Protocol of the Session on June 8, 2016

Das Inklusionsstärkungsgesetz Nordrhein-Westfalen ist ein Artikelgesetz. Es ist kein Leistungsgesetz, wie es manch einer meint. Dieses Artikelgesetz schafft etwas ganz Neues, nämlich in diesem Bundesland erstmals eine inklusive Rechtskultur. Es verbindet viele bestehende Landesgesetze miteinander im Sinne der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Wir als Bundesland schreiben diese Konvention mit dem Inklusionsstärkungsgesetz fest. Darauf können wir stolz sein.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben zu Recht viele Hinweise und Anregungen, die es in der Anhörung und in den Stellungnahmen gab, aufgenommen und in den Änderungsantrag zu dem vorliegenden Gesetzentwurf richtig eingebaut, wie ich finde.

Meine Damen und Herren, dass zukünftig die Agentur Barrierefrei NRW gesetzlich abgesichert wird, dass die Monitoringstelle zur Überprüfung der UNBehindertenrechtskonvention auch in NordrheinWestfalen als Beratungs- und Überwachungsinstrument zur Verfügung stehen wird, dass die Leichte Sprache und die Gebärdensprache in NordrheinWestfalen eingeführt werden, sind in einem Bundesland Nova für Menschen mit Behinderung.

Ich bin davon überzeugt, dass wir auch in vielen einzelnen Bereichen, wenn es etwa um die Stärkung der

Situation behinderter Mädchen und Frauen, um Gehörlose und um das Durchsetzen von Gebärdensprachdolmetschern im Schulbetrieb, in der Kita, in der Kindertagespflege – dort gab es viele Streitigkeiten – geht, neue Verbindlichkeiten schaffen. Beim Wohnen werden wir Hilfen aus einer Hand anbieten können, indem wir Zuständigkeiten neu geregelt haben.

Nordrhein-Westfalen hat damit einen sehr großen weiteren Schritt zur Umsetzung der BRK auf den Weg gebracht. Ich appelliere an möglichst alle in diesem Landtag, heute dafür Sorge zu tragen, dass die Menschen mit Behinderung in Nordrhein-Westfalen auch die Vorreiterrolle erhalten, wenn es darum geht, ihre Rechte wahrzunehmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Neumann. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Preuß.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe für die CDULandtagsfraktion mehrfach in Redebeiträgen auch hier im Plenum deutlich gemacht, wie selbstverständlich und wichtig es für uns ist, für alle Menschen gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen, zu organisieren und, soweit nötig, die gesetzlichen Grundlagen hierfür zu schaffen.

Benachteiligungen müssen beseitigt werden: in den Köpfen wie im Handeln auf allen staatlichen Ebenen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Die UN-Behindertenrechtskonvention beinhaltet den Auftrag, bestehende Landesgesetze an die Vorgaben der UN-Konvention anzupassen. Der Auftrag besteht darin, alle staatlichen Ebenen zur Öffnung aller Lebensbereiche für Menschen mit Behinderungen zu verpflichten. Es geht nicht darum, irgendein Inklusionsgesetz zu formulieren, sondern darum, ein wirksames, handwerklich gut gemachtes Gesetz zu verabschieden.

Das von der Landesregierung vorgelegte und heute zu beschließende Inklusionsstärkungsgesetz bleibt weit hinter diesem Anspruch zurück.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Es ist schon eine Zumutung für die betroffenen Menschen, dass sie heute ein Gesetz zur Kenntnis nehmen müssen, das im Wesentlichen aus weitgehend unverbindlichen Erklärungen besteht, und das sieben Jahre nach Ratifizierung der UN-Behindertenrechtkonvention.

Meine Damen und Herren, es ist doch nicht zu übersehen, dass der vorliegende Gesetzentwurf deutlich von der Strategie geprägt ist, Kosten zu vermeiden.

Die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen sind nicht bereit, auch die Finanzverantwortung für Inklusion in Nordrhein-Westfalen zu übernehmen. Konnexitätsregelungen fehlen.

Der Gesetzentwurf besteht aus Appellen und weitgehend unverbindlichen Formulierungen. Die Experten erklärten in der Anhörung deshalb, dass – ich zitiere – nicht zu erwarten sei, dass das Ziel des Inklusionsstärkungsgesetzes, die Stärkung der Sozialen Inklusion behinderter Menschen, erreicht wird.

Ein weiteres enttäuschendes Kernstück des Gesetzes sind Zielvereinbarungen, die mit den Verbänden geschlossen werden sollen. Es ist aus unserer Sicht ein grundlegender Fehler des Gesetzentwurfs, den Menschen mit Behinderungen die Aufgabe zu übertragen, selbst für Inklusion und den Abbau von Barrieren zu sorgen. Die ratifizierte Konvention verpflichtet demgegenüber die Landesregierung, die – ich zitiere – volle Verwirklichung zu gewährleisten und zu fördern.

Meine Damen und Herren, die Auswertung der Anhörungen hat einen umfassenden Nachbesserungsbedarf aufgezeigt. Mein Vorredner hat eben hier dargestellt, dass einige Anregungen aus der Anhörung aufgenommen worden seien. Das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich dabei um allgemeine Formulierungen handelt, die im Grunde nicht weiterhelfen.

(Beifall von der CDU)

Deshalb, meine Damen und Herren, legen wir einige Änderungsanträge vor. Wir wollen mit unseren Anträgen auf die besonderen Lebenssituationen von Menschen mit Behinderungen aufmerksam machen, die für andere so nicht erlebbar sind, und konkrete Verbesserungsvorschläge vorlegen.

Ein CDU-Antrag, den wir ursprünglich gestellt hatten, hat sich erledigt. Er betrifft das Wahlrecht für Menschen, die unter Vollbetreuung stehen. Unser Antrag – Herr Kollege Neumann hat ja dazu auch Ausführungen gemacht – ist übernommen worden. Das Recht, wählen zu dürfen, ist jedenfalls ein Bürgerrecht, auf dem unsere Demokratie aufbaut, und es kann nicht davon ausgegangen werden, dass unter Vollbetreuung stehende Menschen nicht in der Lage wären, eine Wahlentscheidung zu treffen. Insofern ist das in der Tat ein guter Schritt in die richtige Richtung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Teilhabemöglichkeiten für Menschen, die Kommunikationsdienste benötigen, müssen abgesichert und schrittweise ausgeweitet werden. Leichte Sprache eröffnet Menschen mit Lernschwierigkeiten Selbstständigkeit. Sie haben darauf ein Recht wie blinde Menschen auf Blindenschrift. Wir wollen Eltern mit Behinderung wirksam unterstützen und notwendige Fahrten schwerbehinderter Kinder auch in die

inklusive Schule sicherstellen. Wir wollen eine politische Partizipation,

(Beifall von der CDU)

die die Expertise und Selbstbestimmung der Selbsthilfeverbände anerkennt und nutzt, nicht eine kontrollierte Pseudopartizipation.

Meine Damen und Herren, die CDU-Fraktion wird diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Gleichwohl bleibt der dringende Appell an die Landesregierung bestehen, nicht weiter den einfachsten Weg zu suchen, sondern sich nach den Bedürfnissen der Betroffenen zu richten. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Preuß. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Grochowiak-Schmieding.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Stellen Sie sich einfach mal vor, Sie seien in der Stadt unterwegs, hätten Ihre Angelegenheiten erledigt, gingen zurück zu Ihrem Auto – das hätten Sie irgendwo am Straßenrand abgestellt –, stiegen ein und wollten losfahren und es ginge nicht wegen zu viel Verkehr. Keiner hielte an. Niemand ließe Sie aus Ihrer Parklücke heraus. Ihren Abendtermin könnten Sie quasi abhaken. Sie kämen auf jeden Fall zu spät.

In dieser Situation würden Sie sicherlich nicht von sich sagen: Ich bin behindert. – Sie würden von sich sagen: Ich werde behindert. – Genauso ergeht es Menschen mit einer Sinnesbeeinträchtigung, Menschen mit einer geistigen, seelischen oder körperlichen Beeinträchtigung.

Wir können sicherlich mit Fug und Recht behaupten: Hier in NRW sind wir im Vergleich zu anderen Bundesländern schon ganz gut aufgestellt. Zu den Sonderwelten gibt es bei uns ein breites Angebot an Alternativen, sowohl im Arbeits- als auch im Bildungsbereich und natürlich auch bei den Wohnangeboten. Tatsächlich haben sich auch die Kommunen – ich zitiere – „vor Langem auf den Weg gemacht hin zu einem inklusiven Gemeinwesen“, wie uns die Vertreterin der kommunalen Spitzenverbände, Frau Göppert, in der Anhörung versichert hat.

In der Tat formulieren wir mit dem Inklusionsstärkungsgesetz keine neuen Aufgaben und übertragen auch keine neuen Aufgaben auf die Kommunen, sondern wir konkretisieren, wie in Nordrhein-Westfalen die UN-BRK und der Art. 3 unseres Grundgesetzes umgesetzt werden sollen. Um Be- und Entlastungswirkungen des Gesetzes zu beobachten und

gegebenenfalls darauf reagieren zu können, werden wir die Evaluationsklausel in das Gesetz schreiben.

Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ist Ihr Antrag zur Konnexität auch schon längst überholt. Ziehen Sie ihn einfach zurück! Das gilt im Übrigen auch für die anderen Anträge, die Sie gestellt haben, insbesondere zum Beispiel zu den kommunikationsunterstützenden Maßnahmen. Wenn Sie mal in den Haushalt schauen wollen: Dafür haben wir im Haushalt in diesem Jahr bereits einen Topf in Höhe von 400.000 € eingestellt.

Überhaupt hätte ich gedacht, meine Damen und Herren von der Opposition – von der CDU weiß ich, sie hat es nicht gemacht –, dass Sie die Zeit seit der Sitzung des Fachausschusses letzte Woche genutzt hätten und den Beschlussvorschlag des Ausschusses gelesen hätten. Grundlage dieser Beschlussvorlage sind nämlich unsere rot-grünen Änderungsanträge. Diese wiederum sind ein Resultat unter anderem aus dem Ergebnis vieler Gespräche, die ich mit Betroffenen, mit Betroffenenvertretungen und natürlich auch Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege geführt habe.

Wir werden verbindliche Forderungen umsetzen, ohne die Kommunen in ihrer Entscheidungs- und Gestaltungshoheit einzuschränken. Das ist uns wichtig. Die Gegebenheiten vor Ort sind ja sehr unterschiedlich. So gibt es Kommunen, die zunächst im öffentlichen Raum Wege, Plätze, Gebäude barrierefrei gestaltet haben, und andere sind in den Dienstleistungsangeboten weiter.

Meine Damen und Herren, anders als die Bundesregierung sind wir der Auffassung, dass die UN-BRK in allen gesellschaftlichen Bereichen umgesetzt werden muss. Und so müssen auch bei der Vergabe öffentlicher Förderung die Richtlinien und Forderungen des Inklusionsstärkungsgesetzes beachtet werden. Damit ist auch die freie Wirtschaft im Boot.

Beispielhaft für ganz Deutschland – darüber ist nun schon mehrfach gesprochen worden – ist die Streichung des Wahlrechtsausschusses.

Wir werden die Partizipation der Betroffenen insgesamt stärken. Sie werden aktive Unterstützung auch durch fachliche Beratung erhalten. Zur Leichten Sprache ist schon einiges gesagt worden. Auch die Agentur Barrierefrei, die wir nun gesetzlich verankern, wurde bereits angesprochen. Als unabhängige Instanz zur Überwachung der Umsetzung der UNBRK in NRW werden wir das Institut für Menschenrechte beauftragen.

Also: Mit den von uns eingebrachten Änderungen können wir ein Inklusionsstärkungsgesetz verabschieden, das einen starken Rahmen bildet für die Weiterentwicklung der gesellschaftlichen Inklusion in unserem Bundesland. Und das halte ich für eine gute Sache.

Verbindlichkeit, gestärkte Partizipation der Menschen mit Beeinträchtigung, das Land mit Vorbildfunktion, die Forderungen dieses Gesetzes als Richtlinie bei Fördervergaben – das alles bildet einen wichtigen Strang bei unseren Anstrengungen, Menschen mit Beeinträchtigung zu mehr Teilhabe und Selbstbestimmung zu verhelfen.

Damit setzen wir im Übrigen auch einen Kontrapunkt zu dem, was die Bundesregierung mit ihrem Referentenentwurf zum Bundesteilhabegesetz plant. Die Große Koalition hat offenbar vor, den Kreis der Leistungsempfängerinnen drastisch zusammenzustreichen. Auch in Zukunft sollen Menschen mit Beeinträchtigung die Barrieren, …

Die Redezeit!

…, die ihnen die Gesellschaft aufbaut, mit ihrem eigenen Einkommen und Vermögen beseitigen. Dafür dürfen sie in letzter Konsequenz dann noch nicht einmal mehr selbst entscheiden, wer und von wem und wie die benötigte Unterstützung erbracht werden soll. Eine derart rückwärtsgewandte …

Die Redezeit!

… – ich komme zum Ende – und defizitorientierte Fürsorgepolitik, Herr Preuß, das ist tatsächlich eine Zumutung für die Betroffenen.

Aber das werden wir hier in NRW so nicht machen. Wir halten dem ein Gesetz entgegen, das die Menschen in den Mittelpunkt stellt und ihre emanzipatorische Teilhabe stärkt. Sie sind in der Tat aufgerufen, meine Damen und Herren von der Opposition, …