Protocol of the Session on September 13, 2012

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ist das eine sogenannte Präventionsrendite? Welche Präventionsrendite erzielen Sie dadurch, dass Sie Eltern in der Mittelschicht finanziell entlasten, aber dafür auch die Kinder aus Zuwandererfamilien in größeren Gruppen betreut werden? Was für eine Präventionsrendite ist das? – Keine! Die Kinder sind Opfer Ihrer falschen Prioritätensetzung!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Frau Ministerpräsidentin, Sie haben dem Landtag gestern den Schüler Max vorgestellt.

(Minister Ralf Jäger: Aus Datenschutzgrün- den heißt der Max!)

Wir haben Respekt vor Ihrer Absicht, förderbedürftigen Schülerinnen und Schülern einen guten Start ins Leben zu ermöglichen. Bei diesen Maßnahmen haben Sie unsere Unterstützung. Wir wollen genauso wenig wie Sie, dass diese Kinder auf der Strecke bleiben. Auch wir wollen alle mitnehmen.

Aber was ist eigentlich mit Moritz,

(Vereinzelt Heiterkeit)

der begabt ist und aufs Gymnasium gehen möchte? – Es ist richtig, alle Kinder mitnehmen zu wollen. Aber genauso wichtig ist es, dass kein Kind gehindert wird, sein Potenzial zu entfalten. Das erst ist individuelle Förderung, die wir brauchen:

(Beifall von der FDP – Nicken von Minister- präsidentin Hannelore Kraft)

für die begabten Stärkeren und für diejenigen, die unsere besondere Aufmerksamkeit brauchen. – Frau Kraft, dankenswerterweise nicken Sie jetzt. Aber in Ihrer Regierungserklärung gestern tauchte die erfolgreichste und beliebteste Schulform unseres Landes, nämlich das Gymnasium, eben nicht auf. Von den erfolgreichen Realschulen kein Wort. Nach wie vor werden diese beiden erfolgreichen und beliebten Schulformen im Alltag von Ihnen missachtet. Sie werden nicht nur ignoriert, sondern in ihrer Entwicklung sogar gebremst.

(Beifall von der FDP)

Warum gibt es so wenig Ganztag am Gymnasium?

(Ministerin Sylvia Löhrmann: Weil es nicht so viele Anträge gibt!)

Frau Löhrmann, auf diese Antwort von Ihnen habe ich gewartet. Glauben Sie nicht, das könnte vielleicht damit zusammenhängen, dass wegen Ihrer Politik ein Gymnasium nur mit allen Klassenzügen in den Ganztag wechseln kann? Es gibt durchaus Gymnasien, die von vier Zügen liebend gerne zwei in den Ganztag nehmen und zwei im normalen Halbtagsbetrieb lassen würden. Das schlagen Praktiker vor. Sie schlagen das in den Wind, weil Sie in Wahrheit diesen Ausbau des Ganztagsangebots nicht wollen. Sie wollen diese Schulform austrocknen.

(Lebhafter Beifall von der FDP – Beifall von der CDU)

Frau Löhrmann, wenn Sie in dieser Frage, bei der es um 50 % der Schülerinnen und Schüler im weiterführenden Bereich unseres Landes geht, so eine wegwerfende Handbewegung machen, dann ist das auch eine Botschaft.

(Ministerin Sylvia Löhrmann: Das habe ich nicht gemacht!)

Doch, natürlich haben Sie das gemacht. So haben Sie gemacht.

(Beifall von der FDP – Sigrid Beer [GRÜNE]: Das ist Demagogie, was Sie machen!)

Das ist auch ein Signal an die 50 % der Schülerinnen und Schüler, die in Gymnasien unterrichtet werden.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das ist demagogisch!)

Das ist gar nicht demagogisch, sondern es ist die Realität.

(Beifall von der FDP – Sigrid Beer [GRÜNE]: Nein!)

Nicht alles, was nicht Ihrer Meinung entspricht, ist demagogisch. Lernen Sie mal ein bisschen Toleranz, Frau Beer.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Sie wissen es doch besser!)

Frau Beer, wenn Sie dieses Thema so intensiv diskutieren wollen, dann präsentiere ich Ihnen gerne noch ein weiteres Argument aus der Auswertung der Regierungserklärung der Ministerpräsidentin, und zwar zum Thema „Schulkonsens“. Im Zusammenhang mit dem Schulkonsens hat die Ministerpräsidentin ausschließlich von neuen Gesamtschulen und Sekundarschulen gesprochen – ausschließlich; von keiner anderen Schulform. Von den 42 Sekundarschulen, die jetzt neu eingerichtet worden sind, sind 41 vollintegriert, weshalb die Lehrerverbände bereits vor einer „Gesamtschule light“ warnen.

Frau Kraft, wir waren nicht beim Schulkonsens dabei. Trotzdem kann ich Ihnen sagen: Durch diese Art der Interpretation des Schulkonsenses unterhöhlen Sie Ihre eigenen politischen Absichten. Deshalb sollten Sie das korrigieren und gleiche faire Rahmenbedingungen auch für Gymnasien und Realschulen eröffnen, wenn Sie es mit einem Schulkonsens wirklich ernst meinen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ich erlaube mir in diesem Zusammenhang eine kurze Bemerkung an den Kollegen Laumann; denn die CDU hat den ja Schulkonsens mitgetragen. Herr Laumann, neulich habe ich in einer Zeitung gelesen, dass Sie gesagt haben sollen: „Zu viel Liberales

schadet der CDU“. Mit Blick auf die Auswertung des Wahlergebnisses muss ich feststellen: Ihr Problem war nicht zu viel Liberales im Landtagswahlprogramm der CDU; Ihr Problem war zu viel Grün im Wahlprogramm der CDU.

(Beifall von der FDP – Lachen von Arndt Klo- cke [GRÜNE])

Wenn Sie das korrigieren wollen, sind Sie herzlich willkommen im Klub derjenigen, die sich auch weiter für ein begabungsgerechtes Schulsystem in Nordrhein-Westfalen einsetzen wollen. Wir tun das, ohne die Augen vor notwendigen Veränderungen zu verschließen. Ich erinnere daran, dass in der alten Koalition bis 2010 die progressiven Vorschläge der Liberalen zu einer Weiterentwicklung des Schulsystems zunächst nicht umsetzbar waren.

Als dritten Bereich im Zusammenhang mit der Bildungspolitik will ich die Hochschulpolitik ansprechen. Frau Kraft, Sie haben gestern wieder auf den Bund verwiesen, der seine Mittelzusage beim Hochschulpakt verstärken müsse. Sie selbst haben hier in Nordrhein-Westfalen aber die Studienbeiträge aufgehoben. Das führt in der Praxis dazu, dass es zum Beispiel an der RWTH Aachen Tausende Studierende mehr gibt und gleichzeitig Millionen Euro weniger im Budget sind. Dafür wollen Sie jetzt den Bund verantwortlich machen?

Diese Art von Politik führt dazu, dass auf der einen Seite im Landeshaushalt eine viertel Milliarde Euro mehr Schulden aufgenommen werden müssen und auf der anderen Seite den Hochschulen weniger Geld für Qualität zur Verfügung steht. Wer hat einen Nutzen von dieser Politik? Die nachfolgende Generation, die mehr Schulden hat? Die Studierenden heute, die schlechtere Studienbedingungen mit weniger Tutoren und geringeren Öffnungszeiten haben?

Das ist keine verantwortungsbewusste Politik. Selbst die „taz“, die nun wirklich nicht die Hauspostille der FDP ist, hat unlängst in einem Beitrag ihres Hochschulexperten geschrieben: Das NRW

Studienbeitragsmodell war sozial verträglich und hat keinen jungen Menschen vom Studium abgehalten. – Deshalb bekennen wir uns zu diesem Modell – aus Verantwortung der jungen Generation gegenüber.

(Lebhafter Beifall von der FDP – Beifall von der CDU)

Gestern ist ein weiteres Vorhaben im Bereich der Hochschule von Ihnen annonciert worden, nämlich das sogenannte Hochschulzukunftsgesetz. Man muss wissen, dass das Land Nordrhein-Westfalen dank der Initiative von Andreas Pinkwart über eine im Bundesvergleich nahezu einmalige Autonomie unserer Hochschullandschaft verfügt. Die damalige Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz hat das nordrhein-westfälische Hochschulfreiheitsge

setz als im Bundesvergleich mustergültig bezeichnet.

(Karl Schultheis [SPD]: Aber nicht in allen Punkten!)

Herr Schultheis, noch im Umfeld der Landtagswahl hat der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz dieses Landes davor gewarnt, an die Autonomie der Hochschulen heranzugehen.

Und dann kündigen Sie hier im Landtag in einem geschäftsmäßigen Ton, in einer Nebenbemerkung an, es gebe demnächst ein Hochschulzukunftsgesetz, das Fehlentwicklungen – so haben Sie gesagt – korrigieren solle. Unter „Fehlentwicklungen“ muss man wohl alles verstehen, was Ihnen nicht in den Kram passt. Sie wollen aus unseren Hochschulen, die selbstständig, selbstbewusst und eigenverantwortlich agieren, offenbar wieder Behörden machen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Karl Schultheis [SPD]: So ein Quatsch!)

Heute muss die Hochschulministerin dieses Landes bei einem Universitätsrektor anrufen und einen Termin vereinbaren. Früher war es so, dass die Rektoren ins Ministerium einbestellt worden sind. Das war für Sie vielleicht einfacher. Für das Land war es aber schlechter. Deshalb: Hände weg vom Hochschulfreiheitsgesetz! Das macht die Qualität dieses Hochschulstandortes aus.

(Lebhafter Beifall von der FDP – Beifall von der CDU)

Ich will mit Blick auf die Stärkung des Einzelnen in der offenen Gesellschaft noch einen letzten, grundlegenden Aspekt ansprechen, nämlich das Bild, das Sie von Bürgerinnen und Bürgern vermittelt haben, Frau Kraft. In Ihrer Regierungserklärung und im Koalitionsvertrag wimmelt es nur so von „Wir müssen uns kümmern um“, „Wir müssen sorgen für“, „Wir müssen fördern“, „Wir müssen steuern“. Welches Bild vom Bürger haben Sie eigentlich, wenn Sie dort von Menschen sprechen, um die man sich ausschließlich kümmern muss, die man an die Hand nehmen und die man in ihrem Leben begleiten muss?

Frau Kraft, mit dieser Politik der VollkaskoMentalität schaffen Sie Bürgerinnen und Bürger als Abbild Ihrer Politik, nämlich als Staatskunden und Versorgungsempfänger. Das sind aber nicht die stolzen Bürgerinnen und Bürger, die wir in Nordrhein-Westfalen haben.

(Lebhafter Beifall von der FDP – Beifall von der CDU – Karl Schultheis [SPD]: Unver- schämtheit!)

Es gibt viele Menschen, die unsere Unterstützung und Solidarität brauchen.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Schlimmer als Westerwelle!)