Protocol of the Session on January 26, 2017

Vielen Dank, Herr Kollege Rehbaum. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Beu.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Enquetekommission IV des Landtags NRW legt heute ihren Abschlussbericht vor. Wir haben uns zwei Jahre lang mit den Finanzierungsoptionen des öffentlichen Personenverkehrs in Nordrhein-Westfalen im Kontext des gesellschaftlichen und technischen Wandels befasst. So lautete auch der offizielle Titel der Kommission, und das war auch deren Arbeitsfeld.

Wir Grüne sehen am Ende dieses Prozesses viel Einigkeit. Alle Fraktionen bestätigen die hohe Bedeutung des öffentlichen Personenverkehrs für die Gesellschaft. Sie alle möchten ein besseres Angebot und mehr Service. Die Kommission hat viele sinnvolle Vorschläge für den Weg dorthin diskutiert.

Unter anderem wurde Folgendes – ich führe jetzt beispielhaft nur einige praktische Möglichkeiten auf – diskutiert und angeregt: erstens die überjährigen Fonds zur Finanzierung der Infrastruktur, zweitens ein Lebenszyklusmodell der Infrastrukturfinanzierung, drittens die Entwicklung eines qualifizierten Regionalnetzes und viertens das Schaffen von leicht verständlichen und wiedererkennbaren Standards für Mobilstationen.

Alle Handlungsempfehlungen müssen jetzt weiter konkretisiert werden und in die Umsetzung gehen. Mit dem ÖPNV-Gesetz haben SPD und Grüne bereits vorab erste Sonderförderungen zur Verfügung gestellt, zum Beispiel für die Reaktivierung von stillgelegten Schienenstrecken oder auch – vielleicht hat Herr Rehbaum das übersehen – für die nachholende Sanierung von Stadtbahnstrecken. Diese ist im ÖPNV-Gesetz, das wir im Dezember vorigen Jahres beschlossen haben, bereits Teil der Sonderförderung. In diesem Zusammenhang erwähne ich aber auch die Elektrifizierung bisheriger Dieselstrecken, damit die bereits grundsätzlich umweltfreundliche Bahn einen noch höheren Beitrag zum Erreichen der Klimaschutzziele leisten kann.

Unser aller Aufgabe ist und bleibt die Herstellung der Barrierefreiheit für mobilitätseingeschränkte Mitbürgerinnen und Mitbürger. Der Bundesgesetzgeber hat dies im Personenbeförderungsgesetz bereits für das Jahr 2022 vorgegeben. Bis dahin sollen die Maßnahmen realisiert werden. Viele unserer Kommunen im Lande sind da im zeitlichen Verzug. Wir als Land NRW leisten dort Hilfe.

Wir Grüne wollen, dass mehr Menschen Bus und Bahn nutzen. Dazu ist ein Ausbau der Infrastruktur unverzichtbar. Hierzu benötigt der ÖPNV jedoch weitaus mehr Finanzmittel, als bisher zur Verfügung standen. Neben den Fahrgästen und dem Land müssen sich auch der Bund sowie die Kommunen verstärkt um ihre Aufgaben kümmern und ihrer Verantwortung nachkommen.

Dies gilt auch für diejenigen die einen sogenannten Drittnutzen haben: Handel und Gewerbe, Arbeitgeber und Immobilienbesitzer profitieren von guten ÖPNV-Anbindungen. Dass eine finanzielle Beteiligung dieser Gruppen möglich ist, ohne dass Arbeitsplätze gefährdet werden und ohne dass die Mieten explodieren, beweist Frankreich mit der Abgabe „Versement Transport“. Auch in Deutschland ist so etwas möglich. Schon heute gibt es einzelne Fälle, wo sich Privatunternehmen auf freiwilliger Basis an der Finanzierung des ÖPNV beteiligen.

Wichtig ist uns Grünen aber vor allem, dass die Benutzung des ÖPNV einfacher gestaltet wird. Dazu gehören eine transparente Tarifgestaltung, die landesweite Angleichung von Apps und Infrastrukturvorgaben sowie die Ausrichtung des Angebots der Verkehrsunternehmen an den Bedürfnissen der Fahrgäste.

Um dieses „Fahrziel Zukunft“ zu erreichen, haben wir Grüne den Mut, die Frage zu stellen: Ist die jetzige Zersplitterung des ÖPNV in NRW mit diversen kleinsten, kleinen und großen kommunalen Verkehrsunternehmen, mit Städten und Kreisen als gesetzlichen Aufgabenträgern, mit neun – und nicht, wie Herr Rehbaum sagte, drei – Tarifverkehrsverbünden sowie mit drei Aufgabenträgerverbünden für den SPNV der bestmögliche Weg? Oder führt er in eine Sackgasse?

Bedarf es nicht einer intelligenten, übergeordneten Steuerung der Arbeit der Zweckverbände – sei es in der Form einer Landesverkehrsgesellschaft oder etwas Ähnlichem? Weil das so ist, findet sich im Wahlprogramm meiner Partei die Forderung wieder, dass die Interessen der Fahrgäste im Mittelpunkt stehen müssen und dass sich die Strukturen an diesen auszurichten haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Andere zucken vor dieser Systemfrage zurück. Allen Defiziten zum Trotz möchten sie unverrückbar am alten System unreformiert festhalten. An diesem Punkt waren wir uns in der Kommission uneinig. Ich will hier auch feststellen, dass nach zwei Jahren Diskussionen nicht nur hier Differenzen zwischen den Fraktionen verblieben.

Diesen punktuellen Differenzen zum Trotz beurteilen wir Grüne die Ergebnisse der Enquetekommission als Erfolg für den ÖPNV und als Erfolg für NordrheinWestfalen. Deshalb haben die Fraktionen von SPD und Grünen einen Entschließungsantrag eingebracht. Alle zwei Jahre soll die Landesregierung dem Parlament nun über die Umsetzung der formulierten Ziele der Enquetekommission berichten. So bewahren wir den Erfolg der gemeinsamen Diskussionen und schaffen den nötigen politischen Druck sowie die nötige Dynamik, um beim ÖPNV am Ball zu bleiben.

Die vorzeigbaren Ergebnisse sind das Resultat der ausführlichen fachlichen Diskussion in der Enquetekommission. Für die offene, stets zielführende Diskussion bedanke ich mich ausdrücklich bei den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen und beim Kommissionsvorsitzenden.

Last but not least haben neben den Sachverständigen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landtagsverwaltung und der Fraktionen ein großes Stück zum Erfolg beigetragen. Ohne ihr Wirken im Hinter

grund wäre die Arbeit der Kommission nicht so gelungen. Darum geht an sie mein ganz herzlicher Dank für ihre wertvolle Unterstützung.

Und ich sage nochmals: Viel Erfolg in der Zukunft für den ÖPNV in diesem unserem Land.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Beu. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Nückel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ob man schon jetzt feststellen kann, dass diese Enquetekommission ein Erfolg ist, weiß ich nicht. Ich glaube, das werden wir erst in zehn bis 15 Jahren beurteilen können. Vielleicht wird auch manches, was dann aus dem Bericht umgesetzt wird, gar nicht so als Erfolg gewertet werden.

Es muss etwas verändert werden – da sind sich alle einig – bei der Suche nach dem Wind, der die Segel für den ÖPNV straffen soll. Trotz des Rekordjahres 2016 für Busse und Bahn – das war ja heute eine Meldung – ist klar, dass die Regel, dass allein die steigende Flut die Boote flott macht, eine ist, die vielleicht im Wattenmeer gilt, aber sicher nicht in tropfenden U-Bahn-Tunneln.

Es muss sich also – darüber sind sich alle Beteiligten – etwas ändern. In der Enquetekommission war es manchmal ein bisschen so wie bei Radio Eriwan: Im Prinzip ja – aber. Herr Beu hat das gerade ebenfalls unterstrichen: Natürlich haben wir nicht alles im Konsens beschlossen.

Die eine oder andere Fraktion wäre meines Erachtens über die eine oder andere Handlungsempfehlung, die abgelehnt wurde, vielleicht doch glücklich gewesen, weil das möglicherweise zum Erfolg der Enquete geführt hätte. Aber so ist das nun einmal, auch in einer Enquetekommission gibt es politische Mehrheiten.

Trotzdem geht mein Dank an den Ausschussvorsitzenden, der auch in manchen strubbeligen Situationen das Schiff gut gesteuert hat. Mein besonderer Dank geht an die Mitarbeiter im Ausschusssekretariat; denn die Abgeordneten waren ja manchmal ein wenig störrisch, vor allen Dingen wenn es um Terminfindungen ging. Das war manchmal doch etwas problematisch; aber das ist unser Alltag.

(Beifall von Rolf Beu [GRÜNE] und Henning Rehbaum [CDU])

Millionen Pendlerinnen und Pendler sind jeden Tag auf einen funktionierenden Nahverkehr angewiesen, aber auch der Freizeitverkehr – abends ins Theater oder am Wochenende zum Sport oder in die Natur –

spielt eine immer größere Rolle. Dabei steigen natürlich auch die Mobilitätsansprüche der Nutzer. Das Angebot, das Nordrhein-Westfalen im Nahverkehr demgegenüber bietet, ist – freundlich formuliert – verbesserungswürdig.

Die Infrastruktur – das können wir übereinstimmend feststellen – ist an vielen Stellen marode. Viele Fahrzeuge sind in die Jahre gekommen, und man sieht es ihnen auch an. NRW zeichnet sich durch eine Vielzahl, ich will nicht sagen: „undurchsichtiger“, aber immerhin unübersichtliche Tarife aus. Der ländliche Raum fühlt sich oft abgehängt. Auch im Ballungsraum von Rhein und Ruhr sieht es manchmal mau aus, in den Außenanlagen oder auf den Fahrplänen, wenn man für nach 22 Uhr eine Verbindung sucht.

Vieles, was meine Kollegen hier gerade angeführt haben, ist richtig, was die grundsätzlichen Forderungen, aber auch die Analyse angeht, in vielen Fällen jedoch nicht, was die Schlussfolgerungen betrifft. Bei aller Übereinstimmung in Fragen zur Multimodalität, zur Digitalisierung, zu den Schnellbussen im ländlichen Raum usw. erfüllt der Bericht sicherlich einen gewissen Anspruch.

Mit Blick auf die Finanzierungsoptionen der Zukunft ist wohl ein wenig Enttäuschung angebracht. In diesem Punkt unterscheidet sich die FDP-Fraktion grundsätzlich von den anderen Fraktionen. Wir wollen keine Experimente mit Zwangstickets, Drittnutzerfinanzierung und Ähnlichem, weil das alles zum größten Teil praktisch kaum oder gar nicht umsetzbar ist. Das Ganze ist eine gewaltige Abzocke zulasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler im Lande. Zwangsbeglückung – Sie werden mir diese Formulierung nachsehen – und Zwangsverpflichtungen entsprechen nicht gerade dem Bild des mündigen Bürgers. Nach Ansicht der FDP müssen wir da deutlich die rote Karte zeigen und solchen Diskussionen entgegenwirken.

Die Forderungen nach Drittnutzerfinanzierungen sollen Immobilienbesitzer, möglichst auch Unternehmer melken – egal ob sie selbst, ihre Mieter oder Beschäftigten den ÖPNV nutzen oder nicht. Das können wir nicht akzeptieren. Dieses Konstrukt wurde bei den Anhörungen nicht nur juristisch ziemlich auseinandergenommen, sodass manche Forderungen nicht einmal mehr Schatten werfen.

Weil es eine Illusion ist, zu glauben, dass diese Instrumente an sich den ÖPNV verbessern würden, müssen wir uns alle um die Tatsache kümmern, dass die jetzige Finanzierungsverfassung im ÖPNV ein wenig als Fass ohne Boden angesehen werden kann. Eine grundlegende Verbesserung – da sind wir uns in der Analyse, so meine ich, wieder alle einig – wird man nur dann erreichen, wenn man das – Kollege Löcker sagte es – Finanzierungssystem mit Stichworten wie „Spaghetti-Diagramm“ analysiert

und charakterisiert und dann auch mit allen Konsequenzen beseitigt. Intransparenz und Kostenverschleierung sind heute leider prägend für den Umgang mit Milliarden von Steuergeldern. Hier gilt anzusetzen.

Wir Liberalen fordern eine Neuordnung des Systems mit klaren und einfachen Finanzierungstatbeständen. Wir fordern durchgängig Transparenz, Kostenwahrheit, aber auch die Durchsetzung von Marktmechanismen an einigen Stellen sowie Wettbewerb.

(Beifall von der FDP)

Deshalb sah es die FDP als ihren zentralen Beitrag zur Arbeit der Enquetekommission an, das Finanzierungsgutachten initiiert und den umfassenden Beratungsprozess auch befruchtet zu haben.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Es ist ein neuartiges, wie ich finde, schlüssiges Finanzierungssystem. Es hat in der Szene, in der Branche, auch schon positive Resonanz und viel Anklang gefunden. Wir verdanken dies der Auswahl unseres Gutachters; der Kollege Bayer hat ihn gerade auch schon genannt: Frank M. Schmid. Mit ihm hatten wir einen profunden Kenner und republikweit bekannten Finanzierungsexperten gewinnen können. Seine langjährige Erfahrung in der Daehre- und in den beiden BodewigKommissionen kamen der Arbeit der Kommission unmittelbar zugute. Das Ergebnis ist ein neues Konzept zur Neuordnung der ÖPNV-Finanzierung.

Wir Liberale fordern die Umsetzung des kompletten, nur im Ganzen schlüssigen Finanzierungskonzepts. Alles andere würde nur Stückwerk bleiben. So sehr wir es begrüßen, dass etliche Teile des Konzepts auch die Zustimmung der Kommission erhalten haben, so müssen wir allerdings kritisieren, dass die politische Mehrheit der Kommission den entscheidenden Schritt und die entscheidenden Handlungsempfehlungen für eine erfolgreiche Umsetzung nicht mitgetragen haben – so ist das eben mit politischen Mehrheiten – und ein komplettes, in sich geschlossenes System nicht so ganz sichtbar ist, was Mechanismen und auch Wettbewerb anbelangt.

Dass unser Konzept mitunter – und das ist vielleicht das Problem – auch Druck auf manche Verkehrsbetriebe zur Folge hat, ist klar und notwendig. Mir scheint es aber so zu sein, dass es manchmal rote und schwarze Kirchtürme im Land gibt, die sich als Bremsklötze für eine grundlegende Reform der Finanzierung sehen.

Kurz gefasst: Wir haben in der Kommission versucht, unsere Positionen und Argumente in zwei umfassenden Sondervoten in dem Bericht darzulegen. Wir wollen – das als Fazit im Interesse der Fahrgäste und Steuerzahler – eben keine neuartige Abgaben, sondern eine grundlegende Reform der bestehenden Missstände. Dazu kann die Lektüre des Berichts vielleicht beitragen. Die Handlungsempfehlungen tun es

nicht in konsequenter Art und Weise. Aber ich bin auch da voller Zuversicht. Die Zukunft wird es zeigen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Nückel. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Bayer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Fahrgäste! Sie, die Fahrgäste, nutzen Bus und Bahn, weil Sie den öffentlichen Nahverkehr nutzen können und dieser auf Ihren Pendlerwegen gut funktioniert. Sie sind also schon ein bisschen privilegiert.

Dennoch sind Sie vor allem von den Warte- und Umsteigezeiten sowie von den Verspätungen genervt. Sie hätten gern einen besser ausgebauten und attraktiveren Nahverkehr.

Gleich als Zweites nervt sie der Tarifdschungel, obwohl sie die Tarife zumindest teilweise verstanden und nicht gleich aufgegeben haben wie viele Menschen im Land, die den Dschungel nicht durchblicken und aufgaben, weil sie keine Schwarzfahrer sein wollen. Das wären potenzielle Fahrgäste.

Der Tarifdschungel ist kein freiwilliges Abenteuerland. In dem Dschungel bringt es nichts, zu schreien: Ich bin Fahrgast, holt mich hier raus! – Oder?

(Heiterkeit und Beifall von den PIRATEN)

Die Wünsche der Fahrgäste, die Hürden zur Nutzung von Bus und Bahn sowie der Tarifdschungel waren nicht die einzigen Gründe, warum wir Piraten im Sommer 2014 die Enquetekommission beantragt haben. Wir wussten, welche Erwartungen in Zukunft an den ÖPNV gerichtet werden und welche politischen Ziele mit einem Ausbau des ÖPNV verknüpft sind. Eine Verdopplung des ÖPNV-Angebots ist nötig – allein schon, um die Klimaschutzziele zu erfüllen.

Wir wollten ganz speziell den Schwerpunkt auf die Finanzierung der Zukunft von Bus und Bahn legen, um endlich den Wünschen, Erwartungen und berechtigten Zielen das Totschlagargument der Unfinanzierbarkeit zu nehmen. Das ist uns gelungen.