Protocol of the Session on April 6, 2017

Liebe Hannelore, als wir dich zum ersten Mal zur Ministerpräsidentin gewählt haben, habe ich irgendwann in deinem Büro angerufen – ich weiß gar nicht, ob Anja am Telefon war –, da meldete sich jemand und sagte: Büro der Ministerpräsidentin. Da habe ich mich gefreut und gesagt: Das hört sich so toll an; ich lege wieder auf und rufe noch mal an.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)

Die muss mich für bekloppt gehalten haben.

Wer vorher diese etwas bärbeißigen, brummigen Clements und Steinbrücks erlebt hat, der hat sich nach so vielen Männern einfach gefreut, dass eine Stimme sagt: Büro der Ministerpräsidentin. – Das war ein Genuss.

Jetzt weiß ich, dass du auch mal beißen kannst. Aber ich habe wirklich immer geschätzt, dass man, wenn da etwas war und wenn es mal gerumst hat – dann kann man ja auch gegenrumsen –, immer in der Lage war, sich zu entschuldigen, wieder aufeinander zuzugehen und zu sagen: Das gehört dazu.

Niemand weiß, wie hoch die Arbeitsbelastung derjenigen wirklich ist, die hier sitzen. Da ist die 70-, 80Stunden-Woche nichts. Das ist bei Abgeordneten ähnlich. Da, wo man als normaler Werktätiger am Freitagabend sagen kann: „Nun war’s das aber“, da

fängt es bei den Parteien oft erst an, mit Veranstaltungen am Freitagabend oder samstags und sonntags. Da geht es dann weiter. Das ist bei allen so, bei der Opposition wie bei der Regierung.

Die Arbeitsbelastung – ich habe das nun 17 Jahre lang erlebt – ist immens. Das gilt nicht nur für die Regierungsmitglieder und für diejenigen, die schon lange dabei sind. Auch die Kollegen der Piraten sind in einer unglaublichen Kraftanstrengung ins Parlament eingezogen und mussten alles das, wofür wir einen langen Vorlauf hatten, nachholen und am lebenden Objekt lernen und nachholen. Das ist eine Riesenarbeit. Auch da wird es nicht mit einer 50-, 60Stunden-Woche geregelt gewesen sein, sondern … Wir wissen ja alle, wie das ist!

An euch alle also meinen Dank! Dieser Dank geht auch an viele Kollegen, mit denen man immer wieder – bei allem Wettbewerb – in einem vernünftigen Austausch stand: an den Kollegen Rasche oder auch an Joseph von der CDU; Hubertus Fehring ist jetzt nicht da; Eckhard habe ich schon angesprochen. Auch dir, Armin, herzlichen Dank für die Gespräche!

Es wird Sie nicht verwundern, wenn ich es einem noch persönlich sagen muss – er hat das eben vorgemacht; es war nicht abgesprochen –: Lieber Norbert, 17 Jahre Parlament, insgesamt 22 Jahre und vier Koalitionen waren wirklich klasse, auch die fünf Jahre mit dir als Fraktionsvorsitzendem. Zwei Jahre in der Minderheitsregierung zu erleben, hat noch einmal etwas ganz Besonderes bedeutet.

Es war eine gute Zusammenarbeit. Du warst Ansprechpartner, man konnte immer mit dir reden. Es war nicht Eitelkeit, sondern immer das Gefühl, am Wirkungsgrad orientiert zu schauen, dass alles läuft, zuhören zu können, zu sagen, wann eine Grenze erreicht ist, aber auch zu akzeptieren, wenn sie woanders lag. Im besten Sinne warst du eigentlich ein Aachener Ingenieur. Diesen Titel würde ich dir ehrenhalber verleihen.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)

Ganz herzlichen Dank für die Zeit und Ihnen allen alles Gute, auch für die schwierige Zeit im Wahlkampf und den Einsatz für unser Land! Von mir ein herzliches Glück auf!

(Anhaltender allgemeiner Beifall)

Du musst hierbleiben. – Zunächst vielen Dank. Bevor aber der Dank des Präsidenten kommt, gibt es eine Kurzintervention. Sie stammt nicht von Sigrid Beer, sondern von Armin Laschet.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Knapp dane- ben, also zwei Plätze!)

Herr Präsident, wir stellen heute die gesamten Regeln der Geschäftsordnung auf den Kopf. Gerade war der Bundesfinanzminister im Landtag. Ich habe ihn verlassen, weil mir jemand sagte, dass Rainer Priggen gerade seine letzte Rede hält, und da bin ich dann herbeigeeilt. Die Kurzintervention war schon vom Parlamentarischen Geschäftsführer beantragt. Wir haben eine Übertragung auf einen anderen Redner, der sich nicht angemeldet hat, erreicht.

Mal gucken, ob das möglich ist.

(Heiterkeit)

Herr Präsident, schön dass Sie das möglich machen; denn Rainer Priggen war auch für die Opposition ein vertrauenswürdiger, engagierter Abgeordneter, ein Kollege, mit dem man ringen konnte – hart in der Sache, über Braunkohle und vieles andere mehr –, wenn er jedoch eine Rede gehalten hat, ging man nachher raus und sagte: Doch, da war auch eine neue Idee dabei; da gab es etwas, worüber man noch einmal nachdenken sollte.

Deshalb, lieber Rainer Priggen: Es freut mich, dass sich das mit der Ministerpräsidentin am Telefon so schön anhört. Du hast viel dafür getan, dass RotGrün in diesen 17 Jahren gut funktioniert hat.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben viel dafür getan, oder: Irgendwie hat es funktioniert.

(Allgemeine Heiterkeit)

Wir wollen alles tun, damit das anders wird. Dennoch: Danke für diese Kollegialität, für deine Arbeit hier im Landtag. Du hast dem Land gut getan, du hast dem Landtag gut getan. Wir werden dich vermissen.

(Allgemeiner Beifall)

Du hast noch ein bisschen Zeit!

(Allgemeine Heiterkeit)

Sehr geehrte Abgeordnete! Lieber Reiner Priggen! Dies war offensichtlich deine letzte Rede. Ich möchte auch als amtierender Präsident den herzlichen Dank des Landtags ausdrücken für 17 Jahre intensive Arbeit in verantwortlicher Position hier in unserem nordrhein-westfälischen Landtag.

Du hast eben in deiner Rede noch gesagt, dass dies ein tolles, schönes Land ist. Das ist sicherlich die Auffassung aller Abgeordneten des Landtags von Nord

rhein-Westfalen. Je nachdem, ob sie sich in der Regierung oder in der Opposition befinden, wird das auch schon mal etwas anders dargestellt.

Dass es keine Feinde, sondern Wettbewerber gibt – auch das ist heute in deiner Rede deutlich geworden. Das hat auch deine parlamentarische Arbeit in den vergangenen 17 Jahren geprägt. Diesen Grundsatz hast du immer befolgt. Dafür herzlichen Dank im Namen des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Ich denke, wir sehen uns alle – auch wenn wir jetzt ausscheiden – in anderen Funktionen oder bei anderen Möglichkeiten wieder. Vielen Dank für deine Arbeit.

(Langanhaltender allgemeiner Beifall)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen nun in der Tagesordnung fortfahren. Es kehrt jetzt wieder ein Stück Normalität ein – nicht hinsichtlich der Bedeutung der Rede, aber generell. Deswegen hat Herr Dr. Paul von der Fraktion der Piraten das Wort.

Lieber Herr Präsident! Danke für die netten einleitenden Worte. Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich hoffe, ich werde gegen Ende meiner Rede noch ein paar versöhnliche Worte finden. Ich möchte mich auch ganz persönlich bei Reiner Priggen bedanken. Damals als frischgebackener Fraktionsvorsitzender im Ältestenrat hat er es mir ein Stück weit leicht gemacht.

Die Landesregierung hat heute Auskunft darüber gegeben, wie sich Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren wirtschaftlich entwickelt hat. Der Wirtschaftsminister hat Zahlen genannt, auf Indikatoren hingewiesen, die Initiativen der Landesregierung in der Vergangenheit aufgezählt und darauf abgestellt, was man in Zukunft tun sollte.

Richtig ist, dass sich Nordrhein-Westfalen in einem Wandlungsprozess befindet – „wieder einmal“ kann man sagen, oder besser: immer noch. Denn NRW ist fast schon ein Synonym für Wandel. Es gab die Kohle- und Stahlkrise in den 60ern und 70ern, und auch die Textilindustrie hat sich aus dem Bergischen Land und anderen Regionen zurückgezogen. Auch der Fahrzeugbau, die Elektrotechnik und die Chemieindustrie haben heftige Einbrüche erlebt.

Das ist alles nicht neu. Die betroffenen Regionen leiden aber noch immer unter den verloren gegangenen Arbeitsplätzen. Und nun kommt auch noch die Digitale Revolution, die alte Qualifikationen entwertet, neue Kompetenzen einfordert und manchmal disruptiv die Strukturen im Land auf den Kopf stellt.

Richtig ist außerdem, dass die Industrieproduktion entgegen dem Bundestrend in NRW seit dem Jahr 2011 gesunken ist. Auch der Auftragseingang der Industrie ist rückläufig. Das zeigen die offiziellen Zahlen des Jahreswirtschaftsberichts 2017. Der Anteil

des verarbeitenden Gewerbes in Nordrhein-Westfalen liegt inzwischen unter dem Bundesdurchschnitt, und damit hat unser Land zu kämpfen.

Das ist die Realität, der wir uns stellen müssen. Da hilft auch keine Schönrednerei. Das sind schmerzhafte Einsichten, aber umso wichtiger ist es, dafür Verantwortung zu übernehmen. Aber das wollen Sie anscheinend nicht. Ich sage stattdessen: Wir müssen endlich die Ärmel hochkrempeln; denn gerade in Zeiten der Digitalisierung brauchen wir dringend eine Runderneuerung der Wirtschaft. Dabei helfen ganz sicher keine megaherzigen Regierungserklärungen.

Kein anderer Wirtschaftsbereich steht besser für den Wandel als die Start-ups. Was ist da die Bilanz von Rot-Grün nach fünf Jahren? – Ich zitiere den Jahreswirtschaftsbericht 2017:

„Mehr als 400 junge Unternehmen im Bereich der Internetwirtschaft sind ein Beleg für das positive Gründerklima.“

An diesem Beispiel zeigt sich wieder einmal, wie unterschiedlich die Zahlen bewertet werden. Sie sagen: 400 Start-ups sind gut. – Wir sagen: Wenn fast 18 Millionen Bürger gerade einmal 400 Start-ups gründen – also rechnerisch nur ein Start-up auf 40.000 Bürger kommt –, dann läuft etwas so nicht ganz richtig in unserem Land. Ich bin jedoch überzeugt davon, dass die tollen Menschen in Nordrhein-Westfalen noch viel mehr gute Ideen haben und das brachliegende Potential noch größer ist – aber auch, dass die Hürden größer sind als gedacht. Hier muss die zukünftige Landesregierung noch stärkere Akzente setzen als bisher.

Wenn wir schon über Wirtschaft reden, müssen wir auch über die Kreativen reden. Die Kultur- und Kreativwirtschaft erwirtschaftet eine Bruttowertschöpfung von 18,5 Milliarden € – so viel, wie der Kraftfahrzeugbau und die chemische Industrie zusammen in Nordrhein-Westfalen. Dabei sind in der Kultur- und Kreativbranche mehr Erwerbstätige beschäftigt als im Kraftfahrzeugbau, in der chemischen Industrie und der Energiewirtschaft zusammengerechnet. Da ist noch sehr viel mehr möglich.

Der wichtigste Teilmarkt der Kultur- und Kreativwirtschaft ist die Softwareindustrie inklusive der GamesIndustrie. Obwohl Nordrhein-Westfalen mit der Gamescom jedes Jahr Magnet für das internationale Fachpublikum ist, liegt das Umsatzvolumen der Branche weit unter dem Bundestrend. Das kann nicht sein, das muss sich ändern! Wir Piraten haben deshalb in der Vergangenheit Haushaltsänderungsanträge gestellt, um hier das Potenzial besser auszuschöpfen.

Meine Damen und Herren, wie gehen wir die wirtschaftspolitischen Probleme in unserem Land an? – Brauchen wir etwa möglicherweise – ich habe da so

etwas läuten hören – mehr nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik? Muss der Umweltschutz zurückgeschraubt, müssen Standards gesenkt, Unternehmen entlastet werden, damit es Nordrhein-Westfalen wieder gutgeht, wie es die CDU und die FDP immer wieder suggerieren? – Die Antwort ist ein klares „Nein“. Die Lösung im Klein-Klein zwischen Landeswassergesetz und Tariftreuevergabegesetz zu suchen, geht völlig an der Realität vorbei.

Da gibt es weltweit die Rahmenbedingungen des 21. Jahrhunderts. Die müssen von der Politik gesehen und konstruktiv umgesetzt werden – auch in Nordrhein-Westfalen.

Die politische Bildsprache auf Wahlplakaten ist ja manchmal unfreiwillig verräterisch. Ich bin vor Kurzem an einem FDP-Plakat vorbeigefahren, auf dem der Kollege Lindner frisch beflaumt und gefotoshopt so angestrengt-engagiert schräg nach links unten blickt. Ein Küchentisch-Psychologe hat einmal versucht, mir zu erklären, dass zwanghafte Ordnungsfanatiker beim Nachdenken so dreinblicken würden. Bei „Raumschiff Enterprise“ war es immer Scotty, der so geguckt hat, wenn der Warp-Antrieb kaputt war. Aber da macht Herr Lindner ein Gesicht, als hätte man ihm gerade die wirtschaftspolitische Glaskugel geklaut.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])