für eine handfeste Aushebelung jeglicher demokratischer Entscheidungsprozesse innerhalb der Hochschulen. Nähmen wir die Aussagen im Koalitionsvertrag also ernst, hieße das, die Demokratie in den Hochschulen konsequent entweder durch Abschaffung oder Umgestaltung der Hochschulräte zu erreichen.

(Beifall von den PIRATEN)

Es ist darüber hinaus erstrebenswert, dass sich die Hochschulen weiter öffnen und auch neue Medien als Mittel der Wissensgenerierung und -vermittlung eine viel stärkere Rolle spielen. Abbau von Hürden bedeutet für uns aber auch Zugang zum Netz als Bestandteil des Bildungssystems. Die Entwicklung von Fähigkeiten zur Recherche im Netz und die Kompetenz, sich ein eigenständiges persönliches Netzwerk von Kontakten in Social Networks und offline zu erarbeiten, sehen wir als zentrale Ziele der Bildung. Denn Bildung ist viel mehr als nur ökonomisch Bezifferbares.

Kommunikation, Information, Wissen und Bildung formen die Grundlage unserer Gesellschaft. Ihr Gesicht wird gerade durch die Bildung geprägt. Bildung ermöglicht wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt, auf dem letztlich unser materieller und geistiger Wohlstand beruht. Sie setzt die Standards für unser Zusammenleben. Sie gibt Orientierung in einer komplexen Welt und schützt die Gesellschaft vor irrationalen Ängsten und leichtfertigen Vorurteilen. Sie versetzt uns in die Lage, Herausforderungen zu meistern, Problemlösungen zu finden und, wenn nötig, sogar die gesellschaftliche Richtung zu ändern. Wer die Bildung vernachlässigt, zerstört die Grundlage, auf der unsere Gesellschaft aufgebaut ist.

(Beifall von den PIRATEN)

Zum Forschungsstandort Nordrhein-Westfalen ist zu sagen, dass wir es kritisch sehen, dass Professoren teilweise nur noch mit der Beschaffung von sogenannten Drittmitteln beschäftigt sind. Ein Teil der durch Drittmittel eingeworbenen Gelder wird durch staatliche Förderung bereitgestellt. Die Notwendigkeit dieser Förderprogramme ist zu hinterfragen, und eventuell freiwerdende Gelder sind dem Etat der Hochschulen zuzuführen. Hierdurch können die Hochschulen Mittel an Stellen einsetzen, an denen sie dringend benötigt werden. Zusätzlich entfällt der durch Antragsprozesse entstehende Mehraufwand.

Zur Drittmitteleinwerbung zählen natürlich auch die Drittmittel aus der Privatwirtschaft. – Herzlich willkommen! Die Forschungsfreiheit an den Schulen ist aber gefährdet, wenn private Auftraggeber gezielt ein bestimmtes Forschungsergebnis verfolgen. Dadurch wird ergebnisorientierte Forschung unter dem Deckmantel von Neutralität und Sachlichkeit

als öffentliches Forschungsergebnis verkauft. Die Piraten fordern daher eine deutliche und transparente Nennung aller privaten Förderer.

(Beifall von den PIRATEN)

Durch Verträge gehen die Rechte an den Forschungsergebnissen oftmals vollständig an den privaten Auftraggeber über. Dadurch werden Patente in der privaten Wirtschaft geschaffen, die durch öffentliche Gelder mitfinanziert wurden. Unter Beteiligung von öffentlichen Geldern sind allerdings alle Forschungsergebnisse unbedingt öffentlich zu machen.

(Beifall von den PIRATEN)

Frau Ministerpräsidentin, Sie haben erwähnt, dass Kultur kein Luxus ist. Leider aber nehmen, bedingt durch die chronisch maroden Kommunalfinanzen, viele Kommunen bei den sogenannten freiwilligen Leistungen Einsparungen vor. Das ist ein unerträglicher Zustand.

Wir benötigen für Nordrhein-Westfalen eine offene, vernetzte und für alle Menschen zugängliche Kultur, die keinerlei Deutungshoheit unterworfen ist und jedem Menschen zur eigenen Teilhabe und freien Mitgestaltung offensteht. Wir fordern eine neue Wahrnehmung in der Klassifizierung von Kultur und den damit einhergehenden Bewertungen von Niveau oder Geschmack. Während die selbsternannte Hochkultur mit Subventionen gestützt wird, müssen Kulturbereiche jenseits der ausgetretenen Pfade sehen, wo sie bleiben. Den Protagonisten bleibt oft nichts anderes übrig, als sich zu boulevardisieren und sich selbst zu Kunsthandwerkern zu reduzieren, um am Markt bleiben zu können. Dies gilt es unbedingt zu ändern.

Wenn von Spitzenleistungen von Kunst- und Kulturschaffenden geredet wird, sollten wir uns von dem US-amerikanischen Rankingwahn verabschieden. Das ist eine Unkultur. Man kann doch nicht Qualitäten auf einer Liste nebeneinander vergleichen.

(Beifall von den PIRATEN)

Die alleinige Ausrichtung auf Leuchtturmprojekte und sogenannte Spitzenleistungen wird der bunten und sehr vielfältigen Kultur in unserem schönen Bundesland einfach nicht gerecht.

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Okay. Wir werden das überprüfen.

Darüber hinaus bedeutet Zugang zu Kultur auch immer Zugang zu Märkten. Das hierin schlummernde, auch wirtschaftlich relevante Potenzial ist nicht einmal im Ansatz berücksichtigt. Wir sehen da durchaus eine bislang noch im Schlummer befindliche große zusätzliche Wirtschaftskraft für das Land Nordrhein-Westfalen.

Frau Ministerpräsidentin, Herr Wirtschaftsminister Duin, ein weiteres Thema, das uns Piraten am Herzen liegt, ist die Kultur- und Kreativwirtschaft in Nordrhein-Westfalen.

(Minister Garrelt Duin: Mir auch!)

Das glaube ich Ihnen. – Vor einigen Wochen haben Sie den „Kreativ-Report NRW“ vorgelegt. Darin wird die große wirtschaftliche Bedeutung der Kultur- und Kreativwirtschaft für Nordrhein-Westfalen deutlich. Schon heute macht sie einen bedeutenden Teil der Wertschöpfung in Nordrhein-Westfalen aus. Allein die Software- und Games-Branche ist in Nordrhein-Westfalen seit 2008 um sage und schreibe 30 % gewachsen.

Doch nicht nur in Hinsicht auf ökonomische Kennzahlen sind kreative Wirtschaftszweige wichtig. Die Kultur- und Kreativbranche ist vor allem auch ein wesentlicher Motor für Innovationen, der für positive Effekte in allen anderen Branchen sorgen kann. Die digitale Revolution, die wir seit einigen Jahren erleben und die noch lange nicht abgeschlossen ist, findet ihren konkreten gesellschaftlichen Ausdruck eben in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Hier entstehen aus neuen Technologien neue Ideen, Produkte und Dienstleistungen, die gesamtgesellschaftliche Relevanz besitzen.

Ein Beispiel wäre der Megatrend der Digitalisierung, der nicht nur leichteren und schnelleren Zugriff auf Wissen ermöglicht, sondern andererseits auch helfen kann, natürliche Ressourcen zu schonen, indem beispielsweise Firmen und Behörden weitestgehend auf Papier verzichten können. Wir Piraten freuen uns im Übrigen, dass dieser Megatrend inzwischen auch im Landtag angekommen ist. Noch schöner wäre es allerdings, wenn er auch die Landesregierung erreichen würde. Ich denke hier mit Schrecken an die großen und weitgehend überflüssigen Stapel von Papier, die jeder einzelne Abgeordnete im Zuge der Haushaltsberatungen in Form der ausgedruckten Einzelpläne auf seinem Schreibtisch vorfindet. Totholzinteraktivität beschränkt sich auf das Herumspielen mit Markern. Außerdem kann Totholz nicht rechnen.

(Beifall von den PIRATEN)

Ein weiteres Beispiel für den konkreten gesellschaftlichen Nutzen, den Innovationen aus der Kreativbranche haben können, ist die Möglichkeit digitaler Bürgerbeteiligung und Willensbildungsprozesse.

Was heute aufgrund der digitalen Medien an transparenten und inklusiven Verfahren möglich ist, wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen. Wie Sie sicher wissen, ist das ein Thema, das gerade uns Piraten nicht kaltlässt. Gern erklären wir uns bereit, der Landesregierung in diesem Bereich mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Wir meinen es ernst, wenn wir das sagen.

Der „Kreativ-Report NRW“, der im Auftrag des Wirtschaftsministeriums erstellt wurde, stellt aber nicht

nur die große Bedeutung der Kultur- und Kreativwirtschaft in Nordrhein-Westfalen heraus, er zeigt darüber hinaus auch die Wichtigkeit, diese Branche effektiv politisch zu fördern. Hier müssen wir Sie fragen, wie ernst Sie es damit meinen. In Ihrem Koalitionsvertrag etwa findet sich kein einziges konkretes Projekt, ja nicht einmal eine vage Idee, wie man die Kultur- und Kreativwirtschaft praktisch fördern könnte. Der Report zeigt eine ganze Reihe von Punkten auf, an denen sich politisch ansetzen lässt. Wir hoffen, dass Sie das auch tun werden.

Ich will hier kurz auf das eingehen, was aus unserer Sicht entscheidend sein kann: Der Bericht stellt erstens zu Recht fest, dass es sich bei der Kultur- und Kreativwirtschaft um eine sehr kleinteilige und sehr heterogene Branche handelt. Man könnte sogar fragen, ob es die eine Kultur- und Kreativwirtschaft überhaupt gibt. Viele der Akteure in diesem Bereich, der Goldschmiede, selbstständige Künstler und 3D-Entwickler gleichermaßen umfasst, würden sich selbst vermutlich gar nicht zu der Branche zählen.

Umso wichtiger ist es, dass Förderprogramme passgenau auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der verschiedenen Segmente der Kultur- und Kreativwirtschaft zugeschnitten sind. Dies erfordert einerseits eine Binnendifferenzierung der Förderprogramme, andererseits aber umso mehr eine wirksame ressortübergreifende Abstimmung der Förderbemühungen. Wir halten es für entscheidend, dass die Förderung abgestimmt, bedarfsgerecht und zielgerichtet ist. Eine solche Abstimmung können wir bei Ihnen jedoch noch nicht erkennen. Laut Haushaltsplan stehen allein in vier Ministerien ganz verschiedene Fördertöpfe bereit, die jeweils auch zur Förderung der Kultur- und Kreativwirtschaft dienen sollen. Gibt es hierbei eine ressortübergreifende Strategie, oder kocht jedes Ministerium sein eigenes Süppchen? Wir würden uns freuen, wenn die Landesregierung einen Masterplan Kreativwirtschaft entwickeln würde. Natürlich beteiligen wir uns sehr gern konstruktiv daran.

Zweitens werden einige Branchen der Kultur- und Kreativwirtschaft immer noch ein wenig als