Ursächlich für das unterdurchschnittliche Wachstum ist nicht der Strukturwandel, sondern sind zu geringe Investitionen in Nordrhein-Westfalen. So ist beispielsweise die Investitionsquote im verarbeitenden Gewerbe nur in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein noch geringer als in NordrheinWestfalen. Das gibt schon zu denken.
In Bayern ist die Investitionsquote um 25 %, in Baden-Württemberg, wo Grün-Schwarz regiert, sogar um 45 % höher. Darüber würde ich mir mal Gedanken machen.
Nach einer Studie des Arbeitgeberverbandes Metall- und Elektroindustrie NRW steigt die Verlagerung von Produktionsaktivitäten dieser Branche ins Ausland rapide an. So fließen bereits jetzt 45 % der Investitionen ins Ausland; in fünf Jahren werden es nahezu 50 % sein. Laut Studie werden zusätzliche Belastungen durch Regulierungen der Politik in Bund und Land von den Unternehmen als gravierende Investitionshemmnisse empfunden. Unsere überbordende Bürokratie erweist sich damit zunehmend als Wachstums- und vor allem als Wohlstandskiller.
Meine Damen und Herren, in der Vorbemerkung der Landesregierung zur Antwort auf die Große Anfrage heißt es:
„Bürokratieabbau durch Gesetzes- und Verwaltungsvereinfachung ist bei aller Unterschiedlichkeit der jeweils vorgeschlagenen und umgesetzten Methoden und Instrumente ein gemeinsames Anliegen aller Landesregierungen von NRW seit Gründung des Landes.“
Hört, hört! – Und jetzt, meine Damen und Herren? Wenn Bürokratieabbau tatsächlich seit Gründung des Landes ein gemeinsames Anliegen aller Landesregierungen war, frage ich mich ernsthaft, weshalb wir heute die Situation haben, dass unsere überbordende Bürokratie Investitionen und Arbeitsplätze ins Ausland vertreibt. Die Antwort habe ich heute von Ihnen noch nicht gehört. Die Antwort findet sich ebenfalls in der Vorbemerkung: weil Bürokratieabbau bei Rot-Grün nur zum rhetorischen Repertoire von Sonntagsreden gehört,
Erlauben Sie mir: Ihr politischer Gestaltungswille lässt keinen Spielraum für Bürokratieabbau. Niemand stellt infrage, dass staatliche Eingriffe und Regelungen für den Schutz wichtiger Rechtsgüter notwendig sind. Allerdings muss im Einzelfall immer geprüft werden, ob die geplante Regelung tatsächlich den Schutz eines Rechtsguts wesentlich verbessert.
Erlauben Sie mir – wie Sie es wahrscheinlich von mir nicht anders erwarten – das Beispiel des Tariftreue- und Vergabegesetzes.
Genau deswegen, Herr Bell! Für 71 % der Unternehmen, die sich derzeit noch an Vergaben in Nordrhein-Westfalen beteiligen, sind aufgrund der Umsetzung dieses Gesetzes im Rahmen von Ausschreibungen Mehraufwendungen entstanden. 90 % der Vergabestellen beklagen, dass sich der Bieterkreis seit Inkrafttreten des Gesetzes verkleinert hat und die Kosten gestiegen sind. Der Beitrag des Tariftreue- und Vergabegesetzes zur Erreichung seiner eigenen Ziele ist aber nach allen bisherigen Erkenntnissen gleich null. Das TVgG dient eben nicht zum Schutz wichtiger Rechtsgüter, weil das Gesetz diesen Schutz nicht messbar verbessert. Hier wurde Bürokratie aus rein ideologischen Gründen geschaffen.
Erlauben Sie mir zum Abschluss das Beispiel EGovernment. Ja, staatliche Eingriffe und Regelungen sind zum Schutz von wichtigen Rechtsgütern unverzichtbar. Die hierdurch verursachten bürokratischen Belastungen lassen sich aber zunehmend durch den Einsatz digitaler Hilfsmittel begrenzen. Leider nutzt diese Landesregierung die Möglichkeit der Digitalisierung zur Vermeidung von bürokratischen Belastungen bis heute nur unzureichend. Auch dies ist ein
Solange Bürokratievermeidung jedoch nicht zu den Prioritäten der Landespolitik gehört, wird NordrheinWestfalen weiterhin beim Wirtschaftswachstum zurückfallen und weiter an Zukunftsfähigkeit verlieren. Es wird daher höchste Zeit für einen Politikwechsel. Ich hoffe, dass die Landesregierung unserem Weg folgt. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Spiecker. – Für die Fraktion der Grünen spricht nun der Abgeordnete Becker.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir die Überschrift der Großen Anfrage, die die FDP gestellt hat, aufmerksam lesen, dann kommen wir alle eigentlich schnell hinter die Intention dieser FDPAnfrage und auch des heutigen Entschließungsantrages. Es geht – das kann man sehr schnell lesen – um das alte neoliberale Mantra der FDP: weniger Regeln, mehr Freiheit, dadurch blühende Unternehmen, öffentliche Haushalte, bei denen die Steuereinnahmen sprudeln, schlanker Staat. Alles wird gut, und demnächst wahrscheinlich sogar das Wetter.
Für diese Saga hat die FDP keine Mühen und Kosten gescheut: die Mühen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ministerien nämlich und die Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
Nun, wir haben immerhin den Erkenntnisgewinn, dass die FDP von der sozialen Marktwirtschaft spricht, die Spielregeln für Markt und Wettbewerb vorgibt, also Ordnungsrahmen und soziale Marktwirtschaft schaffen will. Das ist vernünftig. Aber was verstehen Sie darunter? Wenn wir einen Blick auf die Seite 5 Ihrer Anfrage richten, klärt sich das auf. Ich zitiere:
„Notwendig ist eine Abkehr von der Praxis der lückenlosen hoheitlichen Prüfungen und Genehmigungen nahezu aller Lebenssachverhalte. Geeignete Instrumente für eine fortschrittliche und bürgerfreundliche Herangehensweise sind exemplarisch verlängerte Prüfintervalle, Stichprobenprüfungen, freiwillige Selbstbeschränkungen oder Zertifizierungen von Wirtschaftsverbänden, die
Ermöglichung privatrechtlicher Gestaltung von Vereinbarungen … oder der weitgehende Verzicht auf eine verpflichtende Genehmigungserteilung.“
Wenn wir uns einen aktuellen Fall anschauen, dann können wir das exemplarisch betrachten und auch exemplarisch nachvollziehen. Ich erinnere an Dieselgate, das Tricksen und Fälschen bei Abgas- und Verbrauchswerten – ein Musterbeispiel für nicht lückenlose Prüfungen, für nicht funktionierende Selbstbeschränkungen, für nicht funktionierende Rahmenvereinbarungen, also für Ihr ganzes Sammelsurium, was Sie immer wieder aus der neoliberalen Mottenkiste vortragen.
Wer zahlt den Preis für das, was Sie da fordern? Den Preis zahlen in solchen Fällen die Verbraucherinnen und Verbraucher, den zahlen auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – in der Regel nicht die Manager –, den zahlen auch die Aktionäre.
Aber es kommt schlimmer: Den Preis zahlen wir auch alle, den zahlt die gesamte Volkswirtschaft mit Steuerausfällen und übrigens auch mit dem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit, die Ihnen doch so am Herzen liegt.
Wettbewerbsfähigkeit zum Beispiel in der Frage der Dieselautos: Man hätte längst bessere Autos bauen können, wenn man sich nicht aufs Pfuschen und Tricksen verständigt hätte.
Man verschläft die Zukunft wie bei der Energiewirtschaft, wo man auch jahrelang die Wirklichkeit nicht wahrnehmen und sich nicht auf die neuen Prozesse einstellen wollte,
auch bei den Elektrofahrzeugen, bei denen unsere Industrie droht abgehängt zu werden, weil sie nicht auf Batterieforschung setzt und weil sie, obwohl das vom Bund gefördert wird, die Batterieforschung an vielen Stellen eingestellt hat.
Das ist der Verlust von Zukunftsfähigkeit. Das hat etwas mit mangelndem Rahmen, mangelnder Durchsetzung und mangelndem Gestaltungswillen auch der Volkswirtschaften zu tun, die sich auf diese Kumpanei eingelassen haben.
Sie kritisieren aber nicht nur das, was ich gerade beschrieben habe, sondern Sie kritisieren in Ihrem Mantra auch wieder Bürokratie im Arbeits-, Sozial- und natürlich auch im Umweltrecht.
Was heißt das bei Ihnen? Das heißt im Zweifelsfall bei Ihnen: Sie wollen keinen Mindestlohn. Sie wollen weniger Rechte von Personalräten, wie Sie das zwischen 2005 und 2010 auch praktiziert haben. Und Sie wollen natürlich kein Umweltrecht. Das ist für Sie Gedöns genauso wie das Rauchverbot und die entsprechenden Regelungen zum Nichtraucherschutz. Das ist für Sie alles egal.
Um die Mär vom Bürokratieaufbau etwas zu durchbrechen, will ich darauf hinweisen, dass Sie noch nicht einmal davor zurückschrecken, zur Durchsetzung Ihrer Ideologie neue Bürokratien aufzubauen.
Sie wollen einen Bürokratiekosten-TÜV. Sie wollen eine Bürokratiekostenfolgeabschätzung. Schon dieses Wortungetüm macht deutlich, welche Bürokratie dahintersteckt.
Sie wollen ein Verwaltungsbenchmarking für alle Verwaltungsebenen vom Land bis hinunter zu den Kommunen. Sie wollen alle Gesetze befristen, um dann für den Fall ihrer Verlängerung jedes Mal eine umfangreiche Begründung …