Protocol of the Session on May 14, 2014

Vielen Dank, Herr Marsching. – Für die Landesregierung hat nun Frau Ministerin Steffens das Wort.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit,

Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schmitz, wir haben die Enquetekommission, die sich intensiv mit diesem Thema beschäftigt. Sie wird auch abwägen müssen, welche Faktoren und welche Maßnahmen sinnvoll sind.

Vor diesem Hintergrund erstaunt es mich, dass Sie diesen Antrag sozusagen vorabziehen; denn am Ende könnte bei der Enquetekommission auch herauskommen, dass das System, das Rheinland-Pfalz und der Bund jetzt eingeführt haben, überhaupt nicht zielführend ist. Dahinter stehen viele Fragezeichen. Deswegen weise ich darauf hin. Dann hätten Sie mit einem tierischen bürokratischen Aufwand ein Instrument eingeführt, das am Ende gar nicht zielführend ist. Das kann ich gerade bei Ihnen nicht verstehen.

Daher halte auch ich es für richtig und sinnvoll, dass das, was Sie als Diskussionsinput haben, in die Enquetekommission eingespeist wird und dort im gesamten Kontext diskutiert wird.

Noch etwas verstehe ich nicht. Sie haben auch in Ihrem Input hier ein Stück weit versucht, durch die Babyboomer-Generation, also diejenigen, die jetzt 50 werden, zu beschreiben, was 2020/2025 passiert. Das klingt so, als wirke sich die demografische Entwicklung erst 2020/2025 aus. Die Auswirkungen der demografischen Entwicklung spüren wir an ganz vielen politischen Stellen aber schon heute. Was Sie hier fordern, ist also schon Alltag der politischen Arbeit. Wir müssen die demografischen Entwicklungen in allen Bereichen berücksichtigen – nicht nur bei Gesetzesvorlagen, sondern auch bei der Entwicklung von politischen Strategien. Deswegen greift das, was Sie sagen, viel zu kurz.

Ich will nur ein Beispiel auf kommunaler Ebene nennen. Sie können sich im Kommunalwahlkampf vor Ort mal bei Ihren Gesundheitsämtern informieren: Das Problem, Ärzte und Ärztinnen für die Gesundheitsämter zu finden, ist nur ein Beispiel von vielen, bei denen die demografische Entwicklung bereits zugeschlagen hat. In zahlreichen anderen Fachbereichen stehen wir ganz genauso vor der Aufgabe, dass wir schon heute Strategien entwickeln müssen.

Und dazu brauchen wir kein Vorblatt, sondern die Fakten, die auf dem Tisch liegen, müssen schon heute angegangen werden. Also, es greift zurück mit einer solchen Formulierung.

Die Einschätzung, die Sie haben, dass die Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen zurückgeht, stimmt. Da gibt es einen breiten Konsens, da gibt es keine Fragen.

Bis 2050 wird sich die Zahl der Pflegebedürftigen in Nordrhein-Westfalen verdoppeln – nur um noch ein Eckdatum zu nennen. Wir werden dann 1,5 bis 1,6 Millionen Menschen mit Unterstützungsbedarfen haben. Gleichzeitig haben wir 25 % weniger Erwerbspersonen. Das heißt, wir müssen heute Konsequenzen ziehen und festlegen, wie wir die Strukturen, die Entwicklungen und die Auswirkungen bekämpfen.

Das Modellvorhaben „Kein Kind zurücklassen“ beispielsweise ist nicht einfach nur eine Idee, wir wollen nicht einfach irgendetwas tun, sondern es geht darum, dass vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung jedes Kind bestmöglich im Arbeitsmarkt und auch in unserer Gesellschaft ankommen kann. Es geht darum, diese Ressourcen nicht zu verschwenden. – Das gilt auch für die Entwicklung der Altenpolitik.

Klar ist: Wir werden nicht nur Demografiegewinne haben, sondern wir werden in zahlreichen Bereichen auch Demografieverluste haben und damit ein Mehr an Bedarfen, ein Mehr an Personen, zum Beispiel in der Pflege.

Wir werden allerdings auch Strukturen und Bereiche haben, in denen die Eindimensionalität der Entwicklung überhaupt nicht zum Tragen kommt, weil aufgrund eines veränderten Bevölkerungsverhaltens, aufgrund veränderter Strukturen ganz andere Faktoren eine Rolle spielen.

Ich habe am Beispiel meines Ministeriums ganz zu Anfang mal eine Studie machen lassen, welche Auswirkungen die demografische Entwicklung auf die einzelnen Bereiche in meiner Zuständigkeit hat. Auch dabei war klar: Diese eindimensionale Betrachtung reicht nicht aus, wir müssen unterschiedliche Faktoren zusammenziehen.

Wir haben neue gesellschaftliche Herausforderungen. Ein Punkt, den wir immer diskutieren, ist die Inklusion auf Grundlage der UN-Behindertenrechts

konvention. Auch das sind Faktoren, die wir einbeziehen müssen, die gegen Eindimensionalität sprechen.

Klar ist für uns: Wir brauchen mehr als nur die Zahlengrundlage. Die hilft auch heruntergebrochen auf die Regionen in vielen Fällen nicht. Wir brauchen sehr viel mehr Wissen über Hintergrund und Fakten.

Ich will noch ein Beispiel geben; es ist immer praktisch, wenn die Beispiele in der eigenen Zuständigkeit liegen. Wenn wir die Zahl der Pflegebedürftigen hochrechnen, haben wir im Jahr 2050 – gemäß Prognosen –1,6 Millionen Menschen mit Unterstützungsbedarf. Gleichzeitig haben wir dann nur noch 6,6 Millionen Erwerbspersonen. Das heißt, mit den heutigen Strukturen werden wir Babyboomer 2050 nicht mehr versorgt werden können. Wir werden uns auch nicht von den dann 6,6 Millionen Erwerbspersonen – den heutigen Jugendlichen – finanzieren lassen können.

Das heißt, wir müssen heute die Weichen stellen, um die Strukturen zu verändern. Die Strukturen müssen nachhaltig verändert werden, und zwar nicht in Form eines Formblatts, sondern in Form von Konzepten. Da sind wir auf dem Weg. Das machen wir in allen Bereichen.

Deswegen würde ich mir wünschen, dass Sie in die inhaltliche, konzeptionelle Arbeit mit einsteigen. Bringen Sie Ihr Formblatt in die Enquetekommission ein. Wir werden begleiten und beobachten, was in Rheinland-Pfalz und im Bund passiert. Doch es überzeugt uns im Moment noch nicht. Ich glaube, konzeptionell tun wir sehr viel mehr an der Stelle, als bürokratisch ein weiteres Formblatt zu machen. – Danke.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Ministerin Steffens. – Es gibt keine weiteren Wortmeldungen.

Damit stimmen wir ab; direkte Abstimmung auf Antrag der CDU-Fraktion. Wer stimmt dem Inhalt dieses Antrags Drucksache 16/5761 zu? – Die CDU-Fraktion und Herr Stein, fraktionslos.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Völlig überraschend!)

Wer stimmt dagegen? – SPD und grüne Fraktion sind dagegen. Wer enthält sich? – Es enthalten sich die Piratenfraktion und die FDPFraktion. Damit ist der Antrag Drucksache 16/5761 mit großer Mehrheit abgelehnt.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

4 Gesetz zur Förderung kommunaler Auf

wendungen für die schulische Inklusion

Gesetzentwurf der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/5751

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPDFraktion Herrn Kollegen Herter das Wort.

Ich darf Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitten, leise im Saal zu verbleiben oder ihn noch leiser zu verlassen, damit Kollege Herter am Mikrofon die Gelegenheit hat, die Position seiner Fraktion zu dem Gesetzentwurf vorzutragen.

Bitte schön, Herr Herter, Sie haben das Wort.

(Unruhe – Glocke)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen. Wir treten heute ein in die Diskussion über die gesetzesförmige Ausformulierung der Vereinbarung zwischen der Landesseite und den kommunalen Spitzenverbänden über die Flankierung der schulischen Inklusion.

Wir haben hier schon in zwei Unterrichtungen darüber diskutiert und haben uns während der letzten Unterrichtung davon überzeugen können, dass eine gute Lösung für die Flankierung der schulischen Inklusion gefunden worden ist, dafür, wie Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen sowie das Land diese Aufgabe gemeinsam stemmen können.

Ich will hier kurz die drei wesentlichen Punkte des Gesetzentwurfs, den die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingebracht haben, skizzieren und darlegen, wie die Regelungen funktionieren sollen.

Erstens. Wie soll mit den Schulträgeraufgaben umgegangen werden? Also: Wie werden die Schulgebäude fit gemacht dafür, dass schulische Inklusion dort stattfinden kann? – Die Konnexität soll anerkannt werden. Eine zunächst pauschalierte Summe soll den Kommunen kurzfristig zur Verfügung stehen. Diese Summe setzt sich aus dem zusammen, was Herr Prof. Klemm als gemeinsamer Gutachter der kommunalen Spitzenverbände und der Landesregierung für diesen Kostenblock vorgeschlagen hat.

Zweitens. Es soll eine Inklusionspauschale gezahlt werden für alle weiteren flankierenden Maßnahmen mit nicht lehrendem Personal, die notwendig sind, damit Inklusion gelingt. Diese Inklusionspauschale, die hier auf 10 Millionen € festgesetzt ist, ist ein Beitrag, um insbesondere Sonderpädagogen, insbesondere diejenigen, die sich mit Schulpsychologie beschäftigen, als systemische Unterstützung in die Schulen zu bringen.

Es gibt einen dritten Teil, der den kommunalen Spitzenverbänden sehr wichtig war – wir haben ihn am Ende einvernehmlich miteinander vereinbart –, nämlich dass im Rahmen einer Überprüfung der befürchteten Dynamik, die sich bei den Integrationshelfern ergeben kann, selbstverständlich auch die eben genannte Inklusionspauschale überprüft und gegebenenfalls angepasst wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dieser Regelung, der Pauschalierung der Summen, der kurzfristigen und eng gestaffelten Überprüfung und der gegebenenfalls notwendigen Anpassung, haben wir Rechtssicherheit und finanzielle Sicherheit vor Inkrafttreten des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes auf den Weg gebracht. Wir haben klare Rahmenbedingungen für die schulische Inklusion geschaffen. Und man kann wohl mit Fug und Recht sagen: Da ist eine kommunalfreundliche Lösung gefunden worden.

(Beifall von der SPD)

Sie ist Grundlage dafür, dass Stadt und Land die schulische Inklusion gemeinsam voranbringen können. Das ist kein Erfolg der Landesseite, kein Erfolg der kommunalen Seite. Es ist ein gemeinsamer Erfolg für die Kinder in den Schulen, für die Eltern und für die Lehrer. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Herter. – Für die grüne Fraktion hat das Wort nun Frau Kollegin Beer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Anfang will ich doch noch mal die Bemerkung machen, dass es erstaunlich ist, wie viel „Resonanz“ es bei diesem Leistungsgesetz zur Unterstützung der kommunalen Familie, zur Unterstützung des Inklusionsprozesses gerade innerhalb der Oppositionsfraktionen gibt. Das Interesse für dieses Thema – das haben wir eben auch am Lautstärkepegel bemerkt – scheint in diesen Reihen nicht sehr ausgeprägt zu sein. Das will ich zu Anfang ausdrücklich festhalten.

Nach den intensiven und erfolgreichen Verhandlungen, die in der Beschlussfassung zum 9. Schulrechtsänderungsgesetz angelegt waren und dann aufgenommen wurden, haben die Koalitionsfraktionen nun unverzüglich das der Vereinbarung entsprechende Gesetz vorgelegt. Sie können die Vereinbarung in dem Gesetzentwurf eins zu eins nachlesen. Es ist uns wichtig, dass das entsprechend transportiert wird.

In der Tat ist es so, wie es mein Kollege Marc Herter schon gesagt hat: Das ist der Ausweis der Verlässlichkeit, der Rechtssicherheit und der Kommunalfreundlichkeit nicht nur der Regierungsfraktionen,

sondern auch der Landesregierung über die gesamte Legislatur – so, wie wir handeln, und so, wie wir miteinander umgehen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das Leistungsgesetz ist noch einmal Ausdruck des gemeinsamen Willens, die UN-Behindertenrechtskonvention zum Wohle der Kinder und Jugendlichen mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung zum Erfolg zu führen. Das ist nie Dissens innerhalb der kommunalen Familie und zwischen den kommunalen Spitzenverbänden und der Landesseite gewesen. Für dieses Ziel haben wir, beide Seiten, bewusst Maximalpositionen aufgegeben und immer wieder Kompromisslinien gesucht.