Wir sollten versuchen, einen möglichst breiten Konsens zu finden und keine faulen Kompromisse, denn faule Kompromisse haben die Kinder nicht verdient. – Herzlichen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich sagen, dass ich mich auf die Arbeit im Bereich „Schule und Weiterbildung“ auch in der neuen Legislaturperiode sehr freue, und ausdrücklich anbieten, mit allen Fraktionen zusammenzuarbeiten. Die Fraktionen, die den Schulkonsens getragen haben, wissen das. Aber für die neue Fraktion und die neuen Kolleginnen und Kollegen im Schulausschuss möchte ich das hier zu Beginn noch einmal deutlich machen.
Ich glaube, es bleibt genug zu tun. Und dass wir alle das im Sinne der Kinder und Jugendlichen tun wollen, die unsere Schulen besuchen, das sollten wir gegenseitig annehmen.
In der Debatte jetzt, Herr Kaiser, Frau Gebauer und auch Frau Pieper, sind Anforderungen an den Inklusionsprozess formuliert worden. Das ist legitim. SPD und Grüne tun das auch. Allerdings: Die Sicherheiten, Herr Kaiser, die Sie jetzt dokumentiert haben wollen, die Anforderungen, die Sie stellen – durchgängige Doppelbesetzung –, kann man schön finden, man muss aber dazusagen, dass das 10.000 Stellen zusätzlich zur Bewältigung der demografischen Effekte bedeuten würde. Wie passt das mit Ihren Haushaltsforderungen zusammen? Das will ich der Ehrlichkeit halber zu Beginn auch sehr deutlich sagen.
Frau Gebauer, Sie haben gesagt, wir hätten 12.500 € ausgegeben. Das war ein Fonds. Das ist ein Teil mit einer Aufgabe. Übrigens ist das Geld in Absprache mit den kommunalen Spitzenverbänden verwendet worden. Zur Wahrheit gehört auch dazu – das können Sie nicht wissen, das mache ich Ihnen nicht zum Vorwurf, ich will es hier nur auch sagen –: Als ich mein Amt angetreten habe, standen für den Bereich des gemeinsamen Lernens in den Schulen rund 500 Stellen zur Verfügung – inzwischen haben wir diese Stellenzahl mehr als verdoppelt, inzwischen stehen rund 1.200 Stellen für den Bereich des gemeinsamen Lernens zur Verfügung. Also eine satte Verdoppelung der Stellenzahl! Auch das gehört dann bitte zur Wahrheit dazu.
Herr Kaiser, eine Anmerkung: Wenn erst die ganzen Anforderungen, was alles geklärt sein müsste, bevor man etwas anfängt, erfüllt werden müssten, wenn erst die Sicherheit und die Vorbereitung der Schulen, die Sie hier anführen, erbracht werden müssten, dann hätten Sie bis heute keinen Gesetzentwurf zur Verkürzung der Gymnasialzeit auf G8 eingebracht.
Es ist ein schwieriger Prozess, es ist ein herausfordernder Prozess. Aber wir fangen auch nicht bei null an, denn wir haben erfreulicherweise auch heute schon eine Steigerung des gemeinsamen Lernens von Kindern mit und ohne Handicap.
Es wird besser gelingen. Da bin ich ganz zuversichtlich. Dass ich den Beteiligten den Stand jeweils transparent mache und ihnen die Situation schildere, das finde ich richtig.
Meine Damen und Herren, ich bin sehr froh, dass sich der Landtag vor der Sommerpause noch einmal mit den Auswirkungen der UN-Behindertenrechtskonvention auf unser Schulangebot in Nordrhein-Westfalen befasst. Das Thema brennt vielen Menschen auf den Nägeln, vor allem den in erster Linie Betroffenen, also den Familien mit Kindern mit Behinderungen, aber auch den Lehrkräften, den Eltern, den Schulträgern und der Schulaufsicht.
Sie alle warten auf Entscheidungen, wie die Weiterentwicklung unserer Schule hin zu einem inklusiven Schulsystem erfolgen soll. Der vorliegende Antrag, der Ausgangsantrag von SPD und Grünen, gibt diese Signale, auch wenn er sicherlich noch nicht alle Fragen beantwortet und auch nicht beantworten kann. Aber er steckt den Rahmen ab und gibt der Landesregierung endlich offiziell den Auftrag, in welche Richtung der Gesetzentwurf erarbeitet werden soll. In diesem Prozess sind dann auch die weiteren Fragen zu klären. Eins nach dem anderen!
dieser Antrag heute eine breite Unterstützung erfahren wird, wie dies beim Beschluss des Landtags am 1. Dezember 2010 der Fall war.
Warum ist dieser Antrag, die heutige Entscheidung so wichtig? Es ist ein politisches Signal an die Öffentlichkeit. Der Antrag zieht ein Zwischenfazit in der Frage, mit der wir uns hier im Landtag in den letzten Monaten der zurückliegenden Legislaturperiode intensiv befasst haben, sowohl im Schulausschuss als auch in vielen Gesprächen am Rande. Dabei ging es darum – Frau Hendricks hat das angesprochen –, das Spannungsverhältnis zwischen dem ursprünglichen Landtagsbeschluss vom
1. Dezember 2010 und den Vorschlägen der von der Landesregierung beauftragten Gutachter Prof. Klemm und Prof. Preuss-Lausitz aufzulösen.
Ich will das noch mal sagen: Im Zentrum stand dabei die Frage, ob der Landtag angesichts der Gutachterempfehlung seinen Grundsatz einschränkt, dass Eltern weiterhin die Förderschule wählen können, konkret: ob der Landtag sich dem Rat der Gutachter anschließt, diese Wahlmöglichkeiten auf vier der sieben sonderpädagogischen Förderschwerpunkte zu begrenzen und die Förderschulen mit den Förderschwerpunkten Lernen, emotionale und soziale Entwicklung sowie Sprache generell auslaufen zu lassen. Diese Frage muss das Parlament klären, damit die Regierung einen klaren Auftrag hat.
Verehrter Herr Kaiser, Sie wissen das doch selbst: Seit die Gutachtervorschläge auf dem Tisch lagen, haben wir intensivst mit der CDU Gespräche geführt, sind leider nicht zu einem Abschluss gekommen, hatten aber eine Verständigung für die MärzSitzung des Parlamentes, dass Sie sich bei der Abstimmung über unseren Antrag enthalten würden, damit wir wüssten, in welche Richtung die Regierung arbeiten sollte. Auch darum ist Zeit verloren gegangen. Das will ich hier auch für die Öffentlichkeit sehr deutlich markieren: dass das nicht etwa mangelndes Interesse oder Lustlosigkeit der Regierung oder der Regierungsfraktionen war.
Für eine Minderheitsregierung ist diese grundsätzliche Klärung im Vorfeld eines Gesetzgebungsverfahrens natürlich von größerer Bedeutung. als das in der jetzigen Situation der Fall ist. Dass die Regierungsfraktionen den Antrag gleichwohl nahezu unverändert wieder eingebracht haben, soll ein deutliches Signal sein, dass SPD und Bündnis 90/Die Grünen weiterhin an einer möglichst breiten, gemeinsamen Linie interessiert sind.
Das finde ich auch richtig. Wir haben uns die Entscheidung in dieser Frage nicht leicht gemacht. Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU, haben mitten in den Gesprächen mit uns im Dezember 2011 ein Positionspapier veröffentlicht, in dem Sie Ihre Anforderungen bei der Weiterentwicklung unserer Schulen zu einem inklusiven Schulsystem for
muliert haben. Darin ist von Qualität, von einem behutsamen Vorgehen, von notwendiger Unterstützung die Rede. Viele dieser Passagen – das war doch Ergebnis des gemeinsamen Ringens um einen Antrag – finden Sie genau deshalb auch im Antrag von SPD und Grünen wieder. Das macht deutlich, dass wir hier keinen Dissens sehen und ja wohl auch nicht haben.
Meine Damen und Herren, was den Inklusionsprozess angeht, sind die Regionen in NordrheinWestfalen unterschiedlich weit. Wir haben Integrationsquoten von um die 10 %; das ist sehr wenig. Wir haben aber auch Inklusionsquoten von um die 40 %; das ist sehr viel. Wir haben hier eine sehr unterschiedliche Ausgangslage. Allein das verbietet die Meinung, nur auf einen Knopf drücken zu müssen und schon wäre das überall ein vergleichbarer Prozess.
Um dieser Verschiedenheit und dieser Unterschiedlichkeit gerecht zu werden, schlagen die Regierungsfraktionen nunmehr vor, Öffnungsklauseln in der Schulgesetznovelle vorzusehen. Einzelne Regionen, kreisangehörige, aber auch kreisfreie Städte sollen auf Förderschulen verzichten können, wenn sie es für richtig halten.
Eine solche Öffnungsklausel im Schulgesetz stärkt die kommunale Selbstverwaltung und folgt dem von der Landesregierung gepflegten Stil und der Strategie und Kultur der Ermöglichung und nicht der zwangsweisen Vorgehensweise. Sie eröffnet Spielräume mit Blick auf den ländlichen und städtischen Raum, mit Blick auf Elternwünsche und Traditionen und nicht zuletzt mit Blick auf den von der Vorvorgängerregierung gestarteten Schulversuch „Kompetenzzentren für die sonderpädagogische Förderung“. Auch dieser Schulversuch hat sehr unterschiedlich gewirkt. Er hat in einzelnen Regionen sehr anspruchsvolle Zielsetzungen ausgelöst. Diese Gemeinden sollten wir doch nicht davon abhalten, weiter zu gehen als andere Gemeinden, wenn sie das für richtig halten.
Meine Damen und Herren, der Antrag fordert uns als Landesregierung zudem auf, den grundsätzlichen Rechtsanspruch auf einen Platz in der allgemeinen Schule für Kinder mit Behinderungen schrittweise beginnend mit Klasse 1 und 5 umzusetzen. Auch das entspricht einer Linie, die darauf zielt, die Beteiligten im Weiterentwicklungsprozess nicht zu überfordern. Und es entspricht dem weit verbreiteten Wunsch auch der Lehrerverbände und jener Eltern, deren Kinder Förderschulen besuchen.
Ich verstehe, dass die Selbsthilfeorganisationen der Menschen mit Behinderungen gerade diese Schrittfolge kritisch sehen. Da wir aber mit der Einschulung die wichtigste Schnittstelle zuerst anpacken und gleichzeitig weiterhin versuchen werden, dem Wunsch von Eltern nachzukommen, die einen Platz
für ihr Kind mit Behinderung in einer allgemeinen Schule suchen, hoffe ich, dass wir auch hier auf Akzeptanz stoßen.
Ganz wichtig ist aber, dass wir als Landesregierung mit diesem Antrag auch aufgefordert werden, parallel zur Vorlage einer Schulgesetznovelle ein Konzept zur Festlegung und Deckung des Ressourcenbedarfs vorzulegen.
Hier möchte ich doch auf die Kritik aus den Reihen der CDU-Fraktion eingehen. Von „Inklusion light“ haben Sie in einer Presseerklärung gesprochen und erklärt, dass Sie konkrete Aussagen zu den Rahmenbedingungen in diesem Antrag vermissen. – Das ist kein Wunder, wenn hier die ausdrückliche Aufforderung ergeht, diese konkreten Aussagen im Zusammenhang mit der Schulgesetznovelle zu treffen. Wir müssen doch erst eine Entscheidung haben, nach welcher Rechtskonstruktion wir vorgehen wollen. Deswegen ist es so wichtig, dass der Antrag beschlossen wird.
So sollen künftig alle Schülerinnen und Schüler, die eine allgemeine Schule besuchen, auch beim Lehrerstellengrundbedarf dieser Schule berücksichtigt werden, also auch jene Kinder, die einen sonderpädagogischen Förderbedarf haben. Das sind derzeit 27.000. Vielleicht wird durch diese Zahl deutlich, welch eine enorme Investition dies für unsere Schulen bedeutet und dass ein solcher Lehrerstellengrundbedarf insbesondere für die Grundschulen eine wichtige und notwendige Unterstützung bedeutet.
Gleichzeitig sollen wir prüfen, ob die sonderpädagogische Förderung künftig aus einem Stellenbudget gewissermaßen als Mehrbedarf für jene Schulen hinzukommt, an denen diese Schülerinnen und Schüler unterrichtet werden. Bei diesen Eckpunkten folgt der Antrag den Vorschlägen der Gutachter. Mit einem Stellenbudget sollen die Etikettierung und die Stigmatisierung der Kinder – auch das ist Auftrag der Behindertenrechtskonvention – aufgelöst werden, meine Damen und Herren.
Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens und der Verbändebeteiligung werden wir selbstverständlich klären, wie groß dieses Budget sein soll.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass auch diejenigen, die ungeduldig sind – ich kann das sehr gut nachvollziehen, auch ich war sehr ungeduldig und habe diesen Antrag herbeigesehnt –, Verständnis dafür haben, dass eine solche Klärung nicht innerhalb von zwei oder drei Wochen nach einer Regierungsneubildung erfolgen konnte.
Das ist auch der Grund, warum in dem gestern beschlossenen Aktionsplan unter Federführung von Guntram Schneider die Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention „Eine Gesellschaft für
alle – NRW inklusiv“ hierzu noch keine konkreten Aussagen getroffen werden konnten. Gleichwohl sind in dem Aktionsplan Handlungsfelder und Planungen sehr konkret formuliert, sodass deutlich wird, in welche Richtung die Entwicklung gehen soll.
Meine Damen und Herren, ich möchte nicht schließen, ohne zumindest ein Wort zur aktuellen Situation in den Schulen zu sagen. Nach allen mir vorliegenden Information ist es auch für das kommende Jahr gelungen, den Wünschen von Eltern, die für ihr Kind einen Platz in einer allgemeinen Schule wollten, weitestgehend nachzukommen. Es ist nicht immer die Wunsch-Schule gewesen, aber ein Angebot zum gemeinsamen Lernen. Dieser Erfolg gebührt den Schulen, den Schulträgern und auch der Schulaufsicht, weil sich alle bemühen, dem Wunsch der Eltern gerecht zu werden. Ich will aber gar nicht verschweigen, dass an vielen Orten Schwierigkeiten entstehen. Viele Schulen sind nur auf mehr oder weniger sanften Druck der Schulaufsicht bereit gewesen, sich der Aufgabe zu stellen.
Meine Damen und Herren, wir beabsichtigen weitere Maßnahmen. – Die Fortbildung ist gesetzt. Eine Qualifizierungsmaßnahme für Lehrerinnen und Lehrer ist gesetzt. All das ist in Planung. Wir werden all das im Gesetzgebungsverfahren zusätzlich berücksichtigen.
Meine Damen und Herren, ich wiederhole meinen Appell: Ich wünschte mir, dass es hier breite Unterstützung gäbe. Es ist gesagt worden, dieses Thema eigne sich nicht für parteipolitische Profilierungen. Es war bisher unsere gemeinsame Überzeugung, dass wir hier beieinanderbleiben wollen. Das wünsche ich mir für den Prozess. Das Wohlergehen der Kinder bzw. diese schwierige Aufgabe verdienen eigentlich ein möglichst gemeinsames Agieren.
Ich freue mich auf die Beratungen und auf Ihre Unterstützung beim Gesetzgebungsverfahren, auch wenn Sie heute dem Antrag vielleicht doch nicht Ihre Zustimmung geben können. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Ministerin Löhrmann. – Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Prof. Dr. Sternberg.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, Sie haben in Ihrem Schreiben vom Freitag als Information an den Gesprächskreis formuliert, die Umsetzung der UNKonvention stehe ganz oben auf der Agenda der neu-alten Regierung. Ich denke, das ist auch absolut wichtig; denn angesichts der Erwartungen, Hoffnungen und auch Befürchtungen, die es da gibt, ist es auch gar nicht anders zu machen.
Wir merken jetzt nur eines: Nach den grundsätzlichen Übereinkünften und klaren Erklärungen kommen inzwischen die außerordentlich schweren Mühen der Ebene. Diese Mühen der Ebene betreffen einen Umsetzungsprozess, der nicht deshalb ein Jahr stillgelegen hat, Frau Hendricks, weil eine Opposition das irgendwie nicht richtig gemacht hätte, sondern weil sich eine Menge von sachlichen Schwierigkeiten ergeben haben, bei denen man springen muss und die man anerkennen muss.