Vielen Dank, Herr Kollege Wegner. – Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Steffens das Wort.
Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte, bevor ich auf das umfassende und, wie ich finde, ganz hervorragende Gesetz zu sprechen komme, vorab kurz auf Sie, Herr Preuß, eingehen. In den letzten Tagen gab es in der Zeitung eine Meldung: „CDU stützt Rot-Grün“. Über diese Meldung habe ich mich ge
ärgert; denn bis zu dem Zeitpunkt hatte ich das Gefühl, dass die Überschrift „Landtag und Landesregierung gehen gemeinsam zukunftsweisenden Weg für Nordrhein-Westfalen“ heißen müsste. Nach Ihrer Rede habe ich daran einige Zweifel.
Ich bin ein Stück weit enttäuscht, auch wenn ich verstehe, dass Sie – weil Sie nun einmal Mitglied der CDU-Fraktion sind – nicht sagen können: Das hat die Ministerin gutgemacht. Zumindest hätten Sie das Verfahren und den Prozess nicht falsch darstellen dürfen. Das wird, finde ich, dem partizipativen Verfahren nicht gerecht.
Wir haben einen Prozess angelegt, in dem wir als Ministerium zuerst auf einem langen Weg Verbände und Initiativen beteiligt haben. Dann haben wir einen Gesetzesentwurf eingebracht. Anders, als es früher bei Schwarz-Gelb der Fall war, habe ich von Anfang an gesagt: Es geht hier nicht um „friss oder stirb“, sondern darum, gemeinsam mit allen diesen Gesetzesentwurf zu diskutieren und zu entwickeln.
Wir haben allen Fraktionen angeboten, mit ihnen gemeinsam in den Arbeitskreisen zu diskutieren. Gerade Ihre Fraktion hat das zwei Mal in Anspruch genommen. Ich und auch die Staatssekretärin waren bei Ihnen in der Fraktion. Nicht Sie haben uns Änderungsbedarfe vorgestellt, sondern wir haben Ihnen die ganzen Änderungsvorschläge unterbreitet. Das, was jetzt an Änderungsanträgen
und -vorschlägen auf dem Tisch liegt, sind die Änderungsanträge, die wir vorgelegt haben, und sind die Vorschläge, die wir gemacht haben und gemeinsam mit den Fraktionen umsetzen. – Das ist Partizipation. Sie wissen auch, dass dies das Verfahren war. Daneben haben wir mit etlichen Abgeordneten auch Telefongespräche geführt.
Es geht hier also um die Darstellung, mit der Sie glauben machen wollen, dass Sie den Entwurf am Ende verbessern und mich auffordern, zu sagen, ob ich das Ergebnis trage, obwohl das Ergebnis unser gemeinsames Ergebnis ist. Das finde ich im Hinblick auf zukünftige Prozesse etwas erschwerend. Letztendlich zeigt das unterm Strich nur, was für Sie Partizipation bedeutet. Es ist jedenfalls nicht das, was wir darunter verstehen.
Ich freue mich, dass dieses Gesetz jetzt auf den Weg gebracht ist und dass es – so, wie es jetzt sein wird – 2015 in Kraft treten wird; denn 2015 gibt es einen Jahrestag, nämlich „Zehn Jahre Bericht der Enquetekommission ‚Situation und Zukunft der Pflege in NRW‘„.
Wenn man sich anguckt, was vor zehn Jahren erarbeitet worden ist – die Kollegen Preuß und Garbrecht sowie einige andere und auch ich haben damals in der Enquetekommission intensiv mitgearbeitet –, stellt sich die Frage, was von dem, was wir damals gemeinsam fraktionsübergreifend beschlos
Ich finde, dass dieses Gesetz, das wir hier beschließen werden, ein Meilenstein für die Pflegepolitik in Nordrhein-Westfalen ist. Ich werde gleich noch etwas dazu sagen. Am Montag hat die erste Sitzung der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Pflege unter Beteiligung der kommunalen Gebietskörperschaften bei Minister Gröhe stattgefunden. Die Kolleginnen und Kollegen warten alle auf die Verabschiedung des Gesetzes; denn dieses Gesetz ist nicht nur für Nordrhein-Westfalen ein ganz wichtiges Gesetz.
Ist es uns gelungen, die ambulante Versorgung und die niedrigschwelligen Angebote wirklich so auszubauen, dass Menschen so lange wie sie wollen und können auch zu Hause leben können?
Nutzen wir das große Potenzial der Prävention für ältere Menschen, um bei höherer Lebenserwartung Lebensqualität so lange wie möglich zu erhalten und Pflegebedarf zu minimieren?
Lädt unsere Gesellschaft heute auch alte Menschen zu einer wirklichen Teilhabe ein? Greift dieses „Partizipativ-in-der-Gesellschaft-leben-Können“ als Beitrag der Prävention auch wirklich?
Wir müssen uns auch die Frage stellen, ob wir die aufopferungsvoll pflegenden Angehörigen ausreichend und nachhaltig genug unterstützen und ob unsere Pflegeheime heute die Individualität und Qualität bieten, die auch wir uns alle für das Leben im Alter wünschen würden. Weiter ist zu fragen, ob unsere Städte und Gemeinden die Infrastruktur, die wir brauchen, vor Ort auch wirksam gestalten können.
Eine letzte Frage, die wir in der Enquetekommission noch nicht gestellt haben – das ist aber zunehmend zum Problem geworden –, lautet: Wie können wir pflegebedürftige Menschen davor schützen, dass sie gegenwärtig und zukünftig Renditebeschaffer sind?
Die Antworten auf all diese Fragen sind – auch nach einer langen und intensiven Pflegepolitik in Nordrhein-Westfalen – ernüchternd.
Der Ausbau alternativer Angebote quartiersnaher Versorgung ist nicht wirklich vorangekommen. Oft ist es immer noch so, dass die Alternative nur „daheim oder Heim“ ist. Bei „daheim“ fehlt häufig die Infrastruktur vor Ort. Es fehlen die Einkaufsmöglichkeiten, die Rahmenbedingungen, die gesundheitliche Versorgung und vor allen Dingen die Teilhabe. Altersisoliert zu leben, ist keine Alternative. Deswe
Viele der pflegenden Angehörigen sind weit jenseits der persönlichen Überforderung und brauchen Unterstützung. In rund 40 % der Pflegeheime in Nordrhein-Westfalen sind die Mindeststandards, die wir gemeinsam 2003 festgelegt haben, immer noch nicht umgesetzt. Vier Jahre vor der bekannten Jahreszahl 2018 – dann soll die Umsetzung stattfinden – gibt es immer noch Modernisierungsstau statt Einzelzimmerquote.
Nicht wenige Kommunen haben sich angesichts dieser verfehlten Steuerung aus einer aktiven Pflegepolitik verabschiedet.
Das heißt, wenn hier mit einem solchen Gesetz – später auch mit weiteren Maßnahmen – nicht gegengesteuert wird, wird das Pflegesystem in Nordrhein-Westfalen – wie es auch in anderen Bundesländern der Fall sein wird – definitiv vor die Wand fahren.
Wir wissen, was auf uns zukommt: Bis 2050 wird sich der Pflegebedarf verdoppeln. Die Zahl der potenziellen Erwerbspersonen wird um ein Viertel sinken. Klar ist: Wir müssen die Strukturen verändern. Trotzdem ist es bisher nicht gelungen, das Steuer herumzureißen und in eine andere Richtung zu fahren.
Allen muss bewusst sein: Wir haben nicht nur die politische Verantwortung, sondern gerade diejenigen, die den geburtenstarken Jahrgängen angehören, haben auch die individuelle Verantwortung. Die Strukturen, die Wege, die wir heute einschlagen, sind nicht die Wege für die heute Pflegebedürftigen, sondern für die von morgen, von übermorgen und vor allem für die geburtenstarken Jahrgänge. Deswegen ist es richtig, dass wir mit der Übernahme der Regierungsverantwortung begonnen haben, das Landesrecht zu reformieren, und versucht haben, zu differenzieren nach den Problemen, die im Bund gelöst werden müssen, und den Dingen, die auf Länderebene korrigierbar sind.
Dabei gibt es einige hausgemachte Probleme. So hat das bisherige, damals von Karl-Josef Laumann auf den Weg gebrachte Wohn- und Teilhabegesetz, bei dem ihm die Teilhabe wichtig war, einige Fehlsteuerungen und Fehlentwicklungen erzeugt, so beispielsweise, dass die Modernisierung genauso wie der Neubau prozentual abgeschrieben werden konnte. Wir müssen dies korrigieren und bei Investitionen zwischen Modernisierung und Neubau differenzieren, also die besagten 2 und 4 % der Abschreibungsmöglichkeiten.
Nach wie vor ist auch die Abschaffung der Bedarfssteuerung vor Ort ein großes Problem und für die Kommunen letztendlich so nicht umsetzbar.
Ein letzter wichtiger Punkt ist, dass wir die Umsetzung der BSG-Rechtsprechung mit in diesen Prozess einbinden und in das Gesetz einarbeiten mussten. Auch das war ein richtiger Weg.
Ich finde, dieses gemeinsame Ergebnis ist überzeugend. Ich finde, es kann uns auch gemeinsam mit Stolz erfüllen; denn Nordrhein-Westfalen wird damit in der Pflegepolitik die Nase vorn haben.
Schade fand ich bei dem partizipativen Verfahren, dass gerade am Ende, als es wieder um die Frage des Geldes ging, die einen oder anderen in Rituale verfallen sind, Schreckensbilder an die Wand gemalt haben, Ängste geschürt haben, den Weltuntergang proklamiert haben, worauf auch der eine oder andere Nichtteilnehmer der Enquetekommission reingefallen ist. Ich bin aber überzeugt davon, dass dieser partizipative gemeinsame Weg der richtige war. Deswegen liegt uns auch ein umfassendes Gesetz vor, das für alle letztendlich ein Schritt nach vorne bedeutet.
Ich möchte mich nicht nur bei allen Beteiligten bedanken, sondern vor allen Dingen hervorheben, dass gerade die Kommunen an diesem Prozess sehr konstruktiv beteiligt waren. Wenn wir uns viele andere Verfahren anschauen, bei denen die Kommunen als Erstes die Frage der Konnexität in den Raum stellen, dann erkennt man in diesem Fall, dass den Kommunen hier ihre politische Verantwortung und ihre Problemlage bezüglich der Entwicklung der Pflege klar ist. Dementsprechend haben sie sich hieran konstruktiv und vorbildlich beteiligt. Deswegen auch herzlichen Dank an die Kommunen.
Die Pflegepolitik können wir diskutieren, wir können die Rahmenbedingungen festsetzen, aber umgesetzt, gesteuert und stattfinden wird es vor Ort. Deswegen: Es wird keine gesicherte Pflege ohne die Kommunen geben können. Von daher war es mir wichtig und von daher bin ich froh darüber, dass dieser Weg gemeinsam gegangen werden konnte.
Wichtig ist für mich, dass wir am Ende des Tages eine Wahlfreiheit für die Menschen haben und dass wir die Menschen, was ich eben schon gesagt habe, davor schützen, dass sie Renditeobjekte sind. Wenn man heute noch im Internet nach „Pflegeheim“ und „Rendite“ sucht, dann gibt es nach wie vor an vielen Stellen für Pflegeeinrichtungen 5 bis 7 %, und das bei dem heutigen Zinsmarkt. Das bedeutet, dass alte Menschen hier Renditeobjekte sind. Nordrhein-Westfalen ist das erste Bundesland, das dem ganz klar einen Riegel vorschiebt.
Damit trennt sich auch die Spreu vom Weizen. Hiermit machen wir klar: Gute Pflegeeinrichtungen dürfen nicht in diesen Geruch hineinkommen. Diejenigen, die alte Menschen als Wirtschaftsmarkt
und -faktor wie jeden anderen gesehen haben, haben in Nordrhein-Westfalen keinen Platz. Ich bin froh, dass das konsensual und fraktionsübergreifend getragen wird.
Echtes Wahlrecht – das habe ich eben genannt –, bedeutet nicht, dass wir, wie Sie es, Herr Wegner, eben mal wieder dargestellt haben, ein Problem hätten oder unsere stationäre Pflege in NordrheinWestfalen nicht für notwendig halten würden, sondern ein Wahlrecht für die Menschen heißt, dass sie wählen können, ob sie bis zuletzt zu Hause leben und gepflegt werden wollen, dass sie entscheiden können, ob sie in einer kleinen Wohngemeinschaft oder Hausgemeinschaft selbstbestimmt oder fremdverantwortet leben wollen oder ob sie im Heim leben wollen, dann aber mit den Rahmenbedingungen, die Individualität ermöglichen. Heute gibt es dieses Wahlrecht nicht. Das müssen wir tatsächlich schaffen und ausbauen.
Ein letzter Punkt, der meines Erachtens sehr wichtig ist. Da möchte ich an einen Satz von Frau Schneider anknüpfen. Wir werden auch mit diesem Gesetz nicht am Ende unserer pflegepolitischen Diskussionen angelangt sein. Den Präventionsgedanken im Alter werden wir gemeinsam weiter stärken müssen; denn klar ist, dass wir alle mit unserer höheren Lebenserwartung mehr, längere, selbstbestimmte, aktivere Lebensjahre wollen. Heute ist Prävention bei Kindern und Jugendlichen Selbstverständlichkeit, Rehabilitation bei Berufstätigen Selbstverständlichkeit, aber Rehabilitation und Prävention im Alter sind nicht im Bewusstsein der Kostenträger und auch nicht im Bewusstsein unserer Gesellschaft.
In Nordrhein-Westfalen kommen jedes Jahr neu 100.000 Menschen in die Pflegestufe I. Mit guter Prävention – das hat die Enquetekommission herausgearbeitet – sind locker drei Jahre mehr Lebensqualität möglich. Ein Monat würde 50 Millionen € Einsparvolumen für die Pflegekasse bringen. Das heißt, mit einer guten Präventionspolitik können wir Lebensqualität steigern, und die finanziellen Ressourcen dafür sind vorhanden.
Also, wir sind sicher nicht am Ende unserer Anstrengungen. Wir haben eine gute Basis, haben hiermit gemeinsam vieles auf den Weg gebracht. Ich hoffe, dass wir einen solchen konstruktiven Prozess weiter nach vorne bringen. Vielleicht schaffen Sie es dann auch, Herr Preuß, die Dinge wirklich so zu würdigen, wie sie stattgefunden haben.
Ich möchte allen Akteuren, die sich in den Prozess eingebracht haben, ganz herzlich danken: sowohl den Verbänden, auch auch der Infrastruktur aus dem Parlament sowie den Fraktionen, aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums, die mit diesem partizipativen Verfahren einen