Protocol of the Session on June 20, 2013

nicht nur deutschland-, sondern europaweit zu denken. So, wie das im Südosten mit den Tschechen und anderen passieren muss, machen wir das gemeinsam mit den Niederländern und kommen damit unserer Verpflichtung nach.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Norbert Römer hat eben den ersten und zweiten Punkt des Entschließungsantrags angesprochen. – Ich will versuchen, noch einmal zu erklären, warum auch der zweite Punkt richtig und vernünftig ist. Über den ersten Punkt ist vielfach diskutiert worden. Dort gibt es, so denke ich, einen Konsens:

Es gibt im Rahmen der „Gemeinschaftsaufgabe Agrar- und Küstenschutz“ der Bundesregierung einen Sonderrahmenplan der Bundesregierung von Frau Merkel, der – ich zitiere – heißt: „Maßnahmen des Küstenschutzes in Folge des Klimawandels“.

Die Forderung, sich jetzt damit zu befassen, ob man analog einen „Maßnahmenplan zum Hochwasserschutz im Binnenland in Folge des Klimawandels“ entwickelt, ist nur die nüchterne Konsequenz aus dem, was wir an Ereignissen zwischen 1997 und 2013 erlebt haben. Das ist weder Teufelswerk noch Spinnerei. So, wie man das vernünftigerweise an den Küsten macht, müssen wir es auch im Binnenland machen, weil das eine ganz langfristige Aufgabe ist und es natürlich nicht hilft, wenn wir beim ersten Mal 581 Millionen €, jetzt 690 Millionen € und in zehn Jahren erneut 600 Millionen € für Katastrophenhilfe ausgeben müssen. Sondern dann ist es vernünftig, dass sich alle damit befassen.

Es ist schade, wenn CDU und FDP nicht mitmachen. Es ist aber trotzdem nötig. Wir werden auch dem gerne zustimmen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Priggen. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Dr. Paul.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen auf der Tribüne und daheim! Vorweg: Die große Bereitschaft der Menschen, insbesondere der jungen in diesem Land, selbstlos und ohne Aussicht auf einen Gewinn zu helfen, wo immer zu helfen war, zeigt, dass Solidarität kein alter Hut ist. Für viele Ältere war es geradezu Neuland, zu sehen, dass die jungen Menschen in diesem Land doch nicht die verantwortungslosen, selbstsüchtigen Hedonisten sind, für die sie sie immer gehalten haben.

Für uns Piraten ist Solidarität einer der Kerne unseres Selbstverständnisses. Wir freuen uns, dass mit den jungen Menschen eine Zukunft in Solidarität und Respekt möglich ist. Wir bedanken uns an dieser Stelle aufrichtig und von tiefstem Herzen bei al

len Helferinnen und Helfern, gleich welchen Alters, welcher Herkunft und welcher Position oder Rolle.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Wir bedanken uns auch ganz ausdrücklich bei der Landesregierung für die gut geführten Verhandlungen. Es muss möglich sein, so etwas als Opposition zu sagen. – Danke.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Neben dem sozialen Gewinn an Zusammenhalt wird die Flut aber erhebliche ökonomische und ökologische Kosten nach sich ziehen. Aktuell wird geschätzt, dass sich die unmittelbaren ökonomischen Kosten auf etwa 8 Milliarden € belaufen werden. Der Bund übernimmt 1,5 Milliarden € direkt. Die 44 Millionen € per anno mögen ausreichend sein.

Ich möchte an dieser Stelle aber auf einige Szenarien der Münchener Rückversicherung zu sprechen kommen, die etwas anderes sagen.

Auslöser der erneuten Jahrhundertflut im Juni 2013 waren die heftigen Regenfälle einer besonderen Wetterlage, die eigentlich keine Seltenheit ist – Herr Priggen hat es schon erwähnt –, der sogenannten 5bLage, bei der hochfrequente Tiefdruckgebiete über die Alpen ziehen, nachdem sie im Mittelmeer Wasser aufgenommen haben, und in den Alpen oder nordöstlich davon abregnen. In diesem Fall aber kam noch etwas anderes hinzu. Ich möchte kurz darauf hinweisen, dass wir parallel zu den Niederschlägen in den Pyrenäen Schneefall hatten und in Nordfinnland 300 im Schatten.

Möglicherweise wird nicht die Zahl der Extremwetterlagen zunehmen, aber sehr wahrscheinlich ihre Heftigkeit. Angesichts der Jahrhundertfluten in kurzen Abständen – 1993, 1995, 2002, 2006 und jetzt 2013 – kann aber auch eine künftige Häufung nicht ausgeschlossen werden. Wie viele müssen es noch werden, bevor wir etwas wirklich Durchgreifendes und Nachhaltiges unternehmen?

(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

„Durchgreifend und nachhaltig“ heißt auch, um es klar zu sagen: finanziell klotzen und nicht kleckern. Wir sehen da in Sonderheit den Bund in der Pflicht, denn auch er ist Teil unserer Solidargemeinschaft. Die strukturelle Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte muss ein Ende haben.

Wir müssen anerkennen: Die globale Erwärmung ist längst Realität. Das 2-Grad-Ziel ist mit großer Sicherheit nicht mehr zu erreichen. Daher sind es nicht nur Starkregenfälle und Flutkatastrophen, die für die Zukunft zu befürchten sind, sondern auch Extremwetterlagen mit langen Hitzeperioden, die uns den 2003er-Sommer irgendwann als angenehm kühl in Erinnerung halten werden. Nur zur Erinne

rung: Der Hitzewelle des Jahres 2003 fielen weltweit mehrere 10.000 Menschen zum Opfer. Sie verursachte wahrscheinlich mehr als 13 Milliarden USDollar volkswirtschaftlichen Schaden.

Die monetären Kosten der aktuellen Flut werden, wie gesagt, bei bis zu 8 Milliarden € liegen, die ökologischen, sozialen und gesundheitlichen sind da noch gar nicht eingepreist.

Für alle Skeptiker: Der Klimawandel findet statt und ist vom Menschen gemacht. Man muss sich einfach die Frage stellen, wie viel Abwärme allein durch die Industrie produziert wird. Unser Planet hat durch die Industrie eine eigene Wärmeproduktion, sprich: Es gibt nicht nur das, was von der Sonne reinkommt. Im Gegenteil!

Die Sonnenintensität ist seit einigen Jahren rückläufig. Das heißt, es müsste eigentlich kühler werden. Doch das Gegenteil ist der Fall. Eine mittlere Temperaturerhöhung von 40C bis zum Ende des Jahrhunderts ist keinesfalls eine abwegige Schätzung.

Die Folgen wären nachgerade apokalyptisch. Von Waldbränden und globalem Wassermangel über stark zurückgehende landwirtschaftliche Erträge und daraus folgend Hungersnöten bis zu einer beschleunigten Fortsetzung des Verlusts der Biodiversität und Ressourcenkriegen reicht das Spektrum des Erwartbaren. Es sage niemand, das sei Neuland, und es sage niemand, er habe von nichts gewusst.

(Beifall von den PIRATEN)

Wer nun glaubt, die Hitzewelle 2003 und die steigenden Durchschnittstemperaturen weltweit seien das eine, die Flutkatastrophe der vergangenen Wochen aber eine ganz andere Sache, der irrt. Wie gesagt, infolge des Klimawandels nehmen die Extremwetterereignisse auf beiden Seiten der Skala zu. Es ist mithin allerhöchste Zeit, effektiv dagegen anzugehen. Wenn wir die Welt für unsere Kinder bewahren wollen, ist es unsere – Entschuldigung – verdammte Pflicht, endlich Farbe zu bekennen und Schluss zu machen mit „Nach mir die Sintflut“, die jetzt gar nicht mehr darauf wartet, bis wir weg sind.

(Beifall von den PIRATEN und Reiner Prig- gen [GRÜNE])

Insofern sind alle Maßnahmen zum Schutz einer von Hochwasser bedrohten Bevölkerung selbstverständlich erst einmal richtig und notwendig. Doch erstens sind es End-of-Pipe-Maßnahmen, die das Problem nicht beheben, sondern es bloß in seiner Wirkung bis auf Weiteres entschärfen.

Zweitens erleben wir angesichts überfluteter Dörfer und Städte ein unerträgliches Demokratiebashing, das die besondere Brisanz verdeutlicht. Wenn Menschen, die von ihren demokratischen Rechten Gebrauch gemacht haben, jetzt als die Schuldigen angeklagt werden, weil sie angeblich mit ihren Einwendungen die rechtzeitige Fertigstellung des

Hochwasserschutzes verhinderten, dann ist das nur noch zynisch und stellt die Verhältnisse auf den Kopf.

(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN)

Nicht wer demokratische Rechte in Anspruch nimmt, steht unter Rechtfertigungszwang, sondern wer diese in Abrede stellt.

(Beifall von den PIRATEN)

Keine Katastrophe der Welt kann an dieser Aussage etwas ändern.

Wenn immer noch nicht begriffen wurde, dass ernstgemeinte Bürgerbeteiligung eine großartige Chance für diese Gesellschaft und ihre Herausforderungen ist, vor denen wir stehen, der glaubt wohl auch, mit der Erhöhung von Deichanlagen alles Nötige getan zu haben, um steigenden Wasserpegeln zu begegnen.

Diese Aussage wird auch von den Wissenschaftlern des Umweltforschungszentrums in Leipzig getroffen, die zu folgender Schlussfolgerung kommen, die ich mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, zitieren möchte:

„Der Gedanke von einem 100%igen Hochwasserschutz ist genauso irreführend wie der Gedanke, dass zukünftig Schäden vermieden werden könnten, wenn Planfeststellungsverfahren beschleunigt und die Bürgerbeteiligung beschränkt werden. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Dialoge über die Frage, wie wir am besten für Hochwasserextreme in der Zukunft vorbereitet sind.“

Ja, seit 2002 sind sinnvolle Maßnahmen durchgeführt worden, in denen sich auch die Einsicht niederschlägt, dass wir nicht gegen die, sondern mit der Natur leben müssen; und irgendwie wollen wir das ja auch. Grundsätzlich aber sind wir heute mit genau denselben Problemen konfrontiert wie vor elf Jahren.

Unsere Gesellschaft basiert auf einem Produktionsmodell, das systematisch soziale, ökonomische und eben auch ökologische Ungleichgewichte verursacht. Wenn wir die sehr plausible Möglichkeit bedenken, dass aufstrebende Länder wie China oder Indien das Recht reklamieren, die Umwelt in identischer Weise zu nutzen, wie wir dies seit Jahrzehnten tun, dann erkennen wir schnell die Unmöglichkeit eines solchen Tuns. Selbst wenn wir eine fortschreitende Entkoppelung von zusätzlicher Produktion und CO2-Emission und damit eine zurückgehende ökologische Intensität unterstellen, was angesichts der Erfahrungen der vergangenen Jahre nicht sehr plausibel ist, müssen wir anerkennen, dass die globale Expansion des westlichen Produktions- und Konsummodells notwendig zur Zerstörung unseres Globus führt.

Wenn wir diese Erde für unsere Kinder bewahren wollen, wenn wir den jungen Menschen, die so tapfer und selbstlos praktische solidarische Arbeit geleistet haben, nicht nur ein wertloses „Danke!“ zurufen möchten, dann müssen wir echtes Neuland betreten.

Beenden wir den Raubbau, von dem nur wenige profitieren, an dem die meisten aber leiden! Beenden wir die unerträgliche und immer unerträglicher werdende Ungleichverteilung weltweit, auch bei uns. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerpräsidentin Kraft.

Vielen

Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gerne nur zu ein paar Punkten Stellung beziehen, die hier genannt worden sind. Nicht zur Bundeswehr, werter Herr Laumann; die Soldatinnen und Soldaten und die Führung wissen, wer an ihrer Seite steht und wer Scheindebatten mit Blick auf die Bundestagswahl führen möchte. Das können sie sehr wohl unterscheiden.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Aber, Herr Laumann, es scheint hier ein Irrtum vorzuliegen. Sie haben in Ihrer Rede deutlich gemacht, der Bund hätte sich Spielräume erarbeitet, wir sollten uns die Konsolidierung des Bundes zum Vorbild nehmen.

(Zurufe von der CDU: Richtig!)

Herr Lindner sprach davon, dass wir uns kluger Konsolidierungspolitik verweigern.