Protocol of the Session on May 15, 2014

Wir, die CDU-Landtagsfraktion, haben bereits 2011 ein Positionspapier herausgegeben, in dem wir notwendige Veränderungen und ganz konkrete Schritte benannt haben.

Ein zentrales Kriterium zur Beurteilung Ihres Aktionsplans ist zudem auch die Frage, wie die Landesregierung die Betroffenen selbst am Inklusionsplan beteiligt. Bei der Erstellung eines solchen Plans muss doch gerade die Expertise der Menschen mit Behinderung im Mittelpunkt stehen. Ihre Erfahrungen müssen für uns die Leitlinien für notwendige Veränderungen sein.

Die Landesregierung dagegen meint – und das enttäuscht mich –, den Betroffenen etwas beibringen zu müssen. Schon bei der Erstellung des Aktionsplans kam die Landesregierung nur ihrer Verpflichtung zur Konsultation nach, indem sie sogenannte Dialogkonferenzen einberief – allerdings nicht, um die Expertise der Teilnehmer zu nutzen, sondern um durch Experten, beispielsweise Vertreter des LVR, die fachliche Kompetenz der Teilnehmenden zu stärken.

Das Gleiche gilt für den Inklusionsbeirat NRW und seine Untergremien. Leider bilden Menschen mit Behinderung bei der Zusammensetzung neben all den Vertretern von kommunalen Spitzenverbänden, Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften, Arbeitgebern und Kirchen nur eine Minderheit der Mitglieder, obwohl es in der Umsetzung des Plans doch um die Verwirklichung ihrer Rechte geht. Das heißt: Diese Dialogveranstaltungen dienen leider lediglich als Feigenblatt.

Lassen Sie mich aber noch einmal einen Blick auf einzelne Bereiche werfen. Ich möchte hier den Bereich Familie, Kinder und Jugend herausnehmen; denn hier haben wir die drängenden Probleme der Familien. Bei Freizeitangeboten für Kinder lässt der Aktionsplan meines Erachtens eine ungeheure Realitätsferne erkennen. Alle Angebote der Kinder- und Jugendarbeit werden im Aktionsplan als „bereits jetzt grundsätzlich offen“ beschrieben, und es heißt, „das Verständnis von Inklusion“ sei „bei den Trägern weit verankert“.

Aber wie sieht die Wirklichkeit aus? -Eltern, die versuchen, ihre behinderten Kinder zu Freizeitangeboten bei Vereinen oder zu Ferienreisen anzumelden, berichten mir von großen Schwierigkeiten. Es fehlen offene Menschen mit der Bereitschaft, das Kind teilnehmen zu lassen. Notwendige Unterstützung müssen diese Eltern selbst organisieren. Akzeptiert werden meist nur Kinder, die Anpassungsleistungen vollbringen können. Da es außerdem die Regelungen zur Eingliederungshilfe notwendig machen, bei Freizeitaktivitäten das eigene Einkommen für die Begleitung einzusetzen, können sich nur wenige Eltern solche inklusiven Freizeitangebote für ihre Kinder leisten. Bei den Ferienfreizeiten kommen dann noch Reise- und Unterbringungskosten für die Betreuungspersonen hinzu. Häuser sind oft nicht barrierefrei. Das Programm lässt häufig keinen Platz für die Bedürfnisse von Kindern mit Behinderung.

Die Beschreibung der Situation von Familien im Aktionsplan entspricht meiner Ansicht nach eher der

Außensicht als dem, was Familien mit behinderten Kindern selbst belastend erleben.

Sprechen Sie einmal mit den Familien. Nicht das Leben mit dem Kind wird als belastend empfunden, sondern die Barrieren, die sich für Familien auftun, wenn sie eigentlich Selbstverständliches für ihr behindertes Kind fordern. Diese Barrieren müssen wir abbauen.

(Beifall von der CDU)

Hier geht es zum Beispiel um Beratungsstellen. Sie sagten es eben. Es geht um den Kampf mit den Institutionen und die Wege durch den Dschungel der Beratungsstellen. Elternverbände fordern doch seit Jahren eine Beratungsstelle, die für alle Belange ihres behinderten Kindes zuständig ist. Warum verweigern Sie das? Warum schicken Sie nur schöne Hochglanzbroschüren an die Kommunen, statt diese Zeit in Gesetzentwürfe zu investieren und hier ein Stück weiter in der Inklusion zu kommen?

Zum Thema „Inklusion und Sport“: Welche Unterstützung erhalten denn die betroffenen Menschen vom Land Nordrhein-Westfalen, um sich in den Sportvereinen zu engagieren und damit am gemeinsamen Leben teilzunehmen?

Ziel des Aktionsplans ist laut Landesregierung die Schaffung gemeinsamer Lebenswelten von Menschen mit und ohne Behinderung. Im Bereich Sport erscheint das allerdings nicht so drängend. Ganz erstaunt war ich, als ich las, der Maßnahmenkatalog der Landesregierung beginnt mit einem Preis für den besten Behindertensportverein, nicht für eine inklusive Sportgruppe. Sie scheinen das Wort „Inklusion“ noch nicht richtig verstanden zu haben.

(Beifall von der CDU)

Das wäre genauso als wenn ich den besten Preis für schulische Inklusion der ersten Förderschule geben würde. Wir müssen umdenken lernen. Das ist leider in vielen Dingen noch nicht im Aktionsplan verankert.

Jugendliche wollen keine Reha-Sportangebote. Sie wollen Angebote, durch die sie gemeinsam mit ihren Freunden im Fußball- und Basketballverein spielen können. Darum geht es. In Sportverbänden muss eine Anpassung von Regeln ausgearbeitet werden, um auch Kindern mit sogenannter geistiger Behinderung den Zugang zu öffnen.

In ländlichen Gebieten gibt es oft keinerlei Sportangebote beispielsweise für junge Rollstuhlfahrer oder für Menschen mit geistiger Behinderung. Auch hierzu gibt es noch keine Hilfe durch den Aktionsplan.

Lassen Sie mich abschließend noch kurz zum Thema „Ohne Moos nichts los“ kommen. Es geht um Finanzen. Ein allgemeiner Grundsatz zieht sich durch den Aktionsplan. Sobald es eigenes Geld kosten könnte, will die Landesregierung keine Barri

eren wegräumen, sondern sie macht behinderte Menschen zu Hürdenläufern.

Sie fordern Maßnahmen, die Geld kosten, immer nur von anderen, am liebsten vom Bund. Alles, was in den Kommunen umgesetzt werden muss, wird nicht durch gesetzliche Bestimmungen festgelegt. Sonst würde das Konnexitätsprinzip greifen. Das Land selbst will aber nicht zahlen. Das wird noch häufig auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen: Sie haben keine gesetzliche Grundlage, auf die sie sich zurückziehen können, sondern müssen in jeder Kommune Zielvereinbarungen zur Barrierefreiheit abschließen, statt sich auf ihr legales Recht berufen zu können.

Mein Fazit: Der Aktionsplan und Ihr Zwischenbericht enthalten nicht die Maßnahmen, die die Menschen wirklich brauchen und erwarten. Sie haben viele Dinge genannt, die leicht umgesetzt werden können. Sie haben die Fortführung von Maßnahmen dargestellt und offenkundig gesagt, wie toll diese sind. Was aber fehlt, sind Zeitangaben. Die meisten sind unverbindlich oder – wenn sie einmal konkret genannt waren – schon längst überschritten. Sie haben die genannten Ziele noch gar nicht erreicht.

(Beifall von der CDU)

Lassen Sie mich darum zusammenfassen: Es fehlt ein konkreter zeitlicher Umsetzungsplan. Es fehlen belastbare Aussagen zur Kostenerstattung; denn NRW darf kein Sparmodell werden. Es fehlt die Unterstützung der Fachleute vor Ort, um die Menschen mit Behinderung in diesen Prozess einzubeziehen.

Mir stellt sich die Frage, warum heute die Unterrichtung durch die Landesregierung erfolgte. Die Antwort ist ganz einfach. Sie haben gemerkt, die Menschen werden ungeduldig und wollen endlich Taten sehen. Von Ihnen bekommen sie jetzt leider nur schöne Prosa. Mit dieser Veranstaltung wollen Sie den Menschen heute Sand in die Augen streuen und Untätigkeit überspielen. Das geht so aber nicht.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wir wünschen uns alle eine Gesellschaft, in der Inklusion eine Selbstverständlichkeit ist und keiner Definition und Erklärung mehr bedarf, weil jeder weiß, was damit gemeint ist und wie Inklusion gelebt wird. Menschen mit Behinderung haben zu Recht die Erwartung, dass fünf Jahre nach der UNKonvention konkrete Maßnahmen in NordrheinWestfalen erfolgt sein sollten, die den Bedürfnissen der Behinderten Rechnung tragen. Ihr Aktionsplan hilft da leider wenig. Statt Aktion demonstriert er Abwarten und Aussitzen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Doppmeier. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Neumann das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Schneider, ich danke Ihnen und der Landesregierung für diese umfassende Unterrichtung zum aktuellen Stand der Umsetzung des Aktionsplans „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“.

Ihr Bericht belegt die vielfältigen Aktivitäten und das Engagement, das es in unserem Lande im Zusammenhang mit der Umsetzung der Konvention bereits gibt. Ich danke allen Beteiligten, die sich unaufgefordert einbringen, dieses Thema als Herzensangelegenheit voranbringen und damit belegen, wie sehr Inklusion bereits vor Ort angekommen ist. Es ist eben mehr als die Auseinandersetzung um die Schulrechtsänderung, die dieses Thema teilweise vollständig überlagert hat.

Frau Kollegin Doppmeier, der diesem rot-grünen Aktionsplan zugrunde liegende Antrag wurde im Ausschuss bei Enthaltung der CDU und FDP einstimmig beschlossen und stellt eine Grundlage dar.

Dazu muss ich Ihnen sagen: Es gibt durchaus Punkte in Ihrer Rede, mit denen ich durchaus leben kann. Was ich in den letzten zwei, drei Jahren erwartet hätte, ist, dass von Ihnen daraus parlamentarisch etwas erfolgt wäre. Ich habe in keinem Ausschuss und nirgendwo anders eine Initiative gesehen, bei der Sie sagen: Zu diesem Inklusionsplan „NRW inklusiv“ haben wir eine Idee; wir wollen ihn mit Geld untermauern; wir wollen als Opposition auf die Regierung zugehen, um gemeinsam zu schauen, was geschehen kann.

Mit dem jetzt auf dem Tisch liegenden Entschließungsantrag verlassen Sie einen gemeinsamen Weg, den wir bis jetzt beschritten haben, nämlich in der Frage der Menschen mit Behinderung in diesem Lande gemeinsam vorzugehen, um deren Interessen nach vorne zu bringen.

Ja, auch Menschenrechte haben eine Heimat. Diese Heimat lässt sich ganz präzise benennen. Sie ist nämlich genau da vor Ort, und dieser NRWAktionsplan und seine Bausteine sind ein wichtiger Aspekt zur Umsetzung der Menschenrechte in der Heimat, wo die Menschen leben.

Das Thema, mit dem wir uns heute ausführlich befassen, stellt sich indes als sehr schwierig dar. Zunächst gibt es eine Vielzahl von einzelnen Maßnahmen der Querschnittsaufgabe „inklusive Gesellschaft“. Nebenbei gesagt: Diese Querschnittsaufgabe ist bei der Umsetzung dieses Themas relativ neu in der Bundesrepublik Deutschland. Sie können Gleiches in anderen Bundesländern suchen – das gibt es nicht, dass sich alle Ministerien über alle Ebenen mit diesem Thema beschäftigen und versuchen, alle Menschen mit Behinderung gleichberechtigt ins Boot zu holen und ihnen wie den Menschen ohne Behinderung Teilhabe zukommen zu lassen.

Ja, und weil Menschenrechte eine Heimat haben, dort wo die Menschen leben, wohnen, arbeiten, Familien gründen, altern, im Quartier, in den Kommunen und in den konkreten Nachbarschaften vor Ort, dort ist die Heimat dieser Rechte, und dort ist die Heimat der Umsetzung dieser Konvention.

Wenn Sie eben gesagt haben, das gehe Ihnen jetzt alles viel zu langsam und müsse viel schneller gehen, erinnere ich an die Debatte der letzten Monate: Da ging Ihnen alles viel zu schnell; es war Ihnen nicht gut genug unterlegt, und Sie haben gesagt: Bloß nicht aufs Tempo drücken, drückt auf die Bremse! – Heute höre ich, dass das alles so nicht funktionieren kann.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich denke, der Begriff „Heimat“ bedeutet eine neue Form von Sozialplanung und sozialer Orientierung vor Ort da, wo Menschen leben. Der hoch erfolgreiche Bürgerdialog der Landesregierung trägt deshalb den Titel „Heimat im Quartier“. Intelligente Strategien gegen soziale Ausgrenzung und Armut setzen vor Ort an, dort, wo diese Menschen leben. Die Heimat oder die Heimatlosigkeit dieser Menschenrechte entscheidet sich dort, wo Menschen als gleichwertig akzeptiert werden oder eben nicht.

Die Inklusion, von der wir sprechen, ist eine soziale Inklusion. Diese, Kollegin Doppmeier, wird nicht passieren, indem wir den Lichtschalter umdrehen und meinen, morgen werde es funktionieren.

Noch stärker als das soziale Oben und Unten ist das gesellschaftliche Drinnen und Draußen zur Leitdifferenz geworden. Umfassende barrierefreie Quartiere – ich erinnere hier an den Masterplan „Altengerechte Quartiere“ der Landesregierung – sind zugleich auch altengerecht, demografiefest, familienfreundlich, somit kurzum menschenfreundlich.

Inklusives Denken verträgt keine Einbahnstraßenlogik. Nicht Menschen sind behindert, Umstände behindern Menschen. Derjenige, der anders ist, womöglich gegenüber einer angenommenen Norm physische, geistige, sensuelle Beeinträchtigungen hat, wird gesellschaftlich zum Menschen mit Behinderung gemacht, und zwar im Zusammenspiel mit Barrieren unterschiedlichster Art.

Das Quartier, in dem die Menschen leben, macht dieses wiederum überaus sinnfällig. Denken wir an Behinderungen hinsichtlich Mobilität, Arbeit, Wohnen, Kommunikation, Bildung, politischer Beteiligung vor Ort. Dazu hat Minister Schneider ja einiges ausgeführt. Im unmittelbaren Sozialraum werden so im negativen Fall Menschen mit Behinderungen zu Betroffenen abgestempelt. Wir wollen sie aber zu Beteiligten machen und als solche ernst nehmen.

Ja, die Ebenbürtigkeit und die Idee des Empowerments, die Menschen als Experten in eigener Sache mitzunehmen in diesem Prozess – auch dies ist nicht einfach. Wir wissen, mit welchen Menschen

wir es teilweise zu tun haben. Deshalb müssen wir uns darauf verlassen, dass die Organisationen und die Verbände, die für diese Menschen eine Stimme haben, auch als solche akzeptiert werden, dass sie auch dieses Empowerment der Experten in eigener Sache vor Ort durchsetzen und diese Vielfalt auch haben.

Das, Frau Doppmeier, ist der rote Faden dieses Aktionsplanes, genau diese Beteiligung, um die es dabei geht. Nicht nur das Ziel, nein, auch der Weg zur Inklusiven Gesellschaft ist inklusiven Prinzipien verpflichtet.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Die Prozessbeteiligung von Anfang an ist unverzichtbar. Da gibt es kein Gegeneinander nach der Methode: Ist das ein Mensch mit Behinderung, oder ist das ein Verband, dem er angehört und der seine Interessen vertritt? – Ich habe hier beim Thema „Schulrechtsänderung“ viele Verbände erlebt, die viele Interessen vertreten haben, aber sehr wenige, die die Interessen der Behinderten im Auge hatten.

(Beifall von der SPD)

Nordrhein-Westfalen – lassen Sie mich auch das sagen – ist in dieser Frage das deutsche Gleichstellungs- und Inklusionsland; das kann man zu Recht sagen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)