Protocol of the Session on July 8, 2016

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/12359

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPDFraktion Frau Kollegin Jansen das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Aber ich liebe ihn doch.“ Diese Worte aus dem Mund einer 14-Jährigen sind für uns Erwachsene vielleicht manchmal amüsant. Vielleicht können wir uns auch noch an die eigenen ersten großen Lieben erinnern, die man im Alter von 13 oder 14 erlebt hat. Aber wenn diese Liebe in Missgunst oder in Rache umschlägt, kann das schlimme Folgen haben.

Ich hatte letzte Woche ein Gespräch mit einer Schulsozialarbeiterin, die mir sehr anschaulich geschildert hat, wie das in der Mittelstufe funktioniert, im Alter von 13, 14 bis 17 Jahren, wenn junge Leute zusammenkommen. Ich weiß nicht mehr, ob das so ist wie früher bei mir in der Schule mit Zettelchen, auf denen man Ja, Nein oder Vielleicht ankreuzen sollte.

In jedem Fall hat sich aber der Umgang mit den neuen Medien verändert. Im Falle einer ganz großen Liebe von 14- bis 17-Jährigen wird oftmals das Mädchen aufgefordert: Schick mir doch einmal ein Foto. Ich hätte so gerne ein Foto von dir, das ich mitnehmen und überall zeigen kann. – Oftmals sind das Fotos, die das Mädchen nicht im bekleideten Zustand zeigen, sondern dem Freund die ganz große Liebe beweisen sollen.

Dieser oftmals unbedarfte Umgang mit Nacktbildern, die nach dem Ende einer zweiwöchigen Beziehung etwa über WhatsApp verschickt werden, führt dann dazu, dass das Mädchen in der ganzen Klasse, vielleicht auch in der ganzen Schule, unmöglich gemacht wird. Wüste Kommentare, Beleidigungen über Facebook oder andere WhatsApp-Gruppen sind leider nicht mehr selten.

Sie alle kennen den Grundsatz: Das Internet vergisst nie. – Selbst wenn Bilder gelöscht werden, kann man über Screenshots oder andere technische Möglichkeiten bestimmte Bilder so lange aufbewahren, wie man möchte. Die eigentlich privaten Bilder bleiben also lange im digitalen Gedächtnis.

Ein Opfergedanke ist oftmals bei den Mädchen nicht präsent. Oftmals ist eine „Du bist doch selbst schuld“Zuschreibung dafür verantwortlich, dass man sich zu sehr schämt, um etwas gegen Cybermobbing, Mobbing und üble Nachrede zu unternehmen.

Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, dass man Mädchen und junge Frauen sehr früh dafür sensibilisieren muss, sich nicht alles gefallen zu lassen. Das kann zum Beispiel durch eine Ansprache von Schulsozialarbeitern, pädagogischen Mitarbeiterinnen in Jugendeinrichtungen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Sportvereinen etc. geschehen. Ich glaube, dass da auch schon ein Umdenkprozess eingesetzt hat.

Die Gesamtschule, die ich letzte Woche besucht habe, bietet beispielsweise schon in der 5. Klasse ein

Präventionsprogramm in Kooperation mit der Polizei an.

Deshalb sage ich ganz klar: Gewalt, Mobbing und Cybermobbing haben in Schule und Freizeit keinen Platz. Wir müssen den Jugendlichen bewusst machen, dass Beleidigungen und Beschimpfungen auch im Internet strafbar sind, und wir müssen das Selbstbewusstsein der Mädchen stärken.

Als ich vorgestern nach Düsseldorf gefahren bin, stieg eine Gruppe von jungen Mädchen – etwa in dem Alter, das ich gerade beschrieben habe: 14 bis 16 – in den Zug ein. Sie unterhielten sich über sich anbahnende Facebook-Bekanntschaften.

Ein Mädchen erzählte seinen Freundinnen: Na ja, da hat mich jemand angeschrieben. Ich kenne den zwar nicht. Ich weiß auch gar nicht genau, wo der herkommt. Aber ich habe ihm erst mal geschrieben, wie alt ich bin, weil der ja geschrieben hat, dass er mich so hübsch findet.

Ich hätte dem Mädchen am liebsten zugerufen: Spiel die Hauptrolle in deinem Film. Sei deine eigene Königin, und warte nicht darauf, dass dir einer eine Krone aufsetzt oder einen roten Teppich ausrollt. Du musst keine persönlichen Daten preisgeben. Du musst dich nicht geschmeichelt fühlen von irgendjemandem, der dir sagt, dass du wahnsinnig hübsch bist, nur damit er an deine Daten und an deine Bilder kommt.

(Beifall von der SPD und Reiner Priggen [GRÜNE])

Es kann auch nicht sein, dass Mädchen gesagt wird, sie seien ja selber schuld, wenn sie leichtfertig Fotos verschicken oder ihre persönlichen Daten preisgeben. Ich finde, dass eher der Vertrauensmissbrauch der ehemals großen Liebe das Schlimme ist – und nicht das Bild selbst.

Die Fraktionen von SPD und Grünen wollen eine Sensibilisierung durch Fortbildungen bei Polizei, Justiz, Lehrerinnen und Lehrern sowie pädagogischen Fachkräften. Genauso wollen wir auch die Arbeit der Beratungsstellen weiter unterstützen.

Ich freue mich sehr auf die Beratung im Ausschuss. Und wenn ich darüber nachdenke: Wenn ich das Mädchen noch einmal sehen sollte, werde ich es ihm auch sagen. – Danke.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Jansen. – Für die Fraktion Die Grünen spricht Kollege Bolte.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute nicht über ein neues Phänomen, aber über ein Phänomen, das

Aufmerksamkeit verdient hat. Sexismus, sexualisierte Gewalt, Stalking, Grooming und Mobbing – alles das kennen wir aus der Offlinewelt. Für die Betroffenen – das sind in der überwältigenden Mehrheit nach wie vor Frauen – unterscheiden sich die Folgen nicht, egal, ob die Taten online oder offline begangen werden.

Wir stellen heute diesen Antrag, weil für uns nach wie vor die Chancen der Digitalisierung für die demokratische und gesellschaftliche Teilhabe im Vordergrund stehen. Das Internet ist und bleibt ein demokratischer Raum, den wir für politische Beteiligung nutzen wollen. Es ist auch ein Raum für eine politische Öffentlichkeit, die gerade dem feministischen Diskurs zugutekommt. Die zahlreichen feministischen Blogs auch der neueren Strömungen zeigen das – oder auch Twitter-Debatten wie #aufschrei oder #imzugpassiert. Das sind eindrückliche Belege für diese Entwicklung.

Deshalb wenden wir uns heute mit diesem Antrag zunächst an die betroffenen Frauen. Wir dulden es nicht, die Opfer alleinzulassen. Das Stichwort „Victim Blaming“ ist eben schon gefallen. Wir dulden es nicht, dass in der Demokratie Menschen davon abgehalten werden, klare Standpunkte zu beziehen. Und wir dulden es nicht, dass gerade junge Frauen in ihrem Engagement für eine geschlechtergerechte Gesellschaft eingeschränkt werden.

(Beifall von den GRÜNEN und Josef Hoven- jürgen [CDU])

Wir schaffen in Nordrhein-Westfalen bereits seit geraumer Zeit eine Basis für den selbstbewussten, eigenständigen und kritischen Umgang mit digitalen Medien – über alle Ressorts. Dafür haben wir in den verschiedenen Ressorts die Mittel für die Förderung der Medienkompetenz deutlich ausgeweitet. Diesen Weg wollen wir gemeinsam mit unseren starken Partnern – einige sind eben angesprochen worden – fortsetzen.

Wir haben seit gut einem Jahr die Landespräventionsstelle gegen Gewalt und Cybergewalt an Schulen in Nordrhein-Westfalen, deren wichtige Arbeit wir weiter unterstützen wollen.

Wir wollen ebenfalls die Fortbildungsangebote für die pädagogischen Fachkräfte in der Jugendarbeit, an den Schulen und bei den Mädchen- und Frauenberatungsstellen stärken. Auch das ist ein wichtiger Ansatz, der zeigt: Sexualisierte Gewalt ist in allen Bereichen ein Thema und muss auch in allen Bereichen wirksam angegangen werden.

Wir wollen aber auch bei Polizei und Justiz für diesen Phänomenbereich sensibilisieren; denn die Erfahrungen mit Hate Speech in allen Bereichen zeigen, dass geltendes Recht, das offline selbstverständlich ist, im Online-Bereich zu oft nicht durchgesetzt wird. Das erleben wir im Umgang mit Hate Speech nicht

nur dann, wenn diese gegen Frauen gerichtet ist, sondern auch in vielen anderen Bereichen.

Ich halte das für ein sehr wichtiges Thema. Wenn wir heute zwar diesen sehr wichtigen und sehr relevanten Bereich herausnehmen, dürfen und wollen wir darüber aber nicht vergessen, dass Hassrede viele gesellschaftliche Gruppen trifft und auch an vielen Stellen bekämpft werden muss.

Um diese Sensibilisierung zu erreichen, ist es sinnvoll, das Lagebild Cybercrime um den Aspekt Hassrede zu ergänzen. Dann haben wir eine gute Grundlage, auf der wir weitere Maßnahmen aufsetzen können; denn es geht darum, ein Problem in seiner zum Teil neuen Dimension zu erkennen, um daraus dann sinnvolle Maßnahmen zu entwickeln.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche mir – wir sind ja noch am Anfang der Debatte –, dass wir diesen Antrag in großer Einigkeit miteinander diskutieren. In Nordrhein-Westfalen haben wir eine gut aufgestellte Landschaft. Wir haben sehr viele Verbündete. Mit dem heutigen Antrag stoßen wir ein paar weitere wichtige Maßnahmen an. Ich hoffe, dass wir das in der vor uns liegenden Debatte jetzt gemeinsam und mit einer großen Einigkeit tun.

Ich freue mich sehr auf die Debatte im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Stein.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Unsere zwischenmenschlichen Beziehungen verlagern sich zunehmend in die digitale Welt. Die Lebenswirklichkeit vor allem junger Menschen spielt sich zum großen Teil online ab. Es wird immer schwieriger, sich dieser Tatsache zu entziehen. Kinder und Jugendliche, die mit den sozialen Netzwerken groß geworden sind, können sich ein Sozialleben ohne Internet kaum noch vorstellen.

Die Digitalisierung vervielfältigt Informationen und macht sie jedem zugänglich. Vor diesem Hintergrund stellen Cybergewalt, Cybermobbing und die ähnlichen Formen, die im Antrag erwähnt sind, ein ernst zu nehmendes gesellschaftliches Problem dar. Diesem müssen wir über Parteigrenzen hinweg entschlossen entgegentreten.

Mobbing an sich ist kein neues Phänomen; gelästert wurde schon immer. Der Unterschied heutzutage ist allerdings – wir haben das gerade schon gehört –, dass die Hetze im Netz durch Geschwindigkeit und Reichweite ganz neue Dimensionen erreicht, die

nicht mehr einfach ignoriert werden können, und auch dauerhaft oder zumindest über einen langen Zeitraum abrufbar ist.

Cybergewalt richtet sich allerdings – das möchte ich hier erwähnen – nicht nur gegen Frauen und Mädchen. Auch Männer und Jungen sind gegen Mobbing nicht immun.

Einer von vielen tragischen Fällen des Cybermobbings, die sich jetzt im Netz recherchieren ließen, ist der Fall des 13-jährigen Joel aus Kärnten in Österreich. In einem bewegenden Interview mit der regionalen Tageszeitung „Kleine Zeitung“ vom 26. Januar 2011 schildert die Mutter ihre Verzweiflung – ich zitiere –:

„Ich verstehe nicht, warum das niemanden interessiert! Mein Kind wurde im Internet in den Tod getrieben. Ein Klick hat genügt.“

Das sagte sie, nach dem sich ihr Sohn Joel leider das Leben genommen hatte. Ein erniedrigender Post auf seiner Facebook-Seite führte zu dieser furchtbaren und schrecklichen Tragödie. In diesem Post wurde Joel als homosexuell verunglimpft.

Diese im Internet stattfindenden Schikanen und Erniedrigungen führten dazu, dass sich ein junger Mensch das Leben nahm.

Als Vater von drei jungen Töchtern finde ich solche Entwicklungen – ganz unabhängig vom Geschlecht der Opfer – äußerst bedenklich. Jede und jeder kann in eine Situation geraten, in der man Cybergewalt ausgesetzt wird – auch wir als Politiker übrigens. Wie Sie alle wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir oft mit Anfeindungen und Beleidigungen im Netz konfrontiert.

In scheinbarer Anonymität fallen Hemmungen und Manieren, und es entsteht nicht selten ein gefühlt rechtsfreier Raum. Dem müssen wir entschlossen entgegentreten. Als Erwachsener kann man mal mehr und mal weniger gut damit umgehen. Als heranwachsender Mensch kann man solche Anfeindungen allerdings nicht richtig einordnen und ist diesen Inhalten oft schutzlos ausgeliefert.

(Beifall von der CDU, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Jugendliche können sich diesen digitalen Anfeindungen durch die totale und permanente Vernetzung nicht mehr entziehen. Kommentare im Netz sind nur schwer zu tilgen. Dadurch leiden Betroffene auch nach Jahren noch unter dem Stigma.

Hier ist die Politik, hier sind wir gefordert, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein klares Signal gegen Cybergewalt zu setzen, das über begrüßenswerte Aufklärungsinitiativen für Jugendliche, Lehrer und Eltern wie zum Beispiel „SCHAU HIN!“ oder die europäische Initiative „klicksafe“ hinausgehen muss.