Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich heiße Sie alle ganz herzlich willkommen zu unserer heutigen, der 18. Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Mein morgendlicher Gruß gilt insbesondere unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich acht Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden – wie immer – in das Protokoll aufgenommen.
Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/1667
Die Fraktion der SPD und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben mit Schreiben vom 10. Dezember 2012 gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten einer der antragstellenden Fraktionen Herrn Kollegen Eiskirch für die SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Obwohl die Zukunft der Endmontage schon seit Längerem in der Diskussion war, so war der Montag doch ein bitterer Tag für Bochum, für die Region und für ganz Nordrhein-Westfalen. Es ist auch ein bitterer Tag für die Bundesrepublik Deutschland gewesen. Erstmals – solange ich mich erinnern kann – wird in Westdeutschland das Aus für die Endmontage im gesamten Werk eines Massenherstellers von Automobilen verkündet.
Das angekündigte Aus für Opel in Bochum macht viele der direkt und mittelbar Betroffenen fassungslos und wütend: in Bochum, in Herne, in Dortmund, in Witten, in Hattingen und in anderen Städten des Ruhrgebietes, in denen die Beschäftigen und ihre Familien wohnen. Sie sind fassungslos, weil sie sich nach all den zermürbenden Jahren, in denen der Standort immer wieder zur Diskussion gestellt wurde, nicht vorstellen konnten, dass die Endmontage
von Fahrzeugen am Standort Bochum im Jahr 2016 beendet sein soll. Sie sind wütend über die Art und Weise, wie die Geschäftsführung über ihre Entscheidung zur Beendigung der Fahrzeugmontage nach dem Jahr 2016 informierte. Erst verkündet die Geschäftsführung ihre Entscheidung, und dann verschwindet sie fluchtartig durch die Hintertür aus dem Saal, bevor sie auch nur eine einzige Frage beantwortet hat. Die Ängste zu ignorieren ist unwürdig. Die Betroffenen haben einen Anspruch darauf, mehr zu erfahren als ein Ankündigungsstakkato im Überschriftenstil. So geht man mit den Beschäftigten und den anderen, die betroffen sind, nicht um!
Da wir beim Thema „Umgang“ sind: Opel hat das Jubiläumsfest für Samstag abgesagt – indem man sich nicht darauf einließ, zu prüfen, wie man die gegebenenfalls entstehende Sicherheitssituation bewerkstelligen kann, sondern mit der klaren Absicht, das umzusetzen, was man schon immer tun wollte, nämlich nicht mehr zu feiern.
Ich sage Ihnen sowie den Opelanerinnen und Opelanern: Das, was GM dort macht, ist unwürdig, weil es ein weiterer Versuch ist, den Stolz der Menschen auf das, was sie in all den Jahren geleistet haben, zu untergraben. So geht man mit Menschen nicht um!
Kolleginnen und Kollegen, niemand aus Bochum, aus dem Ruhrgebiet, aus Nordrhein-Westfalen ignoriert die schwierige Marktsituation der Automobilindustrie, insbesondere die der Hersteller kleinerer und mittlerer Fahrzeuge in Europa. Wir wissen um die Probleme der Branche, wir wissen um die Überkapazitäten.
Bei der Inszenierung des Opel-Ausstiegs aus der Fahrzeugproduktion in Bochum wird jedoch deutlich, woran es bei Opel in den letzten Jahren eben auch gekrankt hat: an einem fairen Umgang miteinander, an einem Dialog zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern auf Augenhöhe bei dem – trotz aller Interessensgegensätze – gemeinsamen Ringen um eine gute Lösung für die Zukunft.
Dies ist der schwerwiegendste Fehler in einer ganzen Reihe von Managementfehlern, die sich Opel in den vergangenen Jahren glaubte leisten zu können. Da waren der ständige Austausch von Personen in der Geschäftsführung und im Spitzenmanagement, die dauerhafte Abschottung von Exportmärkten, besonders der Märkte mit großen Nachholbedarfen außerhalb Europas, die dauerhafte Abschottung der Werke in Deutschland für die Produktion anderer Marken des Konzerns für den europäischen Markt und das ständige Infragestellen der Zukunft der
So plant man keine Zukunft, so plant man das Ende eines Unternehmens! Das tut man nicht, und das ist unverantwortlich!
Zuletzt hat die Konzernmutter GM die Adam Opel AG nur deshalb halten können, weil US-Präsident Barack Obama umfassende Sicherheiten und Garantien für GM gegeben hat; wir erinnern uns alle.
Die Folgen der Fehlentscheidungen des Managements treffen zuerst die Beschäftigten. Die Beschäftigten bei Opel in Bochum haben sich aber die Würde – ich habe das gerade schon einmal gesagt – nicht nehmen lassen. Bei aller Wut und Fassungslosigkeit: Sie werden miteinander und mit ihrer Gewerkschaft, der IG Metall, weitere Schritte und Maßnahmen diskutieren.
Das Management von Opel wird in den nächsten Tagen und Wochen, Monaten und Jahren nicht vor seiner Verantwortung wegrennen können. Das werden die Beschäftigten, die Menschen in der Region nicht zulassen. Auch wir in der Politik dürfen dies nicht zulassen, Kolleginnen und Kollegen!
Opel muss sich der Verantwortung für die Beschäftigten und die Region stellen. Ich sage dem OpelManagement gerne auch noch einmal, was Verantwortung in dieser Situation bedeutet.
Verantwortung bedeutet erstens: Keine Beschäftigte und kein Beschäftigter wird in die Arbeitslosigkeit entlassen, heute nicht und auch nicht nach 2016. Unsere Solidarität gilt den Opel-Beschäftigten. Betriebsbedingte Kündigungen finden bei Opel nicht statt. Das ist Verantwortung, Kolleginnen und Kollegen!
Verantwortung bedeutet zweitens: Bochum braucht auch nach dem angekündigten Aus für die Automobilproduktion eine Perspektive als starker Industriestandort. Dazu gehört vor allem die Verantwortung von Opel für ein Konzept, in dem alternative Entwicklungen am Bochumer Standort konkret beschrieben und geplant werden. Wer eine Komponentenfertigung in Aussicht stellt, der darf nicht gleichzeitig daran festhalten, zum Ende des bevorstehenden Jahres die Getriebefertigung am Standort Bochum dichtmachen zu wollen, Kolleginnen und Kollegen!
Verantwortung bedeutet drittens: Das Unternehmen Opel beteiligt sich ernsthaft, seriös und verbindlich an der Erarbeitung einer Zukunftsperspektive für den Standort Bochum. Das ist Verantwortung, Kolleginnen und Kollegen!
Kommen wir aber zur Realität! Betriebsbedingte Kündigungen möchten sie vermeiden – sichern es aber nicht zu. Komponentenfertigung beschreiben sie als eine Option für mögliche Verhandlungen – sichern es aber nicht zu. Vor drei Wochen haben sie erklärt, sich mit der gemeinsamen Arbeitsgruppe „Bochum Perspektive 2022“ aus GM, Stadt Bochum und Land NRW aktiv in die Entwicklung des Standortes einzubringen. Die Geschäftsgrundlagen dafür sind Vertrauen und Verantwortung! Diese Geschäftsgrundlage haben sie am Montag verlassen!
Dabei wäre „Bochum Perspektive 2022“ doch ein sinnvoller Weg, um die Flächenentwicklung, innovative Technologien, aber vor allem auch die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Schaffung neuer Arbeitsplätze in Bochum und im Ruhrgebiet voranzutreiben.
Dazu gehört, dass Opel sich aktiv inhaltlich einbringt und mit Geld und Flächen dazu beiträgt, dass die Arbeitsgruppe „Bochum Perspektive 2022“ zu einer Entwicklungsgesellschaft für den Standort wird – und nicht zu einer Grundstücksverwertungsgesellschaft verkommt, Kolleginnen und Kollegen.
Die Verantwortung von Opel und GM besteht darin, endlich mit dem Konjunktiv aufzuhören. Wir wollen kein „hätte“, kein „könnte“, kein „wenn“ und kein „aber“ mehr hören! Wir wollen endlich verbindliches und konkretes Einstehen für den Automobilstandort Bochum und für die automobile Wertschöpfungskette in Nordrhein-Westfalen! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Eiskirch. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Schneckenburger.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Ankündigung von GM, die Autoproduktion am Standort Bochum 2016 einzustellen, ist ein herber Schlag. Das gilt für die Beschäftigten – es sind immer noch 3.000 in Bochum. Das gilt für die Stadt Bochum und ganz genauso für die angrenzenden Städte. Das gilt auch für die Region Ruhrgebiet und für die angrenzenden Regionen. Das ist die weitere Dramatik darin. Viele Tausend Menschen hängen mittelbar und unmittelbar vom Opel-Standort ab. Es
sind bis zu 20.000 Menschen, die bei der Zulieferindustrie beschäftigt sind und die mittelbar vom OpelProduktionsstandort abhängen. Das sind alles Menschen, die in dieser Region jetzt um ihren Arbeitsplatz, um ihre Existenz und um ihre Zukunft bangen.
Das Groteske ist im Übrigen auch, dass wir ausgerechnet jetzt in der Woche sind, in der Opel 50 Jahre Opel-Produktion am Standort Bochum und 150 Jahre Bestehen von Opel feiern wollte. Das große Jubiläumsfest war geplant für kommenden Samstag. Und in dieser Woche verkündet GM das Aus. Das ist eine Instinktlosigkeit gegenüber dem Unternehmen und den Menschen, die sich vor Ort jahrelang für diesen Standort eingesetzt haben.
Es hat eine gewisse Konsequenz, diese Feier jetzt abzusagen, in der Tat. Aber es zeigt auch, welche Art Dankbarkeit GM gegenüber den Menschen und der Stadt Bochum verspürt, die ihnen übrigens in der Krise der Automobilindustrie 2008/2009, die eine schwere Krise für GM, eine existenzbedrohende Krise für den Mutterkonzern war, Cash in die Kasse brachten. Es war nämlich Opel, das am Ende GM in den USA gerettet hat. Und das ist jetzt der Dank dieses Konzerns dafür!
Es ist unwürdig, das zu sehen. Es ist unwürdig, das in dieser Situation in der Weise zu machen, wie GM es macht. Mit der Ankündigung beendet der Mutterkonzern im Grunde genommen eine Hängepartie, die schon seit Jahren über diesem Standort schwebt. Seit 2008 schwebt das Damoklesschwert der Schließung über Bochum, über den Beschäftigten aus der Stadt und aus der Region.
Richtig ist ja, dass Opel rote Zahlen schreibt. Richtig ist auch, dass der Absatz an Opel-Fahrzeugen rückläufig ist. Richtig ist aber auch – und das muss man noch mal in aller Deutlichkeit sagen –, dass der Mutterkonzern GM in der Finanzkrise und davor eine verfehlte Produktpolitik hatte. Die haben in den USA immer noch diese großen Schlitten produziert, die keiner mehr fahren wollte und keiner mehr fahren kann, weil erkennbar ist, dass der Ölpreis in die Höhe geht und dass diese großen Schlitten mit ihrem hohen Benzinverbrauch überhaupt nicht mehr bezahlbar sind. Das war die Politik in den USA, die GM an den Rand des Ruins gebracht hat.
Das hat der Konzern letztlich ausgetragen auf dem Rücken der europäischen Opel-Standorte, insbesondere jetzt auf dem Rücken Bochums, wobei Opel selbst eine andere Produktpolitik gemacht hat und auch Innovationen betrieben hat.
Bezeichnend war dabei übrigens, dass GM die OpelProduktion in Europa, in Deutschland als GmbH geführt hat. Das zeigt, wie unselbstständig diese Automobilproduktion hier gehalten wurde und dass es vor allen Dingen darum ging, Liquidität für das eigene Überleben herauszuziehen.
Es war also wesentlich die Politik des Mutterkonzerns GM, die dazu geführt hat, dass der Standort seit Jahren um sein Überleben kämpfen musste. Es war nicht die verfehlte Produktpolitik vor Ort. Übrigens ist das Werk bis heute noch gut ausgelastet.