Protocol of the Session on September 10, 2014

(Zuruf von der CDU)

Bitte in den Reihen der CDU ganz ruhig sein! Ich weiß, die Digitale Agenda ist für Sie alle ein bisschen fremd. Aber wir nähern uns dem Thema.

„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, sagte wer, liebe Mitglieder der CDU?

(Zuruf von der CDU: Wer zu schnell twittert, hat auch ein Problem! – Allgemeine Heiter- keit)

Genau, richtig. – Diese Einsicht gilt heute, 25 Jahre nach Gorbatschows Worten vor einem vergreisten Ostberliner Politbüro, nicht weniger als 1989.

Die Welt des beginnenden 21. Jahrhunderts wird immer mehr vom technologischen Fortschritt beherrscht. Das Internet, das bei der Übertragung nahezu Lichtgeschwindigkeit erreicht, ist dabei eine treibende Kraft.

Wir stehen in Deutschland – auch in NRW – mitten in diesem Wandel. Aber wie stehen wir eigentlich da? Eine Antwort darauf gibt schon allein die Tatsache, dass sich die Bundesregierung erst im August dieses Jahres dieser Zukunftsaufgabe systematisch gestellt und sich damit erstmalig an einer sogenannten Digitalen Agenda versucht hat.

Aber kann es überhaupt gelingen, wenn sich eine Große Koalition, die sich vorrangig auf den Erhalt des Status quo konzentriert, an das – ich betone: das – elementare Zukunftsthema schlechthin wagt? Das konnte wohl nicht wirklich gutgehen, und das ist nicht allein unser Fazit. Es spiegelt die allgemeine Enttäuschung von Verbänden und netzpolitischen Akteuren wider. Die „ZEIT“ hat treffend formuliert, das Papier bestehe aus 38 Seiten Angst vor festen Zusagen. Ich sage Ihnen: Recht hat sie.

Um es kurz zu machen: Die von der Bundesregierung vorgelegte Digitale Agenda ist das Ergebnis einer Kombination aus Mut und Ahnungslosigkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Das wäre nicht weiter schlimm, wenn die Taktik funktionieren würde: einfach den Kopf in den Sand stecken, ein bisschen warten und vielleicht noch ein bisschen länger warten; denn vielleicht zieht der digitale Strukturwandel an uns vorbei. Aber das tut er nicht. Das funktioniert einfach nicht. Wir sind inmitten einer digitalen Revolution, und das spüren die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen in NRW.

Wie wollen Sie den Leuten erklären, dass unsere durchschnittliche Internetbandbreite langsamer ist als in Rumänien oder Russland und dass die Breitbandförderung anscheinend aus den 90er-Jahren stammt? Denn sie ist konzipiert für Orte mit einer Versorgung unter 2 Mbit/s. Die gibt es in NRW eigentlich auch gar nicht.

Die Große Koalition hat dazu nur Absichtserklärungen. Schlimmer als diese Tatsache ist aber vermutlich die Perspektive, die dabei zum Vorschein kommt. Für die Große Koalition scheint das Internet nur aus Kunden, Unternehmen und den Leitungen dazwischen zu bestehen. Das ist für uns Piraten aber viel zu kurz gesprungen.

(Beifall von den PIRATEN)

Denn inmitten des digitalen Wandels und der digitalen Welt steht für uns der Mensch im Mittelpunkt. Wie können die Grund- und Freiheitsrechte der Bürger gewahrt werden angesichts der Datensammelwut von Geheimdiensten und internationalen Konzernen? Wie können wir sicherstellen, dass alle Menschen – wirklich alle – an der Wissens- und In

formationsgesellschaft teilhaben können und ihre Chancen darin nutzen? Das sind die Fragen, die eine echte Digitale Agenda beantworten muss.

Was bedeutet das für jeden von uns, für das Ich und für das Wir, dass eine totale Vermessung von Individuum und Gesellschaft durch maschinelle Intelligenz in den Bereich des technisch Machbaren rückt? Wie gehen wir verantwortungsbewusst damit um, meine Damen und Herren? Das sind Fragen, die eine echte Digitale Agenda beantworten müsste. Das tut sie aber nicht. Wir brauchen also konkrete politische Lösungen.

Die „Westdeutsche Zeitung“ hat vor zwei Tagen die Frage gestellt: Digitalboom – Fluch oder Segen? – Wir sagen: Die Antwort darauf hängt von den Weichenstellungen einer zutiefst demokratischen Gesellschaft ab.

Die Piraten wollen, dass das digitale Zeitalter aktiv gestaltet wird. Dazu haben wir sieben Forderungen in unserem Antrag aufgestellt, an denen sich eine digitale Agenda zu orientieren hat, die diesen Namen auch wirklich verdient hat.

Wir Piraten laden Sie, meine Damen und Herren, recht herzlich dazu ein, mit uns zusammen an einer zukunftsweisenden Agenda zu arbeiten. So können wir Nordrhein-Westfalen als das digitale Spitzenland positionieren und einen starken Impuls nach Berlin senden. Diese Einladung – das glauben Sie mir – kommt von Herzen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Lamla. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Vogt das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Lamla, die nächste Zitatfrage an die CDU ist wesentlich einfacher: Wir haben Neuland betreten.

(Beifall von Lukas Lamla [PIRATEN])

Das ist eine vielzitierte und zugleich vielbelächelte Aussage der Bundeskanzlerin zum Thema „digitaler Wandel“.

Es geht um einen technischen und gesellschaftlichen Wandel, der sich in kurzer Zeit vollzieht. Aber lassen Sie uns ein bisschen im Bild von Frau Merkel bleiben. Es stimmt. Einige von uns sind dort schon früher gelandet und haben sich schon genauer umgeschaut. So betrachten Sie sich ja als Piraten auch. Das ist allerdings kein Grund für Überheblichkeit. Denn auch Sie kennen bisher nur die Küstenregionen. Das Tempo, mit dem wir uns bewegen, ist atemberaubend schnell. Trotzdem bin ich fest davon überzeugt, dass wir noch einen langen Weg haben werden.

Die Zukunft in jedem Detail zu planen, wenn wir mit jedem Schritt neue Entwicklungen sehen, erscheint wenig sinnvoll. Wir sollten uns eher darauf konzentrieren, in welche Himmelsrichtung wir wollen und welche Ausrüstung wir dazu benötigen.

Vorschläge hierzu hat die Bundesregierung mit der Digitalen Agenda vorgelegt, die sie am 20. August der Öffentlichkeit präsentiert hat. Auf rund 40 Seiten sind die Grundsätze der Digitalpolitik und Maßnahmen zur Umsetzung für die aktuelle Legislaturperiode niedergeschrieben. Die Digitalisierung der Gesellschaft ist demnach ein Querschnittsthema, an dem drei Ministerien beteiligt sind, das Wirtschaftsministerium, das Innenministerium und das Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur.

Entsprechend umfangreich und vielfältig ist der Inhalt der Agenda. Es geht um die digitale Infrastruktur, vor allem den Breitbandausbau, um Wirtschaft und Arbeit, um die Unterstützung von Startups und die Änderungen der Arbeitswelt.

Wenn wir uns die Seiten genauer ansehen, dann sehen wir: Es geht um die Auswirkungen auf den Staat, die Verwaltung und darum, wie Vorgänge der Verwaltung vereinfacht werden können. Die Verlagerung der Lebenswelten ins Digitale soll berücksichtigt werden, und Medienkompetenz soll gestärkt werden. Es geht in dem großen Bereich Bildung, Forschung und Wissenschaft um den Zugang zu Informationen, darum, den digitalen Wandel in der Wissenschaft zu stärken und die Digitalisierung der Bildung voranzutreiben. Sicherheit, Daten- und Verbraucherschutz werden als wichtige Voraussetzungen für das Vertrauen im Netz benannt.

Ja, und die Digitale Agenda versucht, die europäische Dimension des digitalen Wandels zu beschreiben. Das ist unumgänglich bei dem internationalen Charakter des Netzes.

Meine Damen und Herren, zugegeben, die etwas verkürzte Zusammenfassung des Inhalts zeigt, wie umfangreich das Thema ist. Die Aufgabe der Digitalen Agenda kann es nicht sein, alles im Detail festzuschreiben. Es geht um eine Richtung, die vorgegeben wird.

In Berlin wurde zudem ein Ausschuss „Digitale Agenda“ eingesetzt. Der Bundestag verfügt damit zum ersten Mal über ein ständiges parlamentarisches Gremium, das sich dem digitalen Wandel widmet. Dieser Ausschuss soll die Umsetzung begleiten und die skizzierten Wege konkretisieren.

Meine Damen und Herren, die Enquete

Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ hat eine solide Basis erarbeitet, auf der die Arbeit des Ausschusses aufbauen kann. Über drei Jahre hat sie zum Thema „digitaler Wandel“ diskutiert und insgesamt sieben Zwischenberichte und einen Abschlussbericht hierzu vorgelegt, der konkrete Handlungsempfehlungen für das Parlament enthält.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Schwerd?

Herr Schwerd redet ja gleich noch. Deshalb möchte ich meine Rede weiter fortsetzen.

Bei aller Kritik sehen wir: In Berlin tut sich einiges. Eigentlich könnten Sie als Piraten ja zufrieden sein. Denn es ist eingetreten, was auch Sie gefordert haben. Die Netzpolitik ist im ganz großen Politikbetrieb angekommen, auch ohne Sie im Parlament. Deswegen versuchen Sie ja, hier aus einem Landesparlament heraus die Bundespolitik zu kritisieren.

(Beifall von René Schneider [SPD])

Ich verschweige nicht, dass einzelne Punkte des umfangreichen Papiers aus Sicht der SPD in Nordrhein-Westfalen verbesserungsfähig sind.

Natürlich ist die Digitale Agenda das Produkt einer Koalition. Das heißt, es sind Kompromisse einzugehen, die auch Einzug ins Papier gefunden haben, und es wurden Punkte ausgelassen, weil man sich nicht einigen konnte. So ist das mit Koalitionen. Liebe Piraten, damit haben Sie keine Erfahrung; um solche Sachen müssen Sie sich nicht kümmern.

Das führt dazu, dass es durchaus Stellen gibt, bei denen die Linie der SPD nur teilweise festgeschrieben werden konnte und bei denen wir hier im Landtag weiter sind, zum Beispiel beim Thema „Störerhaftung“. Der Landtag hat mit den Stimmen der SPD, der Grünen und der Piraten die Landesregierung schon im November 2013 aufgefordert, sich für die Abschaffung der rechtlichen Unsicherheiten im Betrieb von privaten offenen WLANs einzusetzen. In unserem Antrag ist nirgends die Rede davon, die Betreiber nach kommerziellen Anbietern wie Cafés und Hotels und rein privaten Anbietern zu unterscheiden. Das ist die Beschlusslage bei uns in NRW.

Da das Thema „Netzneutralität“ für ein freies Internet so wichtig ist, kann es kaum genug Beachtung finden. In der Digitalen Agenda wird die gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität auf Bundesebene als Ziel benannt, ebenso der Einsatz dafür, dass dies auch auf europäischer Ebene geschieht. – Den Piraten ist das nicht konkret genug. Sie fordern eine genauere Definition im Bundestag.

In einem gemeinsamen Antrag der SPD und der Grünen und in einem Änderungsantrag der Piraten dazu vom Mai letzten Jahren haben wir hier in NRW vorgemacht, wie man richtig vorgehen kann. Durch unseren Landtagsbeschluss wurde ein verbindlicher Rechtsrahmen eingefordert, der den gleichberechtigten Transport aller Datenpakete – unabhängig von Inhalt und Absenderadresse – garantiert – auch auf europäischer Ebene.

Im neuen Landesmediengesetz wurde dieser Anspruch ebenfalls aufgegriffen. Die Landesanstalt für

Medien kann nun Maßnahmen zur Sicherstellung der Netzneutralität ergreifen.

Es gibt weitere positive Beispiele hier in NRW, bei denen wir weit vorn sind. Ich denke an die OpenGovernment-Initiative für mehr Transparenz und Beteiligung – eine Reihe von Gesetzesinitiativen werden bereits durch Onlinekonsultationen begleitet – und an die derzeit diskutierte Abschaffung der Sieben-Tage-Regel in unserem Ausschuss im nordrhein-westfälischen Parlament. Wir in NordrheinWestfalen können uns mit den bereits bestehenden Beschlüssen und Forderungen sehen lassen.

Meine Damen und Herren, zusammengefasst: Ja, die Digitale Agenda ist hier und da nicht ausreichend formuliert. Ja, es gibt auch Punkte, die man ändern könnte, aber sie ist ein Schritt in die richtige Richtung. Dass eine Bundesregierung diesem Thema eine solche Bedeutung beimisst, ist neu, und das begrüßen wir.

Ich glaube, um das Bild vom Anfang meiner Rede aufzugreifen, dass die Digitale Agenda einige nächste Schritte dieser Reise beschreibt. Die Piraten mögen befürchten, dass wir bald verhungern oder von Bären gefressen werden. Ich befürchte das nicht. Wir werden sicher nachsteuern müssen. Aber wir sind in NRW gut aufgestellt, und das, was noch kommt, haben wir gut vorbereitet.

Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)