Protocol of the Session on April 6, 2017

So ist es auch bezeichnend, aus welchen Arbeitskreisen bei Rot-Grün die Initiatoren dieses Antrags kommen: Das sind weder die Familienpolitiker mit der Zuständigkeit für die Insolvenzberatung noch die Sozialpolitiker, die im Hinblick auf das SGB II mit der kommunalen Schuldnerberatung und ihrer Finanzierung verbunden sind. Nein! Bei Ihnen sind es vor allem die Verbraucherschützer, die vehement ihr Anliegen vortragen, aber keinerlei Verantwortung für die Finanzierung ihrer Forderungen haben.

Das passt allerdings auch, Herr Ott, in Ihr Bild. Ich habe noch nie wie bei Ihnen so ein dreidimensionales Ding gesehen, wie man Verantwortung in so einem Verschiebebahnhof verschiebt: entweder zum Bund, auf untergeordnete Ebenen und, wenn das nicht passt, auf Schwarz-Gelb.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Ich möchte mich jetzt aber mit den Inhalten dieses Antrags auseinandersetzen: Die Trennung von Schuldner- und Insolvenzberatung ist tatsächlich nicht sachgerecht, sondern beruht allein auf den unterschiedlichen Rechtsgrundlagen. In der Praxis gehen beide Beratungen ineinander über und sind kaum künstlich zu trennen. Deshalb befürwortet auch die FDP einen ganzheitlichen und präventiven Beratungsansatz mit einer personellen Kontinuität in den Beratungsgesprächen.

(Jochen Ott [SPD]: Dann können Sie ja zu- stimmen!)

Wenn wir uns aber in diesem Ziel einig sind, dann sollten wir zunächst die rechtlichen und finanziellen Hürden für eine Zusammenführung von Schuldner- und Insolvenzberatung beseitigen.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Marquardt?

Nein, zu dem Thema heute nicht.

(Vereinzelter Beifall von der CDU)

Wir brauchen insbesondere eine ausgewogene Finanzierungsstruktur, die weder zu Mehrbelastungen der Kommunen führt noch alle Kosten durch das Land tragen lässt. Ein bedarfsgerechtes und flächendeckendes Netz an Beratungsangeboten ist ebenfalls anzustreben. Lange Wartezeiten auf einen Beratungstermin verschärfen nur die Probleme überschuldeter Menschen. Angesichts der Haushaltslage des Landes und vieler Kommunen können wir aber weder Vorgaben für erhöhte Personalschlüssel noch eine deutlich gesteigerte Förderung versprechen.

Zusätzliche Mittel für die Schuldnerberatung müssen auch gegenfinaniert sein, zum Beispiel durch Einsparungen an anderer Stelle. Ihre heutigen Versprechungen, die Sie hier vorgetragen haben, werden sich nach der Wahl der Realität stellen müssen.

Eine weitere Forderung ist der kostenlose Zugang zur Beratung für alle Ratsuchenden. Ich frage mich, ob wir da wirklich eine zusätzliche landesgesetzliche Regelung brauchen. Eine kommunale Schuldnerberatung nach dem SGB II kommt nicht nur speziell für die aktuellen Leistungsbezieher in Frage, sondern auch im Sinne eines präventiven Ansatzes zur Vermeidung, Verkürzung oder Verminderung von Hilfsbedürftigkeit. Und da kann ich leider nicht so ganz den Hinweis weglassen, dass es auch eine gewisse Eigenverantwortung zum Thema „Schulden“ gibt; daran kann nicht nur die Gesellschaft schuld sein. Denn es ist davon auszugehen, dass Überschuldung sowohl ein bestehendes Arbeitsverhältnis wie auch eine Wiedereingliederung in Arbeit gefährdet. Wir sollten Kommunen bei diesem Ansatz unterstützen.

Wir hätten also durchaus sachorientiert in den Ausschüssen in den vergangenen Jahren über eine Zusammenführung von Schuldner- und Insolvenzberatung diskutieren können. Sie legen aber hier einen reinen Show-Antrag kurz vor der Wahl vor. Deshalb werden wir den Antrag auch ablehnen.

Gönnen Sie mir noch ein Wort zum Antrag selbst und der Formulierung im vorletzten Absatz auf der Seite 2, nämlich „Kostenträger*innen“. Sie gendern eine sachliche Institution und machen dann noch einen Stern dazu. Ich hoffe, dass der grüne Schwachsinn bald aufhört. – Danke.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Herr Alda. – Jetzt spricht Frau Brand für die Fraktion der Piraten.

Simone Brand (PIRATEN) ): Vielen Dank. – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Herr Alda, wenn alles, was wir jetzt im letzten Plenum direkt abstimmen, Show-Anträge sind, dann können wir uns eigentlich das komplette letzte Plenum sparen und nach Hause gehen. Denn es bleibt uns ja jetzt vor Ende der Legislaturperiode nichts anderes übrig, als direkt abzustimmen.

Mit dem vorliegenden Antrag zur besseren Beratung bei Verbraucherinsolvenzen folgen die Regierungsfraktionen einer Forderung der Verbraucherzentralen NRW. Die Zahl der verschuldeten Bürger steigt immer weiter; immer mehr Menschen rutschen in die Verbraucherinsolvenz, und die Beratungssituation im Land ist leider mehr als unsicher. Gerade diejenigen, die großen Bedarf an kostenfreier und guter Beratung haben, bekommen sie meist nicht: Studenten,

Schüler und Rentner. Das sind nur drei Beispiele von Bevölkerungsgruppen, die darunter besonders zu leiden haben.

Mit dem vorliegenden Antrag soll der Landtag die Landesregierung dazu auffordern, ein Konzept zu erarbeiten, um eben diese Situation zu verbessern. Das ist ein guter Schritt, und dem können wir auch zustimmen.

Aber natürlich gibt es noch so viel mehr dazu zu sagen. Allein schon die Nennung der drei Bevölkerungsgruppen sollte die Politik aufhorchen lassen: Schüler, Studenten, Rentner. Das sind drei der Gruppen mit einer hohen Zahl an überschuldeten Menschen. Alles, was uns als Politik dazu einfällt, soll tatsächlich eine bessere Beratung sein, wenn es schon zu spät ist? Das ist, mit Verlaub, ein ziemliches Armutszeugnis. Wir brauchen dringend eine vollumfängliche Grundversorgung für alle Bürger, beginnend mit einer Kindergrundsicherung. Man kann doch Armut nicht dadurch bekämpfen, dass man den Armen sagt, wie sie sich besser organisieren. Das wird langsam zynisch.

Wir fordern eine deutliche Anhebung des Mindestlohns und eine Kindergrundsicherung im ersten Schritt, freien Zugang zu Bildung und Kultur, fahrscheinfreien ÖPNV und eine Maschinensteuer für hochautomatisierte Herstellungsprozesse. Men

schen müssen an der Gesellschaft teilhaben können. Wir dürfen es nicht zulassen, dass sich die berüchtigte Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet – ansonsten treiben wir diese abgehängten und alleingelassenen Menschen immer weiter in die Arme extremer Parteien. Auch Ihnen sollte klar sein, dass sich weite Teile der Bevölkerung immer weiter von dieser Politik abwenden.

Atomausstieg erst nach Fukushima, Hygieneampel nach den Nahrungsmittelskandalen und Beratung erst dann, wenn die Schulden schon da sind – das ist die Art von Politik, gegen die wir Piraten hier und überall immer wieder anrennen. Es muss proaktiv gehandelt werden und nicht immer erst dann, wenn es zu spät ist. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Frau Brand. – Für die Landesregierung spricht nun Frau Ministerin Kampmann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jochen Ott hat es gerade schon gesagt: Rund 12 % der Menschen in Nordrhein-Westfalen über 18 Jahre sind überschuldet, und nach Angaben des Statistischen Bundesamts leben in etwa einem Drittel der

überschuldeten Haushalte auch minderjährige Kinder.

Überschuldung hat also oft ein Kindergesicht. Die Auswirkungen von Überschuldung auf die akut Betroffenen und das familiäre Umfeld sind inzwischen hinreichend wissenschaftlich belegt. Überschuldung betrifft in der Regel die gesamte Familie. Die Familie leidet mit, die Kinder leiden mit, oft mit dauerhaften Folgen für die Gesundheit und die Psyche. Wir sprechen heute also über alles andere als nüchterne Zahlen. Umso wichtiger ist es, den betroffenen Familien so schnell, aber auch so umfassend wie möglich zu helfen und sie zu unterstützen, aus der Schuldenspirale und der drohenden Perspektivlosigkeit herauszufinden. Wir alle wissen, fachlich-fundierte Beratungsangebote sind dafür unverzichtbar.

Die FDP und die CDU haben gefragt, was wir eigentlich in diesen sieben Jahren gemacht haben. Ich sage es Ihnen gerne: Wir haben schon 2011 die freiwillige Landesförderung der Verbraucherinsolvenzberatung von 5 Millionen € auf 5,5 Millionen € erhöht und damit die Kürzung aus der Vergangenheit rückgängig gemacht. Das war unbedingt notwendig. Das heißt, wir haben nach der Regierungsübernahme an dieser Stelle sehr schnell reagiert.

(Beifall von der SPD)

Häufig bieten Beratungsstellen bereits heute Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung gemeinsam an. Das ist auch sinnvoll – darüber haben wir gerade schon gesprochen –, weil die Schuldnerberatung in die Verbraucherinsolvenzberatung übergehen kann. Solche ganzheitlichen Ansätze der Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung ermöglichen gute Hilfe, um aus der Schuldenspirale herauszukommen. Die Beratung nimmt die Klienten nämlich mit ihrem gesamten sozialen Umfeld in den Blick, und sie mindert die Auswirkungen familiärer Armut. Deshalb ist die engere Verzahnung von Schuldnerberatung und Verbraucherinsolvenzberatung auch aus Sicht der Landesregierung unbedingt geboten.

Eine Zusammenführung der bisher sehr unterschiedlich strukturierten Beratungsstellen wirft allerdings eine ganze Reihe von Fragen auf, und diese bewegen sich an den Schnittstellen von bundes- und landesrechtlichen Regelungen. Sie betreffen das Land, sie betreffen die Kommunen, aber sie betreffen auch die Träger. Diese Veränderungen sind aus meiner Sicht deshalb nicht so trivial, wie es hier von der Opposition suggeriert wird. Strukturverändernde Maßnahmen, die die bestehende Trägervielfalt und die mit dem Antrag verbundenen weitreichenden Konsequenzen berücksichtigen, können aus unserer Sicht deshalb nur mittel- und längerfristig angegangen und umgesetzt werden.

Gleichwohl begrüßen wir diesen Antrag ausdrücklich. Er gibt wichtige Anstöße, um weiter an diesen

Strukturveränderungen zu arbeiten, um überschuldeten Familien die Unterstützung zukommen zu lassen, die sie brauchen. Das muss unser gemeinsames Ziel sein. Deshalb sollte dieses Thema auch in der nächsten Legislaturperiode auf die Agenda der Landesregierung gesetzt werden, damit wir daran konkret weiterarbeiten können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Ministerin Kampmann. Bleiben Sie bitte am Pult. Es gibt eine Kurzintervention von Herrn Tenhumberg aus der CDU-Fraktion.

Herr Tenhumberg, der gerade selbst keine Frage beantworten wollte.

Herr Tenhumberg hat eine Kurzintervention angemeldet. – Bitte schön.

Herr Präsident! Frau Ministerin, ja, Sie antworten zu wenig auf konkrete Fragen. Das stimmt.

In der Bewertung des Themas „Schuldner- und Insolvenzberatung, Zusammenführung und Vernetzungsstrukturen“ stimme ich Ihnen in vielen Aussagen zu. Darum geht es aber eigentlich gar nicht.

Es geht darum, dass hier ein Antrag vorgelegt wird, der bereits 2010 gestellt worden ist, wobei ich Ihnen sage, dass Sie zu wenig getan haben bzw. gar nichts getan haben. Ich habe Ihnen gerade anhand der verschiedenen Fundstellen deutlich gemacht, was Ihre Vorgängerin dazu ausgeführt hat: keine Handlungsmöglichkeiten, keine Handlungsnotwendigkeiten

und, und, und.

Sie weisen auf die Steigerung im Haushaltsplan 2010 von 5 Millionen € auf 5,5 Millionen € hin. Das deckt natürlich bei Weitem nicht die tatsächlichen Kostensteigerungen. Das hat die Freie Wohlfahrtspflege Ihnen im Ministerium in ihrem Schreiben vom September 2015 deutlich mitgeteilt: Es reicht nicht aus.

Meine abschließende Frage, Frau Ministerin, ist: Wie stehen Sie eigentlich zu der Forderung der SPD aus dem Jahr 2010? Haben Sie diese erfüllt, ja oder nein? Dort wird an die Regierung formuliert:

Zur Steigerung der Qualität der Beratung ist deshalb eine ressortübergreifende Koordination und Vernetzung aller Akteure notwendig. Diese Vernetzungstätigkeit muss Aufgabe der Landesregierung sein.

Haben Sie das seit 2010 getan, oder ist nichts geschehen – und warum nicht?

(Stefan Kämmerling [SPD]: Bisschen freundli- cher!)

Lieber Herr Tenhumberg, mir geht es nicht darum, wie häufig Anträge gestellt wurden, sondern mir geht es darum, ganz konkret an Verbesserungen zu arbeiten.

Ich habe Ihnen gerade die Ziele genannt. Allein Bayern, das diese Ziele umgesetzt hat, hat fünf Jahre daran gearbeitet.

Ich habe Ihnen auch die schwierige Schnittstellenproblematik erklärt, gerade was die rechtlichen Regelungen angeht. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten. Das haben wir getan.