Es geht wirtschaftspolitisch aber nicht um Glaskugeln und Marktesotherik, lieber Kollege Brockes, sondern darum, den aktuellen Rahmenbedingungen unserer Welt auch in Nordrhein-Westfalen konstruktiv zu begegnen. Die aktuellen Rahmenbedingungen sind aktuell gut: Die Zinsen sind niedrig, der Ölpreis auch – noch. Woran es mangelt, sind Investitionen – nicht zuletzt öffentliche. Zu diesem Ergebnis kommt auch das Bundeswirtschaftsministerium.
Es war ein Fehler der letzten zwei Jahrzehnte, von der Substanz zu leben und nicht mehr ausreichend in die Infrastruktur zu investieren. Die Brücken bröckeln, die Schulen sind marode, Datenpakete werden durch Kupferleitungen aus den Achtzigern gepresst. Das müssen wir ändern. All diese Versäumnisse der letzten Jahre gilt es aufzuholen. Gleichzeitig muss das Land fit gemacht werden für die Digitalisierung. Das gibt es aber nicht zum Nulltarif. So ehrlich müssen wir den Menschen gegenüber schon sein.
Es gibt viele Beispiele für volkswirtschaftlich lohnende Investitionen, zum Beispiel in die Bildung, nicht zuletzt um Schulen – auch berufsbildende Schulen sowie Hochschulen – für die Digitalisierung fitzumachen. Aber auch eine wirkliche Investitionsoffensive in Glasfasernetze bringt das Land voran. Da die geförderten Netze in kommunaler Hand verbleiben, werden sie verpachtet und refinanzieren sich selbst.
So geht doch eine vorausschauende Wirtschaftspolitik. Denn wie sich früher Wohlstand und Arbeitsteilung entlang der Flüsse und Handelsstraßen ausgebreitet haben, sind es heute die Datenströme, die zählen. Bislang aber durchziehen nur kleine, extrem zähfließende Datenadern das Land: Bits und Bytes auf dem Feldweg. Das muss sich ändern.
Wir Piraten haben dazu ausgiebige Vorschläge vorgelegt. Die digitale Spaltung in Stadt und Land muss überwunden werden, und es müssen ultraschnelle Glasfaserleitungen verlegt werden. Insbesondere weil NRW im Strukturwandel steht, müssen wir hier der Impulsgeber sein. Während Wirtschaftsminister Duin noch oft von marktgetriebenem Ausbau redet, ist Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur, schon weiter und drängt zur Eile. – Zitat aus der „FAZ“ vom 14. März 2017:
„Wir können den Breitbandausbau nicht vertagen, bis Nachfrage und Zahlungsbereitschaft für die Investitionen ausreichen. Dann würden wir das Kostbarste aufs Spiel setzen, was in der digitalen Welt gibt, nämlich Zeit.“
Sie sehen: Da ist ein Paradigmenwechsel notwendig. Machen Sie den Breitbandausbau zur Aufgabe einer öffentlichen Daseinsvorsorge.
Im Übrigen wurden die Kosten für ein flächendeckendes Glasfasernetz in NRW in einer Studie der NRW.Bank auf rund 8,6 Milliarden € beziffert. Das hört sich, wenn man in kurzen Zeiträumen denkt, so an, als sei das recht viel. In einem Abschreibungszeitraum von 20 Jahren sind das 2 € pro Bürger und Monat. Das ist also machbar.
Aber überall, wo wir mehr Geld fordern, muss es auch sauber zugehen. Auch der Wirtschaftsminister muss das im eigenen Haus tun und gut wirtschaften. Wir Piraten haben eine parlamentarische Initiative angestoßen, damit mit all den politischen Leuchtturmprojekten, mit unter Verschluss gehaltenen Gutachten, mit den Auftragsevaluierungen, die komischerweise immer positiv ausfallen, und mit den Rügen des Landesrechnungshofes endlich Schluss ist.
Wir wollen eine transparente Wirkungsanalyse, damit die Menschen in unserem Land sehen können, ob ihre Steuergelder sinnvoll eingesetzt wurden. Das haben Sie verhindert. Warum Ihnen die Transparenz da unangenehm ist, werden Sie wohl selbst am besten wissen. Wir verstehen das nicht.
Wir müssen also investieren – im Gegensatz zur Politik dieser Landesregierung, die nur 2,2 % der Gesamtausgaben in investive Projekte leitet und damit den vorletzten Platz im Bundesländervergleich belegt. Politik soll gestalten und Probleme lösen. Das ist unser Grundverständnis.
Wer aber den Gestaltungsspielraum der Politik im Namen einer Austeritätspolitik gefährlich einschränkt
und die Schuldenbremse beschließt – das will die politische Mehrheit hier im Parlament ja heute Nachmittag machen –, der stärkt die Politikverdrossenheit und damit den Rechtspopulismus in unserem Land. Das ist unverantwortlich.
Wir sollten uns einmal ganz ehrlich anschauen, was für Töne da inzwischen auch von intelligenteren Mitbürgern angeschlagen werden. Ich zitiere einmal aus Heribert Prantls Aufsatz „Gebrauchsanweisung für Populisten“, und zwar aus einem Absatz, der mit „Die schwarze Null und die braune Kloake“ betitelt ist:
„In der Empörung über Trumps großmäuliges Versprechen, er werde der größte Job-Producer sein, den Gott je erschaffen habe, kommen viele gar nicht dazu, sich darüber zu empören, dass die Spardiktate der Europäischen Kommission, der EZB und des Internationalen Währungsfonds (IWF) der größte europäische Jobvernichter waren. Sie sind nicht von Gott, sondern vom deutschen Finanzminister Schäuble als treibende Kraft erschaffen worden, und sie werden noch immer aufrechterhalten, mittlerweile selbst gegen den Widerstand des IWF. Und die Sozialdemokratie hat sich nicht mit Protest hervorgetan, sondern mit braver Assistenz bei der Malträtierung Südeuropas, speziell Griechenlands. Deutschland stört sich weiterhin nicht an der internationalen Kritik an seiner Exportfixierung, die die europäischen Nachbarn aus dem Gleichgewicht bringt. Deutschland lässt sich nicht beirren darin, die schwarze Null als wichtigstes finanzpolitisches Ziel hochzuhalten.“
Also sagen Sie den Menschen hier einmal im Klartext, was es heißt, wenn das Land keine Schulden machen darf.
Da Bundesländer kaum Möglichkeiten haben, Steuern zu erhöhen, werden die öffentlichen Investitionen von dem heute schon niedrigen Niveau noch weiter absinken. Damit wird die Landespolitik ihrem Auftrag gegenüber den Bürgern, nämlich Vorsorge zu betreiben, zu investieren und Probleme zu lösen, nicht mehr nachkommen können. Das halten Sie vielleicht für einen Fortschritt. Ich aber sage: Wirtschafts- und gesellschaftspolitisch ist das ein Rückschritt, der uns sehr, sehr teuer zu stehen kommen wird; denn das führt 2020 direkt in die Unregierbarkeit.
Bereits heute haben wir in Nordrhein-Westfalen mit einer extremen Missbalance zu kämpfen. Übrigens weist im Jahreswirtschaftsbericht 2017 auf dieses Problem auch eine Person hin, die nicht im Verdacht steht, mein wirtschaftspolitischer Freund zu sein, nämlich der Präsident der Industrie- und Handelskammern NRW, Ralf Kersting. Ich zitiere:
„In kaum einem anderen Bundesland liegen prosperierende und schrumpfende Regionen so nahe beieinander. So liegt die Landeshauptstadt Düs
seldorf als Ort mit dem höchsten BIP pro Einwohner in Nordrhein-Westfalen – mit 215 % des Bundesdurchschnitts – keine 50 km entfernt von der Stadt Bottrop, die mit 63 % den niedrigsten Wert in Nordrhein-Westfalen aufweist.“
Ich muss Herrn Kersting kritisieren. Das Zitat hinkt etwas. Düsseldorf hat einen Flughafen: Ziehen wir also von den 215 % 75 % ab; trotzdem ist das immer noch wesentlich mehr als in Bottrop.
Wollen wir und können wir uns diese gesellschaftliche Disruption – diese Verwerfung – in der Zukunft weiterhin leisten? Ich sage Nein. Lassen Sie uns gemeinsam in die Zukunft – hier: in die digitale technologische Revolution – investieren.
Lassen Sie mich zum Abschluss ein paar persönliche Worte finden. Als ich 2015 nicht mehr für den Vorsitz meiner Fraktion angetreten bin und der Kollege Schwerd zu den ewig gestrigen Klassenkämpfern nach links gewechselt ist, wie die Jungfrau zum Kinde als Sprecher in den wirtschaftspolitischen Ausschuss gekommen. Ich möchte mich bei Ihnen allen, stellvertretend besonders bei Herrn Fortmeier, der den Vorsitz innehat, für die sehr freundliche und kollegiale Aufnahme in diesen Ausschuss bedanken.
Ich glaube, wir haben einiges voneinander gelernt. Ich hatte viel Spaß mit Ihnen; ich hoffe, Sie hatten manchmal keinen mit mir.
Es gab auch einige unvergessene Momente. Wir haben über sehr viele spannende Themen, wie Industrie 4.0, diskutiert – auch sehr kontrovers. Wir haben auch über die Wirtschaftspolitik diskutiert, die eher angebotsorientiert sein soll.
Ein Moment wird mir in Erinnerung bleiben. Das war, als die von uns bestellte Sachverständige Frau Prof. Mechthild Schrooten aus Bremen über nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik und die Forderung danach gesprochen hat: Das Gesicht des Kollegen Brockes wurde während der Anhörung länger und länger. Das ist für mich ein unvergessener Moment. Trotzdem, lieber Dietmar, sind wir kollegial miteinander umgegangen, und wir hatten auch Spaß miteinander. Ich sage Ihnen allen noch einmal vielen Dank.
Ich werde weiterhin wirtschaftspolitische Reden halten; ich hoffe, es wird hier sein, und wenn es nicht hier ist, wird sich vielleicht Herr Duin freuen; ich weiß es nicht. Aber ich werde sie weiterhin halten, egal wo. – Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Dr. Paul, vielen Dank für Ihre Rede und vielen Dank für Ihre Arbeit. Aber wer weiß, was die Wahl mit sich bringt; Sie treten ja noch einmal an. Von daher können Sie hier oder an anderer Stelle weiter wirtschaftspolitische Reden halten, was für Sie offensichtlich zu einem Lieblingsthema und zu einer besonderen Berufung geworden ist.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich will zwei, drei oder vier Punkte aufgreifen, die in der bisherigen Debatte inhaltlich eine Rolle gespielt haben, aber nicht noch einmal die ganze Zeit ausnutzen.
Erster Punkt. Herr Wüst, Sie haben über die Auslandsinvestitionen gesprochen. Sie haben gesagt, da lägen wir zwar auf Platz 1, aber das seien doch irgendwie nur Übernahmen, und damit werde gar nichts Neues geschaffen. Dazu will ich zweierlei sagen: Zum einen sind das nicht im Entferntesten nur Übernahmen. Wenn Sie sich neue Investitionen von XCMG oder den Aufbau eines Europacenters von Huawei oder von ZTE ansehen – ich könnte viele andere Beispiele nennen –, werden Sie feststellen, das hat nichts mit Übernahmen zu tun, sondern mit einer ganz bewussten Entscheidung dafür, den europäischen Markt von NRW aus zu erobern. Ich finde, das sollten wir festhalten.
Zum anderen haben wir mit den Übernahmen – das ist in einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung vor einiger Zeit noch einmal herausgearbeitet worden – in der weit überwiegenden Zahl der Fälle positive Erfahrungen gemacht. Es gibt aber auch negative Erfahrungen; zwei habe ich konkret vor Augen: ein Unternehmen in Minden und ein Unternehmen in Recklinghausen. Dort sehen wir nach der Übernahme, dass es um nichts anderes ging als um die Beseitigung eines Mitbewerbers.
In den Fällen sage ich in aller Deutlichkeit: Es kann nicht angehen, dass von manchen Unternehmen die Grundregeln der sozialen Marktwirtschaft außer Kraft gesetzt werden. Komischerweise sind das nicht in erster Linie chinesische Unternehmen, sondern es sind meistens US-amerikanische Unternehmen, die sich überhaupt nicht darum kümmern, dass wir hier klare Regeln, zum Beispiel für die Mitbestimmung, haben. Dann müssen sie auf entschiedenen Widerstand in der Politik stoßen. So kann man mit den Beschäftigten in diesen Unternehmen nicht umgehen.
Es darf aber auch nicht die Botschaft sein – ich will Sie nicht missverstanden haben, Herr Wüst –, dass wir jetzt in eine Art Protektionismus verfallen und sagen: „Lieber keine Übernahmen“, sondern ich finde, es gibt im Gegenteil sehr viele gute Beispiele, in denen das am Ende zur Sanierung und zur besseren Entwicklung von Unternehmen beigetragen hat.
Wir sind stolz darauf, wenn nordrhein-westfälische Unternehmen, auch durch Zukäufe im Ausland, ihre Weltmarktposition weiter ausbauen. Umgekehrt müssen wir das auch machen. Wir brauchen eine Willkommenskultur auch für ausländische Investitionen in Nordrhein-Westfalen. Das muss unabhängig davon sein, ob uns das in dem einen oder anderen Fall selbst als Erstes eingefallen wäre. Wir brauchen dafür auch klare Regeln.
Ich erinnere einmal an den Fall Aixtron: Es muss auch möglich sein, dass man seine starke Position auf den Märkten durchsetzt und dass es nicht von dem Wohlwollen amerikanischer Präsidenten abhängig ist, ob sich diese positive wirtschaftliche Entwicklung in Kooperation mit ausländischen Investoren in Nordrhein-Westfalen fortsetzt oder nicht.
Der zweite Punkt, auf den ich gern noch einmal eingehen möchte: Sie haben gesagt, wir würden uns nicht um die Arbeitslosen kümmern. Ich habe Ihnen geschildert, dass wir einen deutlichen Abbau der Arbeitslosigkeit haben. Aber schauen wir uns einmal eine Region an, in der die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit eine besonders große Rolle spielt: die Emscher-Lippe-Region im nördlichen Ruhrgebiet. Wir haben nicht tatenlos zugeschaut und gesagt: „Das können wir auch nicht ändern“, sondern wir haben – genauso wie ich es vorhin beschrieben habe – wieder Akteure aus der Region eingeladen. Dazu gehörten der CEO von BP, der Arbeitsdirektor von EVONIC, der Chef der Hochschule in Gelsenkirchen, Mittelständler, der Chef der RAG, Handwerker – ein ganz bunter Mix, nicht zu groß, aber doch sehr repräsentativ für diese Region.
Dort haben wir Projekte entwickelt. Wir haben in der vergangenen Woche 14 Projekte identifiziert, die für die Emscher-Lippe-Region jetzt mit bis zu 30 Millionen € realisiert werden können und die dort eine ganz konkrete Wirkung haben. Es geht wieder darum, nicht Vergangenes noch ein bisschen zu verlängern und die Zitrone noch ein bisschen auszupressen, sondern Platz zu machen für wirkliche Innovationen in dieser Region, denn das sind die Impulse, die gerade in einer Region, die mit der härtesten Langzeitarbeitslosigkeit zu kämpfen hat, notwendig sind.
Da reden wir nicht einfach nur, sondern da wird ganz konkret in diese Projekte investiert. Wir machen dort zum Beispiel neue Dinge, nicht nur im newPark, nicht
nur auf „Auguste Victoria“, sondern es geht zum Beispiel auch auf „Prosper-Haniel“ jetzt darum, dass wir ein Kompetenzzentrum für das Thema „Kreislaufwirtschaft“ errichten, noch einmal 4,5 Millionen € zu den gerade genannten 30 Millionen € obendrauf. Das sind konkrete Maßnahmen, die in dieser Region dafür wirken, dass neue Arbeit entsteht, meine Damen und Herren.
Dritter Punkt: die Digitalisierung. Als ob wir da ganz hintendran wären, und wir hätten ja keine Ahnung – das ist mehrfach hier gesagt worden. Nur ein Verweis: Die G20-Digitalminister tagen gerade jetzt zu dieser Stunde, und sie tagen nicht irgendwo auf der Welt, sie tagen in Düsseldorf. Nicht, weil sie uns Nachhilfe geben wollen, sondern weil sie Orientierung erlangen wollen, sind die G20-Digitalminister hier in Düsseldorf. Also, auch da wirklich gar kein Bedarf, um zu jammern, sondern um stolz darauf zu sein, was wir hier schon geschaffen haben.
Insofern glaube ich, dass wir in der Debatte noch einmal haben deutlich machen können: NordrheinWestfalen ist stark, und die starke Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen wird durch die Politik der Landesregierung auch entsprechend unterstützt.
Lieber Reiner Priggen – wahrscheinlich kommen Sie gleich noch einmal wieder, weil wir das an anderer Stelle auch erlebt haben –, wenn eines in der Welt nicht geht, eigentlich, dann ist das eine gute Zusammenarbeit zwischen Ostfriesen und Emsländern.