Protocol of the Session on November 9, 2012

(Beifall von der SPD)

Eine CSU, die unter Druck steht, weil im nächsten Jahr die Landtagswahl in Bayern ist. Eine Kanzlerin, die unter Druck steht, weil sie 2013 mit einer heillos zerstrittenen Koalition in die Bundestagswahl geht. Und eine FDP, die unter Druck steht, weil sie bundesweit weit unter die Fünfprozenthürde geraten ist. Ich kann nur annehmen, die Erleichterung in Berlin muss riesig gewesen sein, als Sonntagnacht dieser Kuhhandel, dieser zynische Deal um das Betreuungsgeld besiegelt war.

In großen Worten wurde dann am Montag von Schwarz-Gelb die sogenannte Wahlfreiheit der Eltern beschworen. Ich zitiere dazu mit Erlaubnis des Präsidenten einmal einen Kommentar aus dem „Express“ aus Düsseldorf von Mittwoch:

„Es wirkt wie ein Hohn, wenn die Regierung in Berlin nun jene Milliarde, die bei den Kitas dringend gebraucht würde, für das Betreuungsgeld aus dem Koalitions-Fenster wirft.“

Kinder und Familien brauchen beste Bildung, brauchen beste Chancen. Aber was sie nicht brauchen, ist jemand, der ihnen sagt, wie sie zu leben haben. Was sie nicht brauchen, ist eine teure Familienleistung, die rein konsumtiv ausgerichtet ist, die keine Zukunftsperspektiven schafft und die gerade die Kinder von früher Bildung fernhält, die es am dringendsten benötigen.

Das hat man übrigens inzwischen auch in Thüringen festgestellt. Man überlegt dort, das sogenannte Betreuungsgeld oder Erziehungsgeld wieder abzuschaffen. Das hat man in Norwegen und in Schweden festgestellt. Man hat festgestellt, dass es genau die Kinder von der Bildungseinrichtung fernhält, die es am dringendsten gebrauchen. Und diese familienpolitische Maßnahme wollen Sie jetzt in

Deutschland einführen? – Was für ein Irrsinn!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich möchte noch einmal wiederholen, dass die Bürger und Bürgerinnen Ihre Einschätzung, dass das Betreuungsgeld eine richtige Maßnahme ist, nicht teilen. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland lehnt es ab. Im Übrigen sind auch 62 % der Menschen der Meinung, dass es sich um Wahlgeschenke handelt, was Sie Sonntagnacht verhandelt haben, zumindest was das Betreuungsgeld angeht.

Ich möchte auch ausdrücklich sagen, dass die Abschaffung der Praxisgebühr auf unsere Zustimmung trifft. Das muss einmal gesagt werden, Herr Lindner: Es ist eine ordnungspolitisch vernünftige Maßnahme, weil man festgestellt hat, dass es nicht gewirkt hat.

Wenn man aber doch auch schon festgestellt hat, dass das Betreuungsgeld nicht wirkt, warum führen Sie es dann mit ein und verantworten das auch noch?

(Beifall von der SPD)

Man kann sich in der Tat fragen: Für wen macht diese Bundesregierung eigentlich Politik? Für Herrn Seehofer, für Frau Haderthauer höchstpersönlich? Mir ist zu Ohren gekommen, dass es in Bayern auch ein Landeserziehungsgeld gibt. Jetzt kann man ja eins und eins zusammenzählen und kommt auf Folgendes: Die Bayern wollen vielleicht auf diese Weise ihr eigenes Landeserziehungsgeld sparen, wenn sie jetzt das Betreuungsgeld vom Bund finanziert bekommen. So könnte man sich das auch zusammenreimen.

Aber was für ein Signal gibt die Bundesregierung außerdem noch damit? – Wer Bildung nicht in Anspruch nimmt, erhält Cash auf die Hand. Sollen sich die Familien demnächst auch von Musikschulen, Bibliotheken und Sportvereinen abmelden? Ihr Theater-Abo kündigen? Bekommen sie dann auch Cash auf die Hand? Dieses Betreuungsgeld geht an den Sorgen und Bedürfnissen der Familien vorbei. Es löst keine Probleme, sondern es schafft neue Probleme.

Worauf ich wirklich noch warte, sind Wortmeldungen von Herrn Laschet und Herrn Lindner, die sich in der Vergangenheit bekanntermaßen mehrfach klar gegen das Betreuungsgeld positioniert haben. Man kann im Internet nachlesen: Am 5. Oktober dieses Jahres hat sich der Generalsekretär der NRW-FDP zu Wort gemeldet. Vollmundig forderte er – ich zitiere ihn mit Erlaubnis des Präsidenten –:

„Laschet hat es in der Hand, das Betreuungsgeld zu stoppen.“

So die Überschrift. Weiter:

„Der Ball liegt nach unserer Kritik jetzt auf dem Elfmeterpunkt. Wenn das Betreuungsgeld nicht eingeführt werden soll, muss Armin Laschet als Vorsitzender des größten Landesverbands der

CDU jetzt den Elfer verwandeln. Seiner öffentlich geäußerten Kritik müssen Taten folgen...“

(Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Noch im Oktober ging es gar nicht kritisch und tatkräftig genug bei CDU und FDP gegen das Betreuungsgeld. Und jetzt? – Zustimmung und Erläuterung hier im Parlament, warum das denn eigentlich eine gute Leistung sei. – Das verstehen die Menschen in Deutschland nicht mehr, das verstehen die Menschen in Nordrhein-Westfalen nicht mehr. Das ist ein Zickzackkurs.

Ich kündige Ihnen auch an: Wenn Rot-Grün die Bundesregierung übernimmt, wird diese unsinnige familienpolitische Maßnahme wieder abgeschafft.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zu- rufe von der FDP: Oh!)

Wir kämpfen dafür, dass es mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf vorangeht. Ihre Anschuldigungen gegen diese Landesregierung, sie habe nichts für die Familien und für die Kinder in Nordrhein-Westfalen getan, sind wirklich abenteuerlich. Wir haben ein Investitionsprogramm von einer halben Milliarde in zwei Jahren aufgelegt, wir unterstützen die Kommunen und die Träger beim U3Ausbau. Sie haben nicht einen Cent frisches Landesgeld für diese Maßnahmen in die Hand genommen. Das war Ihre Familienpolitik. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Laumann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir geht es heute in der Debatte darum, deutlich zu machen – und das kann ich als Vorsitzender der CDUFraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen auch nicht stehen lassen –, dass wir hier in diesem Haus eine Debatte führen über die Frage der Betreuung der Kinder, der kleinen Kinder unter drei Jahren, in der von verschiedenen Rednerinnen und Rednern, auch noch durch Presseverlautbarungen von Mitgliedern der Landesregierung, dargestellt wird, dass die Betreuung von Unter-Dreijährigen zu Hause in Wahrheit bedeutet, dass diesen Kindern Bildungschancen vorenthalten werden.

(Beifall von der CDU – Britta Altenkamp [SPD]: Genau so ist es!)

Wenn man sagt, das Betreuungsgeld sei eine Antibildungsprämie, wenn hier heute im Landtag Reden gehalten worden sind, in denen sehr deutlich zum Ausdruck gebracht worden ist, dass eine wahre Förderung der Kinder nur in einer Kita stattfindet,

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Nie- mand hat das gesagt!)

dann möchte ich dieses mit aller Entschiedenheit im Namen der Christlich Demokratischen Union zurückweisen!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zweiter Punkt: Ich glaube, dass wir nicht einen ideologischen Streit führen sollten gegen die Emotionen von Vätern und Müttern, die ihre Kinder in den ersten drei Lebensjahren zu Hause betreuen.

(Beifall von der CDU)

Jetzt will ich einen weiteren Punkt sagen, der mich wirklich schwer beschäftigt. Wenn man eine solche Debatte mit dem Tonschlag, wie etwa Frau Asch ihn geführt hat, führt, dann müsste man auch in Wirklichkeit für jedes Kind einen Betreuungsplatz haben. Aber wenn man ein Land repräsentiert, in dem wir nur für 18 % der Kinder unter drei Jahren einen Betreuungsplatz haben, dann sollte man für jeden Vater und jede Mutter dankbar sein,

(Zurufe von Andrea Asch [GRÜNE] und Da- niela Schneckenburger [GRÜNE])

der oder die die Betreuung zu Hause sicherstellt!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich möchte in dieser Debatte ein Weiteres sagen.

(Zuruf von Andrea Asch [GRÜNE] – Gegen- ruf von Ilka von Boeselager [CDU])

Ich glaube, dass wir uns mit der Debatte zur Betreuung der Kleinstkinder zurzeit überhaupt keinen Gefallen tun. Wenn ich auf mich die veröffentlichte Meinung zu diesem Thema wirken lasse, dann hören unsere jungen Leute heute: Das große Problem unserer Gesellschaft ist, dass zu wenig Kinder geboren werden.

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Dann hören sie Politik und Wirtschaft sagen: Aufgrund des Fachkräftemangels – aber machen wir uns nichts vor: auch weil die Einkommenssituation vieler Menschen so ist, wie sie ist – brauchen die Mütter wie die Väter einen Arbeitsplatz.

Dann hält sich ein junges Paar an dies alles. Unser Staat hat ihnen versprochen, dass ab August nächsten Jahres zumindest für jedes dritte Kind, das geboren wird, ein Betreuungsplatz zur Verfügung steht. Dann entscheiden sie sich für ein Kind. Und dann werden sie in vielen Regionen NordrheinWestfalens feststellen, dass wir nicht einmal dieses Drittel erreicht haben. Das ist doch die bittere Wahrheit!

(Beifall von der CDU)

Zur gleichen Zeit maßt sich Rot-Grün hier im Landtag von Nordrhein-Westfalen eine Debatte gegen die Betreuung der Kinder unter drei Jahren zu Hau

se an. Ich kann nur sagen: Eine solche Politik ist nicht logisch. Sie ist unanständig. Sie ist unehrlich, und sie trifft überhaupt nicht die Realität in diesem Land, in dem Sie Verantwortung tragen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dann wird hier ein Bild gezeichnet, als hätten wir mit Bayern irgendwie einen Teil Deutschlands, in dem alles ganz schrecklich sei. Ich will nur sagen: Die Bayern sind in der Betreuungsquote bei U3-Kindern weit vor Nordrhein-Westfalen!

(Beifall von der CDU)

Denn die jüngste Erhebung des Statistischen Bundesamtes sagt, dass Bayern mit einer Betreuungsquote von 23 % einen mittleren Platz unter den alten, westdeutschen Bundesländern einnimmt und Nordrhein-Westfalen mit 18 % den Schlussplatz aller deutschen Länder. Das ist die Wahrheit. Und dann eine solche Debatte hier im Landtag!