Protocol of the Session on September 15, 2016

(Ministerin Sylvia Löhrmann: FDP!)

FDP. Entschuldigung. Sie haben recht.

(Ministerin Sylvia Löhrmann: Große Koalition!)

Nein. Ich war schon beim nächsten Satz. Da kommen SPD und Grüne vor. Daher war das vorauseilend.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Sie haben heute Nacht geträumt!)

Nein, das träume ich nicht.

Sie von SPD und Grünen haben das mit der Begründung abgelehnt: Es ändert sich mit diesem Erlass eigentlich nichts. Deswegen ist es auch gar nicht wichtig, dass wir ihn vor den Sommerferien in diesem Hause diskutieren.

Wenn sich mit diesem Erlass nichts ändert, frage ich mich natürlich: Warum gibt es dann diesen Erlass?

Diese Frage stellt sich offensichtlich nicht nur mir. Der Personalrat, den Sie nicht beteiligt haben, ist entsetzt und fordert sein Recht auf Beteiligung ein. Warum nur? Weil sich nichts ändert?

Die Westfälisch-Lippische Direktorenvereinigung hat in einem Brief an Staatssekretär Hecke im August dieses Jahres ihr Befremden über diesen kurzfristig vor den Sommerferien veröffentlichten Erlass kundgetan. Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich aus diesem Schreiben:

Entgegen der sonst in fast allen thematischen Bereichen üblichen Praxis erfolgte keinerlei Beratung mit uns im Rahmen der Vorbereitung der Erlasse, obwohl auch eine große Zahl der Gymnasien in Nordrhein-Westfalen Schülerinnen und Schüler mit den oben näher bezeichneten besonderen sprachlichen sowie herkunftsbezogenen Voraussetzungen im vergangenen Schuljahr aufgenommen hat.

Wenn dieser Erlass nicht wichtig gewesen wäre, hätten Sie wohl kaum dieses Schreiben erhalten, Herr Staatssekretär.

Auch hier besteht also klar der Eindruck, dass sich gravierend etwas ändert, und zwar zum Nachteil aller Beteiligten.

Nun argumentieren Sie, Frau Ministerin Löhrmann, dass Vorbereitungsklassen, die zum Deutscherwerb dienten, Separation seien und dass Sie derartige Parallelstrukturen nicht wollten – so im vergangenen Schulausschuss. Aha! Erst einmal die Landessprache zu erlernen, um dann dem Regelunterricht folgen zu können, ist also diskriminierend.

Ich berichte Ihnen jetzt einmal von einem Projekt der AWO in Marl. Die AWO ist ja wahrscheinlich unverdächtig, unbedingt CDU-Politik zu machen. Dort treffen sich an einer Grundschule Schülerinnen und Schüler ohne Deutschkenntnisse in drei Lernzeitgruppen entsprechend ihrem jeweiligen Sprachstand, da es ihnen aufgrund fehlender Deutschkenntnisse nur schwer möglich ist, am Unterricht einer Regelklasse teilzunehmen.

Es gibt einen Riesenerfolg, alle Fraktionen möchten dieses Projekt ausweiten. Aber einen Brief an Sie, Frau Ministerin Löhrmann, aus dem vergangenen

Februar diesbezüglich haben sie unbeantwortet gelassen. Wir wissen nun auch warum. Sie haben für sich erklärt – ideologisch –: Es macht sehr viel Sinn, wenn alle in eine Klasse gehen, ob die Voraussetzungen erfüllt sind oder nicht, ob da jemand etwas versteht oder nicht, ganz egal – Hauptsache, Sie haben Ihre Ideologie durchgesetzt.

Das machen wir nicht mit. Deshalb fordern wir Sie am heutigen Tage noch mal auf: Nehmen Sie diesen Erlass sofort zurück! – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Danke schön, Frau Vogt. – Frau Gebauer für die FDP stellt nun den gemeinsamen Antrag aus ihrer Perspektive vor. Bitte schön, Frau Gebauer.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch der Erlass, über den wir hier und heute sprechen, ist in unseren Augen wieder ein weiterer Baustein einer ideologisch motivierten Politik. Sie, meine Damen und Herren der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, besitzen allerdings doch nicht das Rückgrat, ehrlich zu sagen, dass Sie einen Paradigmenwechsel zulasten der Kinder und Lehrer in Nordrhein-Westfalen erzwingen. Der Erlass ist ja nun in der Welt, und die inhaltliche Verantwortung liegt zweifelsfrei bei Ihnen.

Dieser Erlass zeigt auch, dass Sie leider aus den Integrationsproblemen der Vergangenheit nichts gelernt haben. Ihnen ist nach wie vor Ihre grüne Ideologie wichtiger als eine bedarfsorientierte und strukturierte Integrationspolitik.

Frau Beer, Sie haben in einer schon sehr speziellen Art und Weise – ein Stück weit fast selbstgefällig – in der letzten Sitzung vor der Sommerpause hier im Plenum erklärt, materiell und substanziell ändere dieser Erlass für die Schulen nichts.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: So ist es!)

Beide Damen, Sie und Frau Ministerin Löhrmann, haben zu diesem Erlass aber – das sage ich, das sagen die Freien Demokraten – sowohl gegenüber dem Parlament als auch gegenüber der Presse und der Öffentlichkeit von Beginn an und fortgesetzt nicht die ganze Wahrheit gesagt. Sie haben beide der Presse gegenüber erklärt, die Schulen würden weiterhin entscheiden.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Genau!)

Diese Aussage ist falsch. Während sich bisher die Bildung von Vorbereitungsklassen nach dem tatsächlichen Bedarf an den Schulen richtete, wird sie jetzt in das Ermessen der Schulaufsicht gestellt. Das

ist schon ein großer Unterschied, meine Damen und Herren. Somit ist dieser Erlass ein Paradigmenwechsel, weil durch diesen Erlass die bisherigen Möglichkeiten der Vorbereitungsklassen systematisch zurückgedrängt werden.

Folgendes wirft schon ein bezeichnendes Licht auf das Rechtsverständnis der Grünen: Wenn wir im Ausschuss von gravierenden Veränderungen sprechen, reden die Grünen von juristischen Spitzfindigkeiten.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Ja!)

Auch die Reaktionen aus dem Ministerium seitens der Ministerin in der Presse und auch im letzten Schulausschuss – Frau Voigt hat es schon angesprochen – waren sehr bezeichnend. Es wurde eine Nebelkerze nach der anderen gezündet, und es wurden über Minuten ganze Textpassagen vorgelesen.

Sie haben aber auch Sachen von sich gegeben, die so nicht stimmen. Sie haben in der Presse verkündet, langfristig keine Ausländerklassen zu wollen. Ich sage Ihnen: Wenn Sie das so verkünden und das mit uns in Verbindung bringen, ist das nicht in Ordnung, weil wir als Freie Demokraten nie langfristige Ausländerklassen gewollt haben, sondern wir haben gesagt – da sind wir uns einig –: Wir möchten, dass eine frühestmögliche Integration in die Regelklassen erfolgen soll.

(Beifall von Marc Lürbke [FDP])

Aber der entscheidende Unterschied ist, Frau Ministerin Löhrmann, dass wir nicht Kinder in die Regelklassen überführen möchten, die keinerlei Deutschkenntnisse oder nur Deutschkenntnisse rudimentärer Art haben. Wir werden diesen Kindern mit Flucht- und Migrationshintergrund nicht gerecht, und das gilt auch für alle anderen Kinder in diesen Regelklassen.

(Beifall von Marc Lürbke [FDP])

Man muss wissen, bei diesem Erlass geht es um die pädagogische und organisatorische Ausrichtung an unseren Schulen. Und damit geht es um die beste Bildung, um eine exzellente Bildung für unsere Kinder an unseren Schulen – für alle Kinder, nicht nur für Kinder mit Fluchthintergrund. Es geht um die Chancen, die wir unseren Kindern durch diesen Erlass nehmen.

Deshalb kann ich mich der Forderung von Frau Voigt nur anschließen: Ziehen Sie diesen Erlass zurück und lassen Sie den Schulen den nötigen Freiraum, um bedarfsorientiert und angemessen eine vernünftige Integrationspolitik vor Ort zu gestalten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Frau Gebauer. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Hendricks.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns nicht zum ersten Mal mit diesem Erlass. Sie haben bereits darauf hingewiesen, dass wir vor der Sommerpause schon einen Aufschlag hier im Landtag gehabt haben. Wir haben uns in der letzten Woche dazu anderthalb Stunden im Schulausschuss ausgetauscht. Das Ergebnis war, dass den Abgeordneten übers Wochenende auf Wunsch der Opposition ein Audiomitschnitt zugeleitet wurde, sodass wir uns noch mal mit dem Gesagten beschäftigen konnten.

Aber ich habe den Paradigmenwechsel und den Widerspruch, den Sie heute versucht haben aufzuzeigen, nicht feststellen können, nachdem ich mir diesen Audiomitschnitt sehr aufmerksam angehört habe.

(Beifall von Eva Voigt-Küppers [SPD] und Sigrid Beer [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, Ihr Antrag ist knapp gefasst, geht aber leider von falschen Voraussetzungen aus. Das hat Ihnen Frau Ministerin Löhrmann im Schulausschuss dargestellt. Anders, als Sie es im Antrag behaupten, sollen die neu zugewanderten Schülerinnen und Schüler eben nicht grundsätzlich ohne vorbereitenden Deutschunterricht am Normalunterricht teilnehmen. Im Grundsatz ändert sich also nichts.

Daraufhin habe ich mir den alten Erlass angeschaut, weil es immer hilfreich ist, sich das Neue und das Alte zu betrachten, um die Veränderungen festzustellen.

Im alten Erlass vom 21. Dezember 2009 heißt es:

„Regelklassen

Schüler und Schülerinnen mit Zuwanderungsgeschichte besuchen grundsätzlich Regelklassen in der von ihnen besuchten Schule und nehmen grundsätzlich am gesamten Unterricht teil.“

Es heißt dann zum Thema Vorbereitungsklassen, dass die Schulaufsicht die Vorbereitungsklassen einrichtet und nicht die Schule. Genau das tut dieser neue Erlass auch: Es obliegt der Schulaufsicht gemeinsam mit dem Schulträger, Klassen einzurichten.

Was der Erlass aber tut, und das war auch für uns am Anfang irritierend – das gestehe ich durchaus, denn wir haben ja auch Nachfragen gestellt –, ist, dass der Begriff „Klasse“ durch den Begriff „Sprachfördergruppe“ ersetzt wird. Frau Löhrmann hat dies auch dargestellt, und zwar in Schreiben, in Mitteilungen und im Ausschuss letzte Woche, und hat darauf hingewiesen, dass mit dieser Begrifflichkeit sozusagen eine Einheit unter den Bundesländern dargestellt

wird, indem nämlich alle anderen Länder, die in der KMK ja vereint sind, auch den Begriff „Sprachfördergruppen“ einführen und damit sozusagen eine begriffliche Klarheit hergestellt wird.

An der Organisationsform ändert sich nur insofern etwas, als die Schulen flexiblere Möglichkeiten haben, ihre eigenen Erfahrungen vor Ort umzusetzen und es eben nicht nur in Klassen machen müssen. Das haben wir sehr begrüßt, weil diese Flexibilität sozusagen den Schulen die Möglichkeit gibt, die Best-Practice-Beispiele, die sie vor Ort bereits praktizieren, wirklich umzusetzen.