Protocol of the Session on September 14, 2016

Stahlstandort NRW sichern – strategische Industrie für die Wirtschaft von morgen

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/11707

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk Drucksache 16/12859

Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/11765

Ich möchte noch einen Hinweis geben: Der Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/11674 wurde gemäß § 82 Abs. 2 Buchstabe b unserer Geschäftsordnung vom Plenum federführend an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk überwiesen mit der Maßgabe, dass Aussprache und Abstimmung erst nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgen. Die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk liegen als Drucksache 16/12858 vor.

Auch der Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/11707 wurde vom Plenum federführend an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk

überwiesen mit der Maßgabe, dass Aussprache und Abstimmung nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgen. Die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk liegen als Drucksache 16/12859 vor.

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPDFraktion dem Kollegen Sundermann das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor fünf Monaten, einige Tage nach einer Großdemonstration in Duisburg, haben wir diese Anträge hier im Plenum beraten. Heute kommen wir darauf zurück – es ist wie ein Déjà-vu –; denn vor 14 Tagen gab es wieder eine Großdemonstration in Duisburg. Diesmal sind die Beschäftigten auf die Straße gegangen, weil sie nicht genau wissen, wie es weitergeht. Wie geht es weiter mit den Zusagen des Unternehmens zum Bestandsschutz der Arbeitsplätze? Wie geht es weiter mit ihrem Unternehmen ThyssenKrupp in Duisburg?

Die Stahlindustrie steht wieder einmal vor einem Strukturwandel, vor Änderungen. Gestehen Sie es mir zu, meine Damen und Herren, dass ich für meine Fraktion feststelle, dass wir natürlich sehr eng bei den Beschäftigten stehen und sie in ihren Forderungen deutlich unterstützen.

(Beifall von der SPD – Zuruf von der FDP: Wo denn?)

Meine Damen und Herren, wir stellen fest: Der Kreis schließt sich also zu den Anträgen im April. Für die Unterstützung der Beschäftigten und des Unternehmens ist es wichtig, dass wir gleiche und faire Rahmenbedingungen für unsere Unternehmen und die Beschäftigten vor Ort schaffen.

Im April haben wir darüber schon einmal gesprochen. Dabei waren vor allem zwei Dinge im Fokus: zum einen die hochsubventionierten Stahlexporte aus China, zum anderen die Anforderungen aus dem Klimaschutz und die Regelungen, die im Erneuerbare-Energien-Gesetz anstanden.

Zu den Zöllen kann man sagen: Anfang August sind nun endlich auch die Strafzölle verhängt worden. Das Verfahren – das wurde hier schon öfter diskutiert – dauert eben extrem lange, aber erste positive Wirkungen sind auf dem Markt durchaus schon zu erkennen.

Lassen Sie mich nun einige Worte zum Klimaschutz sagen und vor allen Dingen auch zum ErneuerbareEnergien-Gesetz. Ich würde an dieser Stelle gern kurz mit Ihnen über Kuppelgase sprechen. Ich gebe es ehrlich zu – und die meisten, wenn sie denn ehrlich sind, würde es auch sagen –: Ganz besonders haben wir uns damit noch nicht beschäftigt.

Was sind denn überhaupt Kuppelgase? – Ganz kurz: Sie entstehen im Prozess der Stahlerzeugung, werden zur Eigenstromerzeugung verwendet, und sie waren von der EEG-Umlage befreit. Diese Befreiung ist extrem wichtig für die Stahlindustrie, sowohl ökonomisch, aber auch für den Klimaschutz. Wir sparen dadurch nämlich 6,5 Millionen Tonnen CO2, das sind drei Millionen Mittelklassewagen, wenn denn die Angaben zu den Emissionen gestimmt haben. Bei voller EEG-Umlage würde die Stahlindustrie in Deutschland mit einem dreistelligen Millionenbetrag belastet.

Warum gehe ich darauf so ausführlich ein? – Weil es der NRW-Landesregierung nämlich gelungen ist, diese EEG-Befreiung zu erhalten. Die EEG-Befreiung bleibt, und das zeigt auch als Blaupause, dass es der Landesregierung Nordrhein-Westfalen gelingt, sowohl im Bund als auch im weiteren EUVerfahren die Bedürfnisse unseres Landes durchzusetzen. Wir sind aufgrund dessen auch sehr optimistisch, dass uns das auch beim Zertifikatehandel gelingt. Ein erster wichtiger Schritt ist aus unserer Sicht die Entscheidung, die die Landesregierung im April im Bundesrat herbeiführen konnte; hier hatte die Landesregierung für eine Mehrheit gesorgt.

Was wollen wir im Bereich Zertifikatehandel? – Wir wollen Zertifikate für Branchen, deren Investitionsstandorte nach einer Verlagerung in den Staaten außerhalb NRWs bedroht sind. Diese müssen auch nach 2020 fair zugeteilt werden. Wir wollen keine starre Festsetzung und Deckelung der Zuteilung freier Zertifikate für die energieintensive Industrie, und wir wollen – ganz wichtig – die effizientesten 10 % der Anlagen weiterhin vollständig mit Gratiszertifikaten betreuen. Ziel ist es, die Standorte unserer hocheffizienten, klimafreundlichen Stahlwerke in Nordrhein-Westfalen zu schützen und nicht zusätzlich zu belasten. Denn eine Belastung nutzt weder dem Klima noch den Beschäftigten.

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch einen Blick auf alle drei Anträge! – Wenn man sich die Herleitung anschaut, sind alle drei Anträge ähnlich geprägt. Sie sind geprägt von der Sorge, wie es mit der Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen weitergeht. Das ist wunderbar.

Allerdings – das muss ich der Opposition an dieser Stelle vorwerfen – konnten Sie der Versuchung nicht widerstehen, diese Sorge zu instrumentalisieren und im Prinzip in Ihrem Forderungs- und auch in Ihrem Feststellungsteil nur rein politische Forderungen zu stellen, sodass wir diese Anträge gleich ablehnen werden.

Wir sorgen dafür, dass die Stahlindustrie das Herzstück der NRW-Industrie bleibt. – In diesem Sinne Glück auf und vielen Dank.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Sundermann. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Hovenjürgen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Sundermann, ich teile Ihre Analyse, dass – wenn man sich die Anträge anschaut – man gar nicht so weit auseinander ist.

Wenn ich mir allerdings die Forderungssituation in den jeweiligen Anträgen anschaue, kann ich das, was Sie als Schlussfolgerung gezogen haben, nicht nachvollziehen, denn auch da sind die Dinge nicht so weit auseinander. Dass wir uns gemeinsam Sorgen um die Strahlindustrie machen, ist sicherlich ein gutes Zeichen und auch ein Zeichen, um den Belegschaften, insbesondere in Duisburg, zu zeigen, dass wir uns mit voller Ernsthaftigkeit um ihre Probleme kümmern. Wir hatten ja ein Gespräch mit dem Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Günter Back, und auch er hat in unserer Fraktion noch einmal eindrucksvoll die Problemstellungen der Stahlbranche geschildert.

Die Kollegen der Ruhrgebietsgruppe haben aber auch das Stahlwerk selbst besucht. Sie konnten sehen, welche Dimension dort die Innovation einnimmt, wie man dort in der Forschungsabteilung agiert und wie man in den letzten fünf Jahren die Produktpalette um 60 % erneuert hat. 60 % der Produkte in Duisburg sind neu, sind zusammen mit anderen Wirtschaftszweigen entwickelt worden und machen einen großen Teil der Innovationsfähigkeit der Stahlbranche aus.

Der Satz, dass da, wo die Bleche produziert werden, auch die Autos und die Produkte produziert werden, hat ja etwas Wahrhaftiges. Deswegen ist es so sinnvoll und wichtig, dass wir uns um den Erhalt unserer Stahlbranche bemühen, weil dies etwas mit den Wertschöpfungsketten und den Perspektiven für das gesamte Land zu tun hat.

Insofern, meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf eines hinweisen, wenn wir Forderungen gegenüber Betrieben formulieren, die sich schon hervorragend aufgestellt haben, die eine Energieeffizienz von 61 % aufweisen: 61 % der in Anspruch genommenen Energie wird substanziell und effektiv verwendet. Dies ist ein enormer Wert. Wir sollten diese Unternehmen nicht mit zusätzlichen Auflagen in eine Art von Bedrängnis bringen, die sie nicht mehr in die Lage versetzt, wirtschaftlich mitzuhalten. Darum geht es am Ende.

Wir sollten sehen, dass wir nach Möglichkeit gemeinsam agieren. Aber diese Gemeinsamkeit haben Sie ja leider gerade schon aufgelöst, Herr Sundermann. Das scheint nicht möglich zu sein. Ich hätte mich gefreut, wenn wir uns heute in der Lage gesehen hätten, den Ursprungsantrag der Union gemeinsam zu tragen, weil er das beschreibt, was im Grundsatz hier

im Hause – nach dem, was ich in den Anträgen wahrnehmen konnte – eigentlich nicht strittig ist. Insofern verstehe ich nicht, warum man an dieser Stelle nicht die Größe hat, zu sagen: Lassen Sie uns gemeinsam einen großen Schritt in diese Richtung gehen!

Zu dem, was im Bundesrat erreicht wurde: Ja, man hat einen Antrag des Bundeslandes durchbekommen, Herr Wirtschaftsminister, das ist richtig. Bei der weitergehenden Initiative von Sachsen, Niedersachsen und dem Saarland sah man sich aber nicht in der Lage, beizutreten.

Das ist das eigentliche Armutszeugnis in der Bundesratssitzung gewesen, dass man den konsequenteren Weg nicht mitgehen wollte. Das macht auch deutlich, dass wir es in der vorliegenden Konstellation von Rot-Grün offensichtlich doch sehr schwer haben, dass diese beiden beieinander bleiben und am Ende die Entscheidungen treffen, die notwendig sind, um dieses Land wirtschaftsfähig zu machen.

Die Rahmenbedingungen dafür sind für jedermann ersichtlich. Ein Wirtschaftswachstum, das uns an den letzten Platz des Länderrankings bringt, also kein Wirtschaftswachstum, sondern ein Nullwachstum, ist das Ergebnis dieser Politik. Man lässt Herrn Remmel wirken, und gleichzeitig versucht Herr Duin, den Eindruck zu erwecken, als sei wirtschaftspolitische Kompetenz im Reigen dieser Landesregierung vertreten, aber er läuft immer wieder hilflos gegen die Wand, die die Grünen bzw. Herr Remmel ihm aufbauen.

Das kann deprimieren, Herr Minister; da habe ich gewisses Verständnis für Sie. Ich hoffe, Sie geben an dieser Stelle noch nicht auf und versuchen weiter, den richtigen Weg einzuschlagen. Ich glaube aber nicht, dass Sie wirtschaftspolitischen Sachverstand in diese Koalition einbringen können. Dafür lässt man Sie zu sehr alleine, und die Rahmenbedingungen, die hier im Parlament in den nächsten Monaten noch geschaffen werden sollen, sind nicht geeignet, darauf zu hoffen, dass wir die wirtschaftliche Entwicklung mit in die Betrachtung nehmen. Offensichtlich kippt die Waage ins Ungleichgewicht.

Mein Hinweis lautet immer: Dieses Land braucht eine Balance zwischen Ökologie und Ökonomie. – Von dieser Balance entfernt man sich im Moment zusehends.

Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass wir das in Kürze, im Mai nächsten Jahres, korrigieren können. Glück auf für dieses Land! Schade, dass es heute zu keinem gemeinsamen Antrag kommt und Sie nicht die Größe haben, einem richtigen Antrag der Union zuzustimmen. Das ist bedauerlich, aber wir nehmen dieses Faktum so zur Kenntnis.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Hovenjürgen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Dr. Beisheim.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich verzichte hier jetzt ganz bewusst auf Polemik; das haben wir auch schon in der Debatte zuvor getan. Denn das Thema ist wirklich viel zu ernst. Es geht um Tausende von Beschäftigten in der Stahlindustrie und deren Schicksal. Insofern, Herr Kollege Hovenjürgen, hätte ich mich gefreut, wenn Sie beim Thema geblieben wären. Denn dieses ernste Thema „Stahlindustrie“ – gerade als Duisburgerin muss ich das sagen – taugt nicht für eine allgemeine Debatte über Wirtschaftspolitik.

Wenn der Emissionshandel das alleinige Problem der deutschen Stahlindustrie wäre, dann wäre diese Aufgabe einfach. Dann wäre der Effekt, den der Herr Kollege Sundermann skizziert hat, schon eingetreten, und wir bräuchten uns eigentlich gar nicht mehr weiter darüber zu unterhalten. Warum wir Ihrem Antrag nicht zustimmen können, liegt daran, dass der Emissionshandel nicht das alleinige Problem ist, und das wissen Sie sehr genau, Herr Hovenjürgen.

Metallerzeugung – das wissen Sie auch – ist ein komplexes System, nicht nur ein rein technisches. Wir haben sehr viele verschiedene Variablen, die einfließen, beispielswiese Rohstoffe, Absatz, Wechselkurse, Personal usw. Das muss man können, und das muss man auch wollen.

Daher teile ich auch das Unbehagen der Betriebsräte darüber, dass die Führungscrews – und hier vorrangig Herr Hiesinger – das nicht mehr wollen. Das heißt, dass sie diesen Konzern ThyssenKrupp zu einem Technologiekonzern umbauen wollen, weil auch die Philosophie nicht zu den Leuten passt, die von Siemens gekommen sind.

Warum sage ich das? Weil ich Ihnen aufgrund meiner Erfahrungen einige Beispiele dafür nennen kann, wo genau das passiert ist. Ich erinnere nur an den Umbau der Metallgesellschaft zur GEA. Aus einem Rohstoffkonzern, der breit aufgestellt war, wurde ein Hersteller von Anlagen und Maschinen für die Lebensmittelindustrie.

Die letzte Schließung eines Hüttenbetriebes in diesem Bereich erfolgte 2010. Ich erinnere an die Schließung einer Zinkhütte in Datteln. Diese Schließung ist aus rein strategischen Gründen erfolgt. Es gab überhaupt keinen anderen Grund; denn es gab eine positive Entwicklung.

Deshalb müssen wir als Politik mit diesen Unternehmen im Gespräch bleiben, da sie nicht nur ihren Shareholdern gegenüber eine strategische Verant

wortung haben, sondern auch gegenüber ihren Mitarbeitern und den Menschen vor Ort eine große Verantwortung haben.

Ich hoffe, dass ThyssenKrupp diesem Beispiel, das man durch weitere ergänzen könnte, nicht folgt. Denn das Know-how eines Technologiekonzerns wie Siemens birgt auch große Chancen; auch das haben wir am Beispiel des Joint Ventures zwischen Chemie, Energiewirtschaft und der Stahlindustrie gesehen. Dort will man im Rahmen einer Zusammenarbeit zu einer klimafreundlicheren Erzeugung von Stahl kommen. Das, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist aus meiner Sicht ein Stück Zukunft, an dem wir als Politik mitarbeiten können.

Ich kann mir einen kleinen Ausflug in die Kuppelgase nicht verkneifen; denn an der Stelle haben Kuppelgase eine ganz andere Bedeutung. Man nimmt Kuppelgase in diesem Joint Venture als Rohstoff für die chemische Industrie, weil eines auch klar ist: Durch die Energiewende, durch die positive Umstellung auf Erneuerbare sind die Strompreise derartig gesunken, dass es aus Kostengründen Sinn macht, nicht mehr diese Kuppelgase zu verstromen, sondern sich einer anderen Nutzung zuzuwenden.

Das sind Wege, die wir als Politik begleiten müssen. Das ist Industriepolitik nach vorne gedacht. Das sichert langfristig die Beschäftigung hier in NordrheinWestfalen. Dafür stehen wir Grüne, und dafür steht auch die rot-grüne Koalition. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Dr. Beisheim. – Für die FDP spricht jetzt Herr Kollege Brockes.