Protocol of the Session on March 16, 2017

(Michael Hübner [SPD]: Guter Mann!)

dessen Programm im Wesentlichen daraus besteht, anzukündigen, die unsoziale SPD-Politik der letzten Jahrzehnte zu korrigieren, wird an dieser Stelle von der sozialdemokratischen Regierungsrealität eingeholt. Ich wage einmal die Prognose, dass ihm das in nächster Zeit noch häufiger passieren wird.

Die meisten sachgrundlosen Befristungen und prekären Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Sektor gibt es übrigens an den Hochschulen. Hier zeigt sich, wie fatal die Entscheidung des schwarzgelben Hochschulfreiheitsgesetzes war, die Personalverantwortung für die Beschäftigten der Hochschulen auszulagern.

Da hilft auch keine rot-grüne Absichtserklärung wie der Rahmenkodex „Gute Arbeit“ für gute Beschäftigungsbedingungen, der arbeitsrechtlich leider nicht durchsetzbar ist.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Denken wir einmal gemeinsam über das Wort „Kodex“ nach!)

Wir Piraten haben in diesem Zusammenhang gefordert, im Hochschulzukunftsgesetz die nötigen rechtlichen Rahmenbedingungen für die Rückführungen des Hochschulpersonals in den Landesdienst festzuschreiben.

(Beifall von den PIRATEN – Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Das will kein einziger Beschäf- tigter! Welche Gewerkschaft fordert das?)

Drücken Sie sich doch ein.

Denn nur wenn die Personalverantwortung beim Land liegt, lassen sich prekäre Beschäftigungsbedingungen in der Wissenschaft verhindern.

Dann, liebe SPD, könnte man auch den Lippenbekenntnissen von Martin Schulz Taten folgen lassen. Aber – sozialdemokratische Doppelbödigkeit und politische Glaubwürdigkeit mal beiseitegelassen – wie steht denn die CDU zu sachgrundlosen Befristungen? Oder geht es mit diesem Antrag letztlich nur darum, die SPD und den Finanzminister vorzuführen?

Genauso wie das Thema „unbesetzte Stellen im Landesdienst“, das wir heute schon einmal in diesem Plenum behandelt haben, ist das Problem der flächendeckenden befristeten Beschäftigungsverhältnisse zu ernst, um es nur für Wahlkampfgeplänkel zu instrumentalisieren. Wir Piraten lehnen sachgrundlose Befristungen von Arbeitsverträgen beim Staat und in der Privatwirtschaft kategorisch ab.

Der Anteil der befristet beschäftigten Jugendlichen war noch nie so groß wie heute. Noch 1991 lag der Anteil der befristeten Arbeitsverträge in dieser Altersgruppe bei 8,4 %. Im Jahr 2015 ist der Anteil der Befristungen dann auf einen Wert von 22,7 % hochgeschossen. Laut Statistischem Bundesamt liegt der Anteil der jungen Leute, die 2015 unfreiwillig eine Anstellung auf Zeit hatten und lieber eine unbefristete Stelle haben wollten, noch einmal deutlich höher, nämlich bei über 27 %. Befristete Arbeitsverträge für junge Menschen sind heute in unserem Land ein Massenphänomen.

Für die Betroffenen bedeutet das finanzielle Unsicherheiten aufgrund häufiger Arbeitsplatzwechsel –

die drohende Arbeitslosigkeit immer wieder vor Augen –, Instabilität und Unsicherheit beim Start ins Berufsleben sowie eingeschränkte Perspektive und Planungssicherheit. Wie junge Menschen unter diesen Bedingungen eine Familie gründen sollen, bleibt das gut gehütete Geheimnis der Politik.

Deshalb begrüßen wir es grundsätzlich, wenn Herr Schulz sein sozialdemokratisches Gewissen wiederentdeckt und die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen kritisiert. Es wäre nur schön, wenn die sozialdemokratische Regierungsrealität diesen Lippenbekenntnissen standhalten würde. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kern. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Dr. Walter-Borjans.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine befristete Stelle kann ja durchaus eine Einstiegschance sein. Wie wir wissen, ist sie aber immer auch mit einer Belastung für denjenigen verbunden, der sie annimmt, weil sie einfach keine Planung für einen längeren Zeitraum – erst recht nicht für ein ganzes Leben – zulässt.

Deshalb muss die Zahl befristeter Stellen so klein wie nur eben möglich sein. Wir haben hier ja eine ganze Reihe von Beispielen gehört, in denen es möglicherweise aus Sachgründen auch einen anderen Anlass geben kann, zumindest kurzfristig oder für einen bestimmten Zeitraum eine Befristung auszusprechen. Dennoch muss gelten, dass wir die Zahl befristeter Stellen in der Verwaltung ebenso wie auch in der Wirtschaft senken müssen. Vor allen Dingen muss es unser Ziel sein, dort, wo es keinen Sachgrund gibt, so gut es geht und so schnell wie möglich auf die Zahl null zu kommen.

Wir wissen alle – das ist von Herrn Kern auch schon angesprochen worden –, dass wir gar nicht über alle einzelnen Beschäftigungsverhältnisse selbst bestimmen können. Bei den Hochschulen ist es nun einmal anders als in anderen Landesdienststellen. Deswegen ist es ja auch richtig, zu überlegen, dass man Wirtschaft und Verwaltungen auf einer gesetzlichen Basis dazu bewegt, mit Stellenbefristungen anders umzugehen als das bislang der Fall ist.

Dieses Ziel, die sachgrundlose Befristung auf null zu drücken, haben wir in der Tat auch selbst noch nicht erreicht. Es hat auch gar keinen Sinn, hier zu erklären, das sei alles erledigt. Aber man sollte daraus nicht wieder das billige Spiel machen, jemanden als absolut unglaubwürdig hinzustellen, wenn er oder sie jetzt als Kanzlerkandidat oder auch als Ministerpräsi

dentin das Ziel ausgibt, die Abschaffung sachgrundlos befristeter Stellen als ernst gemeintes Projekt zu betrachten, das wir gemeinsam angehen sollten.

Ich finde es interessant, wie hier gerade vonseiten der CDU agiert wird. Zwar haben Sie in dem ganzen Zusammenhang auch heute hin und wieder zwischen den Zeilen gesagt, es stimme ja, dass die Sache mit den Befristungen nicht gut ist. Sie haben aber in der gesamten öffentlichen Debatte wieder einmal das gemacht, was Sie in den letzten Wochen schon die ganze Zeit über tun – nämlich nichts anderes, als den anderen unglaubwürdig machen zu wollen, ohne selber zu erklären, wo Sie überhaupt hinwollen. Das ist von Ihnen überhaupt noch nicht gesagt worden.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Haardt?

Ich würde das jetzt gerne erst einmal in ein paar Minuten zu Ende bringen. Dann können wir das vielleicht am Ende noch machen.

Sie wollen jetzt keine Zwischenfrage zulassen. Vielen Dank.

Es gibt also noch viel zu tun. Trotzdem ist auch schon eine Menge erreicht worden. Erstens. 2016 war die Zahl der befristeten Stellen 14 % kleiner als 2010. Zweitens. Diese Zahl liegt, gemessen an allen Beschäftigten des Landes, nicht bei 5 %, sondern, wenn man die Teilzeitbeschäftigung mit einbezieht, sogar weit unter 5 %.

Jetzt kommt Herr Lohn und sagt, das dürfe man so nicht machen, weil die Beamten sowieso nicht befristet tätig sein können. Ja, in der Tat. Herr Lohn, ich gehe mit Ihnen dann gerne einmal ein Beispiel durch. Nehmen wir einmal an, wir hätten 300.000 Beamte und einen Angestellten, dessen Stelle befristet ist. Würden Sie dann in der Gegend herumlaufen und sagen, im Land seien 100 % aller Stellen befristet?

(Stefan Zimkeit [SPD]: Ja, ja!)

Oder würden Sie sagen, dass eine von 300.001 Stellen befristet ist?

Man kann doch nicht den Teil, der natürlich nicht zu befristen ist, einfach herausrechnen und sich nur die Stellen anschauen, bei denen das denkbar ist.

Wenn die Art, wie Sie rechnen, richtig wäre, hätten Sie eigentlich gestern, als Sie die Ergebnisse der Forsa-Umfrage gelesen haben, die Korken knallen lassen müssen. Denn dann könnten Sie sagen: Die

74 %, die ohnehin nicht CDU-nah sind, nehmen wir einmal heraus; und von den anderen haben wir 100 %.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD)

Auf die Art kann man sich immer alles schönrechnen. So haben Sie das mit den Beschäftigten des Landes gemacht. Fakt ist aber: Weit unter 5 % derjenigen, die für das Land Nordrhein-Westfalen arbeiten, sind befristet beschäftigt.

Ich könnte jetzt noch kurz – das ist ja schon ganz oft angesprochen worden – auf die 50 Stellen eingehen. Man muss sich einmal Folgendes vorstellen: Wir bieten für Quereinsteiger eine Möglichkeit, die aber damit verbunden ist, dass sie eine halbjährige Ausbildung machen müssen. Vielleicht hätte man sagen sollen: Wir setzen die halbjährige Ausbildung, die wir separat anbieten, voraus und machen dann eine unbefristete Stelle mit einem halben Jahr Probezeit.

Jetzt haben wir die Ausbildung oder die Qualifizierung und das halbe Jahr Erprobung, wie das so schön heißt, zusammengepackt und sagen ganz klar: Bei bestandener Probezeit mündet das natürlich, wie in jedem anderen Fall auch, in eine dauerhafte Beschäftigung.

Sie laufen in der Gegend herum und machen solche Ausführungen – selbst Herr Brinkhaus tut das in Talkshows vor einem Millionenpublikum –, obwohl Sie ganz genau wissen, dass das überhaupt nichts mit sachgrundloser Befristung zu tun hat. Sie wollen ihr Süppchen darauf kochen.

Diese billige Polemik kommt entsprechend an. Sie merken ja, dass sich das im Moment auch in Sympathiewerten für die CDU widerspiegelt. Sie sollten aufpassen, dass Sie damit nicht wirklich das Gegenteil dessen erreichen, was Sie wollen. Bleiben Sie einfach seriös! Dann können wir uns auf diese Art auch richtig auseinandersetzen über ein Ziel, das wir eigentlich gemeinsam haben müssten. – Danke schön.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. Bleiben Sie bitte am Pult. Es gibt eine Kurzintervention von Herrn Abgeordneten Haardt von der CDU. – Bitte schön, Herr Kollege Haardt.

Sehr geehrter Herr Minister, weil wir gerade beim Thema „seriös“ sind: Seriös wäre es, wenn man sich einmal anschauen würde, zu welchen Befristungen es denn die meiste obergerichtliche Rechtsprechung und Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes gibt. Dann stellen Sie nämlich fest, dass es die allermeiste Rechtsprechung zu den Befristungen mit Sachgrund gibt und dass komi

scherweise die allermeiste Rechtsprechung zu diesem Thema den öffentlichen Dienst betrifft, und zwar gerade die Finanzverwaltung.

Denn in der Praxis – das sage ich Ihnen als Fachanwalt für Arbeitsrecht – sind die Befristungen ohne Sachgrund gar nicht das Problem. Das Problem sind die Befristungen mit Sachgrund,

(Beifall von der CDU)

wenn die Arbeitsverhältnisse von Mitarbeitern in der Finanzverwaltung 14, 15, 16, 17, 18 Jahre immer wieder mit Sachgrund befristet werden, weil sie immer wieder zu Vertretungen von irgendeinem angeblich Kranken oder in Elternzeit Befindlichen eingesetzt werden.

Das ist für die Leute das Problem. Aber das ist ein Problem, für das wir keine Gesetzesänderung brauchen. Dafür müssen Sie nur die Praxis ändern.

(Beifall von der CDU)

Herr Minister, Sie haben für anderthalb Minuten das Wort. Bitte schön.

Erstens. Natürlich ist es kein Wunder, dass ein Sachgrund eher eine Grundlage für eine gerichtliche Auseinandersetzung ist. Insofern ist es klar, dass die Sachgrundbefristungen auch Befristungen sind, bei denen man notfalls den Rechtsweg beschreitet, um prüfen zu lassen, ob das rechtens ist oder nicht.