Die Kommunen brauchen hier und heute Planungssicherheit. Sie brauchen verlässliche, aber vor allem konkrete Rahmenbedingungen, wenn Sie im Bereich der schulischen Inklusion jetzt und nachhaltig verstärkt aktiv werden sollen.
Für die FDP gilt für den gesamten Bereich der schulischen Inklusion: Das Konnexitätsprinzip muss strikt eingehalten werden.
Die Qualitätssicherung der Bildung für alle Schülerinnen und Schüler muss bei der schulischen Inklusion an allererster Stelle stehen. Um diese sicherzustellen, bedarf es konkreter Übergangsszenarien, an denen sich Schüler, Eltern und Lehrer orientieren können. Auch hier fehlen deutliche Antworten in Ihrem Antrag.
Sie kündigen einen Gesetzentwurf an. Aber bereits heute wollen Sie flächendeckend Förderschulen auflösen lassen können. Für die FDP – das sei an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich gesagt – ist der flächendeckende Erhalt eines Förderschulangebotes unverzichtbar.
Sie beabsichtigen, die Ausgestaltung notwendiger qualitätssichernder Maßnahmen bei der Schließung von Förderschulen, nämlich ein Konzept zur personellen Unterstützung der allgemeinen Schulen, erst zum Schuljahr 2014/2015 einzuführen.
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: So darf Inklusion, so kann Inklusion nicht vonstattengehen. Auch beim Thema „Inklusion“ müssen verlässliche Zahlen, Daten und Planungen vorgelegt werden. Erst dann kann und darf auf Grundlage dieser gehandelt werden.
Diese unverzichtbaren konkreten Handlungsanweisungen ist die Landesregierung bis heute schuldig geblieben.
Ein letztes Beispiel möchte ich Ihnen noch geben, ein Beispiel unzureichender Unterstützungsangebote: den Inklusionsfonds. Aus diesem Inklusionsfonds sind sage und schreibe einmalig in den Jahren 2011 und 2012 – ich mache es am Beispiel Köln fest – 12.500 € für die Prozessunterstützung bei Öffentlichkeitsarbeit, Fortbildung, Elternarbeit etc. geflossen. Köln hat 6.000 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Frau Löhrmann, ich frage Sie an dieser Stelle ernsthaft: Glauben Sie, dass 3 € pro Kind ausreichend sind, um diesen Prozess der Integration voranzubringen?
Ich fordere Sie hier und heute für die FDP-Fraktion auf: Legen Sie endlich für die Städte und Gemeinden, aber in allererster Linie für die Menschen dieses Landes einen dem Namen gerecht werdenden schulischen Inklusionsplan vor, und kommen Sie vor allem der Konnexitätsverpflichtung gegenüber den Kommunen nach! – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Gebauer. – Für die Fraktion der Piraten spricht Frau Abgeordnete Pieper.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Prinzipiell ist es zu begrüßen, dass jetzt endlich ein Gesetzentwurf auf den Weg gebracht wird, denn dieser
ist lange überfällig. Die Zeit drängt; denn während wir hier noch diskutieren, werden vor Ort bereits Fakten geschaffen.
Erstens. Die Kommunen stehen unter einem hohen finanziellen Druck und haben ein großes Interesse daran, möglichst schnell möglichst viele Förderschulen zu schließen.
Zweitens. Wir haben unglaublich viele Schulaufsichtsbeamte, die ihre Vorstellung von Inklusion möglichst schnell umsetzen wollen. Das heißt, hier besteht ein gemeinsames Interesse.
Schauen wir dann mal in die Schulen. Ich weiß ziemlich genau, wovon ich hier spreche, denn bis vor ein paar Wochen war ich genau dort. Da sitzen Kinder in der Grundschule, sind völlig überfordert, entwickeln psychische Auffälligkeiten, schlafen nicht mehr, haben Bauchschmerzen. Ich kenne sogar Fälle, dass Kinder nicht mehr sprechen, keine Freunde mehr haben. Völlig verzweifelte Eltern bitten die Schulaufsicht um Überprüfung des sonderpädagogischen Förderbedarfs. Und die Schulaufsicht erklärt, das sei nicht nötig, die Grundschule schaffe das schon. – Öffentlich erklärt die Schulaufsicht dann noch ganz stolz, über 60 Verfahren erst gar nicht eröffnet zu haben.
Diese Kinder sitzen ohne sonderpädagogische Förderung in der Grundschule. Die Grundschullehrer sind mit der Situation völlig überfordert. Und das hat mit Inklusion nicht ansatzweise zu tun!
In der letzten Woche war ich an einem Abend bei einer Veranstaltung mit Eltern von autistischen Kindern. Diese Kinder sitzen in der allgemeinen Schule. Das hört sich ganz wunderbar an, das ist Inklusion. Viele autistische Kinder zeigen aber ein herausforderndes Verhalten. Das heißt, sie werden zum Beispiel bei Berührungen aggressiv. Hier greift dann die normale Schulordnung – die Kinder werden der Schule verwiesen. Die Eltern erzählen: Die Kinder sitzen zu Hause und werden gar nicht mehr beschult. – Die Eltern sind völlig verzweifelt, weil sie arbeiten gehen müssen und nicht wissen, was sie mit den Kindern machen sollen.
Die Liste ließe sich beliebig fortführen. In vielen Fällen sind die Schüler, für die wir eigentlich alle etwas Gutes wollen, Opfer der aktuellen Entwicklung.
Sehr geehrte Frau Löhrmann, auf Ihrer Veranstaltung „Denkfabrik“ im Oktober in Bonn gab es einen hoch interessanten Workshop zum Thema Inklusion. Leider waren Sie da nicht anwesend.
Ein Kinder- und Jugendpsychiater aus Marl schilderte auch dort die verzweifelte Situation von betroffenen Kindern und Eltern. Die Verweigerung der Überprüfung ihres Kindes auf sonderpädagogischen Förderbedarf bezeichnete er sehr treffend als unterlassene Hilfeleistung.
Ihr Antrag schafft da leider keine Abhilfe. Mit „könnte“, „sollte“ und anderen schwammigen Formulierungen werden Sie diesen Kindern nicht helfen. Es fehlen konkrete Festlegungen.
Sie fordern zum Beispiel die Arbeit im Team. Das reicht mir nicht aus. Es fehlt ein klares und eindeutiges Bekenntnis zur durchgängigen Doppelbesetzung in den Klassen.
So hätte ich mir an vielen Stellen in Ihrem Papier genauere Aussagen darüber gewünscht, wie ein inklusives Schulsystem ganz genau aussehen soll.
Sie sprechen immer von „Elternwille auf Augenhöhe“. Damit meinen Sie den Rechtsanspruch auf einen Platz in der allgemeinen Schule. Dem stimme ich übrigens ausdrücklich zu. Wir wissen allerdings alle, dass die Umsetzung dieses Rechtsanspruchs nicht leicht werden wird. – Elternwille ist aber auch etwas anderes. Wenn Sie den Elternwillen ernst nehmen, dann müssen Sie den Eltern das Recht auf Eröffnung des Verfahrens geben – zumindest für die nächsten Jahre, bis neue Diagnoseverfahren entwickelt worden sind. Die Eltern sehen, wie ihr Kind leidet, und möchten wissen, was eigentlich los ist. Die Schule und die Eltern beantragen die Eröffnung eines AO-SF-Verfahrens – und die Schulaufsicht lehnt dies einfach ab. Eltern haben ein Recht auf Hilfe, und Schüler haben ein Recht auf angemessene Förderung.
Wenn Eltern den Anspruch auf Eröffnung haben, können solche Dinge, wie ich sie gerade beschrieben habe, nicht mehr so schnell passieren.
Der zweite Punkt: Elternwille heißt auch, dass sich Eltern ganz bewusst für eine Förderschule entscheiden können. Die allgemeine Schule ist im Moment qualitativ kein gleichwertiges Angebot. Elternwille ist deshalb auch das Recht auf einen Platz für ihr Kind in der Förderschule.
Dann würden die eben aufgezählten Fälle, dass Kinder zu Hause sitzen, erst gar nicht eintreten. Für einige Kinder und Jugendliche ist die Förderschule, zumindest aktuell, einfach der bessere Lernort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns, glaube ich, alle einig, dass wir hier unser Bestes geben müssen, um wirklich kein Kind zurückzulassen.
Dann müssen wir unter anderem Folgendes umsetzen: Anspruch auf einen Platz in der allgemeinen Schule, Elternrecht auf Verfahrenseröffnung und Anspruch auf einen Platz in der Förderschule, solange das allgemeine Schulsystem keine qualitativ gleichwertige Alternative ist.
Den Antrag der FDP fand ich in Teilen sehr gut. Die Ansätze waren prima. Was ich nicht verstehe, ist, dass das erste heute auf den Tisch kommt.
Das Thema „Inklusion“ eignet sich nicht für parteitaktische Spielchen. Wir sollten hier wirklich alle gemeinsam daran arbeiten, das Beste für unsere Schüler zu erreichen.
Wir sollten versuchen, einen möglichst breiten Konsens zu finden und keine faulen Kompromisse, denn faule Kompromisse haben die Kinder nicht verdient. – Herzlichen Dank.