Protocol of the Session on November 30, 2012

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Gestatten Sie mir, dass ich kurz auf meine Kollegen Vorredner, Herrn Preuß und Herrn Alda, Bezug nehme. Sehr geehrter Herr Preuß, sehr geehrter Herr Alda, Sie haben recht: Verschuldung ist schlimm, wenn man gegen Armut kämpfen möchte. – Auf der Bundesebene ist jedoch die Verschuldung weitaus größer

als auf der Landesebene, und dort tragen maßgeblich Sie die Verantwortung.

(Lachen von der CDU)

Wir täten gut daran – da haben Sie auch recht; einer von Ihnen brachte dieses Argument –, wenn wir alle zusammen am selben Strang zögen, und es wäre gut, wenn der Bund ebenso die Verantwortung für die Bekämpfung der Armut übernehmen würde, wie wir es hier im Lande Nordrhein-Westfalen tun.

(Beifall von der SPD)

Das Thema „Bildung“ – Herr Preuß, auch Sie sprachen an, dass es maßgeblich mit dem Thema „Armutsbekämpfung“ zu tun hat – steht bei uns in Nordrhein-Westfalen an erster Stelle. Ich möchte es Ihnen noch einmal sagen, falls Sie es noch immer nicht bemerkt haben sollten: Wir wollen kein Kind zurücklassen. Wir machen eine präventive Politik. Und auch beim Thema „Übergang von der Schule zum Beruf“ haben wir uns längst auf den Weg gemacht, und darum werden wir uns demnächst flächendeckend in Nordrhein-Westfalen kümmern.

(Lachen von der FDP)

Prekäre Beschäftigungsverhältnisse führen direkt in Armut. Ich nenne als Beispiel die Frauen. Frauen arbeiten häufig im Niedriglohnsektor, und alleinerziehende Frauen brauchen oftmals zwei bis drei Jobs, um ihre Familie überhaupt ernähren zu können. Auch das ist ein Skandal.

(Beifall von der SPD)

Missbrauch bei Leiharbeit – das haben Sie erkannt – gibt es, aber bei diesem Thema ist Ihre Bundesregierung gefragt und muss etwas dagegen tun. Das Gleiche gilt für das Bildungs- und Teilhabegesetz: Da ziehen Sie sich einfach aus der Verantwortung. Das kann es nun wirklich nicht sein. Wir wollen Armut bekämpfen und nicht totschweigen, wie es die Bundesregierung macht.

Frau Kollegin, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Alda zulassen?

Nein, ich habe nur drei Minuten, und das würde mir zu lange dauern.

(Zuruf von der FDP)

Nein, Sie haben noch …

Ich weiß, aber ich möchte meinen Vortrag bitte ununterbrochen fortsetzen können. Ich habe Herrn Alda vorhin auch nicht unterbrochen, obwohl mir ebenfalls danach war.

Frau Kollegin, unabhängig von dieser Frage haben Sie noch vier Minuten zusätzlich, weil die Landesregierung ihre Redezeit überzogen hat. Frau Präsidentin Gödecke hat am Anfang darauf hingewiesen, dass allen Rednern darüber hinaus noch vier Minuten zur Verfügung stehen. Sie haben also noch Zeit. – Bitte schön, Sie haben das Wort.

Ich werde am Ende meiner Rede entscheiden, ob ich die Frage zulassen werde.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh! – Dietmar Brockes [FDP]: Also keine Frage!)

Die Bundesregierung selber hat einen Armuts- und Reichtumsbericht aufgelegt und ist gerade dabei, diesen zu schönen und zu glätten. Im Gegensatz dazu erscheint unser nordrhein-westfälischer Armuts- und Reichtumsbericht ungeschönt und ungeglättet. So, wie er tatsächlich erstellt worden ist, ist er auch in die Öffentlichkeit gebracht worden.

(Zuruf von der CDU)

Zum Beispiel titelt die „Süddeutsche Zeitung“ vom 28.11. – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:

„Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung ist mit Botox gegen Armutsfalten geglättet. Jetzt ist weggespritzt, was einfach hässlich macht.“

Ich finde, das ist ein beschämendes Zitat; das muss ich wirklich sagen.

(Beifall von der SPD)

Ich sage Ihnen jetzt einmal, wie es hier aussieht – und das kann ich Ihnen aus eigener Betroffenheit und eigenem Erleben schildern –: Gerade die armen Menschen in unserem Land finden kaum noch bezahlbaren Wohnraum, und das zweite Handicap, das sie haben, ist die „zweite Miete“, das sind die Nebenkosten, die viele Menschen in unserem Land nicht mehr bezahlen können.

(Beifall von der SPD)

Gerade in meiner Petitionsarbeit begegne ich immer wieder den betroffenen Menschen, und es werden mehr. Die Anzahl der Fälle steigt und steigt. Ich kann Ihnen sagen, wie schwierig es ist, wenn man diesen Menschen, die keinen Strom mehr haben, die keine Heizung mehr haben, die nicht mehr warm duschen können und die sogar am Essen sparen müssen, Auge in Auge gegenübersitzt. Diese Menschen sparen am Essen, weil sie sich ihrer Armut schämen und nicht zur Tafel gehen, wo ihnen unter Umständen geholfen werden könnte. Diesen Menschen zu begegnen – das kann ich Ihnen sagen –, ist wirklich kein schönes Erlebnis. Ich wünschte mir, dass gerade Sie, meine Damen und Herren von der CDU, die Sie nicht im Petitionsausschuss sind, diese Erfahrung machen.

(Zurufe von der CDU)

Für mich wäre es zum Beispiel eine Neuregelung wert, dass jeder einmal im Petitionsausschuss arbeitet, mit der Not vor Ort auch selber in Berührung kommt und sie sieht. Ich habe nämlich das Gefühl, dass manche von Ihnen gar nicht wissen, worüber sie reden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Als Beispiel kann ich Ihren Bundesminister, unseren Gesundheitsminister auf Bundesebene, Herrn Bahr, nennen. Die Krankenversicherungen erwirtschaften Milliardenüberschüsse. Aber wie sieht die Konsequenz aus? – Die Praxisgebühr in Höhe von 10 € wird Gott sei Dank abgeschafft – das haben wir alle befürwortet –, aber das allein löst noch lange nicht das Problem.

(Dr. Robert Orth [FDP]: Wer hat die denn eingeführt?)

Nein, die Überschüsse bei den Krankenkassen werden nicht dazu verwandt, um sie in Form einer Erweiterung des Leistungskatalogs an die Versicherten zurückzugeben oder die Zuzahlungen zu reduzieren. Die Menschen können sich diese Zuzahlungen nicht mehr leisten. Es gibt Menschen, die im Quartal bis zu 500 € zuzahlen müssen und sich daher ihre Medikamente nicht mehr kaufen können.

Vielmehr ist es so, dass Herr Bahr die Zuführungen zum Gesundheitsfonds kürzt und dadurch indirekt den Haushalt des Bundes saniert. Das kann es auch nicht sein!

(Beifall von der SPD)

Um noch einmal auf den Bundesbericht zurückzukommen: Dazu heißt es aus dem Bundeswirtschaftsministerium, man dürfe die Dinge nicht so benennen, wie sie tatsächlich seien. Denn das würde die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt gefährden, was natürlich nicht sein dürfe.

Ich komme noch einmal auf die Stundenlöhne zurück. Auch dazu heißt es im Ergebnis:

„Die Stundenlöhne, die bei Vollzeit zur Sicherung des Lebensunterhaltes eines Alleinstehenden nicht ausreichen sowie eine einseitige polarisierende Lohnentwicklung generieren, verschärfen die Armutsrisiken und schwächen den sozialen Zusammenhalt.“

Diese Passage wird von Ihnen aber schlicht und einfach im Bericht gestrichen. So viel zum Wahrheitsgehalt.

Ferner wurde die Passage gestrichen, in der die Bundesregierung den Prüfauftrag hatte, zu schauen, „ob und wie über die Progression in der Einkommensteuer hinaus privater Reichtum für die nachhaltige Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden kann“. So viel zur Umverteilung

von Reichtum. Dazu sind Sie überhaupt nicht gewillt.

Ganz im Gegenteil: Man liest zum Beispiel von Ihrem Generalsekretär Döring bei Twitter – ich zitiere –, „es sei ein Verdienst der FDP, dass die Regierung im Armutsbericht nun keine Belastung von Vermögen vorschlage“. Auch das ist ein Skandal, meine Damen und Herren.

(Daniel Düngel [PIRATEN]: Das war er gar nicht selber!)

So könnte ich ewig fortfahren.

Alleine die Zeitungs- und Presseberichte über den Armuts- und Reichtumsbericht Ihrer Bundesregierung würden ausreichen, um hier locker eine halbe Stunde Redezeit zu füllen. Aber das möchte ich Ihnen ersparen, weil ich glaube, Zeitung lesen können Sie alle selber.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Für uns als rot-grüne Koalition steht der Mensch im Mittelpunkt des Handelns. Wir wollen eine ganzheitliche Betrachtung und ein ganzheitliches Konzept für die nächsten fünf Jahre entwickeln. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Für die CDU-Landtagsfraktion spricht Frau Kollegin Middendorf.

Wenn Herr Middendorf, mein Vater mit 85 Jahren, hier stehen würde, dann würde er sagen: Herr Minister Schneider, ich kann Ihnen klar und deutlich sagen, was Armut ist und was sozial ist.

Frau Howe, Sie haben sich Aussagen angemaßt, zu denen ich sagen muss: Das ist unglaublich.