Protocol of the Session on January 28, 2015

Meine Damen und Herren, unsere Zukunft heißt Europa – das Europa des Friedens, der Freiheit und der gemeinsamen Werte. Das ist das Signal, das von diesem Gedenken ausgehen muss: „Nous sommes l’Europe.“

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Vielen Dank, Herr Kollege Lienenkämper. – Der nächste Redner ist Herr Kollege Priggen.

Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich als Erstes bei den anderen vier Fraktionen und meiner eigenen, also bei allen fünf Fraktionen, bedanken. Das ist hier der Ort, an dem wir normalerweise in einem harten politischen Wettbewerb unterschiedliche Vorstellungen vortragen. Das werden wir sicherlich im weiteren Verlauf des Tages, morgen und übermorgen auch machen. Aber es war völlig klar zwischen den Fraktionen, dass wir in diesem ersten Punkt anders vorgehen wollen.

Ich habe hier viele Anträge erlebt, aber der Antrag, den wir nachher wohl gemeinsam beschließen werden, ist ein sehr, sehr guter Antrag, bietet eine gute Grundlage und drückt aus, was wir vor dem Hintergrund der Ereignisse in Frankreich und der folgenden Tage zusammen denken.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Kollege Lienenkämper hat gesagt, das ist der Aspekt der Solidarität mit dem französischen Volk. Ich will noch eines hinzufügen, was mir ganz wichtig ist: Es ist auch ein Signal an die Menschen in unserem Land, dass wir fünf Fraktionen bei allem Wettbewerb, den wir haben, der in der Sache auch hart sein kann, es so sehen, dass in unserem Land, in dem Menschen aller Regionen, unterschiedlichster Hautfarben, unterschiedlichster Herkunft leben, ein Herabsetzen, ein Angreifen, ein Diskriminieren, ein Verächtlichmachen nicht geduldet wird. Dagegen stehen wir auf.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Wenn man an das denkt, was in Frankreich geschehen ist, dann sind wir immer noch fassungslos. Menschen sind ermordet worden, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch nahmen. Man muss sich vorstellen: eine Redaktion wird während ihrer Arbeitskonferenz Opfer eines Massakers. Menschen sind ermordet worden, weil sie als Polizist auf der Straße ihren Dienst taten. Sie sind ermordet worden, weil sie in einem koscheren jüdi

schen Lebensmittelgeschäft einkaufen wollten. Das ist unvorstellbar.

Wir trauen mit den Angehörigen der Opfer. Wir sind erschüttert über die Kaltblütigkeit und Brutalität der Täter, über das Ausmaß an Gefühllosigkeit.

Unter den Opfern waren Mitarbeiter von „Charlie Hebdo“, einige der berühmtesten Satiriker Frankreichs, weit über ihr Land hinaus bekannt, Teil einer Kultur, die mit radikaler Offenheit die Unzulänglichkeiten der Gesellschaft aufspießt. Weder Politiker noch Parteien, Kirchen, Religionen wurden ausgespart von ihrer Kritik, die in einem wahrhaft Voltairschen Geist vor nichts und niemandem Angst hatte.

Genau diese Einstellung ist es, die der Satire ihre Glaubwürdigkeit verdankt als eine Kunst, die sich nicht funktionalisieren lässt, die mit scharfer Feder ohne Ansehen der Person falschen Schein und Eitelkeit entlarvt und die mit Witz, Spott und Ironie durchaus auch überzeichnet, um klarzumachen, worum es ihr geht. Auf einen solchen Geist können wir in der offenen Gesellschaft nicht verzichten. Er zeigt uns, wo Anspruch und Wirklichkeit auseinanderfallen und wo Verhältnisse verknöchern und versteinern.

Wir sind solidarisch mit Journalistinnen und Journalisten, Künstlerinnen und Künstlern in aller Welt, die mit einem großen persönlichen Einsatz einen solch kritischen Geist wachhalten und sich gegen Ungerechtigkeit, Engstirnigkeit und Intoleranz engagieren. Ein Angriff auf die Freiheit von Presse und Kunst ist ein Angriff auf uns alle.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Wir setzen darauf, die gesetzlichen Möglichkeiten der Gefahrenabwehr auszuschöpfen, aber wir wissen auch: In einer offenen Gesellschaft kann es einen 100%igen Schutz nicht geben, weil Freiheit, totale Überwachung und Kontrolle nicht zusammengehen.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Gabor Steingart hat es in einem bemerkenswerten Kommentar im „Handelsblatt“ klar benannt und gleichzeitig dazu aufgerufen, keine publizistische Verzagtheit aufkommen zu lassen. Er hat gesagt:

„Es gibt für die Pressefreiheit nur ein Garantieren durch Praktizieren.“

Dem schließen wir uns an.

(Beifall von den GRÜNEN und Holger Eller- brock [FDP])

Er hat aber noch auf eine zweite Gefahr für die Freiheit hingewiesen. Er hat die Lust der Extreme aller Länder benannt, die Lust am Zurückschlagen. Ich zitiere in diesem Zusammenhang noch einmal Gabor Steingart:

„Man könnte meinen, PEGIDA, Front National und die Salafisten arbeiten in derselben Munitionsfabrik. Ihr Ziel: Der religiöse Kulturkampf, ein Reimport aus dem Mittelalter, soll auf den Marktplätzen des 21. Jahrhunderts ausgetragen werden.“

Die Gefahr, die er hier beschreibt, ist real. Wir haben es mit zwei Extremen zu tun, die sich im Kampf gegeneinander die Bälle zuspielen, um eine Konfliktlogik nach der Art sich selbst erfüllender Prophezeiung in Gang zu bringen.

Aber – und das ist das Erfreuliche der letzten Tage bei uns in Deutschland und auch in Frankreich – die große Mehrheit unserer Gesellschaft will diesen Streit nicht. Bei den vielen Zehntausend Menschen, die in den vergangenen Tagen auf die Straße gegangen sind und sich engagiert haben, handelt es sich um Menschen, die die Straßen und Plätze nicht freigeben für dumpfe, völkische Ressentiments. Es sind Menschen, die die Straße nicht freigeben für das Schüren von Islamophobie. Sie wollen ein friedliches und gedeihliches Zusammenleben der Kulturen und Religionen.

Deswegen ist es so wichtig, dass wir in der Mehrheitsgesellschaft in dieser Frage eng zusammenstehen. Zivilgesellschaftliche Initiativen, Parteien, Unternehmen, Gewerkschaften, Verbände und vor allem auch die verschiedenen Konfessionen, Kirchen, Gemeinden und Religionsverbände – sie alle, wir alle müssen ein Zeichen dafür setzen, dass keine vom Krieg der Kulturen und Religionen gespaltene Gesellschaft von uns gewollt wird. Wenn wir diese Spaltung zulassen, haben die Kultur- und Religionskämpfer schon gesiegt.

Unser Land Nordrhein-Westfalen – Herr Kollege Römer hat das bereits gesagt, und ich kann es nur bestätigen – ist seit weit mehr als 100 Jahren Einwanderungs- und Integrationsland. Wir haben eine lange Geschichte. Diese Einwanderung hat unser Land stark und erfolgreich gemacht, und sie bereichert uns noch immer.

Unsere Bürgerinnen und Bürger gehören alle zu Nordrhein-Westfalen, ob sie glauben oder nicht glauben, ob sie Juden, Muslime oder Christen sind, irgendeiner anderen Religion angehören oder eine andere Weltanschauung vertreten. Hier in unserem Land hat jeder Mensch das Recht, friedlich seine Religion zu leben. Niemand hat das Recht, einen Menschen auf seine Religion zu reduzieren, und niemand muss sich für seine Religion rechtfertigen. Das ist unsere gemeinsame Grundüberzeugung.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Alle Fraktionen haben festgestellt – und das ist mir wichtig –: Es ist keine Religion, die unsere Freiheit bedroht, es ist der Fanatismus, und es ist die Angst, die unser Zusammenleben vergiften soll. Deswegen ist es wichtig, dass heute alle demokratischen Frak

tionen und Parteien aus diesem Parlament ein gemeinsames Signal senden. Deswegen ist es richtig, dass wir den Antrag zusammen beschließen.

Nordrhein-Westfalen steht für Demokratie und Vielfalt über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Vielen Dank, Herr Kollege Priggen. – Als nächster Redner spricht Herr Kollege Lindner.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Auf den Tag genau vor drei Wochen hat uns die Schockwelle von Paris erreicht. Menschen sind ermordet worden, weil sie ihre Meinungsfreiheit gelebt haben. Menschen sind ermordet worden, weil sie uns zum Lachen bringen wollten. Menschen sind ermordet worden, weil sie Juden waren. Menschen sind zu Mördern geworden, weil sie unsere Freiheit hassen. Menschen sind zu Mördern geworden, weil sie die Gebote ihrer Religion missverstanden haben. Menschen sind zu Mördern geworden, weil sie uns die innere Liberalität, die Offenheit unserer Gesellschaft neiden.

Diese Offenheit unserer Gesellschaft ist verbunden mit Verletzbarkeit. Eine offene Gesellschaft ist ein weiches Ziel, weil nicht überall Schutz geboten werden kann, weil nicht überall Sicherheit garantiert werden kann, weil totale Sicherheit auch die Abschaffung der Freiheit bedeuten würde.

Dass wir als Fraktionen dieses Hauses heute hier gemeinsam einen Antrag einbringen und beschließen, und zwar in einer Debatte, in der wir bewusst das, was uns verbindet, vorangestellt haben, ist ein eindeutiges Signal. Es ist nicht nur ein Signal der Solidarität mit dem französischen Volk, sondern es ist auch vor allen Dingen das Signal, dass wir Demokraten uns nicht ängstigen lassen, sondern dass wir zur Entschlossenheit finden, wenn es um unsere Grundwerte und unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung geht.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Ich bin der Überzeugung, dass dieses schreckliche Ereignis nun Anlass für eine neue Entschlossenheit, für eine neue geistige Wehrhaftigkeit ist, wenn es um diese Grundwerte des Zusammenlebens geht. Denn die innere Liberalität wird dieser Tage infrage gestellt, und zwar aus unterschiedlichen Richtungen. Die erste Richtung zeichnet sich dadurch aus, dass versucht wird, die schrecklichen Ereignisse zu instrumentalisieren, um Ängste zu schüren und Ressentiments salonfähig zu machen. Es ist doch nicht die Frage, ob man mit PEGIDA-Demonstran

ten spricht oder nicht. Die Frage ist vielmehr: Was sagt man ihnen?

Wenn es darum geht, die Islamisierung unseres Landes zu fürchten und das Abendland zu verteidigen, stellt sich dabei doch die Frage: Um welches Abendland geht es denn? Das Abendland, in dem wir leben, ist doch das Abendland der Aufklärung. Es ist das Abendland von Lessings Ringparabel aus „Nathan der Weise“ von der Toleranz zwischen den Religionen.

Das Abendland, das wir verteidigen, hat eine liberale Verfassung. Und wer sich an diese liberale Verfassung hält – und das müssen wir den PEGIDALeuten sagen –, den dürfen wir doch nicht fragen, woher er kommt oder an welchen Gott er glaubt. Für den muss – und das sollten wir bekräftigen – immer noch die preußische Toleranz von Friedrich dem Großen gelten, dass jeder nach seiner Fasson selig werden darf.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Die innere Liberalität unseres Landes wird auch bedroht, wenn jetzt die schrecklichen Ereignisse dazu genutzt werden, wie seinerzeit nach dem 11. September 2001 in unsere verfassungsmäßig garantierten Grundrechte einzugreifen, um scheinbar mehr Sicherheit zu garantieren.

Wenn wir diesen Angriff auf unsere Freiheit missdeuten und die falschen Schlüsse ziehen, wenn wir unsere Freiheit selbst einschränken, weil andere unsere Freiheit hassen, dann haben die anderen in Wahrheit doch schon gewonnen. Die Antwort muss sein: Wenn andere unsere Freiheit hassen, dann schränken wir unsere Freiheit nicht ein, sondern – im Gegenteil – dann verteidigen wir unsere Freiheit umso entschlossener. Europa muss es nach dem 7. Januar 2015 anders machen als die Vereinigten Staaten nach dem 11. September 2001, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Wir müssen unsere innere Liberalität gegen jede Form des Extremismus verteidigen; das dürfen die Bürgerinnen und Bürger von ihrem Staat auch erwarten. Wenn auf den Bonner Rheinwiesen Salafisten neue Gotteskrieger bei Grillfesten rekrutieren wollen oder wenn in einer harmloseren Variante in Wuppertal eine „Scharia-Polizei“ patrouilliert, dann ist unsere innere Liberalität, dann ist der liberale Rechtsstaat herausgefordert.

Wir wollen keinen Staat, der alles darf. Er ist dazu da, unsere Freiheit zu verteidigen. Aber die Bürgerinnen und Bürger müssen sich eben in jeder Ecke, an jeder Stelle unseres Landes darauf verlassen können, dass die Gesetze, die es gibt, von unserem Staat auch mit Handlungsfähigkeit und Entschlossenheit durchgesetzt werden.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Von den Muslimen dürfen wir dabei erwarten, dass sie sich genauso wie wir gegen Extremismus in ihren Reihen zur Wehr setzen. Wir begrüßen, dass die Verbände der Muslime beispielsweise in Berlin zu einer Mahnwache eingeladen haben. Wir sollten den Muslimen, die zu unserem Land gehören, eine Partnerschaft und unsere Unterstützung anbieten, wenn sie darangehen, ihre Religion zu modernisieren; denn der Islam gehört zu Deutschland, wenn und weil Muslime unsere Verfassungsordnung achten. Diese Bereitschaft zu begrüßen und zu fördern, ist auch ein Signal des heutigen Tages.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)